S. 25 / Nr. 5 Interkantonale Rechtshilfe für die Vollstreckung öffentlicher
Ansprüche (d)

BGE 54 I 25

5. Urteil vom 23. März 1928 i. S. Kanton Aargau gegen Hürlimann.


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Regeste:
Konkordat betr. die gegenseitige Rechtshilfe zur Vollstreckung
öffentlichrechtlicher Ansprüche. Abgrenzung der Hoheit der Kantone in
Beziehung auf den Patent- oder Bewilligungszwang und die Gewerbesteuerpflicht.
Zuständigkeit des aargauischen Richters, eine Person, die von Appenzell A.-Rh.
aus an einen Einwohner des Kantons Aargau Heilmittel gesandt und ihm brieflich
ärztlichen Rat erteilt hat, wegen Übertretung der aargauischen
Geheimmittelverordnung und des aargauischen Gesundheitsgesetzes zu bestrafen.

A. - Stephan Pfister in Buchs (Aargau) liess vom Rekursbeklagten, der in
Lutzenberg (Appenzell A.-Rh.) als Naturarzt tätig ist, einen Prospekt über
dessen Heilmittel kommen und bestellte dann bei ihm telephonisch zwei von
diesen Mitteln. Der Rekursbeklagte sandte sie ihm durch die Post unter
Nachnahme zu und gab ihm im Begleitschreiben an, wie er die Mittel gebrauchen
solle. Infolgedessen wurde er wegen Übertretung des Art. 2 der aargauischen
Verordnung betreffend die Auskündung und den Verkauf von Geheimmitteln vom

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14. Juli 1900 und des § 12 des aargauischen Gesetzes über das öffentliche
Gesundheitswesen vom 28. November 1919 dem Bezirksgericht von Aarau zur
Bestrafung überwiesen. Nach der zuerst genannten Bestimmung «ist die
Auskündung und der Verkauf von Geheimmitteln und medizinischen Spezialitäten
ohne besondere Bewilligung von Seite der kantonalen Sanitätsbehörde
untersagt», und § 12 des Gesundheitsgesetzes verbietet u. a. die Ausübung des
ärztlichen Berufes im Kanton ohne Patent oder behördliche Bewilligung. Der
Rekurs beklagte wurde auf den 11. Mai 1927 vor das Bezirksgericht geladen,
erschien aber nicht zur Verhandlung; es wurde ihm daher eine Ordnungsbusse von
10 Fr. aufgelegt. Am 6. Juli 1927 verurteilte dann das Bezirksgericht den
Rekursbeklagten wegen Übertretung der erwähnten Bestimmungen zu 80 Fr. Busse
und legte ihm die Gerichtskosten von 24 Fr., sowie wegen Verletzung der dem
Richter gebührenden Achtung eine Ordnungsbusse von 20 Fr. auf. Für den
Gesamtbetrag der Bussen und Kosten von 134 Fr. leitete der Kassier des
Bezirksgerichtes namens des Staates Aargau gegen den Rekursbeklagten in
Lutzenberg die Betreibung ein und er suchte, nachdem dieser Rechtsvorschlag
erhoben hatte, um definitive Rechtsöffnung. Das Obergerichtspräsidium von
Appenzell A.-Rh. als Rekursinstanz erkannte am 23. Dezember 1927 hierüber: «1.
Es ist nur für den Betrag von 54 Fr. nebst den Betreibungskosten 2 Fr. 80 Cts.
definitive Rechtsöffnung erteilt. 2. Die Rechtsöffnungskosten der Vorinstanz
11 Fr. 20 Cts. und die der Rekursinstanz 17 Fr., total 28 Fr. sind der
Klägerschaft auferlegt mit Rückgriffsrecht für die Hälfte auf den Beklagten.
3. Die von beiden Parteien gestellten ausserrechtlichen Entschädigungsbegehren
sind abgewiesen.» Das Obergerichtspräsidium nahm an, dass eine Anpreisung oder
ein Verkauf von Heilmitteln nur in Lutzenberg, nicht im Kanton Aargau
stattgefunden habe und daher das Bezirksgericht von Aarau zur

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Bestrafung des Rekursbeklagten unzuständig gewesen sei.
B. - Gegen diesen Entscheid hat der Regierungsrat des Kantons Aargau namens
dieses Staates die staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht ergriffen
mit dem Antrag, er sei aufzuheben und das Obergerichtspräsidium anzuweisen, in
der Betreibung Nr. 2381 des Betreibungsamtes Lutzenberg dem Staat Aargau auch
für den Bussenbetrag von 80 Fr. definitive Rechtsöffnung zu erteilen.
Zur Begründung wird geltend gemacht: Nach dem Konkordat betreffend die
gegenseitige Rechtshilfe zur Vollstreckung öffentlichrechtlicher Ansprüche sei
der Kanton Appenzell verpflichtet, für die in Betreibung gesetzte Bussen- und
Kostenforderung Rechtsöffnung zu erteilen. Die Einrede der Inkompetenz sei
nicht begründet. Der Rekursbeklagte habe den telephonisch abgeschlossenen
Kaufvertrag im Kanton Aargau erfüllt. Das aargauische Strafrecht stehe
entgegen der vom Rekursbeklagten im Rechtsöffnungsverfahren aufgestellten
Behauptung nicht ausschliesslich auf dem Boden der «Tätigkeitstheorie»;
vielmehr sei danach auch derjenige strafbar, der sich ausserhalb des Kantons
deliktisch betätige, wenn der Erfolg im Kantonsgebiet eintrete. Die Post sei
übrigens als Mandatarin des Aufgebers tätig und dieser daher für deren
Handlungen strafrechtlich verantwortlich. Auch vom Standpunkte des
Bundesrechtes aus unterliege der Rekursbeklagte für den in Frage stehenden
Verkauf und die dem Pfister erteilten Ratschläge der Hoheit des Kantons
Aargau.
C. - Das Obergerichtspräsidium und der Rekurs beklagte haben Abweisung der
Beschwerde beantragt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Der Streit dreht sich ausschliesslich darum, ob der Rekursbeklagte für die
in Frage stehende Abgabe von Heilmitteln und die Erteilung medizinischer
Ratschläge an Stephan Pfister der Hoheit des Kantons

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Aargau untersteht und daher das Bezirksgericht von Aarau zuständig war, ihn
dafür zu bestrafen.
Die Lösung dieser Frage hängt davon ab, ob die genannte Handlung im Gebiete
des Kantons Aargau begangen wurde. Der Wille des Rekursbeklagten hat sich
dabei freilich im Kanton Appenzell A.-Rh. in die Tat umgesetzt, indem er h i e
r telephonisch mit Pfister sprach, den Brief an diesen schrieb und mit den
Heilmitteln der Post zur Übermittlung an Pfister übergab. Nach der in der
Strafrechtswissenschaft verbreiteten sog. Aufenthalts- oder Tätigkeitstheorie,
die auch der Rekursbeklagte vor dem Rechtsöffnungsrichter vertreten und dieser
sich zu eigen gemacht hat, hätte daher der Rekursbeklagte bei der Abgabe der
Heilmittel und der Erteilung der ärztlichen Ratschläge ausschliesslich im
Kanton Appenzell A.-Rh. gehandelt (vgl. OLSHAUSEN, Komm. z. öStGB 9. Aufl. § 3
N. 5 S. 56). Allein das Bundesgericht ist dieser Theorie bei der Abgrenzung
der Hoheit der Kantone im Straf-, im Gewerbesteuer und im Gewerbepolizeirecht
nicht gefolgt; es hat sich beim Entscheid i. S. Tschamkerten & Cie . g. Bern
und Genf vom 6. März 1914 (BGE 40 I S. 19 ff.) und seither auf den Standpunkt
gestellt, dass der Begehungsort einer in der Aufsetzung und Zusendung eines
Briefes bestehenden Handlung sowohl da liege, wo der Brief geschrieben und der
Post übergeben worden ist, als auch da, wo die Handlung sich vollendet oder
ihre Wirkung ausgeübt hat, wo der Brief dem Empfänger ausgehändigt worden ist
(vgl. auch BGE 43 I S. 74 f.; 53 I S. 397). Sodann unterliegt der Hoheit eines
Kantons in Beziehung auf den Patent- oder Bewilligungszwang und die
Gewerbesteuerpflicht, abgesehen von der gewerbsmässigen Vertretung der
Gläubiger in Betreibungssachen und für Zahlungsaufforderungen (BGE 53 I S.
397
), nach der bundesrechtlichen Praxis eine gewerbliche Tätigkeit, auch eine
solche von ausserhalb des Kantons niedergelassenen Personen, sobald sie sein
Gebiet irgendwie erheblich

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berührt, d. h. sobald ihr Begehungs- oder Ausübungsort im erwähnten Sinne auf
seinem Gebiete liegt (vgl. BGE 42 I. S. 16; 53 I S. 210), oder sobald
wenigstens der Teil der Tätigkeit, mit Rücksicht auf den speziell der
Bewilligungszwang und die Steuerpflicht eingeführt ist oder eingeführt werden
darf, sich im erwähnten Sinne auf seinem Gebiete abspielt (vgl. BGE 39 I S.
566
f.; 50 I S. 193 ff.; 53 I S. 209 f.). Da nun der Patent- oder
Bewilligungszwang für die Abgabe gewisser Heilmittel und für ärztliche
Behandlung zum Schatze des Publikums vor Gesundheitsgefährdung besteht und
bestehen darf, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass der Rekursbeklagte,
der durch Verwendung der Post im Kanton Aargau Heilmittel abgab und ärztlichen
Rat erteilte, für diese Tätigkeit nach den bundesrechtlichen Grundsätzen über
die Abgrenzung der kantonalen Hoheitsbereiche der Hoheit des Kantons Aargau in
Beziehung auf den Patent- oder Bewilligungszwang und dessen Übertretung
untersteht.
2.- Es fragt sich daher nur noch, ob der Kanton Aargau insoweit von der ihm
bundesrechtlich zustehenden Hoheit auch Gebrauch gemacht hat, ob also seine
Gesetzgebung über die Abgabe von Geheimmitteln oder die Ausübung des
ärztlichen Berufes sich auf eine Tätigkeit bezieht, die darin besteht, dass
ausserhalb des Kantons sich aufhaltende Personen solchen, die sich im Kanton
befinden, durch die Post Geheimmittel liefern oder brieflich ärztlichen Rat
erteilen. Das ist aber unbedenklich zu bejahen. Das Gesundheitsgesetz und die
Geheimmittelverordnung sagen nicht, unter welchen Voraussetzungen anzunehmen
sei, dass der Ort der ärztlichen Tätigkeit oder des Verkaufes von
Geheimmitteln im Kanton liege. Der Standpunkt des aargauischen Rechtes muss
daher in dieser Beziehung aus der Praxis der Gerichte oder der
Verwaltungsbehörden ermittelt werden. Nun ist die Behauptung des
Regierungsrates in der staatsrechtlichen Beschwerde, dass eine sich ausserhalb

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des Kantons aufhaltende Person, die durch Vermittlung der Post im Kanton eine
strafbare Handlung begeht, der aargauischen Strafhoheit unterstehe, nicht
bestritten worden, und die aargauischen Gerichte stehen denn auch zweifellos
im allgemeinen, speziell im Gewerbepolizeistrafrecht, nicht auf dem Boden der
sog. Aufenthalts oder Tätigkeitstheorie, wie sich aus der Vierteljahrsschrift
für aargauische Rechtsprechung 1911 S. 123, 1921 S. 120 ff., und aus den vom
Bundesgericht beurteilten Fällen Schaub g. Aargau (Entscheid vom 29. Dezember
1924) und Böhny g. Aargau (BGE 53 I S. 394 ff.) ergibt. In den zwei zuletzt
genannten Fällen haben die aargauischen Gerichte gleich wie im vorliegen den
gewerbliche Handlungen, die von auswärts sich aufhaltenden Personen im Kanton
Aargau durch Sendung einer Ware oder eines Briefes in diesen Kanton vollendet
worden sind, - der aargauischen Gewerbepolizei- und Strafhoheit unterstellt.
Wenn unter Verkauf im Sinne der Geheimmittelverordnung nur der zivilrechtliche
Begriff des Abschlusses und der Erfüllung des Kaufvertrages zu verstehen wäre,
so könnte allerdings vielfach der Ort, wo der Käufer selbst die Ware in
Empfang nimmt, nicht als Verkaufsort angesehen werden. Allein im
Gewerbepolizeirecht wird dem Begriff des Verkaufes in der Regel ein weiterer,
mehr wirtschaftlicher Sinn gegeben, indem man darunter das ganze Kaufgeschäft
mitsamt der Ablieferung der Ware an den Käufer versteht, und auf diesem Boden
steht auch die aargauische Praxis, wie sich speziell aus dem erwähnten Fall
Schaub g. Aargau ergibt, wo es sich um den Begriff des Kleinhandels mit
gebrannten Wassern und des «Verkaufes» von geistigen Getränken im Sinne der §§
45 und 56 Ziff. 1 des aargauischen Wirtschaftsgesetzes handelte. Diese Praxis,
wonach Ausübung des ärztlichen Berufes oder Verkauf von Geheimmitteln im
Kanton Aargau auch dann angenommen wird, wenn jemand, der sich ausserhalb des
Kantons aufhält, gewerbsmässig einer

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im Kanton befindlichen Person brieflich ärztlichen Rat erteilt oder
Geheimmittel liefert und der Geheimmittelverkauf zivilrechtlich ausserhalb des
Kantons abgeschlossen und erfüllt worden ist, lässt sich mit Rücksicht darauf
rechtfertigen, dass das Gesundheitsgesetz und die Geheimmittelverordnung des
Kantons Aargau speziell das Publikum dieses Kantons vor Gesundheitsgefährdung
schützen wollen (vgl. die Entscheide des Bundesgerichtes i. S. Pulver g.
Zürich vom 31. Mai 1924 und i. S. Schaub g. Aargau).
Demgemäss durfte das Obergerichtspräsidium von Appenzell A.-Rh. die
Inkompetenzeinrede des Rekursbeklagten nicht schützen; es musste sich auf die
Auslegung stützen, die in der Praxis der aargauischen Gerichte dem
aargauischen Rechte in Beziehung auf die Ausdehnung der Gewerbepolizeihoheit
des Kantons gegeben worden ist, wenn sie - was zutrifft - nicht offensichtlich
mit dem Wortlaut oder dem Zweck der in Frage stehenden Bestimmungen im
Widerspruch steht. Der angefochtene Entscheid ist daher wegen Verletzung des
Rechtshilfekonkordates aufzuheben. Zu dem rechtfertigt es sich, entsprechend
der bisherigen Praxis (BGE 51 I S. 446; 53 I S. 64) dem Rekurrenten direkt die
verlangte Rechtsöffnung zu erteilen, da andere Einwendungen als diejenige der
Inkompetenz gegen das Rechtsöffnungsgesuch nicht erhoben worden sind und die
Voraussetzungen der Art. 1-3 des Konkordates unzweifelhaft zutreffen. Dabei
sind die Rechtsöffnungskosten ganz dem Rekursbeklagten aufzulegen und ist dem
Rekurrenten für das Rechtsöffnungsverfahren eine ausserrechtliche
Entschädigung zuzusprechen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Der Rekurs wird gutgeheissen und unter teilweiser Aufhebung des Entscheides
des Obergerichtspräsidiums von Appenzell A.-Rh. vom 23. Dezember 1927 dem
Rekurrenten in der Betreibung Nr. 2381 (von 1927) des

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Betreibungsamtes Lutzenberg für den ganzen Forderungsbetrag von 134 Fr., die
Betreibungskosten von 2 Fr. 80 Cts., die Kosten des Rechtsöffnungsverfahrens
von 28 Fr. samt einer Entschädigung von 30 Fr., die dem Rekursbeklagten
aufgelegt werden, die definitive Rechtsöffnung erteilt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 54 I 25
Date : 01. Januar 1927
Published : 23. März 1928
Source : Bundesgericht
Status : 54 I 25
Subject area : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Subject : Konkordat betr. die gegenseitige Rechtshilfe zur Vollstreckung öffentlichrechtlicher Ansprüche...


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