S. 161 / Nr. 25 Derogatorische Kraft des Bundesrechts (d)

BGE 54 I 161

25. Urteil vom 18. Juli 1928 i.S. Seger und Genossen gegen Basel-Stadt.


Seite: 161
Regeste:
Art. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 2 Zweck - 1 Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.
1    Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.
2    Sie fördert die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes.
3    Sie sorgt für eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern.
4    Sie setzt sich ein für die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und für eine friedliche und gerechte internationale Ordnung.
Üb.-Best. z. BV, Art. 16
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 16 - 1 Der Bundesrat setzt den Gebührentarif fest.
1    Der Bundesrat setzt den Gebührentarif fest.
2    Die im Betreibungs- und Konkursverfahren errichteten Schriftstücke sind stempelfrei.
SchKG. Zuständigkeit des Bundesrates zur
Festsetzung des Gebührentarifes für das Rechtsöffnungsverfahren (Erw. 2).
Bei der Festsetzung der Kosten des Rechtsöffnungsverfahrens darf der von Art.
65 GT z. SchKG und den allgemeinen Bestimmungen dieses Tarifs gegebene Rahmen
nicht überschritten werden (Erw. 3).

A. - In der Rechtsöffnungssache A. Seger c. E. Bolliger berechnete die
Zivilgerichtsschreiberei von Basel-Stadt folgende Gebühren: «Eintrag 2 Fr.,
Protokoll und Beilagen 1 Fr. 90 Cts., Vorladungen und Porti 3 Fr.60 Cts.,
Urteil 5 Fr.», und in der Rechtsöffnungssache Comptoir de vente des fabricants
landais de produits résineux c. Steffen wurden die Gebühren wie folgt
berechnet: «Eintrag 2 Fr., Protokoll und Beilagen 4 Fr. 70 Cts., Vorladungen
und Porti 3 Fr. 70 Cts., Urteil 10 Fr.»
Über diese Gebührenberechnung, die unbestrittenermassen dem kantonalen Gesetz
über die Gerichtsgebühren vom 22. Juni 1922 entspricht, hat sich Advokat Dr.
Scheidegger in Basel namens des Seger und des Comptoir de vente, denen die
Gebühren aufgelegt worden sind, beim Dreiergericht von Basel-Stadt beschwert,
weil sie im Widerspruch stehe mit dem eidg. Gebührentarif zum SchKG vom 23.
Dezember 1919 (GS 1920 S. 1 ff.), speziell dessen Art. 65. Am 15. Mai 1928 hat
das Dreiergericht die Beschwerde mit folgender Begründung abgewiesen: Art. 65
GT regle nur die Urteilsgebühr in Rechtsöffnungssachen und schliesse nicht
aus, dass der kantonale

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Richter für seine übrigen Bemühungen weitere Gebühren verrechne. Andernfalls
wäre dem Umfange der richterlichen Inanspruchnahme nicht Rechnung getragen,
der sehr verschieden sein könne. Zum mindesten lägen berechtigte Zweifel vor
über die Auslegung des GT, und deshalb bestehe für das Dreiergericht kein
Grund, von der schon bald 40-jährigen Praxis abzuweichen und die Kosten des
Rechtsöffnungsverfahrens ausschliesslich nach dem eidg. GT zu berechnen.
B. - Gegen diesen Entscheid hat Advokat Dr. Scheidegger namens des Seger und
des Comptoir de vente des fabricants landais de produits résineux, sowie im
eigenen Namen (nach § 44 ZPO haftet für die erstinstanzlichen Gerichtskosten
nicht nur der Kläger, sondern auch derjenige, der in seinem Namen die Klage
einreicht) den staatsrechtlichen Rekurs ergriffen wegen Anwendung kantonalen
statt eidgenössischen Rechts. Es wird ausgeführt, dass nach dem eidg. GT im
Rechtsöffnungsverfahren keine andern als die in Art. 65, 7 und 11 vorgesehenen
Gebühren erhoben werden dürften.
C. - Das Dreiergericht von Basel-Stadt hat die Abweisung beantragt. Es
verweist auf die Motive seines Entscheides und eine Vernehmlassung der
Zivilgerichtsschreiberei.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Es wird in der Antwort nicht geltend gemacht und ist auch nicht
ersichtlich, dass gegen den Entscheid des Dreiergerichts eine Beschwerde an
das Appellationsgericht hätte ergriffen werden können. Der kantonale
Instanzenzug erscheint also als erschöpft. Die zivilrechtliche Beschwerde nach
Art. 871
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 16 - 1 Der Bundesrat setzt den Gebührentarif fest.
1    Der Bundesrat setzt den Gebührentarif fest.
2    Die im Betreibungs- und Konkursverfahren errichteten Schriftstücke sind stempelfrei.
OG wäre nicht möglich gewesen, da der angefochtene Entscheid kein
solcher in einer Zivilsache ist. Der staatsrechtliche Rekurs ist daher
zulässig.
2.- Sofern der kantonale Richter statt des eidg. GT zum SchKG zu Unrecht
kantonales Gebührenrecht

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angewendet haben sollte, wäre der Vorrang des eidgenössischen vor dem
kantonalen Recht verkannt.
Art. 65 des eidg. GT zum SchKG vom 23. Dezember 1919, der sich im Abschnitt:
«Gebühren des Richteramtes in Betreibungs- und Konkurssachen» befindet,
lautet: «Für einen Entscheid über Rechtsöffnung oder Bewilligung des
Rechtsvorschlages, sowie über Aufhebung oder Einstellung der Betreibung gemäss
Art. 85 des Bundesgesetzes beträgt die Gebühr in jeder Instanz: bei einem
Streitbetrage bis 1000 Fr. = 1-5 Fr., bei einem Streitbetrage über 1000 Fr. =
5-20 Fr. - Hierzu kommt im Falle der Weiterziehung eine Gebühr von 5 Fr.»
Ferner bestimmt Art. 67: «In den nach Art. 64 bis 66 zu beziehenden Beträgen
ist die Gebühr für die Protokollierung, sowie für allfällige Zwischenurteile
inbegriffen.»
In der Vernehmlassung der Zivilgerichtsschreiberei werden zu Unrecht Zweifel
darüber geäussert, ob der Bundesrat nicht durch Einbeziehung des
Rechtsöffnungsverfahrens in den GT die in Art. 25
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 25
SchKG getroffene
Ausscheidung der Kompetenzen überschritten habe. Art. 16 Abs. I des Gesetzes
sagt ganz allgemein: «Der Bundesrat setzt den Gebührentarif fest.» Das bezieht
sich dem Wortlaut nach auch auf das richterliche Verfahren in
Schuldbetreibungs- und Konkurssachen, das im Bundesgesetz vorgesehen und
wenigstens in den Grundzügen geregelt ist, wenn auch im übrigen die Ordnung
des Verfahrens den Kantonen überlassen ist (Art. 25). Auch für dieses
richterliche Verfahren besteht das Bedürfnis nach einheitlicher Festsetzung
der Gebühren in einer Höhe, die der Natur und dem Zwecke des Betreibungs- und
Konkursverfahrens angemessen ist. Das gilt gerade auch für das
Rechtsöffnungsverfahren, das ja nur ein richterliches Inzident des
Betreibungsverfahrens ist. Das Bundesgericht hat den Art. 16 Abs. II dahin
ausgelegt, dass zu den im Betreibungs-

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und Konkursverfahren errichteten Schriftstücken, die stempelfrei sind, auch
die im Rechtsöffnungsverfahren errichteten und verwendeten Schriftstücke
gehören (BGE 50 I 56). Umso weniger können Bedenken dagegen bestehen, dass
Abs. I von Art. 16, der allgemeiner lautet, auch speziell auf das
Rechtsöffnungsverfahren bezogen wird.
3.- Die Gebühren, die Art. 65 für einen Entscheid über Rechtsöffnung (und
andere richterliche Entscheide) vorsieht, sind nicht blosse Urteilsgebühren,
sondern Gebühren für das Verfahren überhaupt (neben denen höchstens noch
solche Gebühren erhoben werden dürfen, die sich aus den allgemeinen
Bestimmungen des eidg. GT zum SchKG ergeben, s. etwa Art. 7, 11 Abs. 2). Das
folgt aus dem Zweck der Bestimmung, der, wie bereits angedeutet, darin
besteht, in einheitlicher Weise für das ganze Gebiet der Schweiz die Abgabe zu
bestimmen, welche die Partei im Rechtsöffnungsverfahren für die
Inanspruchnahme der richterlichen Behörden zu entrichten hat, und zwar in
einer Weise, die für dieses Verfahren als Zwischenakt des
Betreibungsverfahrens als angemessen erscheint und eine zu grosse Verteuerung
desselben verhindert. Dieser Zweck wäre illusorisch, wenn es den Kantonen
freistände, neben der Gebühr des Art. 65, aufgefasst als eine Urteilsgebühr im
engern Sinn, weitere Gebühren nach kantonalem Recht zu erheben, die in
beliebiger Höhe festgesetzt werden und insgesamt die Partei in einem weit über
den Rahmen des Art. 65 hinausgehenden Masse belasten könnten. Eine Gebühr für
die Protokollierung, wie auch für Zwischenurteile, ist in Art. 67 ausdrücklich
als in den nach Art. 65 zu beziehenden Beträgen inbegriffen erklärt. Art. 67
hat aber nicht den Sinn, dass andere kantonale Spezialgebühren zulässig seien,
sondern spricht das Prinzip der Ausschliesslichkeit der Gebühr des Art. 65 aus
im Hinblick auf besonders verbreitete kantonale Spezialgebühren (für die
Verneinung der Zulässigkeit weiterer kantonaler Gebühren im

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Rechtsöffnungsverfahren Archiv f. Sch. u. K. IV Nr. 100 und 33; BLUMENSTEIN,
Handbuch, 266 n. 17).
Es steht immerhin im Belieben der Kantone, ob und wie sie die im
Rechtsöffnungsverfahren zu erhebenden Gebühren gliedern und wie sie sie
bezeichnen wollen, vorausgesetzt, dass der Rahmen des Art. 65 GT und der
allgemeinen Bestimmungen dieses Tarifs nicht überschritten wird. Zudem kann
ausser den Gebühren im eigentlichen Sinne, d. h. dem Entgelt für die
Inanspruchnahme der Behörden, auch noch der Ersatz von Barauslagen verlangt
werden (s. z. B. Art. 11 GT).
Aus den Akten ergibt sich nicht, um welche Streitbeträge es sich in den beiden
Rechtsöffnungen gehandelt hat. Sollte im Falle Seger der Betrag 1000 Fr. nicht
überschritten haben, so überschreiten jedenfalls die verlangten kantonalen
Gebühren das nach dem Gebührentarif zulässige Mass. Im Falle Comptoir de vente
war, nach der Urteilsgebühr zu schliessen, der Streitbetrag über 1000 Fr. Dann
konnte unter verschiedenen Titeln eine Gesamtgebühr von 20 Fr. erhoben werden
und die Rechnung von 20 Fr. 40 Cts. überschreitet wohl das bundesrechtlich
zulässige Mass nicht, da sie auch Porti einschliesst.
Die beiden Gebührenrechnungen sind daher im Sinne der vorstehenden Erwägungen
einer Revision zu unterziehen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen und demgemäss der
Entscheid des Dreiergerichts des Kantons Basel-Stadt vom 15. Mai 1928
aufgehoben.
Vgl. auch Nr. 24. - Voir aussi no 24.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 54 I 161
Datum : 01. Januar 1927
Publiziert : 18. Juli 1928
Quelle : Bundesgericht
Status : 54 I 161
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Art. 2 Üb.-Best. z. BV, Art. 16 SchKG. Zuständigkeit des Bundesrates zur Festsetzung des...


Gesetzesregister
BV: 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 2 Zweck - 1 Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.
1    Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.
2    Sie fördert die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes.
3    Sie sorgt für eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern.
4    Sie setzt sich ein für die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und für eine friedliche und gerechte internationale Ordnung.
OG: 871
SchKG: 16 
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 16 - 1 Der Bundesrat setzt den Gebührentarif fest.
1    Der Bundesrat setzt den Gebührentarif fest.
2    Die im Betreibungs- und Konkursverfahren errichteten Schriftstücke sind stempelfrei.
25
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 25
BGE Register
50-I-55 • 54-I-161
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
basel-stadt • bundesgericht • bundesrat • mass • richterliche behörde • zweifel • kantonales recht • 1919 • beilage • konkursverfahren • berechnung • gerichtskosten • schuldbetreibung • entscheid • rechtsmittel • kantonales rechtsmittel • begründung des entscheids • vorrang des bundesrechts • protokoll • beschwerdeantwort
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