498 , Obligationenrecht. N° 83.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des
Kantons Zürich vom 30. Juni 1927

bestätigt.

83. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Dezember 1927
i. S. Waedtländische Versicherung auf Gegenseitigkeit gegen Hilfiger. _

Unerlaubte Handlung. Entschädigung wegen Verlustes des Versorgers (OR
Art. 45 III). Der Entschädigungsberechtigte braucht sich Leistungen
einer kantonalen Beamtenhiliskasse an seine Schadenersatzforderung
nicht anrechnen zu lassen. Anrechenbar sind dagegen Leistungen der SUVAL
(in ,Anbetracht der Sonderbestimmung in Art. 100 KUVG).

Am 2. August 1925 erlitt der Ehemann der Klägerin, Anton Häfliger,
Kantonspolizist in Luzern, anlässlich einer Sonntagstour des
Motorfahrerklubs Luzern, dem er angehörte, einen tötliehen Unfall. Das
Rad des Mitfahrers Fischer, welcher die Fahrerkolonne zu überholen
versuchte, stiess dabei mit dem seinigen zusammen. Ein gegen Fischer
eingeleitetes Strafverfahren endete mit dessen Verurteilung zu einer
Gefängnisstrafe von 3 Monaten wegen fahrlässiger Tötung und Übertretung
der Konkordatsverordnung 'betrefiend den Verkehr mit Motorfahrzeugen.

Die Klägerin hob ferner gegen ihn Zivilklage an, rnit dem Rechtsbegehren,
er habe ihr die Summe von 57,280 Fr. 25 nebst Zins,(worunter 44,525
Fr. Entschädigung für den Verlust des Versorgers gemäss Art. 45 Abs.
III OR) zu bezahlen. Der Beklagte beantragte gänzliche Abweisung der
Klage wegen Selbstverschuldens Häfligers und machte geltend, es sei
auf eine allfällige Schadenersatzforderung nach Art. 45 Abs. III OR die
Witwenpension, welche die Klägerin aus der kantonalen Hilfskasse beziehe,
unter allen Umständen anzureehnen,Obli gationenrecht. N° 83. 499

Während des Prozesses verstarb Fischer an den Folgen eines andern
Motorradunfalles. Der Prozess wird von der Beklagten fortgesetzt.

Die kantonalen Instanzen schützten die Klage teilweise, wobei das
luzern. Obergericht die Anrechnung der Witwenpension der Klägerin auf
den Versorgerschaden ablehnte. Gegen das Urteil des Obergerichts hat die
Beklagte die Berufung an das Bundesgericht erklärt, mit den Anträgen: die
Klage sei abzuweisen, eventuell: es sei eine allfällige Entschädigung an
die Klägerin zufolge überwiegenden Verschuldens Häfligers um mindestens
'?5% zu ermässigen, unter Anrechnung der der Klägerin von der kantonalen
Hilfskasse ausbezahlten Vitwenpension. Die Klägerin hat sich der Berufung
angeschlossen.

Das Bundesgericht hat die Hauptberufung und die Anschlussberufung
abgewiesen und hiebei in Bezug auf die Frage der Anrechnung der
Witwenpension in Erwägung gezogen : .--

Die Vorinstanz hat die Anrechnung mit der zutreffenden Begründung
verneint, die Leistung der Hilfskasse beruhe auf einem selbständigen
Rechtsgrunde, der mit demjenigen, aus welchem der Schadensverursacher
haftet, nichts zu tun habe. Das Bundesgericht hat in der Tat wiederholt
ausgesprochen (BGE 34 II 654 ff.; 36 II 192; 44 II 291 und insbesondere
49 II 370, Fall Bohnenblust gegen Tournier), dass sich bei Tötungen
und Körperverletzungen der Geschädigte Versicherungssummen, die
ihm infolge des schadenstiftenden Ereignisses zufallen, an seine
Schadenersatzforderung nicht anrechnen zu lassen brauche : es würde dem
Zwecke einer jeden Versicherung, welche im Schutze des Versicherten gegen
drohenden Schaden, nicht im Schutze unbekannter Dritter gegen die Felgen
ihres Verschuldens besteht, widersprechen, dass mit Rücksicht auf die
Haftung des Versicherers diejenige des Schädigers zessiere. Man habe
es hiebei nicht mit einer Anspruchskonkurrenz (unechte Solidarität im
Sinne von Art. 51
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 51 - 1 Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen, sei es aus unerlaubter Handlung, aus Vertrag oder aus Gesetzesvorschrift dem Verletzten für denselben Schaden, so wird die Bestimmung über den Rückgriff unter Personen, die einen Schaden gemeinsam verschuldet haben, entsprechend auf sie angewendet.
1    Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen, sei es aus unerlaubter Handlung, aus Vertrag oder aus Gesetzesvorschrift dem Verletzten für denselben Schaden, so wird die Bestimmung über den Rückgriff unter Personen, die einen Schaden gemeinsam verschuldet haben, entsprechend auf sie angewendet.
2    Dabei trägt in der Regel derjenige in erster Linie den Schaden, der ihn durch unerlaubte Handlung verschuldet hat, und in letzter Linie derjenige, der ohne eigene Schuld und ohne vertragliche Verpflichtung nach Gesetzesvorschrift haftbar ist.
OR), sondern mit einer Kumulation der Ansprüche zu tun
(5. 05133, Anm. III

500 Obligationenrecht . N° 83.

4 a zu GR 51). Und es steht damit auch Art. 96
SR 221.229.1 Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz, VVG) - Versicherungsvertragsgesetz
VVG Art. 96 - In der Summenversicherung gehen die Ansprüche, die dem Anspruchsberechtigten infolge Eintritts des befürchteten Ereignisses gegenüber Dritten zustehen, nicht auf das Versicherungsunternehmen über.
VVG im Einklang,
welcher ausdrücklich bestimmt, dass bei der Personenversicherung
(anders wie bei der sachoder Schadenversicherung, VVG Art. 72)
die dem Anspruchsberechtigten infolge Eintrittes des befürchteten
Ereignisses gegenüber Dritten zustehenden Ersatz-insprüche nic h
t auf den Versicherer übergehen. Diese grundsätzlichen Erwägungen
treffen in gleicher Weise für Fälle der vorliegenden Art zu. Denn wenn
auch die Pension, deren Anrechnung an den Versorgerschaden in Frage
steht, der Klägerin nicht aus einem privaten Versicherungsvertrage
zufliesst, sondern als statutenmässige Leistung einer Fürsorgeanstalt,
die teilweise aus staatlichen Mitteln gespiesen wird, so besteht doch
zwischen dem Rechtsverhältnis, in dem der Ehemann der Klägerin zu der
Hilfskasse stand, und der Haftung der Beklagten für den durch den Unfall
eingetretenen Schaden nicht der geringste rechtliche Zusammenhang; ein
Grund, weshalb die Beklagte, als Rechtsnachfolgerin des aus unerlaubter
Handlung haftbaren Fischer, sollte daraus Nutzen ziehen können, dass
eine (übrigens in sehr bescheidenem Rahmen gehaltene) Witwenpension
der Klägerin von der kantonalen Hilfskasse ausgerichtet wird, ist
nicht ersichtlich, und es Würde dem Rechtsgefühl widersprechen,
wenn derjenige, welcher aus eigenem Verschulden von Gesetzes wegen
für die Schadensfolgen aufzukommen hat, so von der Ersatzpflicht zu
einem namhaften Teile befreit würde. F ür die Gleichbehandlung mit der
privaten Personenversicherung spricht auch der Umstand, dass, ähnlich
wie bei dieser, der Versicherte den Anspruch auf die Versicherungssumme
nicht unentgeltlich erlangt, sondern durch erhebliche Gegenleistungen
erkaufen muss, da die statutarischen Leistungen der zu Fürsorgezwecken
für das staatliche Beamtenpersonal eingeführten und übrigens zum Teil
aus Beiträgen der Versicherten selber gespiesenen Pensionsund Hilfs-

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Obligationenrecht. N° 83. 501

kassen einen wesentlichen Teil der Gegenleistung des Staates für
die dienstlichen Verrichtungen der Staats- beamten und -angestellten
ausmachen. Der vorliegende Fall unterscheidet sich nicht nur in dieser
Beziehung ganz wesentlich von dem vom Vertreter der Beklagten heute
angerufenen (Bonvin gegen Tissot, BGE 53 II 177 ff.), indem es sich dort
um die Anrechenbarkeit einer von der schweiz. Unfallversicherungsanstalt
zu leistenden Entschädigung handelte, sondern namentlich auch
dadurch, dass hier eine Subrogation der Hilfskasse in die Rechte der
Klägerin gegenüber der Beklagten im Umfange der an die Klägerin zu
leistenden Pension nicht in Frage kommt. Für die SUVAL dagegen macht
die Sonderbestimmung in Art. 100 KUVG Regel, wonach gegenüber einem
Dritten, der für den Unfall haftet, die Anstalt bis auf die Höhe ihrer
Leistungen in die Rechte des Versicherten und seiner Hinterlassenen
eintritt. Es ergibt sich aus dieser gesetzlichen Regelung, dass der
Versicherte oder (im Falle der Tötung) die Hinterbliebenen nur insoweit
Schadenersatzansprüche gegenüber einem an sich für die Unfallsfolgen
verantwortlichen Dritten geltend machen können, als der Schaden,
für den dieser aufzukommen hat, die Leistungen der SUVAL übersteigt
(vgl. BGE 49 II 371; 51 II 520; 53 II 181/2). Demgegenüber könnte auch
das Argument, auf das die erste Instanz abstellen zu sollen glaubte,
es müsse, um Art. 45 Abs. III OR zur Anwendung zu bringen, eine (zum
mindesten für die Zukunft anzunehmende) Unterstützungsbedürftigkeit
bestehen, den Schluss auf Zulassung der Anrechnung von Leistungen
einer Versicherungsgesellschaft oder einer Hilfskasse auf gesetzliche
Entschädigungsanspriiche wegen Verlustes des Versorgers, zumal bei
Verhältnissen, wie sie hier vorliegen, nicht rechtfertigen, wie denn auch
im Falle Bohnenblust (BGE 49 II 364 ff.) diese Frage ununtersueht blieb. '

AS 53 II _ 1927 ss 35
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 53 II 498
Datum : 30. Juni 1927
Publiziert : 31. Dezember 1927
Quelle : Bundesgericht
Status : 53 II 498
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 498 , Obligationenrecht. N° 83. Demnach erkennt das Bundesgericht : Die Berufung


Gesetzesregister
KUVG: 100
OR: 51
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 51 - 1 Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen, sei es aus unerlaubter Handlung, aus Vertrag oder aus Gesetzesvorschrift dem Verletzten für denselben Schaden, so wird die Bestimmung über den Rückgriff unter Personen, die einen Schaden gemeinsam verschuldet haben, entsprechend auf sie angewendet.
1    Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen, sei es aus unerlaubter Handlung, aus Vertrag oder aus Gesetzesvorschrift dem Verletzten für denselben Schaden, so wird die Bestimmung über den Rückgriff unter Personen, die einen Schaden gemeinsam verschuldet haben, entsprechend auf sie angewendet.
2    Dabei trägt in der Regel derjenige in erster Linie den Schaden, der ihn durch unerlaubte Handlung verschuldet hat, und in letzter Linie derjenige, der ohne eigene Schuld und ohne vertragliche Verpflichtung nach Gesetzesvorschrift haftbar ist.
VVG: 96
SR 221.229.1 Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz, VVG) - Versicherungsvertragsgesetz
VVG Art. 96 - In der Summenversicherung gehen die Ansprüche, die dem Anspruchsberechtigten infolge Eintritts des befürchteten Ereignisses gegenüber Dritten zustehen, nicht auf das Versicherungsunternehmen über.
BGE Register
34-II-651 • 36-II-188 • 44-II-289 • 49-II-364 • 51-II-517 • 53-II-177
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • bundesgericht • frage • schaden • personenversicherung • versorgerschaden • gegenleistung • unerlaubte handlung • hinterlassener • versicherer • selbstverschulden • begründung des entscheids • anschlussbeschwerde • anstalt • zugang • vorinstanz • unechte solidarität • rechtsbegehren • verurteilung • rad
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