482 Sachenrecht. N° 80.

Baugrundstück in erkennbarer Weise zum Nachteil der Bauhandwerker
überlastet hat, ist es bedeutungslos, wenn den Bauhandwerkern, wie die
Beklagte weiter einwendet, bekannt gewesen sein sollte, dass die Banken
nie bis zur vollen Höhe der Bausumme Vorschüsse gewähren, und dass aus
den hier bewilligten 70 % auch die Sachlieferungen zu decken waren,
weil sonst überhaupt nicht hätte gebaut werden können. Selbst wenn dies
die Bauliandwerker gewusst haben und bei der Übernahme der Arbeit der
Meinung gewesen sein sollten, dass die Sachlieferungen ihren eigenen
Bauforderungen vorgehen, wäre dies rechtlich ohne Bedeutung. Denn es
läge hierin ein teilweiser Verzicht auf ihr Vorrecht, der nach Art. 837
Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 837 - 1 Der Anspruch auf Errichtung eines gesetzlichen Grundpfandrechtes besteht:
1    Der Anspruch auf Errichtung eines gesetzlichen Grundpfandrechtes besteht:
1  für die Forderung des Verkäufers an dem verkauften Grundstück;
2  für die Forderung der Miterben und Gemeinder aus Teilung an den Grundstücken, die der Gemeinschaft gehörten;
3  für die Forderungen der Handwerker oder Unternehmer, die auf einem Grundstück zu Bauten oder anderen Werken, zu Abbrucharbeiten, zum Gerüstbau, zur Baugrubensicherung oder dergleichen Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben, an diesem Grundstück, sei es, dass sie den Grundeigentümer, einen Handwerker oder Unternehmer, einen Mieter, einen Pächter oder eine andere am Grundstück berechtigte Person zum Schuldner haben.
2    Ist ein Mieter, ein Pächter oder eine andere am Grundstück berechtigte Person Schuldner von Forderungen der Handwerker oder Unternehmer, so besteht der Anspruch nur, wenn der Grundeigentümer seine Zustimmung zur Ausführung der Arbeiten erteilt hat.
3    Auf gesetzliche Grundpfandrechte nach diesem Artikel kann der Berechtigte nicht zum Voraus verzichten.
ZGB unverbindlich Wäre. Darum ist es auch unerhebliéh, ob die
Holzlieferungen der Gebrüder Kästli überhaupt nur gegen Barzahlungen zu
erlangen waren und die Bauhandwerker. dies wussten oder nicht.

Demnach erkennt das Bundesgericht: Hauptberufung und Anschlussberufung
werden abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern
vom 12. Mai 1927 bestätigt.

Obligationenrecht. N° 81. . 483

IV. OBLIGATIONENRECHT

DRO IT DES OBLIGATIONS

81. Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. November 1927 i. S. Diener
gegen Müller-Kiefer.

K a u i. Anfechtung durch den Käufer wegen Übervorteilung (Art. 21
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 21 - 1 Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung durch einen Vertrag begründet, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des andern herbeigeführt worden ist, so kann der Verletzte innerhalb Jahresfrist erklären, dass er den Vertrag nicht halte, und das schon Geleistete zurückverlangen.
1    Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung durch einen Vertrag begründet, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des andern herbeigeführt worden ist, so kann der Verletzte innerhalb Jahresfrist erklären, dass er den Vertrag nicht halte, und das schon Geleistete zurückverlangen.
2    Die Jahresfrist beginnt mit dem Abschluss des Vertrages.
OR)
und absichtlicher Täuschung (Art. 28
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 28 - 1 Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
1    Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
2    Die von einem Dritten verübte absichtliche Täuschung hindert die Verbindlichkeit für den Getäuschten nur, wenn der andere zur Zeit des Vertragsabschlusses die Täuschung gekannt hat oder hätte kennen sollen.
OR). Keine Rechtskraft des Urteils
im Aberkennungsprozess über eine Teilforderung für die Hauptfrage der
Verbindlichkeit des Vertrages. '

A. Die Beklagte, Witwe A. Müller-Kiefer, suchte nach dem Tode ihres Mannes
die Buchhandlung, die er in Luzern geführt hatte, zu verkaufen. Als
Kaufliebhaber trat u. a. der Kläger Diener, damals Sprachlehrer an der
Handelsschule St. Gallen, auf. Aus einem von der Tochter der Beklagten
am 20. April 1920 an den Kläger gerichteten Briefe ist folgendes
hervorzuheben: ...... Ich bin gerne bereit, Ihnen einige Angaben über
unser Geschäft zu machen. Den Gesamtkaufpreis haben wir auf ca. 105,000
Fr. angesetzt. Wir kamen auf genannte Summe, indem wir den Lagerbestand
des Detailgeschäftes auf 60,000 Fr. schätzten und das Bilderbücherlager
auf 45,000 Fr. Seit einem Jahr hatte mein Vater anschliessend an das
Detailgeschäft ein Bilderbüchergeschäft, wovon ein ganz bedeutendes Lager
vorhanden ist von nur prima Waren, die von einem Provisionsreisenden en
gros verkauft werden. Für dieses Geschäft haben wir in der ganzen Schweiz
Kundschaft ...... Der Jahresumsatz des Detailgeschäftes pro 1919 war
ca. 72,000 Fr., Nettogewinn ca. 24,000 Fr, Die Ladenmiete ist jährlich
6500 Fr. und für das en gros-Lager 500 Fr. ...... Im Bilderbüchergeschäft
wurden in zwei Monaten für 24,000 Fr. verkauft, hievon ist der Gewinn
ganz bedeutend.

484 Obligationenrecht. N° 81.

Am 28. April 1920 wurde der Kaufvertrag schriftlich abgefasst. Dabei
wurde der Kaufpreis auf 95,000 Fr. festgesetzt, bei Annahme eines
Inventar-weites von ' 87,000 Fr., und mit der Klausel, dass wenn
die Inventur einen geringeren Betrag ergeben sollte, die Differenz
von der Kaufsumme in Abrechnung käme. Bei-der Inventur sollte in
der Weise vorgegangen werden, dass auf Papeterieartikel und Bücher
schweizerischer Provenienz je 40 %, auf Bücher deutscher Verleger 90 %,
auf Bücher der andern ausländischen Verleger 40 % abgezogen werden. Der
Kaufpreis war wie folgt zahlbar : 35,000 Fr. bei der auf den 15, Mai
1920 angesetzten Geschäftsübernahme, weitere 20,000 Fr. am 1. Juli 1920,
unter der Voraussetzung, dass bis dahin eine ungefähr den gleichen Betrag
erreichende Schuld der Firma GlobusA.-G. Zürich beglichen "werde, der
Rest in jährlichen Abzahlungen von 5000 Fr., nebst 5 % Zins. Die A.-G.
Globus zahlte indessen das von der Beklagten eingesetzte Guthaben von
25,110 Fr. 60 Cts. nicht, sondern teilte dem Kläger mit, dass für 9964
Fr. 60 Cts. mehr Bücher geschickt worden seien, als sie bestellt habe. Der
Kläger nahm die Mehrlieferung zurück, worauf die Globus-A.-G. dann in
verschiedenen Raten die Rechnung mit 16,143 Fr. 66 Cts. bezahlte. Mit
Rücksicht hierauf setzten die Parteien am 10. Juli 1920 den Kaufpreis
um 5000 Fr., sowie im Hinblick auf einen Passivenüberschuss um weitere
5000 Fr., d. h. auf 85,000 Fr. herab, wobei der Lagerbestand mit 77,000
Fr. und das Mobiliar mit 8000 Fr. veranschlagt war ......

Vom Frühjahr 1921 an machte der Kläger hinsichtlich der Vertragserfüllung
Schwierigkeiten. Am 15. März schrieb er der Beklagten, er könne sich, so
wie die Dinge heute liegen, nicht mehr an die Bestimmungen des Vertrages
für gebunden erachten, habe sich doch so manches als wesentlich anders
herausgestellt, als die Beklagte ihm seinerzeit gesagt habe. Dazu komme
der beispiellos schlechte Geschäftsgang ......

Obligationenrecht. N° 81. 485

lm gleichen Sinne äusserte sich der Kläger in seiner einlässlichen
Zuschrift vom 6. April 1921 : der Vertrag sei auf Grund unrichtiger
Angaben abgeschlossen werden, er halte sich an denselben nicht mehr für
gebunden; eine Umgestaltung des Vertrages sei unerlässlich, er behalte
sich vor, ihn vollständig zu annullieren.

Am 11. Mai endlich eröffnete der Kläger der Beklagten in Bestätigung
und Ergänzung seiner Schreiben vom 15. März und 6. April , dass er den
Vertrag als gelöst betrachte, nachdem sich heraussteile, dass die gesamten
Angaben der Beklagten, die ihn zum Ankauf des Geschäftes veranlassten,
vollinhaltlich unwahr seien ......

Demzufolge verweigerte der Kläger die Bezahlung des auf den 15. Mai
1921 fälligen Kapitalbetrages von 5000 Fr., sowie des Zinses von 875
Fr. Für diese beiden Beträge nebst Zins zu 5 % seit 15. Mai 1921 leitete
die Beklagte Betreibung ein ; der Kläger schlug Recht vor, worauf
der Beklagten durch Entscheid des Vizepräsidenten des Amtsgerichtes
Luzern-Stadt vom 18. Juni 192] Rechtsöffnung erteilt wurde.

Der Kläger forderte die Aberkennung der in Betreibung gesetzten
Forderung,'wobei er in erster Linie die Einrede der absichtlichen
Täuschung durch die Beklagte erhob.

Während die kantonalen Instanzen zur Gutheissung der Klage gelangt waren,
wies das Bundesgericht sie auf Berufung der Beklagten hin unterm 13. März
1923 als unbegründet ab.

B. Hierauf fecht der Kläger den Kaufvertrag vom 28. April 1920 als
solchen an, indem er neuerdings beim Amtsgericht Luzern Stadt Klage
erhob mit den Rechtsbegehren :

I. Der Kaufvertrag vom 28. April 1920 sei als für den Kläger
unverbindlich zu erklären und aufzuheben, eventuell sei er wegen
unrichtiger Zusicherungen und Lieferung mangelhafter, den gemachten
Zusicherungen nicht entsprechender Ware gemäss Art. 205
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 205 - 1 Liegt ein Fall der Gewährleistung wegen Mängel der Sache vor, so hat der Käufer die Wahl, mit der Wandelungsklage den Kauf rückgängig zu machen oder mit der Minderungsklage Ersatz des Minderwertes der Sache zu fordern.
1    Liegt ein Fall der Gewährleistung wegen Mängel der Sache vor, so hat der Käufer die Wahl, mit der Wandelungsklage den Kauf rückgängig zu machen oder mit der Minderungsklage Ersatz des Minderwertes der Sache zu fordern.
2    Auch wenn die Wandelungsklage angestellt worden ist, steht es dem Richter frei, bloss Ersatz des Minderwertes zuzusprechen, sofern die Umstände es nicht rechtfertigen, den Kauf rückgängig zu machen.
3    Erreicht der geforderte Minderwert den Betrag des Kaufpreises, so kann der Käufer nur die Wandelung verlangen.
OR in allen

AS 53 n 1927 · "34 si

486 Obiigationenrecht. N° 81.

Teilen rückgängig zu machen, subeventuell sei er als durch Rücktritt des
Klägers vom Vertrage gemäss Art. . 109 OR dahingefallen zu erklären und
habe daher die Beklagte dem Kläger zurückzuvergüten:

1. Die bisher geleisteten Kaufzahlungen von 56,750 Fr., nebst Zins.

2. 9000 Fr. für nachträglich den Lieferanten bezahlte Waren nebst Zins.

3. Eine Schadenersatzsumme von 20,000 Fr. nebst Zins. ss -

II. Eventuell :

1. Der vertragliche Kaufpreis von 85,000 Fr. sei im Sinne des Art. 205
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 205 - 1 Liegt ein Fall der Gewährleistung wegen Mängel der Sache vor, so hat der Käufer die Wahl, mit der Wandelungsklage den Kauf rückgängig zu machen oder mit der Minderungsklage Ersatz des Minderwertes der Sache zu fordern.
1    Liegt ein Fall der Gewährleistung wegen Mängel der Sache vor, so hat der Käufer die Wahl, mit der Wandelungsklage den Kauf rückgängig zu machen oder mit der Minderungsklage Ersatz des Minderwertes der Sache zu fordern.
2    Auch wenn die Wandelungsklage angestellt worden ist, steht es dem Richter frei, bloss Ersatz des Minderwertes zuzusprechen, sofern die Umstände es nicht rechtfertigen, den Kauf rückgängig zu machen.
3    Erreicht der geforderte Minderwert den Betrag des Kaufpreises, so kann der Käufer nur die Wandelung verlangen.

OR wegen Minderwertes des Papeterieund Bücherlagers sowie des Mobiliars
um 24,000 Fr. herabzusetzen.

2. Die Beklagte habe das Bilderbücherlager zum Übernahmepreis von 26,
709 Fr. 18 Cts. zurückzunehmen und den Betrag von 26, 709 Fr. 18 Cts
dem Kläger zurückzuerstatten.

3. Die Beklagte habe anzuerkennen, dass der Kläger ihr aus dem Kaufvertrag
nichts mehr schuldig sei und dass sie vielmehr dem Kläger als zuviel
erhaltenen Kaufpreis 22,495 Fr. 18 Cts. nebst Zins zuriickzuver-guten
habe.

4. Die Beklagte habe dem Kläger ferner für nachträglich an Lieferanten
bezahlte Waren den Betrag von 9000 Fr. nebst Zins zu bezahlen.

5. Die Beklagte habe dem Kläger eine Schadenersatzsumrne von 20, 000
Fr. nebst Zins zu bezahlen.

III. Subeventuell:

Die Beklagte habe dem Kläger eine Schadenersatzsumme von 43,000 Fr. nebst
Zins zu bezahlen.

C. Die Beklagte erhob in erster Linie die peremptorisehe Einrede der
abgeurteilten Sache, weil das Bundesgericht schon im Aberkennungsprozesse
die Betragseinrede des Klägers einlässlich geprüft und als unbegründet
abgewiesen habe. Ferner machte die Beklagte

Obligationenrecht. N° 81. 487

geltend, die eingeklagten Ansprüche seien verjährt, und beantragte,
es sei die Klage ein für allemal abzuweisen .

Nachdem dieses Begehren rechtskräftig abgewiesen worden war, beantragte
die Beklagte, die Klage sei als materiell unbegründet in allen Teilen
abzuweisen.

D. Nach Durchführung eines längeren Beweisverfahrens hat das Amtsgericht
Luzern-Stadt mit Urteil vom 11. November 1926 die Klage gänzlich
abgewiesen. -

Das luzernische Ohergericht hat dieses Urteil unterm 29. Juni 1927
bestätigt.

E. Gegen das obergerichtliche Urteil hat der Kläger

' unter Erneuerung sämtlicher Klagebegehren die Beru-

fung an das Bundesgericht erklärt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. Die kantonalen Instanzen führen zutreffend aus, dass der vorliegenden
Klage die Einrede der abgeurteilten Sache nicht entgegengehalten werden
könne, weil in den Rechtsbegehren deutlich zum Ausdruck komme, dass sowohl
Rechtsgrund, wie Prozessobjekt, verschieden seien von denjenigen des
früheren Aber- kennungsprozesses, der sich bloss um die Zahlungspflicht

ss für eine Kaufpreisrate drehte. Fraglich könnte dies nur

sein inbezug auf die in jenem Verfahren erhobenen Einreden der
absichtlichen Täuschung und des irrtums. Allein wenn auch im
Aberkennungsprozess der Kläger geltend machte, der ganze Vertrag sei
wegen Betruges oder Irrtums für ihn unverbindlich, und die verschiedenen
Gerichtsinstanzen die Einreden in diesem weiteren Sinne auf ihre
Begründetheit untersucht haben, so fällt doch entscheidend in Betracht,
dass (damals nur die in Betreibung gesetzte Forderung im Streite lag und'
nur darüber rechtskräftig geurteilt worden ist.

2. Materiell steht die Frage im Vordergrund, ob der Kaufvertrag wegen
Übervorteilung im Sinne von Art. 21
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 21 - 1 Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung durch einen Vertrag begründet, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des andern herbeigeführt worden ist, so kann der Verletzte innerhalb Jahresfrist erklären, dass er den Vertrag nicht halte, und das schon Geleistete zurückverlangen.
1    Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung durch einen Vertrag begründet, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des andern herbeigeführt worden ist, so kann der Verletzte innerhalb Jahresfrist erklären, dass er den Vertrag nicht halte, und das schon Geleistete zurückverlangen.
2    Die Jahresfrist beginnt mit dem Abschluss des Vertrages.
OR für den Kläger unverbindlich
sei. Der Kläger hat das Anfechtungsrecht nicht etwa durch Unterlassung

488 ,Obligationenreeht. N° 81.

der recht-zeitigen Abgabe einer Erklärung, dass er den Vertrag nicht
halte, verwirkt. Eine solche Erklärung ' ist, wenn nicht schon in seinen
Zuschriften an die Beklagte vom 15. März und 6. April 1921, so doch
jedenfalls in der Mitteilung vom 11. Mai 1921 zu erblicken, welche
innert Jahresfrist seit der endgültigen Festsetzung des Kaufpreises
(10. Juli 1920) ergangen ist.

Nach Art. 21
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 21 - 1 Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung durch einen Vertrag begründet, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des andern herbeigeführt worden ist, so kann der Verletzte innerhalb Jahresfrist erklären, dass er den Vertrag nicht halte, und das schon Geleistete zurückverlangen.
1    Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung durch einen Vertrag begründet, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des andern herbeigeführt worden ist, so kann der Verletzte innerhalb Jahresfrist erklären, dass er den Vertrag nicht halte, und das schon Geleistete zurückverlangen.
2    Die Jahresfrist beginnt mit dem Abschluss des Vertrages.
OR setzt die Annahme wucherischer Übervorteilung in erster
Linie ein offenbares Missverhältnis zwisehen Leistung und Gegenleistung,
d. h. in concreto zwischen dem Kaufpreis und dem objektiven Wert des
Kaufgegenstandes voraus. Nun ergibt sich aus dem Expertengutachten
in überzeugender Weise, dass es an zuverlässigen Anhaltspunkten zur
nach-träglichen Ermittlung des Wertes der Buchhandlung im Zeitpunkte der
Übernahme durch den Kläger fehlt und dass auch das durch die Parteien
selbst aufgenommene Inventar, laut welchem der Gesamtwert 74,051 Fr. 75
Cts. hetrüge, nicht im Einzelnen auf seine Richtigkeit nachgeprüft werden
kann. Wenn auch wahrscheinlich der wahre Wert des Kaufobjektes den vom
Kläger zu bezahlenden Betrag von 85,000 Fr. nicht erreichte, so liegen
doch keinerlei Umstände vor,"die zur Annahme eines offenbaren , jedermann
in die Augen fallenden Missverhältnisses zwischen den beiderseitigen
Leistungen berechtigen Würden, wie das Gesetz es zur Anfechtung wegen
Übervorteilung fordert (vgl. BGE 46 II S. 60/1, USER, Komm, Anm. III, 1
e zu OR 21). Ferner müsste die Beklagte bei Abschluss des Vertrages sich
des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung hewusst gewesen
sein (vgl. BECKER, Anm. 8 zu OB 21 ; USER, III 2 a. A.). Die Auffassung
v. TUHRS (OR I S. 280 Anm. 3), dass die Parteien vom Missverhältnis
nicht Kenntnis zu haben brauchen, scheitert an der Erwägung, dass es zur
Übervorteilung des Gegenkon-trahenten durch Ausbeutung seiner Notlage,
seiner Unerfahrenheit oder seines Leichtsinnes doch offenbar

Obligationenrecht. N° 81. 489

des Bewusstseins der Übervorteilungsmöglichkeiten bedarf. Nun steht fest,
dass das in Frage stehende Geschäft vor dem Hinseheid des Ehemannes
der Beklagten von ihm persönlich und nicht etwa von beiden Eheleuten
gemeinsam geführt worden war und dass laut der für das Bundesgericht
verbindlichen Feststellung im erstinstanzlichen Urteil auch die Tochter
keinen richtigen Einblick in den Geschäftsgang hatte, sondern sich von dem
am Geschäft beteiligten Edelmann beraten lassen musste. Dafür, dass die
Beklagte dem Geschäfte wohl einen verhältnismässig hohen, dem vereinbarten
Kaufpreis sich nähernden Wert beimessen durfte, spricht auch der Umstand,
dass Edelmann am Tage des Zustandekommens des Verkaufes an den Kläger
sich seitens der Beklagtschaft eine Schuldanerkennung für volle 50,000
Fr. ausstellen liess und sein Gewinnanteil aus dem Bilderbüchergeschäft
allein sich auf 12,500 Fr. belief. Ferner ergibt sich aus dem
Expertenbericht, dass Müller-Kiefer im Juli 1918 das Bücherlager und das
Bureaumaterial bei der Schweizerischen Mobiliarversichernngsgesellschaft
für insgesamt 86,000 Fr. versichert hatte. Berücksichtigt man weiterhin,
dass der Inventarwert des Geschäftes anfangs 1919 Fr. 86,500 betrug
und das gemeinsam mit dem Kläger aufgenommene Inventar einen Wert von
rund 74,000 Fr. ohne das Mobiliar ergab, so kann in Übereinstimmung mit
den kantonalen Instanzen der Beweis einer bewussten Übervorteilung des
Klägers nicht als geleistet angesehen werden.

3. Was die Betrugseinrede anbetrifft, so hat das Bundesgericht schon
im früheren Urteil ausgeführt, dass von sämtlichen, in der Zuschrift
der Tochter der Beklagten vom 20. April 1920 enthaltenen Angaben nur
diejenige über den Reingewinn ernstlich in Betracht kommen könne, dass
indessen bei näherer Betrachtung und insbesondere mit Rücksicht auf den
richtig angegebenen Jahresumsatz von 72,000 Fr. angenommen werden müsse,
es liege eine Verwechslung mit dem Brutto-

490 Obligationenrecht. N° 81. _ gewinn vor, welcher laut der Expertise
gerade den

angegebenen Betrag von 24,000 Fr. ausmachte. Es "

besteht umsoweniger Veranlassung, von dieser Auffas sung abzugeben und
eine für den Abschluss des Vertrages kausale Täuschung anzunehmen, als
ja der Kläger es in der Hand hatte, die Angaben der Verkäuferin auf ihre
Richtigkeit nachzuprüfen, und er von dieser Möglichkeit auch tatsächlich
dureh die gemeinschaftliche Inventarisierung des Bücherbestandes Gebrauch
gemacht hat. Der Wert des Kommissionswarenlagers, dessen Verheimlichung
der Beklagten vorgeworfen wird, betrug laut Feststellung der Expertise
nicht 13,000 Fr., sondern nur 3410 Fr. ; ,abgesehen davon, dass der Kläger
sich hievon selber bei der Geschäftsübernahme hätte überzeugen können,
wie im erstinstanzliehen Urteil zutreffend ausgeführt wird, erscheint es
nach der ganzen Sachlage nicht als wahrscheinlich, dass eine Orientierung
über den Bestand dieses kleinen Kommissionslagers geeignet gewesen wäre,
den Kläger vom Vertragssehlusse abzuhalten. 4. (Irrtumseinrede OR 244,
Sachmängel? Forderung von 9000 Fr., Schadenersatzforderung von 20,000
Fr. ev. 43,000 Fr.) '

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung Wird abgewiesen und das Urteil des Ohergeriehts des Kantons
Luzern vom 29. Juni 1927 bestätigt. '

Ohligationenrecht. N° 82. 491

82. Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Dezember 1927 i. S. Badertscher
gegen Mouhamed Ali Hassan. Kommanditgesellschaft, internes Verhältnis
zwischen Komplementär und K o m m a n d i t a r. Streit über den nach
Kündigung des Gesellschaftsvertrages und erfolgter Nachlassliquidation
vom Komplementär an den Knmmanditär zurückzuzahlenden

Kommanditbetrag. Auslegung der Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages
über die Gewinnund Verlustbeteili-V

gung.

A. Am 1. Mai 1922 schlossen die Parteien miteinander einen
Kommanditvertrag ab, aus welchem folgende Bestimmungen hervorzuheben
sind:

A r t. 1. Johann Badertscher, als Inhaber und unbeschränkt haftender
Gesellschafter der Firma Badertscher & Cie, Automobiles in Zürich,
nimmt S. H. Prinz Mouhamed Ali Hassan als Kommanditär in seine Firma auf.

A r t. 2. Die Kommanditeinlage des Prinzen Hassan beträgt 100,000 Fr. und
ist für das ganze laufende Geschäftsjahr dividendenbereehtigt. Die
Einzahlung erfolgt bei Unterzeichnung des Vertrages.

Über diese 100,000 Fr. hinaus kann Hassan zu keiner Leistung verpflichtet
werden, und es ist jede weitergehende Haftung desselben ausgeschlossen.

A rt. 3. Die laut Gesellschaftskonto per 1. Januar 1922 ausgewiesene
Kapitaleinlage des Herrn J. Badertscher darf von ihm nicht durch Entnahmen
verringert werden, er hat dieselbe Vielmehr womöglich zu erhöhen.

A r t. 7. Das Geschäftsjahr wird jeweilen auf den 31. Dezember
abgeschlossen. '

Aus dem Jahres-Reingewinn, der sich nach Abzug aller Geschäftsunkosten
und Verluste und nach Vornahme aller notwendigen Abschreibungen ergibt,
werden zunächst die Kapitaleinlagen der Kommanditäre und sodann die
des unbeschränkt haftenden Gesellschafters J. Badertscher mit 5 %
verzinst. Ein etwaiger Fehl-
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 53 II 483
Date : 12. Mai 1927
Published : 31. Dezember 1927
Source : Bundesgericht
Status : 53 II 483
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : 482 Sachenrecht. N° 80. Baugrundstück in erkennbarer Weise zum Nachteil der Bauhandwerker


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OR: 21  28  205
ZGB: 837
BGE-register
46-II-55
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defendant • interest • purchase price • federal court • value • correctness • inventory • fraud • willful deceit • hamlet • legal demand • undertaking • calculation • buy • error • 1919 • question • bookshop • counter-performance • delivery
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