320 ' Staatsrecht.

44. Urteil vom 5. November 192? i. S. B. u. M. Faller 11. E. schwer-.

Sachauslieferung: Voraussetzungen.

Am 1. Juli 1927 wurden in Zürich wegen verdächtigen Benehmens und
Geldbesitzes die Brüder Benno und Marco Feller und deren Schwager
Ernesto Schwarz verhaftet. Nach erfolgter Benachrichtigung verlangte die
italienische Regierung ihre Auslieferung mit der Begründung: Benno Fener
habe als Geschäftsführer der Konkursiten italienischen Tuchexportfirma
S.A.C.T.A. unter hetrügerischen Angaben andere Firmen zur Waren-lieferung
veranlasst, die Aktiven der S.A.C.T.A. verschleudert und sich ins Ausland
geflüchtet. Marco Feller und Ernesto Schwarz hätten einen Teil des so
erlangten Geldes in Empfang genommen und verborgen. Bei der Verhaftung
trugen die drei folgende Geldbeträge auf sich :

Benno Feller. Englische Pfund ..... 2,145.Dollars ....... , . 4,757
. Goldmark ........ 23,450 . Lire .......... 800.SchWeiz. Franken
. . . . 7,058.30 Ernesto Schwarz. Dollars ......... 4,763.-Öst.
Schillings ...... 572.65 Schweiz. Franken . . . . 4,424.90 Marco
Feller. Dollars ......... 100.Öst. Schillings ...... ' 16.50
Schweiz. Franken . . . . 51 .60

Es wurde festgestellt, dass Benno Feller bei Hamburgerfirmen über
2000 engl. Pfund, gegen 9000 Dollars, über 10,000 Lire, über 30,000
Schweiz. Fr. und 3800 RM einkassiert und davon 130,000 Lire an die
Sacta geschickt hatte. Ernst Schwarz hatte bei Wienerfirmen gegen 33,000
öst. Schill. einkassiert. Marco Feller will

Internationales Ausfiefernngsrecht. N° 44. 321

das auf ihm gefundene Geld von zu Hause in Wien mitgenommen haben. Diese
Geldbeträ'ge wurden beschlagnahmt und die Beschlagnahme aufrechterhalten,
trotzdem das Geld von Gläubiger-n der Sacta zum Teil schweizerischer
und deutscher Nationalität verarrestiert und gepfändet werden war.

B. Die Angeschuldigten erhoben gegen das Ausliefemngshegehren der
italienischen Regierung Einsprache. Die schweizerischen Gläubiger
ihrerseits protestierten beim eidg. Justizund Polizeidepartement gegen
eine Aushändignng der Geldbeträge an Italien. '

C. Das Bundesgericht hat die Auslieferung des Benno Feller bewilligt,
die ' des Ernesto Schwarz, soweit sie wegen Beihilfe Zu betrügerischem
Bankerott verlangt worden war, ebenfalls. Die Auslieferung des Marco
Faller wurde verWeigert. Die Sachauslieferung wurde :

a) bezüglich der auf Marco Feller vorgefundenen Gelder verweigert ;

b) bezüglich der auf Ernst Schwarz vorgefundenen Gelder verweigert ;

c) bezüglich der auf Benno Feller vorgefundenen Gelder bewilligt, mit
der Begründung:

a) Die Beschlagnahme der Warenvorräte ist vom eidg. Justizund
Polizeidepartement schon durch Verfügung vom 22. August 1927 aufgehoben
Werden. Sie besteht daher heute nicht mehr zu Recht und kann daher auch
nicht Gegenstand des bundesgerichtlichen Entscheides 88111.

b) Trotz der etwas allgemeinen Fassung von Art. 11 des schweizerisch
italienischen Auslieferungsvertrages sind nicht alle Gegenstände
auszuliefern, die auf den auszuliefernden Personen gefunden werden,
sondern nur jene, die mit dem behaupteten Vergehen in einem unmittelbaren
oder doch wenigstens mittelbaren Zusammenhange stehen (BGE 31 I 694
Erwsi5; 34 1368 Erw.5; 47 I 12 ; LANGHARD, S. 114).

322 Staatsrecht.

c) Es ist einmal ohne Weiteres klar, dass die auf Marco Feller
gefundenen Geldbeträge nach dem dieser selbst nicht ausgeliefert wird,
der Auslieferung nicht unterliegen. Es fehlen auch jegliche Anhaltspunkte
dafür, dass diese übrigens nicht bedeutenden Geldbeträge (100 Dollars,
50 SchWeizerfranken und 16 Schillings) aus dem Geschäftsvermögen der
sacta stammen.

d) Die österreichischen Polizeibehörden haben festgestellt, dass das
dem Ernst Schwarz abgenommen e Geld (zirka 30,000 Schweizerfranken) im
grossen und ganzen von Geschäften herrührt, die dieser im Juni 1927 in
Wien mit den Firmen Karneol und Weiser abgeschlossen hat. Es ist Zwar
nicht ausgeschlossen, dass diese Geschäftsabschlüsse mit der Sacta in
einem Zusammenhange stehen. Allein aus den dem Bundesgericht vorliegenden
Akten erhellt das nicht, so dass die Auslieferung dieser Geldsumme nicht
verfügt werden kann. Ob der Bundesrat vor der Aufhebung der Beschlagnahme
der italienischen Regierung noch Gelegenheit zur Kenntnisnahme von den
Mitteilungen der Polizeibehörden Wiens geben und ihr so die Erneuerung
ihres Begehrens um Sachauslieferung ermöglichen kann (_ bis jetzt hat
die italienische Regierung hievon keine Kenntnis erhalten ), hat das
Bundesgericht nicht zu entscheiden.

e) Gegen die Auslieferung der auf Benno Feller vorgefundenen Gelder
wurde zwar nicht ausdrücklich von diesem selbst, Wohl aber von dritter
Seite Einsprache erhoben (Eingaben Gebr. Naef A. G. in Zürich vom 19.
August 1927. Zürcherische Seidenindustriegesellschaft, vom 27. August
1927). Nach der Praxis ist das Bundesgericht zur Prüfung auch solcher
gegen die Sachauslieferung erhobener Einsprachen kompetent, wenn
sie, wie hier, von Personen stammen, die an der Nichtbewilligung
der Sachauslieferung ein erhebliches Interesse haben (BGE 32 I 548
Erw. 1). Dass die auf Benno Feller vorgefundenen Gelder seit dessen
Inhaftierung in Zürich vonInternationales Auslieferungsrecht. N° 44. 323

verschiedenen Gläubigern der sacta verarrestiert und gepfändet wurden
sind, hindert die Auslieferung dieser Gelder an Italien nicht ; denn
der betreibungsrechtliche Beschlag ,hat dem öffentlich-rechtlichen
zu weichen (BGE 32 I Nr. 7?; Kreisschreiben des Bundesgerichts vom
6. Februar 1913). Auf den Entscheid des Bundesgerichts kann auch
keinen Einfluss ausüben der Umstand, dass die Gläubiger, die Arreste
und Pfändungen erwirkten, durchwegs Schweizerfirmen sind. Entscheidend
ist vielmehr einzig, ob die bei Benno Feller beschlagnahmten Gelder mit
dem Auslieferungsdelikt (Betrug und betrügerischer Bankerott) in einem
unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang stehen.

Benno Feller kam von Hamburg her nach der Schweiz. In Hamburg hatte
er bei verschiedenen Kunden Rechnungen einkassiert. Abgesehen vom
Kaufmann Reutter, der lediglich 3800 RM an Benno Feller bezahlte,
hatten diese Kunden die Waren für die von ihnen bezahlten Kaufpreise
noch nicht erhalten. Die Waren lagerten damals noch bei spediteureu in
Italien. Inzwischen wurden diese Waren infolge des Konkursausbruches
von den italienischen Behörden beschlagnahmt. Einen Teil der in Hamburg
einkassierten Beträge (nach dem Zeugnis des Exportvertreters Singer
130,000 Lire) sandte Benno Feller von Hamburg aus telegraphisch an die
Sacta nach Mailand ; der Rest (zirka 110,000 Schweizerfranken) wurde ihm
bei der Verhaftung in Zürich abgenommen. Es kann daher gesagt Werden,
dass das bei Benno Feller Vorgefundene Geld aus Kaufgeschäften herstammt,
die von der Sacta mit deutschen Kaufleuten abgeschlossen worden waren
und von ihrinfolge Konkursausbruchs nicht mehr erfüllt werden konnten.

Der Umstand, dass die durch das vorzeitige Inkasso geschädigten Gläubiger
in Deutschland und nicht in Italien wohnen, rechtfertigt die Verweigerung
der von Italien verlangten Sachauslieferung nicht. Die italieschen
Gerichte dürfen den Benno Feller für sein ganzes

324 Staatsrecht.

betrügerisches Geschäftsgebahren zur Rechenschaft ziehen, und zwar
auch soweit dasselbe über das Gebiet Italiens hinaus gewirkt hat, also
auch bezüglich seiner Beziehungen zu den deutschen Gläubigern. Denn
nicht nur ist der Konkursausbruch in Italien erfolgt, sondern es muss
-wie bereits ausgeführt angenommen werden, dass auch das Zentrum der
Bankerotthandlnngen sich in Italien befand. Hier war der Geschäftssitz
des Unternehmens, der Wohnsitz der Geschäftsleiter und von hier aus
wurden auch die Geschäfte mit den deutschen Kunden abgeschlossen. Es
kann sich höchstens fragen, ob das von Benno Feller in Deutschland
vorgenommene Inkasso nicht nur der italienischen, sondern überdies auch
noch der deutschen Strafgewalt unterliege, was Wohl dann zu bejahen Wäre,
wenn dasselbe für sich allein zugleich auch den Tatbestand eines andern
Deliktes (z. B. des Betrages} erfüllen würde (vgl. VON BAAR, Lehrbuch
S. 243/14). Ob dies zntrifft, kann dahingestellt bleiben; jedenfalls
ist Italien zumal Deutschland deswegen keinen Strafanspruch erhebt ,
berechtigt, diese Handlungen in die Bestrafung des betrügerischen
Bankerottes einzubeziehen.

Die Auslieferungspflicht könnte einzig dann verneint werden, wenn die
Geldbeträgein keinem Zusammenhang mit jenem Geschäftsgebahren stehen
würden, wegen dessen dem Benno Feller im italienischen Haftbefehl
der Vorwurf des Betrages und des betrügerischen Bankerottes gemacht
wird. Doch mit diesem Geschäftsgebahren steht diese Geldsumme in einem
erkennbaren Zusammenhang. Im Haftbefehl wird dem Benno Feller vorgeworfen,
dass er Vermögen der Sacta beiseite zu schaffen suchte und ins Ausland
geflohen sei. Berücksichtigt man, dass Benno Feller persönlich nach
Hamburg reiste, dort nach Aussagen der Hamburger Kaufleute die Gelder
entgegen den Handelsusanzen v o r Ablieferung der Ware einkassierte, in
Zürich mit seinen Brüdern und Schwägern zusammentr'ai, sich von seinem
SchwagerInternationales Auslieferungsrecht. N° 44. 325

Schwarz falsche Ausweisschriften aus Wien besorgen liess und ein
Schiffsbillet nach Kanada bestellte, so kann man nicht in Abrede stellen,
dass das bei Benno Feller vorgefundene Geld mit dem ihm vorgeworfenen
Bestreben, Vermögen der Sacta beiseite zu schaffen, im Zusammenhang steht.

Durch die Aushändigung des Geidbetrages an Italien geschieht den
Schweizergläubigern kein Unrecht. Der Handelsund Niederlassungsvertrag
mit Italien von 1868 [9 (Art. 8) gibt den Schweizern die förmliche
Zusicherung, dass ihre Forderungen in Italien konkursrechttlich gleich
wie die der eigenen (italienischen) Staatsbürger behandelt werden. Es
wird infolge der Aushändigung lediglich ein Vorzugsrecht einzelner
Schweizerbürger (und eines deutschen Gläubigers) nicht existent, das
nach den Verhältnissen auch innerlich nicht begründet ist.

XI. ORGANISATION DER BUNDESRECHTSPFLEGE

ORGANISATION JUDICIAIRE FÉDÉRALE

Vgl. Nr. 40. _ Voir n° 40.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 53 I 320
Datum : 01. Juli 1927
Publiziert : 31. Dezember 1927
Quelle : Bundesgericht
Status : 53 I 320
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 320 ' Staatsrecht. 44. Urteil vom 5. November 192? i. S. B. u. M. Faller 11. E.


BGE Register
31-I-685 • 32-I-546 • 47-I-12
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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