47. Urteil des Kassationshofes vom 23. Dezember 1925
i. S. Bundesanwaltschaft gegen Straumann und Konsorten.

Schuldhafte Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes. Anwendbarkeit
des Bundesgesetzes betreffend das Verfahren bei Übertretungen
fiskalischer und polizeilicher Bundesgesetze von 1849 verneint. Verjährug in drei Jahren gemäss Art. 34 litt. c des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht von 1853.

A. Die Kassationsbeklagten, welche (mindestens) zweimal an die Entrichtung
des Militärpklichtersatzes gemahnt worden waren, und zwar letznnals :
Straumann am 30. November 1923 für die Steuer pro

1920, Fr. 48, Schönenberger am 8. Dezember 1924 für den Rest der Steuer
pro 1923, Fr. 19,

346 Strafrecht. Roth am 8. Dezember 1924 für die Steuer pro 1920, Fr. 48,
Geiser am 29. Dezember 1924 für die Steuer pro 1922; ' Fr. 40.50.

sind. am 9. Juli 1925 dem Polizeigericht des Kantons -

Basel Stadt überwiesen, jedoch durch Urteil des Präsidenten dieses
Gerichts vom 2. /3. September 1925 wegen Verjährung freigesprochen werden.

B. ......

C. Am 11. September hat das Eidgenössische Justiz-· und Polizeidepartement
Kassationsbeschwerde eingelegt ; die mit deren Durchführung beauftragte
Bundesanwaltschaft hat am 23. September den Antrag gestellt, es sei.
der Freispruch aufzuheben, und diesen Antrag schriftlich begründet.

'Der Kassationshof zieht in Erwägung :

1. und 2. ......

3. " Die Vorinstanz ist zunächst davon ausgegangen, dass beim Fehlen
der durch Art. 1 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 29. März 1901 betreffend
die Ergänzung desjenigen über den Militärpflichtersatz vom 28. Juni 1878
vorgesehenen kantonalen Vollziehungsbestimmun-gen über das. Strafverfahren
wegen schuldhafter Nichthezahlung des Militärpflichtersatzes das
Bundesgesetz betreffend das Verfahren bei 'Übertretungen fiskalischer
und polizeilicher Bundesgesetze vom 30. Juni 1849 anwendbar sei, und hat
angenommen, dass die in Art. 20 litt. b des letzteren Gesetzes bestimmte
Verjährungsfrist von vier Monaten mit dem Tage des unbenützten Ablaufes
der in den zweiten (bezw. letzten) Mahnungen gesetzten Zahlungsfristen
zu laufen begonnen habe und somit bezüglich sämtlicher vier Angeklagten
verstrichen sei. Ob unter der Voraussetzung, dass der Ausgangspunkt der
_Vorinstanz richtig sei, die Anwendung des Art. 20 litt. b. I. c. in
den vorliegenden Fällen doch nicht

Unterlassung der Zahlung des Militärpflichtersatzes. N° 47. 347

deswegen ausgeschlossen wäre, weil gar kein Fiskalstrafverfahren nach
dem Bundesgesetz von 1849 gegen die Kassationsbeklagten durchgeführt
worden war, kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls erweist sich
als zutreffend d e r Kassationsgrund, dass das Bundesgesetz vom 29. März
1901 betreffend die Ergänzung desjenigen über den Militärpflichtersatz
vom 28. Juni 1878 nicht eines der fiskalischen und polizeilichen
Bundesgesetze im Sinne des Bundesgesetzes vom 30. Juni 1849 ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts bezieht sich
letzteres Gesetz keineswegs allgemein auf die bundesrechtlichen
Polizeistrafbestimmungen sodass nicht geprüft zu werden braucht,
ob Art. 1 Abs. ] des Militärpflichtersatz-Ergänzungsgesetzes
von 1901 eine Norm solcher Art enthält , sondern ausschliesslich
auf die sog. Fiskalstrafbestimmungen, also denjenigen Teil des
Bundesverwaltungsstrafrechts, welcher solche Vergehen unter Strafe stellt,
die sich gegen die Finanzverwaltung des Bundes (im materiellen Sinne,
nicht einfach gleichbedeutend mit Finanzdepartement) richten und den
Bundesfiskus unmittelbar schädigen (vgl. _u. a. BGE 44 I S. 93 ff. und
die dort zitierten früheren Urteile). Zuzugeben ist freilich, dass wer
den Militärpflichtersatz nicht entrichtet, dem Bundesfiskus eine ihm
gebührende Einnahme vorenthält, da von dem von den Kantonen bezogenen
Militärpflichtersatz nach Art. 14 des Militärpflichtersatzgesetzes die
Hälfte des Bruttoertrages dem Bunde zufällt. Allein diese Schädigung des
Bundesfiskus ist nur eine mittelbare Folge des Vergehens. Nachdem nämlich
Art. 1 der Militärorganisation vom 12. April 1907 die Militärsteuerpflicht
ausdrücklich gleich der Militärdienstpflicht als eine, Art der Wehrpflicht
bezeichnet hat, lässt sich die noch im Kreisschreiben des Eidgenössischen
Justizund Polizeidepartements vom 19. Juni 1905 vertretene Auffassung,
dass der Zweck der Gesetze über den Militärpflichtersatz lediglich ein
fiskalischer, m. a. W. darin zu sehen sei, dass dem Staat

348 Strafrecht.

(Bund und Kantonen) eine Einnahme verschafft bezw. gesichert werde,
nicht mehr aufrecht erhalten. Vielmehr kann nun' nicht mehr in Zweifel
gezogen werden, _ dass mit der Auferlegung der Militärsteuer und
der Anordnung der ihre Bezahlung sichernden Massnahmen hauptsächlich
im allgemeinen Landesinteresse das Ziel möglichster Gleichstellung
der nicht militärdienstpflichtigen Bürger mit den dienstpflichtigen
in der Wehrpflicht erreicht werden Will (vgl. in diesem Sinn schon
das nicht veröffentlichte Urteil vom 22. Mai 1925 in Sachen Mäglin
gegen Basel-Stadt, sowie das Urteil vom heutigen Tage in Sachen der
Kassationsr klägerin gegen Spring). Ist aber die Norm, gegen welche
die Kassationsheklagten sich vergangen haben, nicht eine solche des
Fiskalstrafrechts, so erweist sich die. Vorschrift des Art. 20 l. c. über
die Verjährung der Verfolgung von Fiskaldelikten als nichtanwendbar.

4. Bezi'1glich des Falles Straumann letzte Mahnung mit 14-tägiger
Zahlungsfrist 30. November 1923, Überweisung an den Strafrichter
9. Juli 1925 hat die Vorinstanz weiter angenommen, dass die Frage
der Verjährung der Strafklage auch nach allgemeinen polizeirechtlichen
Grundsätzen in Betracht kommen könnte, und in diesem Zusammenhang die
Anwendung der in Art. 34 des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht
vom 1853 für Verbrechen vorgesehenen dreijährigen Verjährungsfrist
auf Polizeidelikte abgelehnt. Damit ruft die Vorinstanz dem § 18 des
kantonalen Polizeistrafgesetzes von. 1872, wonach die Verfolgung einer
Polizeiübertretung in einem Jahr verjährt, wenn nicht das Gesetz
ausdrücklich eine andere Frist setzt. Allein diese Lösung erweist
sich unter zwei Gesichtspunkten als unannehmhar: Einerseits gehören die
Vorschriften über die Verjährung dem materiellen Strafrecht an, indem sie
bestimmen, inwiefern Zeitablauf den Strafansprnch zum Erlöschen zu bringen
vermag, was die Anwendung kantoualer Verjährungsvorschriften auf Ver-

Unterlassung der Zahlung des Militärpflichtersatzes. N° 47. 349

gehen gegen Bundesstrafrecht ausschliesst. Anderseits erfordert
die gleichmässige' Anwendung der Bundesstrafrechtssätze auch die
einheitliche Ordnung der Verjährung. Danach'bleibt nichts anderes übrig,
als Art. 34 des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht von 1853 auch
auf das Vergehen schuldhafter Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes
anzuwenden, wie-" denn ja nach ständiger Rechtsprechung die allgemeinen
Bestimmungen dieses Gesetzes auf Spezialgesetze mit Strafvorschriften
ohne ausdrückliche Verweisung anwendbar sind-, insoweit dies der Natur
der Sache nach angeht, was vorliegend nicht mit Fug in Zweifel gezogen
werden könnte (vgl. z. B."BGE 45 I S. 333). Das Bedenken der Vorinstanz,
dass jene Vorschrift nach ihrem Wortlaut nur auf Verbrechen zutreffe,
ist nicht begründet ; denn Wie sich aus den von der *Kassationsklàgerin
angeführten Art. 19, 23, 24, 32, 33 l. c. ohne weiteres ergibt, verwendet
das Gesetz über das Bundesstrafrecht diese Bezeichnung nicht in einem
technischen Sinne, im Gegensatz zu Vergehen und Übertretung.' so hat das
Bundesgericht denn auch dem Art. 341. c. schon blossevPolizeiübertretungen
unterstellt, nämlich die· Verletzung des. Bundesgesetzes betreffenddie
Patenttaxen der Handelsreisenden von 1892 (BGE 27 I S. 539 ff.) ; daher
braucht auch in diesem Zusammenhang nicht Stellung genommen zu werden
zur Frage, ob die schuldhafte Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes
eine blosse Polizeiübertretung darstelle. Dagegen ist der Vorinstanz
freilich darin beizustimmen, dass die dem Art. 34 des BundesStrafrechts
zu entnehmende Verjährungsfrist von drei Jahren für Fälle der vorliegenden
Art unangemessen lange erscheint. Allein dieses ausschliesslich praktische
Bedenken vermag eine andere Lösung nicht zu rechtfertigen, und es kann
ihm übrigens Rechnung getragen werden einmal dadurch, dass sich die
AMilitärsteuerverWaltungen angelegen sein lassen, mit der Überweisung
der säumigen und als schuldig erachtet-en Ersatzpklichtigen an den
Strafri'chter

350 Strakecht.

nicht noch unangemessene Zeit nach Ablauf der letzten Zahlungsfrist
zuzuwarten, _und ferner dadurch, dass sich der Strafrichter
geneigt zeigt, übermässig langes ' Zuwarten mit der Überweisung als
Verzicht der Militarsteuerverwaltnng auf Strafverfolgung auszulegen
bezw. als Anerkennung, dass der Ersatzpflichtige ohne Verschulden den
Mahnungen nicht Folge geleistet habe. Bei Anwendung der dreijährigen
Verjährungsfrist ist die Strafverfolgung gegenüber keinem der
Kassationsbeklagten bereits verjàhrt.

Demnach erkennt der Kassaiionshof :

Die Beschwerde wird begründet erklärt und das Urteil des
Polizeigerichtspräsidenten7 des Kantons Basel-Stadt vom 2. /3. September
1925 aufgehoben.

III. ORGANISATION DER BUNDESRECHTSPFLEGE

ORGANISATION JUDICIAIRE FÉDÉRALE

48. Estratto dalla sentenzaä dicembre 1925 _ della. Corte di Gassazione
nella causa Schibli 0. carte della Assisi emozionali

di Vallemaggîa.

Nei confronti di una sentenza di una Corte delle Assisi ticinesi,
i termini di cui agli art. 164 e 167 OGF non decorrono dal giorno
in cui la sentenza cantonale fu letta in pubblica seduta (art. 221
cod. proc. pen. tic. ), ma da quello in cui la sentenza venne intimata
alle parti per iscritto (art. 33 proc. pen. tie.).

Contro 1a sentenza di una Corte delle Assisi tic. è ammissibile il
ricorso in cassazione al Tribunale federale giusta l'art. 162 OGF.

A. Con sentenza 24 settemhre 1925 la Corte delle Assisi correzionali di
Vallemaggîa condannava, Hans

Organisation detBundesrechtspflege. N° 48. 351

Schihli in Bach ad un mese di detenzione perviolazione dell'art. 67
cap. 2 cod. pen. fed. (messa in pericolo di una strada ferrata). La
sentenza, letta in pubblica ceduta presenti le parti lo stesso giorno
(24 settembre 1925), venne loro intimata per iscritto, munita dei motivi,
il giorno 8 ottobre.

B. Schibli interpose la dichiarazione di cassazione al
Trib. fed. (art. 164 OGF) il 2 ottobre, il 28 la memoria giustiiicativa
di cui all'art. 167 OGF.

C. La Corte di Cassazione del Trib. fed. aveva anzitutto da decidere
le questissoni della tempestività e della proponibilità del gravame a
sensi degli art. 164, 167 e 162 OGF.

Su questi quesiti il Trib. fed. si pronuncio come segue:

Considerando in diritto :

1. -Occorre anzitutto esaminare due eccezioni d'ordine: quelle concernente
la tempestività del gravame e quella riferentesi alla natura della
sentenza appellata: cioè, se æsa era, in sede cantonale, ancora suscettiva
di appello. In questo caso essa non sarebbe impugnabile col rimedio di
cassazione federale a sensi dell'art. 162 OGF. _

a) Chiedesi, in merito alla prima eccezione, se 1a dichiarazione di
cassazione fu interposta entro 10 giorni dalla comunicazione della
sentenza (art. 164 OGF) e la motivazione entre 20 da quel momento stesso
(art. 167). Quantunque la nozione di questa comunicazione sia di diritto
federale, il suo inizio si determina secondo il diritto cantonale, dal
quale solo può essere desunto, quando una sentenza deve ritenersi come
comunicata alle parti (RU 30 I 162; 35 I 398).

Giusta l'art. 221 cod. proc. pen. tic la sentenza di una Corte di Assisi
vien subito ietta dal Presidente in pubblica seduta, in presenza delle
parti (procuratore pubblico, accusato, difensore) . L'assenza del
procuratore" pnbbiico e del difensore non infirmano la pubbli-
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 51 I 345
Datum : 23. Dezember 1925
Publiziert : 31. Dezember 1925
Quelle : Bundesgericht
Status : 51 I 345
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 47. Urteil des Kassationshofes vom 23. Dezember 1925 i. S. Bundesanwaltschaft gegen Straumann und...


BGE Register
27-I-537 • 30-I-160 • 35-I-395 • 44-I-92 • 45-I-331
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
vorinstanz • 1849 • basel-stadt • bundesgericht • zweifel • tag • strafverfolgung • norm • frage • kassationshof • angehöriger der armee • richterliche behörde • richtlinie • weisung • planungsziel • zweck • landesinteresse • bruttoertrag • handelsreisender • sichernde massnahme
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