92 Strafrecht.

sondern kommt vor und lässt sich unter Umständen legislativpolitisch
re chtfertigen, falls eine bereits verbotene Handlung neu unter Strafe
gestellt wird, was gerade hier zuträfe, wenn die streitige Feststellung
der Strafbarkeit auch der bloss fahrlässigen Zuwiderhandlung gegen die
Mahlvorschriften als sachliche Erweiterung des bisherigen Strafrahmens zu
betrachten wäre (vergl. hierüber LUDwrG TRÄGERDie zeitliche Herrschaft
des Strafgesetzes, in der Vergleichenden Darstellung des deutschen und
ausländischen Strafrechts, Allgem. Teil, VI S. 382 H.).

4. (Widerlegnng des Argumentes aus Art. 18 BStrR).

Demnach erkennt der Kassationshol:

Die Kassationsbesehwerde wird abgewiesen.

III. ORGANISATION DER BUNDESRECHTSPF LEGE

ORGANISATION J UD IC IAIRE FÉDÉRALE

18. Urteil des Kassationshofes vom 23. April 1918 i. S. Schifl'erli
gegen Thurg. Staatsanwaltschaft.

HBB. vom 30. Juni 1917 betr. Ausfuhrverbote. Rechtliche Natur der
Ausfuhrvergehen. Fiskaldelikte ? In welchem Umi-ange findet das
Bundesgesetz betr. das Verfahren bei Übertretungen fiskalischer
und polizeilicher Bundesgesetze vom 30. Juni 1849 (FStr'V) auf deren
Verfolgung Anwendung '? Die Kassationsfrist richtet sich nach Art. 164167
OG und nicht nach Art. 18 FStrV.

A. Durch Urteilvom 26. Februar 1918, zugestellt am 3. März 1918 hat
das Ohergericht des Kantons Thurgau die Kassationskläger Schifferli
und Jucker des Versuches der Übertretung des Bundesratsbeschlusses vom
30. JuniOrganisation der Bundesrechtspflege. N° 18. 93 ss

1917 betreffend Ausfuhrverhote, schuldig erklärt und in Anwendung der
Art. 3, 10, 13 des Bundesratsbesehlusses vom 30. Juni 1917, Art. 19,
20 und 31 BStrR erkannt:

1. Der Angeklagte und Appellant Paul Schiffer-li wird zu einer
Gefängnisstrafe von 5 Monaten und zu einer Geldbusse von 2000 Fr.,
eventuell zu einem weitem Jahr Gefängnis verurteilt.

2. Der Angeklagte und Appellant Julius Jucker wird zu einer
Gefängnisstrafe von 4 Monaten und zu einer Geldbusse von 2000 Fr.,
eventuell zu einem weitern Jahr' Gefängnis verurteilt.

B. Gegen dieses Urteil hat Rechtsanwalt W. am 12. März namens der
Angeklagten Schifferli und Jucker beim Obergericht des Kantons Thurgau
die Kassationsbeschwerde an das Bundesgericht eingelegt und beantragt
es sei eine Abschrift des angefochtenen Urteils dem eidgenössischen
Kassationshofe zu übermitteln, den er

'seinerseits bitte, ihm die Frist von Art. 167 OG zu

eröffnen . Am 28. März sodann reichte er dem Bundesgericht eine
Rechtsschrift ein zur Begründung der Kassationsbeschwerde im Sinne
von Art. 167 GG, 18 FStrV, mit-dem Antrage: das angefochtene Urteil sei
aufzuheben ; die Angeklagten seien von Schuld und Strafe freizusprechen,
eventuell bloss mit Busse zu bestrafen.

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Die von den beiden Angeklagten erhobene Kassationsbeschwerde ist
rechtzeitig angelangt-, sofern das vorliegende Verfahren sich nach Art. 18
FStrV richtet; sie ist jedoch verspätet, falls die Bestimmungen des OG
über die Frist zur Einreichung der Kassationsbeschwerde (Art. 165 -167
OG) Anwendung finden. Somit kann auf die Beschwerde nur dann eingetreten
werden, wenn die Übertretung der im Bundesratsbeschluss vom 30. Juni 1917
aufgestellten Strafnormen sich als Fi s k a ld e li k t darstellt und
ansschliesslich nach den Verfahrensvorschriften des FStrV zu verfolgen
ist ; denn nach der Pra-

94 Strafrecht.

xis des Bundesgerichts (AS5 s. 44) ist Art. 18 F'su-v nur in diesem
Falle anwendbar, während in allen übrigen nach eidgenössischem Recht zu
beurteilenden Strafsachen für das bundesgerichtliche Verfahren die Normen
des OG massgebend sind. Nach feststehender Rechtssprechung (AS 5 S. 43
f.; 15 S. 153 k. Erw. 1 ; 16 S. 283 Erw. 1 ; 32 I S. 133 f. Erw. 2) liegt
das entscheidende . Kriterium des FiskaldelikteS'darin, dass das Vergehen

als solches sich gegen einen Verwaltungszweig des Bundes richtet und somit
der Bundesfiskus durch die strafbare Handlung unmittelbar geschädigt
wird (WEISS, Die Kassationsbeschwerde, Ztschr. f. schw. StrR Bd. 13
S. 131). Dieser Gesichtspunkt trifft indessen bei Übertretungen der im
Bundesratsbeschluss vom 30. Juni 1917 aufgestellten Strafbestimmungen,
insbesondere des Art. 3 daselbst nicht zu. Wenn der Bundesrat seit
Kriegsausbrach eine grosse Zahl von Ausfuhrverboten erlassen hat,
so geschah dies im allgemeinen Landesinteresse, teils zum Schutze des
inländischen Bedarfs, teils zur Erfüllung der andern Staaten gegenüber
eingegangenen Völkerrechtlichen Verpflichtungen (vergi. Art. 2
des Bundesratsbeschlusses, der hinsichtlich der ausnahmsweisen
Ausfuhrbewilligungen ausdrücklich auf die Berücksichtigung der
Landesinteressen abstellt, und den Eingang des Beschlusses : gestützt
auf den Bundesbeschluss vom 3. August 1914 betreffend Massnahmen
zum Schutze des Landes und zur Aufrechterhaltung der Neutralität ).
Demgegenüber tritt das fiskalische Moment ganz in den Hintergrund. Wohl
werden von den zuständigen Departementen die Ausfuhrbewilligungen nur
gegen Erlegung einer Gebühr erteilt, sodass die Ausfuhr einer W'are,
deren Ausfuhr verboten ist, ohne Ausfuhrhewilligung mittelbar auch den
Fiskus schädigt, indem ihm diese Geh ühr entgeht ; doch richtet sich das
Vergehen in erster Linie gegen das allgemeine Landesinteresse ; denn die
im Bundesratsbeschlnss vom 30. Juni 1917 genannten Ausfuhrdelikte werden
nicht begangen, um die Ausfuhr- Organisation der Bundesrechtspflege. N°
18. 95 _

gebühr zu hinterziehen, sondern nm eine Ware, deren Ausfuhr auf legalem
Wege unmöglich ist, sei es, weil sie schlechthin verboten ist, sei es
weil der Ausführende kein Kontingent besitzt oder dieses erschöpft ist
oder ihm anderer Gründe wegen, die Bewilligung verweigert wird, trotzdem
auszuführen. Hierin liegt der Unterschied zwischen den Ausfuhrund den
Zollübertretnngen (Art. 55 BG über das Zollwesen vom 28. Juni 1893) ;
denn diese verletzen ausschliesslich und unmittelbar die fiskalischen
Interessen des Bundes.

Die im Bundesratsbesehluss vom 30. Juni 1917 unter Strafe gestellten
Handlungen werden auch dadurch nicht zu Fiskaldelikten, deren
Verfolgung sich ausschliesslich nach dem FStrV zu richten hätte,
dass Art. 8 des Bundesratsbeschlusses verschiedenen Vorschriften des
FStrY ruft und bei der Strafverfolgung eine intensive Beteiligung der
Zollbehörden vorsieht. Gegen die Anwendung des FStrV in toto spricht
schon der Umstand, dass die wenigen Verfahrensbestimmungen, die der
Bundesrats-beschlussaufstellt (Art. 10 13), von denjenigen des FStrY nicht
unerheblich abweichen. Während hier in allen Fällen eine gerichtliche
Beurteilung vorgesehen ist, sofern der Zuwiderhandelnde sich der
administrativen Strafverfügung nicht unterzieht (Art. 16 FStrV) wird dort

die Sache in weniger schweren Fällen auf demVerwaltungs- .

wege endgültig erledigt und den Gerichten nur dann überwiesen, wenn das
Zolldepartement dies für nötig erachtet (Art. 10, 12 BBB vom 30. Juni
1917). Wenn der Bundesratsheschluss die Zollbehöi den mit der Verfolgung
der Ausfuhrvergehen beauftragt und auf einige Bestimmungen des FstrV
hinweist, so hat dies seinen Grund nur darin, dass der Natur der Sache
nach, weil diese Delikte meist im Grenzgebiet begangen werden und auch
in, der Art ihrer Ausführung mit den Zollübertretungen übereinstimmen,
die Zollbeamten die zu deren Verfolgung geeignetsten Organe sind. Betraute
man sie aber mit dieser Aufgabe, so musste ihnen auch eine Anweisung

96 Strafrecht.

über das von ihnen zu heachtende Verfahren gegeben werden. In dieser
Beziehung war der Hinweis auf die im FStrV enthaltenen Bestimmungen über
das administrathe Vorverfahren das naheliegendste , denn diese sind den
Zollorganen ohnedies bekannt und erweisen sich auch sonst für diesen
Zweck (Feststellung des Tatbestandes usw) als geeignet. Die in Art. 8 BRB
genannten Artikel des FStrV beschlagen denn auch ausschliesslich das si
administrativc Ermittelungsverfahren, während die Strafprozessnormen des
FStrV nicht erwähnt sind. Abgesehen davon, dass nach dem Gesagten schon
die Natur des Ausfuhrdeliktes dessen Qualifikation als Fiskalvergehen
ausschliesst, muss auch hieraus geschlossen werden, dass bei der
Verfolgung von Ausfuhrvergehen nur die in Art. 8 genannten Bestimmungen
des FStrV massgebend sind, das eventuell an das administrative Verfahren
sich anschliessende gerichtliche Verfahren hingegen den Vorschriften
des kantonalen Strafprozessrechtes folgt ; denn andernfalls hätte kein
Anlass vorgelegen, nur auf einzelne Artikel des FStrV hinzuweisen.

Hienach ist auf die Beschwerde wegen verspäteter Einlegung der Begründung
nicht einzutreten.

Demnach erkennt der' Kassaiionshof :

Auf die Kassationsbesehwerde wird wegen Verspätung nicht eingetreten.

OFDAG Offset-. Formularund Fotodruck AG 3000 BernA. STAATSRECHT DBOIT
PUBLIC

I. GLEICHHEIT VOR DEM GESETZ . (RECHTSVERWEIGERUNG) 'ÉGALITÉ DEVANT LA
LOI (DÉNI DE JUSTICE)

19. Urteil vom 15. Juli 1918 i. s. Leu gegen Schulter.

Rechtsverweigerung, dadurch begangen, dass ein Gericht, an das eine Sache
infolge Gutheissung einer Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen wird, sich
nicht an die vom Kassationsgericht ausgesprochene Rechtsauffassnng hält.

A. Im Vaterschaftsprozesse zwischen Berta Leu und deren ausserehelichem
Kind gleichen Namens gegen Ernst Schlatter erkannte das Kantonsgericht
Schaffhausen am 11. Juli 1906 : Die Klägerin ist zum Bekräftignngseid
zugelassen, und es ist ihr der Eid dafür auferlegt. dass ihr in der
Zeit vom 300. bis zum 180. Tage vor der am 5. März 1916 erfolgten
Niederkunft... ein anderer als der Beklagte ileischlich nicht beigewohnt
habe, sodass nur dieser der Vater des von ihr geborenen Kindes sein
könne. Dagegen entschied am 1. Dezember 1916 das Obergericht des
Kantons Schaffhausen auf Grund der Tatsache, dass Berta Leu schon
früher zweimal ausserehelich niedergekommen war, in Anwendung von § 389
Ziff. 4 schaffh. PO : Die Klägerin ist zum Eide nicht zuzulassen. Die
Sache geht zwecks endgültiger Entscheidung an die erste Instanz zurück.
Dieses Erkenntnis wurde am 21. November 1917

ASMI lfflò . 7
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 44 I 92
Datum : 22. April 1918
Publiziert : 31. Dezember 1919
Quelle : Bundesgericht
Status : 44 I 92
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 92 Strafrecht. sondern kommt vor und lässt sich unter Umständen legislativpolitisch


Gesetzesregister
OG: 165  167
SR 813.0: 167
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • ausfuhr • weiler • kassationshof • landesinteresse • kantonsgericht • bundesrechtspflegegesetz • bundesrat • eid • monat • frist • verurteilter • thurgau • entscheid • busse • strafbare handlung • richterliche behörde • begründung des entscheids • kantonales rechtsmittel • personalbeurteilung
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