V Inhaltsverz eichnis.

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IX. Fabrikund Handelsmarken. iarques de fabrique
. . . . . . . . . . . 121, 547

X. Schuldbetreibnng und Konkurs. Poursuite pour dettes et faiuite
. . . . . . . 133, 313, 563

XI. Organisation der Bundesrechtspflege. Organisation judiciaire fédérale
165, 325, 390, 597

XII. Civilstreitigkeiten zwischen Kantonen einerseits und Privaten
oder Korporationen andrerseits. Différends de droits Givi} entre des
cantone d'une part et des corporations ou des particuliers d'autre
part..............394

XIII. Civilstreitigkeiten zu deren Beurteilung das Bundesgericht
von beiden Parteien angerufen werden ist. Différends de droit
civil portès devant le Tribunal federal par convention des parties
. . '180CWILRECHTSPFLEGE ADMINISTRATION DE LA JUSTICE CIVILE

I. Givilstand und. Ehe. Etat civil et mariage.

1. guten vom 22. Januar 1902 in Sachen ,Mütze; Juli, Kl. u. Ver.-KL,
gegen Margaretha gina, Bekl. u. Bar.-IW.

Ehescheîdung. Verhältnis des generellen Scheidmgsgmndes des
Art. 45 Bzmdesges. betr. Civ-ilstana'f und Ehe zu den speziellen.
Scheidungsgründen des Art. 46 eod. (( BöswiHige Verfassung, Art. 46
litt. d, leg. oil.

A. Durch Urteil vom 4. Oktober 1901 hat das Bezirksgericht Unterlandquart
erkannt:

1. Die zwischen den Litiganten geschlossene Ehe wird gänzlich getrennt.

2. Das aus der Ehe entsprossen-e Kind wird bis zum erfüllten zwölften
Altersjahre der Mutter zur Pflege und Erziehung zugeschieden; vom
erfüllten zwölften bis zum erfüllten sechszehnten Altersjahre dem Vater,
alles im Sinne der Erwägung 3 des llrteilé. Können sich die Eltern
über den nachherigen Verbleib des Kindes nicht einigen, so wird die
Vormundschaftsbehörde verfügen.

3. Der Vater hat ab 4. Oktober dieses Jahres der Mutter an die
Erziehungskosten einen Beitrag von 100 Fr. per Jahr, zahlBar je nach
Ablauf eines Sabres, zu leisten.

xxvm, 2. 1902 4

2 Civilrechtspflege.

4. Kläger hat die Hälfte der 703 Fr 59 Cts. betragenden

Schulden, Wert heute, der Frau zu vergüten. . . w.

%. jGegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig die Berufung an das
Bundesgericht erklärt mit folgenden Anträgen:

1. Die Ehe sei zu scheiden aus dem speziellen Grunde der böswilligen
Verlassung des Art. 46 litt. d des Ehegesetzes, statt aus dem generellen
Grunde des Art. 45, wie es die erste Instanz getan hat. · .

2. Die Frau habe dem verlassenen Ehemann eine Entschwugung von 1000 Fr.,
eventuell eines Betrage-s nach richterlichem Ermessen zu bezahlen. _

3. (Koften.) _ .

4. Im übrigen sei das erstinstanzliche Urteil zu bestatigen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung: _

1. Die Litiganien heirateten sich am 11. April 1897. Sie begründeten
keine selbständige Haushaltung, sondern bezogen Wohnung und Kost
bei den Eltern des Ehemanns in Schiers.. Allein bald entstanden
Differenzen zwischen der Beklagten und jenen, in deren Folge die
Beklagte im Juli 189? das Hausverliess. Sie begab sich nach Fajauna,
einem Weiter derGemeinde Schiers, zu ihren Eltern, die dort ein Heimwesen
besitzen, und erklärte von hier aus ihrem Manne, nicht mehr ins Haus der
Schwiegereltern zurückkehren zu wollen. Deshalb mietete der Kläger auf
Zureden des Ortsgeistlichen, den die Frau um Vermittlung gebeten hatte,
im Herbst 1897 eine eigene Wohnung in Schiers-Schrau, mit Gültigkeit des
Vertrages für den {Fall, dag. seine Frau ihm dahin folge. Der Vermieter
verpflichtete sich, Ofen und Kochherd, dienoch fehlten, in kürzester Frist
zu beschaffen. Als jedoch der Kläger die Beklagte hievon benachrichtigte,
mitdem Ersuchen, nun wieder zu ihm zu kommen, erhielt er alsAntwort den
Gegenvorschlag, er möchte zu ihr nach Fajauna

ziehen, da ihre Eltern ihnen das Heimwesen überlassen würdenEine Einigung
kam nicht zu stande.

Mit Brief vom 6. Februar 1898 teilte die Beklagte dem Manne mit, dass
sie am 20. Januar 1898 von einem Knaben

entbunden worden sei; sie bat ihn um einen Besuch und um]. Civilstand
und Ehe. N° 1. 3

Vornahme der Zurüstungen zur Taufe. Der Kläger aber erklärte in seiner
Antwort vom 8. Februar, dass er sich weder um fie, noch um das Kind
bekümmern werde, so lange sie nicht zurückkehre. Daraufhin richtete die
Beklagie an die Vormundschastsbehörde Schiers das Begehren, es möchte bei
der gänzlichen Teilnahmslosigkeit ihres Mannes dem Knäblein Valentin ein
Vormund, ihr selbst ein gerichtlicher Beistand bestellt werden Bei der
Verhandlung vor der Vormundschaftsbehörde im Juli 1898 bestritt Vater Luk,
welcher allein das Wort führte, obgleich sein Sohn auch anwesend war, die
Notwendigkeit atntlicher Fürsorgeda der Kläger seine Familienpslichten
erfüllen werde, sofern die Frau wieder mit ihm zusammenlebe Die Behörde
wies ihr Begehren ab.

Am 19. November 1898 erliessdas Gerichtspräsidium Unterlandquart auf
ein Gesuch des Klägers die amtliche Aufforderung an die Beklagte,
binnen 6 Monaten die eheliche Gemeinschaft wieder herzustellen. Als
Antwort hierauf erwirkte sie eine amtliche Aufforderung an den Kläger,
nach Fajauna zu kommen, und beschwerte sich später neuerdings bei
der Vormundschaftsbehörde, dass ihr Mann seinen Verpflichtungen nicht
nachlebe.

Nachdem zwei 'Sühneversuche, im August 1899 und im Dezember 1900,
erfolglos geblieben waren, reichte der Ehemann am 20. Dezember 1900
beim Bezirksgericht Unterlandquart folgende Klagbegehren ein: Die Ehe
sei definitiv zu scheiden, die Beklagte habe dem Kläger für Unbill
und Verweigerung des ehelichen Zusammenlebens 1000 Fr. zu bezahlen,
das in der Ehe erzeugte Knäblein sei dem Kläger zur Erziehung aus
seine Kosten zuzusprecheu. Die Klage stützt sich auf Art. 46 litt. d
des Bundesgesetzes betreffend die (She, vom 24. Dezember 1874, da sich
das Verhalten der Beklagten als böswillige Verlassung darstelle. Jn
ihrer Prozessantwort erklärt sich jene mit der Scheidung einverstanden,
verlangt jedoch für sich Zuspruch des Kindes zu Pflege und Erziehung,
unter Verpflichtung des Klägers zu dessen Alimentation mit 180 Fr. pro
Jahr bis zum vollendeten 16. Altersjahrz ferner beantragt sie Abweisung
der eingeklagten Entschädigungsforderung Sie führt zur Begründung aus,
dass die Verhältnisse im Hause ihrer Schwiegereltern, an welchen das Ge-

4 Civilrechtspflege.

bahren dieser selbst, sowie die Unselbständigkeit und Energielosigkeit
des Klägers schuld seien, ein eheliches Zusammenleben unmöglich gemacht
h&tten, dass sie später infolge ihrer Schwangerschast dem Manne nicht
in die ungenügend eingerichtete neue Wohnung hätte folgen können, dass
der Kläger überhaupt seine Pflichten als Gatte und Vater vollständig
dernachlässige Die Vorinstanz sieht in dieser Antwort der Beklagten
einen Anschluss an die Klage und folgert daraus, dass ein gemeinsames
Scheidungsbegehren vorliege, welches die Anwendung von Art. 45 des
Bundesgesetzes betreffend die Ehe erfordere. Sie konstatiert sodann
tiefe Zerrüttung des ehelichen Lebens, deren Ursachen einerseits in dem
wenigstens formell unberechtigten Wegzuge der Frau, anderseits in dem
unkorrekten Verhalten des Mannes und seiner Eltern liegen,1tnd schliesst
namentlich aus der Gleichgültigkeit des Mannes gegenüber Frau und Kind,
dass ein ferneres Zusammenleben mit dem Wesen der Ehe unverträglich sei.

2. Die vorliegende Scheidungsklage beruft sich auf Art. 46 litt. d
des Bandes-gesetzes betreffend die Ehe, also auf einen speziellen
Scheidungsgrund. Das Bezirksgericht aber hat die Linganten _ aus
dem generellen Grunde des Art. 45 cit. geschieden, ohne zunächst die
Anwendbarkeit des Art 46' einer Prüfung zu unterziehen Darin liegt, wie
der Kläger zutreffend aussuhrt, ein Verstoss gegen den klaren Sinn des
citierten Gesetzes und gegen die konstante bundesgerichtliche Praxis. Es
ist daher vorab zu untersuchen, ob die vorn Kläger behauptete böswillige
Verlassung vorliegt. Was unter böswilliger Verlassung zu verstehen sei,
ist in der angerufenen Gesetzesstelle nicht näher definiert; der Begriff
ist daher in Übereinstimmung mit der Doktrin (vgl. Martin, Commentaire
de la loi fédérale concernant le mariage, page 164) dahin zu bestimmen,
dass sich ein Ehegatte wider den Willen des andern ohne rechtmässigen
Grund aus der ehelichen Wohnung entfernt und sich weigert, dorthin
zurückzukehren. Also bedeutet nicht schon das Verlassen an sich nach be-
stehendein Gesetz ein Vergehen gegen die ehelichen Pflichten sondern eine
Verletzung derselben liegt nur vor, sofern der verlassene Ehegatte unter
gegebenen Verhältnissen Anspruch auf das eheliche Zusammenleben zu erheben
berechtigt ist; denn nur in der Zu-!. Civilstand und Ehe. N° 1. _ 5

widerhandlung gegen jenen berechtigten Anspruch kann eine Böswilligkeit
gefunden werden. Nun ist, wie das Bundesgericht schon in seinem
Urteil vom 30. Dezember 1886, i S Räber (vergl. Amtl Samml. der
bundesgerichtl Entscheid Bd. XII, S 499), wenigstens indirekt,
ausgesprochen hat, das Recht des Ehemannes, den ehelichen Wohnsitz zu
bestimmen (das ihm in casu nach § 37 des Privatrechts für den Kanten
Graubünden zusteht), unzweifelhaft nicht absolut zu verstehen; denn
die heutige sittliche Auffassung der ehelichen Gemeinschaft verlangt,
dass die äusseren Lebensverhältnisse in derselben soweit möglich der
Individualität beider Ehegatten entsprechen sollen, dass daher" in dieser
Hinsicht nicht der Wille eines Teils schrankenlos massgebend sein darf
Daraus ergibt sich die Berechtigung der Frau, gegenüber der formellen
Besiimmungsgewalt des Gatten, eine der sozialen und ökonomischen Stellung
der Familie, sowie ihren persönlichen Verhältnissen angemessene Wohnung zu
beanspruchen. Prinzipiell und theoretisch mag dieser Anspruch die Gründung
einer separaten ehelichen Haushaltung involvieren, allein das praktische
Leben bietet vielfach Ausnahmen hievon, die an sich im wohlverstandenen
Interesse beider Eheleute liegen, so dass es unbillig erscheinen würde,
wenn ein Teil ohne speziellen Grund die Auflösung des gemeinschaftlichen
Haushaltes von Rechtswegen fordern könnte. Anderseits darf freilich
selbst einem ausdrücklichen Einverständnis der Gatten über die Gestaltung
des ehelichen Hauswesens nicht die Bedeutung beigelegt werden, dass
dadurch alle später eintretenden Verhältnisse impticite gebilligi
worden waren; eine solche Anschauung würde dem Wesen der Ehe durchaus
widersprechen und sie unter Missachtung ihrer ethischen Beziehungen zur
rein ökonomischen Gemeinschaft herabsinken lassen Vielmehr muss jedem
Ehegatten das Recht gewahrt bleiben, jederzeit, wenn die Zustände in einer
gemeinschaftlichen Haushaltung derart sind ein eheliches Zusammenleben
unmöglich zu machen, sich diesen Verhaltnissen zu entziehen, und es
ist als Pflichtverletzung von seiten des andern Gatten zu betrachten,
wenn er nicht zur Änderung des unerträglichen Zustandes beiträgt

Im vorliegenden Falle ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen
der Vorinstanz, dass die Verhältnisse im Hause der

6 Civilrechtspflege.

Eltern des Mannes zweifellos ein gedeihliche-s Zufammenleben der Ehegatten
nicht ermöglichten. Daher kann gemäss den vor: stehenden Erwägungen im
Vkrhalten der Beklagten, welche nach oergeblichem Bemühen, eine Anderung
herbeizuführen, schliesslich ihren Ehemann verliess, eine Verletzung der
ehelichen Pflichten nicht gefunden werden, sondern es lag vielmehr in der
Pflicht des Klägers, den eingetretenen Missstand zu beseitigen. Dieser
Pflicht wurde Genüge getan, indem er im Herbst 1897 eine selbständige
Wohnung mietete und seine Frau aufsorderte, ihm dorthin zu folgen. Wenn
sich nun die Beklagte dessen weigerte,

so konnte sie sich mit Grund nur darauf Berufen, dass diese -

Wohnung ihren Verhältnissen nicht angemessen sei; dies tat sie jedoch
nicht, sondern aus ihrer Antwort auf den Brief des Klägers ergibt sich,
dass sie offenbar über die gegenseitige rechtliche Stellung der Ehegatten
falsch unterrichtet ist und von der Auffassung ausgeht, der Ehemann sei
verpflichtet, sich nach dem Domizil seiner Frau zu richten. Sie erhebt
in diesem Briese auch keine Einwendung wegen mangelhaster Einrichtung der
offerierten Wohnung Wenn daher ein solcher Einwand später geltend gemacht
wird, so kann er nicht ernst genommen werden, besonders da die sofortige
komplete Jnstandstellung der Wohnung vertraglich zugesichert war und die
Beklagte nicht versucht hat die Zuverlässigkeit dieses Versprechens in
Zweifel zu ziehen. Somit qualifiziert sich die Erklärung der Beklagten
als grundlofe Verweigerung des ehelichen Zusammenlebens. Sie setzt
sich dadurch ins Unrecht, ihre Verlassung wird zu einer böswilligen im
Sinne des Gesetzes. Die Frist des Art. 46 litt, d beginnt mit diesem
Moment zu lauer und ist daher zur Zeit der Klagerhebung erfüllt. An
dieser rechtlichen Situation vermag die Tatsache nichts zu ändern,
dass der Kläger seither keine ernstlichen Schritte mehr unternahm,
um eine Wiedervereinigung herbeizuführen Auch der an sich begründete
Vorwurf der Unselbständigkeit und Energielosigkeit kann ihn jetzt,
da er seine Pflicht erfüllt, nicht mehr belasten.

Ebenso berechtigt ist das weitere Vorgehen des Klägers, wenn er seiner
Frau die amtliche Aufforderung zur Rückkehr zustellen lässt. Die Beklagte
erhebt auch hierauf keine materiellen Einwendungen, sondern beharrt mit
ihrer Gegenaufforderung einfachI. civitstand und Ehe. N° 1'. 7

san dem vermeintlichen Recht, und lässt die gesetzliche Frist zur
Folgeleistung unbenützt verstreichen.

3. Ergibt sich sonach, dass die in Art. 46 litt. d des citierten
Gesetzes aufgestellten Requisite erfüllt sind, so ist die Ehe aus idem
speziellen Grunde der böswilligen Verlassung zu scheiden und damit auch
die Rechtsfolge des Art. 48 leg. cit. auszusprechen Es kann deshalb
dahingestellt bleiben, ob überhaupt in der Prozessantwort der Beklagten
ein Anschluss an das ScheidungsbeIgehren des Klägers zu erblicken sei,
ob also, wie die Vorinstanz annimmt, ein gemeinsames Scheidungsbegehren
im Sinne von Art. 45 Leg. cit. vorliege, das die Anwendung dieser
Gesetzesstelle serfordere.

4. Was die übrigen Berufungsbegehren betrifft, so sind sie als unbegründet
abzuweisen Jnsbesondere ist den Motiven der Vorinstanz beizustimmen,
wenn sie die Schadenersatzforderung des Klägers verwirft, da er nicht
von aller Schuld am Zerwürsnis im Hause seiner Eltern und damit an dessen
Folgen freizusprechen sei, anderseits die Frau fast kein Vermögen besitzt.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

1. Die Berufung wird in dem Sinne gutgeheissen, und das Urteil der
Vorinstanz dahin abgeändert, dass die Ehe der Zittganten gemäss Art. 46
litt. d des Bundesgesetzes betreffend Civilstand und Ehe geschieden
wird. Der Berufungsbeklagten ist nach Art. 48 des eitierten Gesetzes
untersagt, sich vor Ablauf eines Jahres seit der Scheidung wieder zu
verehelichen.

2. Im übrigen wird die Berufung abgewiesen
Information de décision   •   DEFRITEN
Document : 28 II 1
Date : 22 janvier 1902
Publié : 31 décembre 1903
Source : Tribunal fédéral
Statut : 28 II 1
Domaine : ATF - Droit civil
Objet : V Inhaltsverz eichnis. Seite IX. Fabrikund Handelsmarken. iarques de fabrique .


Répertoire de mots-clés
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