288 A. staatsrechtlicheEntscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung

IV. Pressfreiheit. Libertè de la presse.

54. Urteil vorn 27. September 1900 in Sachen Zai-Kappeler gegen Jäger.

Stellung des Bmdesgerlchles bei slaatsrechllz'chen Rekursen wegen
Verleézmrg der Pressfreiàeit. Persifllerender Zeitungsartikel, der
einen Politiker und Journalisten lächerlich macht ; Verue'teilung wegen
Ehr-uerletzu-ng ; verstò'ssé diese Verurteilung gegen den Grundsatz.
der Pressfreilaeil .?

A. Im Mai, Juni und Juli 1899 herrschte in der anrganischen Presse
eine Polemik über ein Brückenprojekt Lauffohr oder Stills, wobei das
Aargauer Tagblatt Artikel und Einsendungen enthielt, die das Projekt
Laufsohr-Turgi verteidigten, während die Schweizer Freie Presse,
deren oerantwortlicher Redaktor der heutige Kläger und Reknrsbeklagte
Nationalrat Jäger ist, Korrespondenzen zu Gunsten des von der Regierung
vorgeschlagenen Projektes Stilli enthielten Die Polemik nahm bald
persönlichen Charakter an; es sprach insbesondere der heutige Beklagte
und Rekurrent, Fabrikant Zai-Kappeler in Turgi, von Nepotisiiius,
Verschleuderung der Staatssinanzen u. s. w., wogegen ihm in Artikeln
der Zeitung des Rekursbeklagten gemeine Manier der Verdächtigung und
Beschimpfung von Personen und Behörden eine Marder, die aus den Abruzzen
stammt und mit Revolver und Dolch sich ein Faustrecht verschaffen will,
ferner die Anwendung verwerflicher Mittel, welche gewisse rücksichtslose
Zwänger und Egoisten gewohnt seien, vorgeworfen wurde; gesagt war ferner
in einem Artikel der Schweizer Freien Presse vom 10. Juni 1899, der
sich alsEingesandt aus dem Bezirk Zurzach bezeichnet: fin der Gegend
von Turgi-Windisch hat eine Industrie, die sich heute auf einmal so
hungerleiderisch geberdet, durch Ausbentung von Wasserund Menschenkraft
eine Generation von Millionären erzeugt, während daneben Tausende in
Armut und Not verblieben ..... Wenn einmal bei mrs da unten einige
Millionär-IV. Pressfreiheit. N° 54. 289

Familia! erzeugt worden find, werden dieselben hoffentlich ihre sozialen
Verpflichtungen gegen die Landesgegend anders auffassen, als diejenigen,
die in der Gegend von angi-Windisch durch neidisches, gehäffiges Gebahren
gegen Mitbewerber um öffentMfiche Einrichtungen die Hilfe des Staates
für sich allein als gerecht und erlaubt erklären. Weiterhin sprach der
Rekursbeklagte von der dummdreisten Jnsinuation in Nr. 160 des Aargauer
Tagblatt, und in der Nummer der Schweizer Freien Presse vom 22. Juni
1899 war in einer Korrespondenz von der untern Aare u. a. gesagt, es
sei im Aargauer Tagblattll in feiger und schmutziger Weise über Herrn
Nationalrat Jäger hergefallen worden. Da erschien im Aargauer Tagblatt
vom 4. Juli 1899 unter dem Titel Herr Nationalrat Jäger und die Lauffohrer
Britckenfrage folgendes-: In Kaiserstuhl soll, nach einer uns zugehenden
Korrespondenz, letzten Sonntag eine Volksversammlung abgehalten worden
sein, behufs Stellungnahme zur Lauffohrer Brückenfrage Als Reserent war
Herr Nationalrat Jäger geladen, neben einigen Vertretern der benachbarten
Zürcher und badischen Gemeinden

Präsident: Herr Nationalrat Jäger wird über die Laufs-Ihrer Brückenfrage
referieren; der Herr Nationalrat Jäger hat das "Wert.

Nationalrat Jäger: Liebe Mitbiirgerl Jch komme heute zu (Such im Namen
des radikal-demokratischen Wohlfahrt-sausschusfesl Das Land ist in Gefahrl
Hannibal ante portasl Die Hydra des Kapitalismus erhebt heute frecher als
je ihr scheussliches Haupt und reisst den unersättlichert Rachen weit auf,
alle unsere herrlichen Freiheiten zu verschlingen Das ist der Feind und
die Lauffohrer Brücke heute seine Parole, seine Fahnel Diese Frage war
tot und begraben, das wird Euch der Herr Baudirektor bezeugen ;" aber
diesen Zwängern, diesen Protzen ist selbst der Tod nicht heilig! Und
warum musste sie wieder aufleben? Damit diese modernen Zwingherreu das
Wand wieder in ihre Gewalt bringen können und es beherrschen! Wollt Jhr
Beweise-? Betrachtet nur diese skrupellosen Vertreter des Kapitalismus,
diese Verteidiger der verkappten Tyrannei, wie sie bald mit Lift, bald
mit Gewalt, bald sFudhs, bald

290 A. Siaaisrechtliche Entscheidungen. 1, Abschnitt. Bundesverfassung.

Wolf unserer Strassen und Brücken sich zu bemächtigen suchen. Seid ans
der Hut, Bürgerl vor diesen feigen Wegelagerern aus den Abruzzen, vor
diesen . . . .

Präsideni : Jch bitte, der Herr Referent möchte auf die Sache
eintreten. ss

Nationalrat Jäger: Ja, also zur Sache. Unsere Interessen achten sie
nicht, unsere Vorschläge bekämpfen fie. Mein verehrter Freund Schulthesz
proponiert ihnen einen Steg. Das ist noch zu viel für diese Generation von
Millionären Wir sagen heute mit den ersten Nationalökonomen des Landes:
Die Brücken und Strassen dem Voli; den Kapitalisten, den Fabrikanten
die SteuerzeddelI

Präsident: Vielleicht interessiert die Versammlun von den verschiedenen
Projekten etwas zu vernehmen.

Nationalrat Jäger: Za, vom Projekt Schulthess haben Sie gehört. Durch
den Kantonsingenieur vernahm ich, dass neben feinem eigenen, dem besten,
auch ein Projekt Statnmbach exisiiere. Von andern Projekten weiss ich
nichts-, die Baudirektion weis3 auch nichts-; aber wenn solche wirklich
vorhanden sein teilten, werden wir die perfiden Machwerke des Kapitalismus
öffentlich zu brandtnarken wissen. Jhr könnt aus mich, Jhr könnt aus
Euern Nationalrat zählen!

Präsident: Ich verdanke dem Herrn Nationalrat sein gründliches Referat
und schliesse mit einer warmen Empfehlung dieses wackeren Vertreters
des Armen Marines für die künftigen Wahlen.

Der Stenograph.

Verfasser und Einsender dieses Artikels ist unbestrittenermassen der
Nekurrentz ebenso ist zugegeben, dass das ganze eine Fiktion isf. Der
Rekursbeklagte erhob wegen dieses Artikels gegen den Redaktor des Aargauer
Tagblattes und, nachdem dieser den Rekurrenten als Einsender genannt,
gegen diesen allein Strafklage wegen Ehrverletzung Das Bezirksgericht
Aarau erkannte unterm l. August 1899, der Beklagte habe sich durch die
Veröffentlichan des eingeklagten Artikels der Ehrverletzung gegenüber
dem Klager schuldig gemacht, oernrteilte ihn zu einer Busse von 30 Fr.

eventuell zu ?"/,2 Tagen Gefangenschaft, erklärte die
EhrverletzungIV. Pressù'eiheit. N° 54. 29}

von Richteramtswegen als aufgehoben und die Ehre des Klägers am Protokoll
gewahrt, legte dem Beilagten die Kosten auf und sprach dem Kläger das
Recht zu, das Urteil auf Kosten des Beklagten im Aargauer Tagblatt einmal
zu veröffentlichen. Den vom Beklagten gegen dieses Urteil gerichteten
Rekurs hat das Qbergericht des Kantons Aargau vom 23. Dezember 1899
abgewiesen, unter Versällung des Beklagten in die gerichtlichen und
aussergerichtlichen Kosten der zweiten Instanz. Das erstinstanzliche
Urteil ist folgendermassen begründet: Wenn man auch zugeben wofle, dass
der Beklagte bei den Lesern des Aargauer Tagblattes nicht den Glauben
habe erwecken wollen, der Klager habe die Rede wirklich gehalten, so
habe er ihn doch als einen Menschen kennzeichnen wollen, der fähig wäre,
in solcher Weise öffentlich aufzutreten und zu sprechen. Damit aber
sei der Kläger als Marr, alshohler Phrasenmacher bezeichnet, und darin
liege das ehrverletzende Nioment des inkriminierten Artikels. Dass der
Kläger die ihm in den Mund gelegten Ausdrücke schon gebraucht und sich
ihrer oder ähnlicher speziell dem Beklagten gegenüber bedient habe, sei
unerheblich; der Beklagte habe nicht Gegenklage erhoben; im übrigen sei
der Artikel als ganzes zu betrachten und sei der Wahrheitsbeweis, dass
der Klager fähig ware, eine derartige Rede zu halten, noch keineswegs
erbracht Durch die Behauptung, der Artikel sei eine Satire, werde dessen
ehrverletzende Charakter nicht beseitigt; eine Satire sei nur so lange
erlaubt und nicht strafhar, als sie nicht die Ehre einer bestimmten Person
widerrechtlich angreifez gerade das sei aber vorliegend geschehen, da der
Kiäger alshohler Phrasenund Proselytentnacher und als blinder politischer
Streber hingestellt worden sei und ihm so Eigenschaften beigelegt werden,
die geeignet seien, sein Ansehen herabzumindern. Das nbergericht findet
die Strafbarkeit des eingeklagten Artikels schon darin, dass der Beklagte
gewisse Vorgänge fingiert habe, um damit den Kläger zu verspotten Der
Kläger werde der allgemeinen Verachtung preisgegeben Nicht die Form der
Publikaiion die freilich nichts ehrverletzendes enthalte sei entscheidend,
sondern deren Zweck, und über diesen könne kein Zweifel bestehen.

B. iliunmehr hat der Beklagte rechtzeitig und in richtiger Form

292 A. Staatsx'echdiche EntscheidungenI. Abschnitt. Bundesverfassung.

gegen die beiden kantoncilen Urteile den staatsrechtlichen Rekurs an
das Bundesgericht wegen Verletzung der Presssreiheit eingelegt, mit
dem Antrage, diese Urteile seien als verfassungswidrig auszuheben.
In der Rekursschrist wird unter teilweiser Verweisnng auf die dein
Obergericht eingereichte Beschwerde ausgeführt, eine Verletzung der Ehre
des Rekursbeklagten liege in dem eingeklagten Artikel nicht; dieser
enthalte eine Satire, eine Parodie, die nicht strafbar sein könne,
zumal lediglich der Ton, den der Rest-ursbeklagte in seiner Zeitung dem
Rekurrenten gegenüber angeschlagen hab-e,parodiert sei. Die Bestrafung
eines derartigen Artikels vente-Be gegen die verfassungsmässig garantierte
Pressfreiheit.

C. Der Rekursbeklagte trägt auf Abweisung des Rekurses an. Die
Antwortschrift bemerkt zunächst, es gehe nicht an, den Rekursbeklagten
für jene Korrespondenzen aus dein Juni 1899 verantwortlich zu machen,
da er damals in Bern den Sitzungen denBundesversammlung beigeivohnt
habe, und hält sodann, im Wesentlichen im Anschluss an die Begründung
der angesochtenen lirteile, daran fest, dass der inkriminierte Artikel
eine Ehrverletzung gegenüber dem Rekursbeklagten enthalte.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Nach der dem Bundesgericht bei Rekursen wegen Verletzuua
der Preszsreiheit durch ein kantonales Strafurteil eingeräumten
Stellung hat es zu untersuchen, ob in dem betreffenden Strafurteil
zu Unrecht eine strafbare Handlung erblickt und dadurch der
öffentlich-rechtliche,derfassungsmässige Anspruch auf Schuss der
Presssreiheit verletzt worden sei (ng. Urteil des Bundesge: richte-s
vom st. Januar 1900 in Sachen Schneider gegen Jäger, Amte Santini.,
Bd. XXVI, 1. Teil, S. 41 ff., Erw. 1). Die Frage der richtigen Anwendung
und Auslegung des kantonalen Strasrechtes die an sich dem kantonalen
Strafrichter vorbehalten ist, greift bei derartigen Rekursen über in
die Frage der Verletzung eines durch die Bundesverfassung geschützten
Individualrechts positiven Inhalts, und es ist daher vom Bundesaericht
zu primm, ob nicht in der Anwendung und Auslegung jenes kautenalen
Strafgesetzes eine Verletzung dieses verfassungsmässig zukzkslcherten
Rechts liege. Danach ist denn vorliegend zu untersuchen, ob die
aargauischeu Gerichte im eingeklagten Artikel mit[V. Pressfreiheit. N°
54. 293

Recht eine Ehrverletzung erblickt haben; denn wenn diese Frage bejaht
werden mug, dann kann von einer Verletzung der Presssreiheit keine
Rede sein, da strafbare Handlungen, und so auch Ehrverletzungen,
durch die Pressfreiheit nicht gedeckt sind; ist dagegen jene Frage zu
verneinen, so folgt daraus, dass ein Eingriff in die verfassungsmässig
zugesichertePressfreiheit vorliegt Auf Grund einer andern Bestimmung, als
derjenigen über Ehrverletzung, haben die kantonalen Gerichte den Artikel
nicht für strafBar gehalten; die Fragestellung: Jst der eingeklagte
Artikel durch den Grundsatz der Pressfreiheit gedeckt? muss also zu
demselben Resultate führen, wie die andere: Enthält der eingeklagte
Artikel eine Ehrverletzung ? Von diesem doppelten Standpunkte aus ist
daher der eingeklagte Artikel zu betrachten.

2. Wird der eingeklagte Artikel auf seinen Inhalt geprüft, so ergibt sich,
dass derselbe eine singierte Berichterstattung über eine ebenfalls
singierte Volksversammlung ist, dass dabei dem Rekursbeklagten
nichtssagende, bombastische Kraftausdriicke gegen seine politischen
Gegner-, gegen den Kapitalisrnus u. s. w., in den Mund gelegt werden und
dass er hiefür vom Präsidenten der singierten Versammlung zur Wiederwahl
als Nationalrat empfohlen wird. Zweck dieses Artikels war, das öffentliche
politische Auftreten des Rekursbeklagten ins grotesk-lächerliche zu ziehen
und ihn so dem Gelächter und dem Gespötte preiszugeben, vielleicht auch,
ihm in seinem politischen Ansehen als Nationalrat zu schaden; Mittel zu
diesem Zwecke war die Übertreibung und sinnlose Aneinanderhäufung von
Ausdrücken, die im Blatte des Rekursbeklagten in schwächerer Form und
in sinngemässem Zusammenhange gegen den Relurrenten gebraucht worden
waren. Der Artikel charakterisiert sich demnach als eine Persiflage des
politischen Auftretens des Rekursbeklagtenz ehrverletzende Ausdrücke
gehen ihr auch nach der Ansicht der angesochtenen Urteile ab. Nach seinem
Inhalte und Zwecke enthält nun der Artikel zwar wohl einen Angrisf gegen
die Persönlichkeit des Rekursbeklagten im weitern Sinne wie dies auch der
rein sachlich gehaltene politische Angrisf that, in gewissen Beziehungen
auch eine Kritik über wissenschaftliche und künstlerische Leistungen;
allein die Ehre des Rekursbeklagten ist dadurch nicht verletzt. Zum
Begriffe

294 A. Siaatsrechtîiche Entscheidungen. l. Abschnitt, Bundesverfassung.

der Ehrverletzung gehört die Herabwiirdigung des sittlichen Wertes der
Persönlichkeit, das Verächtlichmachen derselben; das Lächerlichmachen, dem
Spotte preisgeben, erfüllt den Thatbeftaud der Ehr- verletzung nicht, wenn
nicht die persönliche sittliche Qualität des Angegrisfenen herabgewürdigt
ist. Vorliegend kann nun von einer derartigen Herabwürdigung der
Persönlichkeit des Rekursbeklagten durch den eingeklagten Artikel durchaus
keine Rede sein; fein sittlicher persönlicher Wert wird völlig intakt
gelassen, er wird nicht eines unehrenhafteu, eines ehrlosen Verhaltens
bezichtigt, sondern es wird nur sein öffentliches Auftreten in allerdings
derber (und überdies plumper) Weise perfifliert. Das Benutzen, ja selbst
das Erdichien körperlicher, geistiger und äfthetischer Mängel, um ihren
Inhaber dem Gelächter und Spotte anheim zu geben, etwa durch Karikaturen,
Nachahntungen, Travestierungen, Jronien, schliesst keine Ehrverletzung
in sich (vgl. Binding, Grundriss des Strafrechtes, II, Teil, 1. Hälfte,
S. 59), da der sittliche Wert der Persönlichkeit dabei ganz ausser Frage
steht. Derartige Angriffe haben zu allen Zeiten und bei allen Völkern,
wo ein regeres geistiges Leben geherrscht hat, einen besondern Zweig
der Litteratur und der Kunst gebildet; und auch wenn sie, wie hier,
auf litterarischen und künstlerischer-( Wert durchaus keinen Anspruch
erheben können, müssen sie als erlaubt gelten. Und ganz besonders gilt
das Gesagte vom öffentlichen Auftreten einer politischen Persönlichkeit
Derartigen Angriffen wird eine Person, die in die Offentlichkeit,
namentlich in die politische und jonrnalistische Osfentlichkeit tritt,
naturgemäss in stärkerem Masse ausgesetzt sein, als eine andere, bei der
dies nicht der Fall ist. Jenes öffentliche Auftreten ist strafrechtlich
durch den Schutz der Ehre nur insoweit gedeckt, als die private Ehre des
Betroffenen in dem oben angegebenen Sinne in Frage kommt; weiter, speziell
also auf das Auftreten als solches, erstreckt sich der strafrechtliche
Schutz nicht: Der politisch Auftretende hat wohl, wie Jedermann, einen
vom Strafgesetze beschützten Anspruch daraus, nicht in seiner sittlichen
Würde und Persönlichkeit angegriffen zu werden; aber einen Anspruch
darauf, dass von ihm stets nur sachlich gesprochen werde, und dass sein
Auftreten nicht ins Lächerliche gezogen werde, besitzt er nicht; eine
spezielle politische Ehre etwa istIV. Pressfreiheiî. N° 54. ' 295

fein vom Strafgesetz-, auch nicht vom aargauischen, anerkannte-Z
Nechtsgui. Übrigens kann auch gesagt werben, dass der eingeklagte Artikel
umso milder beurteilt werden darf, als er jedenfalls die Wirkung der
Schädigung des Ansehens des Refin-Ebe: klagten kaum erreicht hat und
auch kaum geeignet war, das zu than, da gewiss nur wenige Leser des
Aargauer Tagblattesii den Artikel ernst genommen und geglaubt haben,
der Rekursbeklagte habe in der That eine so einfältige Rede gehalten
Fällt aber danach der eingeklagte Artikel nicht unter den Begriff
der Ehrverletzung, so verstösst seine Bestrafung als Ehrverletzung
gegen den Grundsatz der Presssreiheitz denn alsdann steht fest, dass
etwas als Missbrauch der Preszfreiheit bestraft wurde, was in That
und Wahrheit ein Missbrauch nicht isi. Und es zeigt sich wohl gerade
in diesem Falle, dass der Grundsatz der Pressfreiheit ein positives
Jndividualrecht öffentlich-rechtlicher Natur erzeugt des Inhalts-,
dass innerhalb der Schranken der Respektierung der privaten Ehre
im Rechtssinne auch persönliche Angriffe politisch hervortretender
Männer durch Verspottung, Karikatur u. dgl., wenn auch unter andern
Gesichtspunkten nicht einwandsfrei, so doch vom Standpunkte des Rechts
aus, straflos find; es ist gewiss zu sagen, dass ein Strafgesetz, das
derartige Handlungen verbieten wollte, dem Grundsatze der Pressfreiheit
zuwiderlausen würde. So ergibt sich auch vom positiven Standpunkte der
Pressfreiheit aus die Straflosigkeit des eingeklagten Artikels

3 Danach ist denn der Rekurs begründet zu erklären und somit das
Urteil des Obergerichtes aufzuheben Das Begehren der Aufhebung
des bezirksgerichtlichen Urteils ist dagegen überflüssig, da ja das
obergerichtliche Urteil an Stelle des untergerichtlichen getreten ist
und mit Aufhebung des erstern die Verfassungsverletzung aufgehoben wird.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird als begründet erklärt und somit das Urteil des
Obergerichtes des Kantons Aargau vom 23. Dezember 1899 aufgehoben
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 26 I 288
Datum : 27. September 1900
Publiziert : 31. Dezember 1901
Quelle : Bundesgericht
Status : 26 I 288
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 288 A. staatsrechtlicheEntscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung IV. Pressfreiheit.


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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