494 Staatsreehiliche Entscheidungen. I_V. Abschnitt. Staatsrat-träge-
Vierter Abschnitt. Quatrième section.
Staatsverträge der Schweiz mit dem Ausbian
Traités de la Suisse avec l'étranger.Staatsverträge über civilrechtliche
Verhältnisse. Traités concernant les rapports de droit civil.
Vertrag mit Frankreich vom 15. Juni 1869. Traité avec la. France du 15
juin 1869.
98. Urteil vom 4. Oktober 1899 in Sachen Rampini gegen Rampini. Art. 15
des obgenannten Vertrages. Vollste'eckbarkeét'eeines em Adheîsionsprozesse
ergangenen Urteiles über den Cwezîpunktss
Anwendbarkeit des cit. Vertrages ohne Rücksicht auf die Naj tionalitää
dee" Passréeien in seinem zwei-ten Teig. Art. 17 Zeffe-ri
eod.
A. Durch Zahlungsbesehl vom 22. Juli 1899 liess Gabriel Rampini in
Paris den Peter Rampini in Noveredo durch dasdortige Betreibungsamt
für einen Betrag von 589 Fr. ,26 Ets. nebst Zinsen Betreiben. Die
Forderung stutzte sich auf eig tät-teil des Appellationshoses von Paris,
vom 1 Februar 189 ,f un? welches Peter Rampini, in Bestätigung eines
Urteils des fg?tionellen Gerichts des Seinebezirks vom 7..Senteinber ,
wegen Körperverietzung zu vier Monaten Gefanguts unda gegenüber der
Civilpartei, Gabriel Rampini, zu einer Entschadigungstaaisverträge über
civilrechil. Verhältnisse. Mii Frankreich. N° 98. 495
von 500 Fr sowie zu den Kosten verurteilt worden war. Der Betriebene
schlug Recht vor, woraushin Gabriel Rampini vom Kreisamt Roveredo
Rechtsössnung verlangte. Mit Entscheid vom 14. August 1899 wies dieses
das Begehren ab, weil das Urteil, auf welches sich die Forderung stütze,
von einem Strafgerichte ausgehe und deshalb nicht unter den Art.15 des
französischschweizerischen Gerichtsstandsvertrages falle.
B. Gegen diesen Entscheid beschwert sich Gabriel Rampini beim
Bundesgericht, weil er eine Justizverweigerung und eine Verletzung des
erwähnten Gerichtssta1idsvertrages, speziell der Art. 15, 16 und 17
desselben, in Verbindung mit den Art. 80 und 81 des Bundesgesetzes
über Schuldbetreibung und Konkurs enthalte. Nach den angeführten
Bestimmungen dieses Gesetzes hätten seinem Rechtsösfnungsbegehren nur
die im Gerichtsstandsvertrag vom 15. Juni 1869 vorgesehenen Einwendungen
entgegengehalten werden können. Dies-bezüglich könne nur Art. 17 Biff. 1
des Vertrages in Betracht fallen. Nun bedürfe es aber keiner weitern
Begründung, dass die Pariser Gerichte zur Behandlung der Strafklage
kompetent gewesen seien. Aber auch zur Beurteilung der Civilklage im
Adhäsionsprozesse seien sie kompetent gewesen, weil nach konstanter
Praxis des Bundesgerichts forum delicti cornmissi zuständig sei,
Forderungsklagen im Anschluss zu behandeln, und, zwar auch dann, wenn
der Beklagte seinen Wohnsitz nicht an dem Ort habe, an welchem er die
Schädigung verübte. Es liege kein Grund pm:, diesen Grundsatz nicht auch
im Rechtsverkehr mit einem Staate anzuwenden, zu welchem die Schweiz
in einem Vertragsverhältnisse fiche. Übrigens habe Peter Rampini die
Kompetenz der französischen Gerichte selbst anerkannt dadurch, dass er
sich Vor denselben einliess. Es bleibe somit bloss die Frage zu prùfen,
ob sich die im Staatsvertrage zugesicherte Vollstreckung von Urteilen
auch auf solche beziehe, welche zwar Civilansprüche behandeln, aber von
einem Strafgerichtshof ausgehen. Dies müsse aber nach der Überschrift des
Vertrages und dem allgemein gehaltenen Wortlaut des am. 15 bejaht werden.
C. Die Antwort des Peter Rampini gründet den Antrag auf Abweisung
des Rekurses in erster Linie darauf, dass man es mit einem von einem
Strafgericht ineinem Strafversahren ausgefäilten Strafurteil zu thun habe;
für ein solches aber sei die
496 Staatsrechiliche Entscheidungen. JV. Abschnitt. Staatsverträge.
Vollstreckung im schweizerisch-sranzösischen Gerichtsstandsvertrag nicht
zugesichert, und es brauche auch der die Civilfrage beschlagende Teil
eines solchen, in dem einen Vertragsstaate ausgefällten Urteils im andern
nicht exeqniert zu werden. Nicht einmal unerkantonal sei die Exekution
eines Adhäsionsurteils anerkannt, da Art. 61 der Bundesverfafsung
diese nicht umfasse. Um so weniger könne die Vollstreckbarkeit im
interkantonalen Verkehr anerkannt werden. Zudem seien vortiegend die im
Staatsvertrag hiefür vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt. Die Parteien
seien beide schweizerischer Nationalität; daher treffe der Vertrag nicht
zu. Das Urteil gehe aber auch nicht von einer kompetenten Behörde aus,
da im Vertrag das forum delicti commissi nicht vorgesehen sei-
D. In ähnlichem Sinne liess sich das Kreisamt Roveredo auf den Rekurs
vernehmen.
Das Bundesgericht zieht in Es.-wag ung:
i. Das Kreisamt Roveredo hat die vom Rekurrenten nachgesuchte
Rechtsöfsnung einzig aus dem Grunde verweigert, weil das Urteil,
gestützt auf welches dieselbe verlangt wurde, kein Civil: urteil sei
und weil sich deshalb der Rekurrent nicht auf die Art. 15 ff. des
Gerichtsstandsvertrages zwischen der Schweiz und Frankreich vom
15. Juni 1869 berufen könne. Diese Auffassung ist unhaltbar. Nach
Art. 15 des genannten Vertrages haben sich die kontrahierenden Staaten
die Vollziehung unter Vorbehalt der Prüfung der in den Art. 16 und 17
aufgestellten Erfordernisse gegenseitig zugesichert für alle Urteile oder
definitiven Erkenntnisse in Civiloder Handelssachen, die durch Gerichte
oder Schiedsgericht in dem einen der beiden kontrahierenden Staaten
ausgefällt werden und in Rechtskraft erwachsen sind (des jugements
et arréts définitifs en matière civile et, commerciale rendus soitsi
par des tribnnaux soit par des arbitres, dans l'un des deux Etats
contractants). Dieser Wortlaut bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass
die Vollziehung nur gewährt werde für Urteile, die von einem Civilgericht
in einem Civilprozesse aus-gefällt worden sind, sondern es wird für die
Charakterisierung des Urteils als Civilnrteil nur Gewicht gelegt aus
die Materie, die Natur des beurteilten Anspruches. Ebensowenig können
der Titel der Übereinkunft, der lautet: Vertrag zwischen der Schweiz und
Frank-staatsveriräge über civilrechtl. Verhäitnisse. Mit Frankreich. N°
98. 49?
reich über den Gerichtsstand und die Vollziehung von Urteilen in
Civilsachen, und der Untertitel des zweiten Abschnittes Vollziehung
der Urteile dafür angeführt werden, dass sich die Bestimmungen dieses
Abschnittes nur auf die von Civilgerichten im Civilrechtsverfahren
erlassenen Urteile beziehen. Vielmehr ist auch danach anzunehmen, dass
sich die vertragsschliessenden Staaten die Vollstreckbarkeit für alle
im anderen Staate ausgefällten Civil: urteile zusichern wollten. Zum
Begriffe eines Civilurteils aber gehört es nicht, dass dasselbe von einem
ordentlichen Civilgerichte d. h. von einem Gerichte ausgehe, dem gemäss
den gerichtsorganisatorischen Bestimmungen des betreffenden Staates
ordentlicher Weise innerhalb bestimmter Grenzen die Civilrechtspflege
übertragen ist, sondern es wird aller Regel nach als Civilurteil jeder
gerichtliche Ausspruch zu bezeichnen sein, durch den ein civilrechtlicher
Anspruch mit der Wirkung erledigt wurde, dass eine neue Geltendmachung
ausgeschlossen ist und dass dessen Vollziehung verlangt werden kann
(s. Amit. Samml., Bd. XXIV, 1. Teil, S. 457). Von diesem Gesichtspunkte
aus stellt sich auch ein im Adhäsionsverfahren von einem Strafgerichte
ausgefälltes Urteil über den vom Geschädigten erhobenen Civilanspruch
als Civilurteil dar. Für den interkantonalen Urteilsvollzug, der durch
Art. 61 B.-V. dahin geordnet ist, dass die rechtskräftigen Civilurteile,
die in einem Kanton gefällt find, in der ganzen Schweiz sollen vollzogen
werden können, ist der Begriff des Civilurteils vom Bundesgericht in
Sachen Burkhard gegen Bürgin (Amtl.Samml, Bd. XXIV, 1. T., S. 455) bereits
im angegebenen Sinne festgestellt worden. Im Gerichtsstaudsvertrag mit
Frankreich ist die Frage der Vollziehung von Civilurteilen grundsätzlich
in gleich allgemeiner Weise geregelt. Es liegt kein Grund vor, hier den
Begriff enger zu fassen als dort. Der Grund, der das Kreisamt Roveredo zur
Verweigerung der vom Rekurrenten nachgesuchten Rechtsöffnung führte, ist
danach nicht stichhaltig, und es erweist sich insofern der angefochtene
Entscheid als staatsvertragswidrig.
2. Der erst in der Rekursantwort erhobene Einwand, dass die
Urteilsvollstreckung nicht verlangt werden könne, weil beide Parteien
gleicher Nationalität seien, der Gerichtsstandsvertrag daher gar nicht
angerufen werden könne, erledigt sich durch den Hinweis darauf, dass
nach bundesgerichtlicher Praxis für die Anwendbar-
498 Staatsrechtliche Entscheidungen. III. Abschnitt. Staatsverträge.
keit des zweiten Teils des Vertrages auf die Nationalität der --
Parteien nichts ankommmt (ng. Amii, Samml Bd. IV, S. 2-62, Bd. XVIII,
S. 764).
3. Ebenfalls erst im Rekursstadium wurde die Frage der Kompetenz
des urteilenden Richters aufgeworfen, die allerdings nach Art. 17
Ziff. 1 des Gerichtsstandsvertrages für die Vollstreckbarkeit des
Urteils von Bedeutung ist. Dies-bezüglich erweist sich zunächst der
Einwand, dass der Vertrag das forum delicti commissi nicht vorsehe,
deshalb als unsiichhaltig, weil sich die im zweiten Abschnitt des
Vertrages aufgestellte Pflicht zur Urteilsvollstreckung nicht auf
die Fälle beschränkt, für die im ersten Abschnitt desselben bestimmte
Gerichtsstandsnormen aufgestellt worden sind (s. Amtl. Samml., Bd. XVIII,
S. 764 u. Bd. XXV, î. T., S. 96). Vielmehr kann es sich nur fragen,
ob für den fraglichen Anspruch die französische Gerichtsbarkeit und
ein französischer Gerichtsstand begründet waren oder nicht. Dies ist zu
besahen. Nicht nur war das Meer, aus dem der Rekurrent sei-
nen Anspruch herleitete, in Frankreich begangen, unterlag also
auch nach der in der Schweiz anerkannten Regel des forum delicti
commissi der Ahndung durch die dortigen Strafbehörden, sondern es war der
Beklagte damals auch in Frankreich domiziliert und demnach hinsichtlich
persönlicher Ansprachen auch der dortigen Civilgerichtsbarkeit unterworfen
Bei dieser Sachlage kann er sich aber jedenfalls nicht daraus berufen,
dass das im Adhäsionsprozesz in Frankreich gegen ihn ausgefällte Urteil
über einen gegen ihn erhobenen Deliktsanspruch von einem inkompetenten
Richter ausgehe.
4. Dem Rekursantrage ist danach in seinem ersten Teile zu entsprechen.
Auf den zweiten Teil kann nicht eingetreten werden, da der Rechtsöfsnung
auch noch andere als die den Gegenstand des Rekurses bildenden Gründe
entgegenstehen können.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen für begründet erklärt und
demgemäss der angefochtene Rechtsöffnungsentscheid des Kreisamtes
{Roveredo, vom lei./17. August 1899, aufgehoben.Entscheidungen der
Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer.
Arrèts de la Chambre des poursuites
et des faiilites.
99. Entscheid vom 7. Oktober 1899 in Sachen Olivier-Stucki.
Bet-reibbarkeit der Ehefrau, die Handelsfr'au ist. Art. 34 und 35
().-R., Art. 47 Abs. 3 Bein-Ges. Voraussetzungen. Die Bf).stimmung eines
Ira-nt. Benji-Ges... die Ehefrau könne fuepersönäéche Schulden erst
betrieben werden, wenn Gù'tertrennung eingetreten see", ist hiernach
ungi'èltrg.
I. Frau Olivier-Stucki in Langnau, die thatsächlich don ihrem
Ehemanne getrennt lebt, ohne dass jedoch eine guterrechtliche
Trennung stattgefunden hat, wurde für verschiedene donihr kontrahierk
Schulden persönlich betrieben, indem sich die Glaubtger aus Art.30
des Obligationenrechtes und Art. 47 Abs. 3 des Betreibungsgesetzes
berieer. Die Zahlungsbefehle blieben unwidersprochgi lund auch gegen
die vorgenommenen Pfändungem erhob Frau Tilivter keinen Einspruch; im
Gegenteil gab sie jeweilen verschiedenes Mobiliar freiwilng zu Pfand. Als
dann am ò Juni 1899 die Steigerung ausgeschrieben wurde, beschwerte sich
derfEhemann Olivier für sich und seine (Sheitan gegen das Betreibungsamt