150 II 321
27. Auszug aus dem Urteil der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen Kantonales Steueramt St. Gallen und Steuerverwaltung des Kantons Appenzell Ausserrhoden (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) 9C_591/2023 vom 2. April 2024
Regeste (de):
- Art. 127 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 127 Grundsätze der Besteuerung - 1 Die Ausgestaltung der Steuern, namentlich der Kreis der Steuerpflichtigen, der Gegenstand der Steuer und deren Bemessung, ist in den Grundzügen im Gesetz selbst zu regeln.
1 Die Ausgestaltung der Steuern, namentlich der Kreis der Steuerpflichtigen, der Gegenstand der Steuer und deren Bemessung, ist in den Grundzügen im Gesetz selbst zu regeln. 2 Soweit es die Art der Steuer zulässt, sind dabei insbesondere die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu beachten. 3 Die interkantonale Doppelbesteuerung ist untersagt. Der Bund trifft die erforderlichen Massnahmen. SR 642.14 Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (Steuerharmonisierungsgesetz, StHG) - Steuerharmonisierungsgesetz
StHG Art. 20 Steuerpflicht aufgrund persönlicher Zugehörigkeit - 1 Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine, Stiftungen und die übrigen juristischen Personen sind steuerpflichtig, wenn sich ihr Sitz oder ihre tatsächliche Verwaltung im Kanton befindet. Den übrigen juristischen Personen gleichgestellt sind die kollektiven Kapitalanlagen mit direktem Grundbesitz nach Artikel 58 oder 118a KAG100.101 Die Investmentgesellschaften mit festem Kapital nach Artikel 110 KAG werden wie Kapitalgesellschaften besteuert.102
1 Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine, Stiftungen und die übrigen juristischen Personen sind steuerpflichtig, wenn sich ihr Sitz oder ihre tatsächliche Verwaltung im Kanton befindet. Den übrigen juristischen Personen gleichgestellt sind die kollektiven Kapitalanlagen mit direktem Grundbesitz nach Artikel 58 oder 118a KAG100.101 Die Investmentgesellschaften mit festem Kapital nach Artikel 110 KAG werden wie Kapitalgesellschaften besteuert.102 2 Juristische Personen, ausländische Handelsgesellschaften und andere ausländische Personengesamtheiten ohne juristische Persönlichkeit werden den inländischen juristischen Personen gleichgestellt, denen sie rechtlich oder tatsächlich am ähnlichsten sind. - Ob sich die tatsächliche Verwaltung einer Aktiengesellschaft an einem bestimmten Ort im Kantonsgebiet befindet, bestimmt sich nach dem Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (E. 3). Verzerrungen im Nationalen Finanzausgleich (NFA), die durch Doppelbesteuerungsfälle hervorgerufen werden können, sind kein Grund dafür, einem Kanton im Doppelbesteuerungsverfahren vor Bundesgericht zu gestatten, zu Unrecht bezogene Steuern einzubehalten (E. 4).
Regeste (fr):
- Art. 127 al. 3 Cst.; art. 20 al. 1 LHID; double imposition intercantonale; administration effective d'une société anonyme; degré de la preuve; restitution d'impôts perçus à tort.
- Le point de savoir si l'administration effective d'une société anonyme se situe à un endroit précis du territoire cantonal doit être établi selon le degré de preuve de la vraisemblance prépondérante (consid. 3). Les distorsions dans la péréquation financière nationale (RPT), qui peuvent être provoquées par des cas de double imposition, ne constituent pas une raison pour permettre à un canton, dans le cadre d'une procédure de double imposition devant le Tribunal fédéral, de retenir des impôts perçus à tort (consid. 4).
Regesto (it):
- Art. 127 cpv. 3 Cost.; art. 20 cpv. 1 LAID; doppia imposizione intercantonale; amministrazione effettiva di una società anonima; grado di prova; restituzione di imposte indebitamente riscosse.
- La questione se l'amministrazione effettiva di una società anonima si trova in un luogo specifico del territorio cantonale è determinata secondo il grado di prova della verosimiglianza preponderante (consid. 3). Le distorsioni nella perequazione finanziaria nazionale (NPC), che possono essere causate da casi di doppia imposizione, non sono un motivo per consentire a un Cantone, nell'ambito di un procedimento di doppia imposizione davanti al Tribunale federale, di trattenere imposte indebitamente riscosse (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 322
BGE 150 II 321 S. 322
A. Die A. AG wurde am 20. Februar 2003 mit Sitz in U./SG in das Handelsregister eingetragen. Sie bezweckt den Handel mit sowie den Import und Export von Kosmetikprodukten. Am 22. September 2008 erfolgte eine Sitzverlegung nach V./AR. Mit Schreiben vom 4. August 2021 teilte das Steueramt des Kantons St. Gallen der A. AG mit, dass Hinweise für eine Steuerpflicht in St. Gallen beständen. Das Steueramt forderte die A. AG auf, sich zu ihrem Geschäftsort zu äussern und Unterlagen einzureichen. Mit Stellungnahme vom 3. September 2021 reichte die A. AG ein Aktionärsverzeichnis, Miet- und Untermietverträge sowie Lohnausweise aus den Jahren 2018 bis 2020 ein.
B. Mit Verfügung vom 21. Oktober 2021 stellte das Steueramt des Kantons St. Gallen fest, dass die A. AG seit dem 1. April 2011 (mindestens für die Steuerperioden vom 1. April 2011 bis zum 31. März 2021) im Kanton St. Gallen (U.) aufgrund des Orts der tatsächlichen Verwaltung der unbeschränkten Steuerpflicht unterliege. Die hiergegen im Kanton St. Gallen erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos (Einspracheentscheid des Steueramts vom 15. März 2022; Entscheid der Verwaltungsrekurskommission vom 12. Januar 2023; Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 14. August 2023).
BGE 150 II 321 S. 323
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 22. September 2023 beantragt die A. AG hauptsächlich, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 14. August 2023 aufzuheben und festzustellen sei, dass im Kanton St. Gallen keine unbeschränkte Steuerpflicht (Gewinn- und Kapitalsteuer) ab dem 1. April 2011 bestehe. Eventualiter beantragt die A. AG die Aufhebung der Veranlagungsverfügungen der Geschäftsjahre 2011/12 bis 2018/19 der kantonalen Steuerverwaltung Appenzell Ausserrhoden und die Rückerstattung der zu Unrecht erhobenen Steuern. Für die zu Unrecht erhobenen Steuern sei der unterliegende Kanton zu einem Vergütungszins zu verpflichten. Der Kanton St. Gallen (vertreten durch sein Steueramt) beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit sie sich gegen ihn richtet. Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen beantragt die Abweisung der Beschwerde. Der Kanton Appenzell Ausserrhoden (vertreten durch seine Steuerverwaltung) beantragt die Abweisung der Eventualanträge auf Aufhebung seiner Veranlagungen und Rückerstattung der bezogenen Steuern in Bezug auf die Steuerperioden 2011 bis und mit 2015. In Bezug auf die Steuerperioden 2016 bis und mit 2019 beantragt er die Gutheissung der Beschwerde gegen ihn. Ferner beantragt er, dass der Beschwerdeführerin keine Parteientschädigung zu seinen Lasten und ihm ein Betrag von Fr. 400.- pro Steuerperiode für den unnötigen Verfahrensaufwand der Steuerverwaltung zuzusprechen sei. Die A. AG hat zur Stellungnahme des Kantons Appenzell Ausserrhoden Bemerkungen eingereicht. Das Bundesgericht weist die Beschwerde gegen den Kanton St. Gallen ab, jene gegen den Kanton Appenzell Ausserrhoden heisst es gut, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3. Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen ist unter Würdigung der ihm vorliegenden Beweismittel zum Schluss gekommen, dass der Ort der tatsächlichen Verwaltung der Beschwerdeführerin im Kanton St. Gallen gelegen habe. Die Beschwerdeführerin bestreitet dies. Der Kanton Appenzell Ausserrhoden pflichtet dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen bei.
3.1 Juristische Personen sind nach harmonisiertem kantonalen Steuerrecht (vgl. Art. 71 des Steuergesetzes des Kantons St. Gallen vom 9. April 1998 [StG/SG; sGS 811.1] und Art. 59 des Steuergesetzes
BGE 150 II 321 S. 324
des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 21. Mai 2000 [StG/AR; bGS 621.11] sowie Art. 20 Abs. 1

SR 642.14 Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (Steuerharmonisierungsgesetz, StHG) - Steuerharmonisierungsgesetz StHG Art. 20 Steuerpflicht aufgrund persönlicher Zugehörigkeit - 1 Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine, Stiftungen und die übrigen juristischen Personen sind steuerpflichtig, wenn sich ihr Sitz oder ihre tatsächliche Verwaltung im Kanton befindet. Den übrigen juristischen Personen gleichgestellt sind die kollektiven Kapitalanlagen mit direktem Grundbesitz nach Artikel 58 oder 118a KAG100.101 Die Investmentgesellschaften mit festem Kapital nach Artikel 110 KAG werden wie Kapitalgesellschaften besteuert.102 |
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1 | Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine, Stiftungen und die übrigen juristischen Personen sind steuerpflichtig, wenn sich ihr Sitz oder ihre tatsächliche Verwaltung im Kanton befindet. Den übrigen juristischen Personen gleichgestellt sind die kollektiven Kapitalanlagen mit direktem Grundbesitz nach Artikel 58 oder 118a KAG100.101 Die Investmentgesellschaften mit festem Kapital nach Artikel 110 KAG werden wie Kapitalgesellschaften besteuert.102 |
2 | Juristische Personen, ausländische Handelsgesellschaften und andere ausländische Personengesamtheiten ohne juristische Persönlichkeit werden den inländischen juristischen Personen gleichgestellt, denen sie rechtlich oder tatsächlich am ähnlichsten sind. |

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 127 Grundsätze der Besteuerung - 1 Die Ausgestaltung der Steuern, namentlich der Kreis der Steuerpflichtigen, der Gegenstand der Steuer und deren Bemessung, ist in den Grundzügen im Gesetz selbst zu regeln. |
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1 | Die Ausgestaltung der Steuern, namentlich der Kreis der Steuerpflichtigen, der Gegenstand der Steuer und deren Bemessung, ist in den Grundzügen im Gesetz selbst zu regeln. |
2 | Soweit es die Art der Steuer zulässt, sind dabei insbesondere die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu beachten. |
3 | Die interkantonale Doppelbesteuerung ist untersagt. Der Bund trifft die erforderlichen Massnahmen. |
3.2 Die tatsächliche Verwaltung einer juristischen Person liegt am Ort, wo die Fäden der Geschäftsführung zusammenlaufen, die wesentlichen Unternehmensentscheide fallen, die normalerweise am Sitz sich abspielende Geschäftsführung besorgt wird und die Gesellschaft den wirklichen, tatsächlichen Mittelpunkt ihrer ökonomischen Existenz hat. Die so verstandene tatsächliche Verwaltung einer juristischen Person ist abzugrenzen von der blossen administrativen Verwaltung einerseits und der Tätigkeit der obersten Gesellschaftsorgane
BGE 150 II 321 S. 325
andererseits, soweit sie sich auf die Ausübung der Kontrolle über die eigentliche Geschäftsleitung und gewisse Grundsatzentscheide beschränkt (Urteile 2C_522/2019 vom 20. August 2020 E. 2.1, nicht publ. in: BGE 147 I 325, aber in: StE 2021 A 24.22 Nr. 7; 2C_539/ 2017 vom 7. Februar 2019 E. 3.1; 2C_627/2017 vom 1. Februar 2019 E. 2.2, in: StE 2019 B 71.31 Nr. 4, StR 74/2019 S. 286; je mit Hinweisen). Massgebend ist somit die Führung der laufenden Geschäfte im Rahmen des Gesellschaftszwecks; findet sie an mehreren Orten statt, ist der Schwerpunkt der Geschäftsführung massgebend (Urteile 2C_211/2019 vom 6. April 2022 E. 4.2.2; 2C_24/2021 vom 6. Oktober 2021 E. 4.2; 2C_549/2018 vom 30. Januar 2019 E. 2.2; 2C_848/2017 vom 7. September 2018 E. 3.2).
3.3 Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen hat festgestellt, dass die Beschwerdeführerin per 1. Oktober 2008 in V. - gleichzeitig mit der Sitzverlegung an diesen Ort - als Untermieterin ein Büro mit der Fläche von ca. 10 m2 bzw. 16.6 m2 und entsprechender Infrastruktur gemietet habe. Gegenstand des Untermietvertrags bilde ein "Co-Working-Arbeitsplatz inkl. Nutzung der Infrastruktur" zum Mietpreis von Fr. 300.- pro Monat einschliesslich Heiz- und Nebenkosten. Die Vermieterin habe in der Vergangenheit die Zurverfügungstellung ihrer Geschäftsadresse offenbar mit Hinweis auf die Begründung eines steuergünstigen Hauptsteuerdomizils beworben. In den von der Beschwerdeführerin seit September 2004 gemieteten Räumen befänden sich auf einer Fläche von 100 m2 drei Büros und ein Vorraum für Ausstellungen sowie Lagerung von Produktmustern, wobei ein Büro, ein Showroom und ein Einstellplatz an eine Tochtergesellschaft der Beschwerdeführerin vermietet worden seien. Die gesamte Lagerung und Auslieferung werde durch einen externen Dienstleister bzw. Transportunternehmer in W./TG durchgeführt. Eine Mitarbeiterin arbeite in U., in W., von zuhause aus ("Home Office") sowie im Aussendienst. Eine andere Mitarbeiterin arbeite hauptsächlich von zuhause aus sowie im Aussendienst und zu einem kleinen Teil in U. oder W. Der Geschäftsleiter arbeite nach Darlegungen der Beschwerdeführerin in V. und im Aussendienst sowie zum Teil ebenfalls in U. und W. Nach der Darstellung der Beschwerdeführerin halte der Geschäftsleiter in V. auch Besprechungen ab. Nach den Akten dürften die Besprechungen mit Kunden jedoch nur zu einem geringen Teil in V. stattfinden, habe die Beschwerdeführerin doch in der Stellungnahme vom 29. Juni 2022 selbst noch vermerkt, dass der Geschäftsleiter
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Kundenbesprechungen fast ausschliesslich vor Ort bei den Kunden durchführe. Die Internetseite der Beschwerdeführerin verweise für die Kontaktaufnahme auf den Standort in U. Auf dieser Basis erwog das Verwaltungsgericht, dass die geschilderten mietvertraglichen Gegebenheiten (Untermiete, tiefer Mietpreis einschliesslich Heiz- und Nebenkosten, Raumgrösse) für sich allein jedenfalls nicht auf einen Mittelpunkt der Geschäftsführung in V. schliessen liessen. Aus den Akten ergebe sich nicht, welche planerischen und strategischen Tätigkeiten der Geschäftsleiter in V. ausübe. Vor diesem Hintergrund sah die Vorinstanz keinen Anlass, die Schlussfolgerung der Unterinstanz infrage zu stellen, wonach die fundierten Abklärungen und Ausführungen des Steueramts es als sehr wahrscheinlich erscheinen liessen, dass sich der Ort der tatsächlichen Verwaltung in U. befinde.
3.4 Die Beschwerdeführerin beanstandet, die kantonalen Instanzen hätten nicht erklärt, weshalb es für die Annahme eines Orts der tatsächlichen Verwaltung im Kanton St. Gallen genügen solle, dass die Abklärungen der Steuerbehörden ihn als "sehr wahrscheinlich" erscheinen lassen. Des Weiteren rügt die Beschwerdeführerin, dass sich das Verwaltungsgericht auf Vermutungen stütze und die Tatsachen falsch gewürdigt habe. Der einzige Verwaltungsrat und Geschäftsführer führe die Geschäfte der Beschwerdeführerin - einem Kleinbetrieb mit drei Mitarbeitern - von seinem Büro in V. aus. In V. überwache er die finanziellen Auswirkungen und Risiken einzelner Transaktionen sowie die Abwicklung von Banktransaktionen. In U. halte er sich nur zu Kontroll- und Aufsichtszwecken auf. Dort würden nur untergeordnete administrative Tätigkeiten ausgeführt und keine wesentlichen Unternehmensentscheide getroffen.
3.5 Der Kanton Appenzell Ausserrhoden schliesst sich der Würdigung der St. Galler Instanzen an. Er macht ergänzend geltend, dass die Beschwerdeführerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht gehörig nachgekommen sei, was zu ihrem Nachteil zu würdigen sei. Die Sitzverlegung per Ende September 2008 sei höchstwahrscheinlich vor dem Hintergrund von erheblichen Steuersatzsenkungen im Kanton Appenzell Ausserrhoden erfolgt. Der Aussenauftritt der Beschwerdeführerin finde vor allem in U. statt. Dort habe die Beschwerdeführerin in einem grossen Vorraum Produktmuster für Repräsentationszwecke ausgestellt, weswegen davon auszugehen sei, dass dort die Kundenanbahnung geschehe bzw. dort die Kundenbeziehung gepflegt werde. Auch der Webauftritt und das in U. unterhaltene Archiv der
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Beschwerdeführerin deuteten auf eine tatsächliche Verwaltung im Kanton St. Gallen. Weiter weist der Kanton Appenzell Ausserrhoden auf die fehlende Substanz in V. hin. Die Beschwerdeführerin habe keine Beweismittel dafür vorgelegt, dass in V. Geschäfte abgeschlossen worden wären.
3.6 Der Beschwerdeführerin ist zuzugestehen, dass nicht ohne Weiteres einleuchtet, weshalb der Beweis des Orts der tatsächlichen Verwaltung (bzw. der für die Bestimmung dieses Orts massgebenden Tatsachen) im Kantonsgebiet bereits erbracht sein soll, wenn er als "sehr wahrscheinlich" erscheint.
3.6.1 Das Verwaltungsgericht hat diese Formulierung aus der Rechtsprechung des Bundesgerichts übernommen. Zunächst für den Fall der (internationalen) Wohnsitzverlegung entwickelt (vgl. Urteil 2P.7/2004 vom 8. Juni 2004 E. 4 mit Hinweis auf Urteil vom 6. März 1969 E. 3c, in: ASA 39 S. 284; vgl. auch Urteile 2C_92/2012 vom 17. August 2012 E. 4.3, in: StE 2013 A 24.21 Nr. 24, StR 67/2012 S. 828; 2C_726/2010 vom 25. Mai 2011 E. 2.3, in: StE 2011 A 24.24.41 Nr. 5; 2C_770/2008 vom 4. März 2009 E. 3.1, in: StE 2009 A 24.24.41 Nr. 3; 2C_183/2007 vom 15. Oktober 2007 E. 3.2), hat das Bundesgericht diese Formulierung später auch im Zusammenhang mit der Bestimmung des Hauptsteuerdomizils juristischer Personen im interkantonalen Verhältnis verwendet (erstmals in Urteil 2C_431/2014 vom 4. Dezember 2014 E. 2.1; vgl. seither etwa Urteile 9C_722/2022 vom 6. November 2023 E. 5.1; 9C_676/2021 vom 21. August 2023 E. 5.1.3; 2C_24/2021 vom 6. Oktober 2021 E. 4.3; 2C_522/2019 vom 20. August 2020 E. 2.3, nicht publ. in: BGE 147 I 325, aber in: StE 2021 A 24.22 Nr. 7). Dieser Rechtsprechung hatte ursprünglich die Vorstellung zugrunde gelegen, dass die Beweislast und die Beweisführungslast auch für steuerbegründende Tatsachen situativ dem Steuerpflichtigen übertragen werden können, wenn es der Steuerbehörde gelingt, den Eintritt dieser Tatsache wenigstens als sehr wahrscheinlich erscheinen zu lassen (vgl. eingehend Urteil P.519/1978 vom 3. Mai 1978 E. 4b; vgl. auch Urteile 2A.89/1993 vom 7. Juli 1994 E. 3a; 2A_326/1992 vom 10. Januar 1994 E. 3c; 2A.140/1992 vom 27. Januar 1993 E. 2b; A.299/1989 vom 8. Februar 1991 E. 2b, in: ASA 60 S. 404, StE 1991 B 101.2 Nr. 13).
3.6.2 Diese Vorstellung ist heute in doppelter Hinsicht überholt: Erstens steht sie in Konflikt mit der Untersuchungsmaxime, die
BGE 150 II 321 S. 328
nunmehr harmonisierungsrechtlich vorgeschrieben ist (vgl. Art. 46 Abs. 1

SR 642.14 Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (Steuerharmonisierungsgesetz, StHG) - Steuerharmonisierungsgesetz StHG Art. 46 Veranlagung - 1 Die Veranlagungsbehörde prüft die Steuererklärung und nimmt die erforderlichen Untersuchungen vor. |
|
1 | Die Veranlagungsbehörde prüft die Steuererklärung und nimmt die erforderlichen Untersuchungen vor. |
2 | Abweichungen von der Steuererklärung gibt sie dem Steuerpflichtigen spätestens bei der Eröffnung der Veranlagungsverfügung bekannt. |
3 | Hat der Steuerpflichtige trotz Mahnung seine Verfahrenspflichten nicht erfüllt oder können die Steuerfaktoren mangels zuverlässiger Unterlagen nicht einwandfrei ermittelt werden, so nimmt die Veranlagungsbehörde die Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen vor. |

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. |
3.6.3 Kein Konflikt mit der Untersuchungsmaxime und der Beweislastregel tritt indessen auf, wenn die erwähnte Formulierung als Modifikation des Beweismasses verstanden wird. Das Beweismass bezeichnet den Grad, zu welchem eine Behörde oder ein Gericht von einer Tatsache überzeugt sein muss, um sie als bewiesen betrachten zu dürfen. Im Steuerverfahrensrecht gilt nach der Rechtsprechung - gleich wie im Zivil- und Strafprozessrecht - das Regelbeweismass der vollen Überzeugung: Der Beweis ist erbracht, wenn die beurteilende Behörde (Steuerbehörde oder -gericht) nach objektiven Gesichtspunkten von der Richtigkeit einer Sachbehauptung überzeugt ist (vgl. Urteile 2C_759/2020 / 2C_760/2020 vom 21. September 2021 E. 3.2, in: StE 2022 B 101.2 Nr. 30, StR 76/2021 S. 893; 2C_596/2020 vom 10. März 2021 E. 2.3.1; 2C_669/2016 vom 8. Dezember 2016 E. 2.3.1, in: StE 2017 B 99.1 Nr. 16, StR 72/2017 S. 245; 2C_16/2015 vom 6. August 2015 E. 2.5.3, in: StE 2015 A 21.12 Nr. 16, StR 70/2015 S. 811). Absolute Gewissheit kann dabei nicht verlangt werden. Das Beweismass der vollen Überzeugung ist erreicht, wenn die Behörde am Vorliegen der behaupteten Tatsache keine ernsthaften Zweifel mehr hat oder allenfalls verbleibende Zweifel als leicht erscheinen (BGE 149 III 218 E. 2.2.3; BGE 148 III 134 E. 3.4.1; BGE 135 V 39 E. 6.2; BGE 130 III 321 E. 3.2). Dabei ist es nicht zwingend erforderlich, dass die Tatsache direkt bewiesen wird. Denn es ist zulässig und oft notwendig, dass sich die Behörden in ihrer Beweiswürdigung auch auf Indizien stützen und daraus Schlüsse auf
BGE 150 II 321 S. 329
relevante Tatsachen ziehen (sog. natürliche Vermutungen; BGE 148 II 285 E. 3.1.2 mit Hinweisen). Im Unterschied zum Steuerrecht gilt im Sozialversicherungsrecht die überwiegende Wahrscheinlichkeit als das Regelbeweismass (vgl. BGE 148 V 427 E. 3.2; BGE 144 V 427 E. 3.3; BGE 138 V 218 E. 6; BGE 126 V 353 E. 5b). Rechtsprechung und Literatur begründen diese Eigenheit des Sozialversicherungsverfahrens damit, dass es regelmässig Erscheinungen der Massenverwaltung zum Gegenstand hat (vgl. BGE 121 V 5 E. 3b; BGE 119 V 7 E. 3c/aa; JACQUES OLIVIER PIGUET, in: Commentaire romand, Loi sur la partie générale des assurances sociales, 2018, N. 23 zu Art. 43

SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) ATSG Art. 43 Abklärung - 1 Der Versicherungsträger prüft die Begehren, nimmt die notwendigen Abklärungen von Amtes wegen vor und holt die erforderlichen Auskünfte ein. Mündlich erteilte Auskünfte sind schriftlich festzuhalten. |
|
1 | Der Versicherungsträger prüft die Begehren, nimmt die notwendigen Abklärungen von Amtes wegen vor und holt die erforderlichen Auskünfte ein. Mündlich erteilte Auskünfte sind schriftlich festzuhalten. |
1bis | Der Versicherungsträger bestimmt die Art und den Umfang der notwendigen Abklärungen.32 |
2 | Soweit ärztliche oder fachliche Untersuchungen für die Beurteilung notwendig und zumutbar sind, hat sich die versicherte Person diesen zu unterziehen. |
3 | Kommen die versicherte Person oder andere Personen, die Leistungen beanspruchen, den Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten in unentschuldbarer Weise nicht nach, so kann der Versicherungsträger auf Grund der Akten verfügen oder die Erhebungen einstellen und Nichteintreten beschliessen. Er muss diese Personen vorher schriftlich mahnen und auf die Rechtsfolgen hinweisen; ihnen ist eine angemessene Bedenkzeit einzuräumen. |

SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) ATSG Art. 43 Abklärung - 1 Der Versicherungsträger prüft die Begehren, nimmt die notwendigen Abklärungen von Amtes wegen vor und holt die erforderlichen Auskünfte ein. Mündlich erteilte Auskünfte sind schriftlich festzuhalten. |
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1 | Der Versicherungsträger prüft die Begehren, nimmt die notwendigen Abklärungen von Amtes wegen vor und holt die erforderlichen Auskünfte ein. Mündlich erteilte Auskünfte sind schriftlich festzuhalten. |
1bis | Der Versicherungsträger bestimmt die Art und den Umfang der notwendigen Abklärungen.32 |
2 | Soweit ärztliche oder fachliche Untersuchungen für die Beurteilung notwendig und zumutbar sind, hat sich die versicherte Person diesen zu unterziehen. |
3 | Kommen die versicherte Person oder andere Personen, die Leistungen beanspruchen, den Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten in unentschuldbarer Weise nicht nach, so kann der Versicherungsträger auf Grund der Akten verfügen oder die Erhebungen einstellen und Nichteintreten beschliessen. Er muss diese Personen vorher schriftlich mahnen und auf die Rechtsfolgen hinweisen; ihnen ist eine angemessene Bedenkzeit einzuräumen. |
3.6.4 Wie das Sozialversicherungsrecht ist auch das Steuerrecht Massenverwaltungsrecht (BGE 148 I 210 E. 4.4.4; BGE 140 II 167 E. 5.5.2; vgl. auch BGE 150 I 1 E. 4.4.3). Man könnte sich die Frage stellen, ob es wirklich sachgerecht ist, im Steuerrecht regelmässig den Vollbeweis zu verlangen, oder nicht besser wie im Sozialversicherungsrecht dem Grundsatz nach bereits die überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen sollte (vgl. zur analogen Frage im deutschen Recht ROMAN SEER, Der Vollzug von Steuergesetzen unter den Bedingungen einer Massenverwaltung, in: Steuervollzug im Rechtsstaat, DStJG Bd. 31, 2008, S. 10; sowie im englischen Recht, wo offenbar im Steuerrecht - wie generell ausserhalb des Strafrechts - die überwiegende Wahrscheinlichkeit ["balance of probabilities"] genügt, Urteil des Upper Tribunal [Tax and Chancery Chamber] vom 21. Mai 2021 Golamreza Qolaminejite [aka Anthony Cooper] v Revenue and Customs, [2021] UKUT 118 [TCC] Rz. 23 ff.; vgl. auch die Untersuchung von MARK SCHWEIZER, The civil standard of proof - what is it, actually?, The International Journal of Evidence & Proof 20/2016 S. 230 f., dessen Umfrage unter Richterinnen und Richtern sowie Gerichtsschreibenden an zwei oberen kantonalen Gerichten nahelegt, dass schweizerische Gerichte in Zivilsachen regelmässig bereits die überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen lassen, wo eigentlich die volle Überzeugung gefordert wäre). Unabhängig hiervon muss eine Beweiserleichterung aber auf jeden Fall möglich sein für
BGE 150 II 321 S. 330
Tatsachen, bei denen der volle Beweis schon nach der Natur der Sache - und nicht nur im konkreten Einzelfall - nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Die ständige zivilprozessuale Rechtsprechung anerkennt denn auch Ausnahmen vom Regelbeweismass in Fällen solcher "Beweisnot" und stützt sie auf die Überlegung, dass die Rechtsdurchsetzung nicht an Beweisschwierigkeiten scheitern darf, die typischerweise bei bestimmten Sachverhalten auftreten (vgl. BGE 149 III 218 E. 2.2.3; BGE 148 III 134 E. 3.4.1, BGE 148 III 105 E. 3.3.1; BGE 141 III 569 E. 2.2.1). Wo die Geschäfte geführt werden und die einzelnen Entscheide getroffen werden, die den Ort der tatsächlichen Verwaltung einer juristischen Person bestimmen, ist eine Tatsache, deren Feststellung für die beweisführungsbelasteten Steuerbehörden regelmässig unmöglich oder zumindest unzumutbar ist. Im Sinne einer Beweiserleichterung (Senkung des Beweismasses) ist deshalb davon auszugehen, dass sich der Ort der tatsächlichen Verwaltung einer juristischen Person im Kantonsgebiet befindet, sobald eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sich die relevante Geschäftsführung schwergewichtig an einem bestimmten Ort im Kantonsgebiet abspielt. Dabei steht es der steuerpflichtigen juristischen Person frei, den Gegenbeweis anzutreten und Beweismittel beizubringen, die gegen die tatsächliche Verwaltung im Kantonsgebiet sprechen.
3.7 In Anbetracht der vom Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen gewürdigten Beweismittel und festgestellten Tatsachen (vgl. oben E. 3.5) ist jedenfalls im Rahmen der eingeschränkten bundesgerichtlichen Überprüfungsbefugnis (vgl. nicht publ. E. 2.1) nicht zu beanstanden, dass es zum Schluss gekommen ist, der Ort der tatsächlichen Verwaltung habe sich im Kanton St. Gallen befunden. In der Tat lassen es der Umstand, dass sich der Ort der tatsächlichen Verwaltung der Beschwerdeführerin bis zur Sitzverlegung im Jahr 2008 soweit ersichtlich unbestrittenermassen im Kanton St. Gallen befunden hatte, sowie die dort nach der Sitzverlegung weiterhin unterhaltenen grosszügigen Räumlichkeiten, der Aussenauftritt der Beschwerdeführerin und die sehr bescheidenen Räumlichkeiten im Kanton Appenzell Ausserrhoden als zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen, dass die relevanten Geschäftsentscheide schwergewichtig am Standort der Beschwerdeführerin im Kanton St. Gallen getroffen wurden und dort der Schwerpunkt der Geschäftsführung lag. Auch die falschen Angaben in den Steuererklärungen im Kanton Appenzell Ausserrhoden betreffend ausserkantonale
BGE 150 II 321 S. 331
Zweigniederlassungen, auf welche der Kanton Appenzell Ausserrhoden hinweist, stützen diese Würdigung. Folglich ist das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen zu Recht zum Schluss gekommen, dass sich das Hauptsteuerdomizil der Beschwerdeführerin in den streitbetroffenen Steuerperioden im Kanton St. Gallen befunden hat und dieser für die Veranlagung der Beschwerdeführerin zuständig ist. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen erweist sich damit als bundesrechtskonform und ist zu bestätigen.
4. Die Beschwerdeführerin ficht eventualiter die Veranlagungsverfügungen des Kantons Appenzell Ausserrhoden für die Steuerperioden 2011/12 bis 2018/19 an und beantragt die Rückerstattung der bezahlten Steuern. Der Kanton Appenzell Ausserrhoden macht geltend, dass die Beschwerdeführerin sich in Bezug auf die Steuerperioden 2011 bis und mit 2015 (recte wohl: 2011/12 bis und mit 2014/15) qualifiziert treuwidrig verhalten habe und ihr infolge dieses Verhaltens der Schutz von Art. 127 Abs. 3

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 127 Grundsätze der Besteuerung - 1 Die Ausgestaltung der Steuern, namentlich der Kreis der Steuerpflichtigen, der Gegenstand der Steuer und deren Bemessung, ist in den Grundzügen im Gesetz selbst zu regeln. |
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1 | Die Ausgestaltung der Steuern, namentlich der Kreis der Steuerpflichtigen, der Gegenstand der Steuer und deren Bemessung, ist in den Grundzügen im Gesetz selbst zu regeln. |
2 | Soweit es die Art der Steuer zulässt, sind dabei insbesondere die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu beachten. |
3 | Die interkantonale Doppelbesteuerung ist untersagt. Der Bund trifft die erforderlichen Massnahmen. |
4.1 Vorab ist festzuhalten, dass der Kanton Appenzell Ausserrhoden - soweit ersichtlich zu Recht - kein Nebensteuerdomizil der Beschwerdeführerin in seinem Kantonsgebiet geltend macht, das ihm eine teilweise Besteuerung der Beschwerdeführerin erlauben würde. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin im von ihr untergemieteten Büro oder in sonstigen, ihrem Unternehmen zustehenden ständigen körperlichen Anlagen im Kanton Appenzell Ausserrhoden eine qualitativ und quantitativ erhebliche Tätigkeit entfaltet und dort mithin nach interkantonalem Doppelbesteuerungsrecht eine Betriebsstätte begründet hätte (vgl. dazu BGE 134 I 303 E. 2.2). Die Beschwerdeführerin war in den streitbetroffenen Steuerperioden aufgrund des Sitzes dem Kanton Appenzell Ausserrhoden zwar nach kantonalem Steuerrecht persönlich zugehörig (vgl. Art. 59 StG/AR), doch verschafft der Sitz alleine dem Kanton Appenzell Ausserrhoden nach interkantonalem Doppelbesteuerungsrecht kein Besteuerungsrecht, wenn sich das Hauptsteuerdomizil in einem anderen Kanton befindet (vgl. oben E. 3.1).
4.2 Die angefochtenen Veranlagungen des Kantons Appenzell Ausserrhoden, mit denen dieser die Gewinne der Beschwerdeführerin umfassend besteuert hat, verletzen nach dem Gesagten die Grundsätze über die interkantonale Doppelbesteuerung und bedeuten eine virtuelle Doppelbesteuerung der Beschwerdeführerin. Da Art. 127 Abs. 3

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 127 Grundsätze der Besteuerung - 1 Die Ausgestaltung der Steuern, namentlich der Kreis der Steuerpflichtigen, der Gegenstand der Steuer und deren Bemessung, ist in den Grundzügen im Gesetz selbst zu regeln. |
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1 | Die Ausgestaltung der Steuern, namentlich der Kreis der Steuerpflichtigen, der Gegenstand der Steuer und deren Bemessung, ist in den Grundzügen im Gesetz selbst zu regeln. |
2 | Soweit es die Art der Steuer zulässt, sind dabei insbesondere die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu beachten. |
3 | Die interkantonale Doppelbesteuerung ist untersagt. Der Bund trifft die erforderlichen Massnahmen. |
BGE 150 II 321 S. 332
Anspruch darauf, dass die virtuelle Doppelbesteuerung beseitigt wird (vgl. BGE 150 I 31 E. 4.1; BGE 148 I 65 E. 3.1). Es ist jedoch zu prüfen, ob das Verhalten der Beschwerdeführerin dazu führt, dass ihr der Schutz des Doppelbesteuerungsverbots zu versagen ist.
4.3 Mit dem Urteil 9C_710/2022 vom 17. August 2023 (teilweise publ. in: BGE 149 II 354), auf das sich der Kanton Appenzell Ausserrhoden beruft, hat das Bundesgericht seine Praxis aufgegeben, wonach steuerpflichtige Personen das Recht verwirkten, beim Bundesgericht Beschwerde wegen interkantonaler Doppelbesteuerung zu führen, wenn sie sich treuwidrig verhalten hatten (vgl. BGE 149 II 354 E. 2.6). Der zur Besteuerung berechtigte Kanton kann und muss allfälligem Fehlverhalten bei gegebenen Voraussetzungen mit den Mitteln des Steuerstrafrechts begegnen (vgl. BGE 149 II 354 E. 2.5.3). Zugleich hat das Bundesgericht auf materiell-rechtlicher Ebene nicht von vornherein ausgeschlossen, dass eine steuerpflichtige Person ihren Anspruch auf Beseitigung der interkantonalen Doppelbesteuerung verlieren bzw. den Schutz des Doppelbesteuerungsverbots verwirken könnte. Es hat dafür aber vorausgesetzt, dass sich das Verhalten einer doppelt besteuerten Person als qualifiziert missbräuchlich erweist und der betroffene Kanton zugleich ausnahmsweise ein legitimes Interesse daran hat, bezogene Steuern einzubehalten, obschon er nach interkantonalem Doppelbesteuerungsrecht oder sogar bereits nach harmonisiertem Steuerrecht keinen Steueranspruch hat (BGE 149 II 354 E. 4.4.2).
4.4 Der Kanton Appenzell Ausserrhoden macht geltend, er habe ein legitimes Interesse daran, die bezogenen Steuern einzubehalten, weil die Gewinne der Beschwerdeführerin in das Ressourcenpotenzial eingeflossen seien, auf dessen Grundlage die Ausgleichszahlungen des Nationalen Finanzausgleichs (NFA) bemessen werden. Konkret seien ihm deshalb für die Jahre 2011 bis 2015 Ausgleichszahlungen aus dem NFA im Umfang von Fr. 689'528.- entgangen. Auch in der Literatur ist bereits auf die Auswirkungen auf den NFA hingewiesen worden (LADINA NICK, Neues Leiturteil des Bundesgerichts zur interkantonalen Doppelbesteuerung: Praxisänderung mit Auswirkungen auf interkantonale Unternehmen, TREX 2023 S. 334; OESTERHELT/OPEL, Rechtsprechung im Steuerrecht, IFF Forum für Steuerrecht [FStR] 2023 S. 380).
4.4.1 Der NFA umfasst unter anderem einen Ressourcenausgleich durch die ressourcenstarken Kantone und durch den Bund zugunsten der ressourcenschwachen Kantone (Art. 1 lit. a und Art. 3 des
BGE 150 II 321 S. 333
Bundesgesetzes vom 3. Oktober 2003 über den Finanz- und Lastenausgleich [FiLaG; SR 613.2]). Das Ressourcenpotenzial eines Kantons entspricht dem Wert seiner fiskalisch ausschöpfbaren Ressourcen und wird berechnet auf der Grundlage der steuerbaren Einkommen und der Vermögen der natürlichen Personen sowie der steuerbaren Gewinne der juristischen Personen (sog. aggregierte Steuerbemessungsgrundlage; Art. 3 Abs. 1

SR 613.2 Bundesgesetz vom 3. Oktober 2003 über den Finanz- und Lastenausgleich (FiLaG) FiLaG Art. 3 Ressourcenpotenzial - 1 Das Ressourcenpotenzial eines Kantons ist der Wert seiner fiskalisch ausschöpfbaren Ressourcen. |
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1 | Das Ressourcenpotenzial eines Kantons ist der Wert seiner fiskalisch ausschöpfbaren Ressourcen. |
2 | Es wird berechnet auf der Grundlage: |
a | der steuerbaren Einkommen der natürlichen Personen nach dem Bundesgesetz vom 14. Dezember 19903 über die direkte Bundessteuer; |
b | der Vermögen der natürlichen Personen; |
c | der steuerbaren Gewinne der juristischen Personen nach dem Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer. |
3 | Der Bundesrat legt einen einheitlichen Abzug (Freibetrag) von den Einkommen fest. Bei den Vermögen der natürlichen Personen berücksichtigt er die im Vergleich zu den Einkommen unterschiedliche steuerliche Ausschöpfung.4 Bei den Gewinnen der juristischen Personen trägt er der im Vergleich zu den Einkommen und Vermögen der natürlichen Personen unterschiedlichen steuerlichen Ausschöpfung Rechnung; dabei unterscheidet er insbesondere zwischen den Gewinnen nach Artikel 24b des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 19905 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG) und den übrigen Gewinnen.6 |
4 | Er ermittelt in Zusammenarbeit mit den Kantonen jährlich das Ressourcenpotenzial jedes Kantons pro Kopf seiner Einwohnerinnen und Einwohner auf Grund der Zahlen der letzten drei verfügbaren Jahre. |
5 | Kantone, deren Ressourcenpotenzial pro Kopf über dem schweizerischen Durchschnitt liegt, gelten als ressourcenstark. Kantone, deren Ressourcenpotenzial pro Kopf unter dem schweizerischen Durchschnitt liegt, gelten als ressourcenschwach. |

SR 613.2 Bundesgesetz vom 3. Oktober 2003 über den Finanz- und Lastenausgleich (FiLaG) FiLaG Art. 3 Ressourcenpotenzial - 1 Das Ressourcenpotenzial eines Kantons ist der Wert seiner fiskalisch ausschöpfbaren Ressourcen. |
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1 | Das Ressourcenpotenzial eines Kantons ist der Wert seiner fiskalisch ausschöpfbaren Ressourcen. |
2 | Es wird berechnet auf der Grundlage: |
a | der steuerbaren Einkommen der natürlichen Personen nach dem Bundesgesetz vom 14. Dezember 19903 über die direkte Bundessteuer; |
b | der Vermögen der natürlichen Personen; |
c | der steuerbaren Gewinne der juristischen Personen nach dem Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer. |
3 | Der Bundesrat legt einen einheitlichen Abzug (Freibetrag) von den Einkommen fest. Bei den Vermögen der natürlichen Personen berücksichtigt er die im Vergleich zu den Einkommen unterschiedliche steuerliche Ausschöpfung.4 Bei den Gewinnen der juristischen Personen trägt er der im Vergleich zu den Einkommen und Vermögen der natürlichen Personen unterschiedlichen steuerlichen Ausschöpfung Rechnung; dabei unterscheidet er insbesondere zwischen den Gewinnen nach Artikel 24b des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 19905 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG) und den übrigen Gewinnen.6 |
4 | Er ermittelt in Zusammenarbeit mit den Kantonen jährlich das Ressourcenpotenzial jedes Kantons pro Kopf seiner Einwohnerinnen und Einwohner auf Grund der Zahlen der letzten drei verfügbaren Jahre. |
5 | Kantone, deren Ressourcenpotenzial pro Kopf über dem schweizerischen Durchschnitt liegt, gelten als ressourcenstark. Kantone, deren Ressourcenpotenzial pro Kopf unter dem schweizerischen Durchschnitt liegt, gelten als ressourcenschwach. |

SR 613.21 Verordnung vom 7. November 2007 über den Finanz- und Lastenausgleich (FiLaV) FiLaV Art. 1 Ressourcenpotenzial und aggregierte Steuerbemessungsgrundlage - 1 Das Ressourcenpotenzial eines Kantons ist in Anhang 1 festgelegt. Es basiert auf der aggregierten Steuerbemessungsgrundlage des Kantons. Diese entspricht der Summe: |
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1 | Das Ressourcenpotenzial eines Kantons ist in Anhang 1 festgelegt. Es basiert auf der aggregierten Steuerbemessungsgrundlage des Kantons. Diese entspricht der Summe: |
a | der massgebenden Einkommen der natürlichen Personen; |
b | der massgebenden quellenbesteuerten Einkommen; |
c | der massgebenden Vermögen der natürlichen Personen; |
d | der massgebenden Gewinne der juristischen Personen; |
e | ... |
f | der massgebenden Steuerrepartitionen der direkten Bundessteuer. |
2 | Das Ressourcenpotenzial der Schweiz entspricht der Summe der Ressourcenpotenziale aller Kantone. |
4.4.2 Die Ermittlung der konkreten Einzahlungen der ressourcenstarken und die Auszahlung an die ressourcenschwachen Kantone beruht auf komplexen Berechnungen (vgl. Art. 3a

SR 613.2 Bundesgesetz vom 3. Oktober 2003 über den Finanz- und Lastenausgleich (FiLaG) FiLaG Art. 3a Festlegung und Verteilung der Mittel des Ressourcenausgleichs - 1 Der Bundesrat legt die Auszahlungen an die ressourcenschwachen Kantone jährlich aufgrund ihres Ressourcenpotenzials pro Kopf fest. |
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1 | Der Bundesrat legt die Auszahlungen an die ressourcenschwachen Kantone jährlich aufgrund ihres Ressourcenpotenzials pro Kopf fest. |
2 | Die Auszahlungen berechnen sich wie folgt: |
a | Kantone, deren Ressourcenpotenzial pro Kopf unter 70 Prozent des schweizerischen Mittels liegt, erhalten Leistungen aus dem Ressourcenausgleich, sodass ihr Ressourcenpotenzial pro Kopf nach dem Ausgleich 86,5 Prozent des schweizerischen Mittels erreicht. |
b | Für die Kantone, deren Ressourcenpotenzial pro Kopf zwischen 70 und 100 Prozent des schweizerischen Mittels liegt, werden die Leistungen aus dem Ressourcenausgleich progressiv mit abnehmender Differenz zwischen dem Ressourcenpotenzial und dem schweizerischen Durchschnitt reduziert; erzielt ein Kanton mit einem Ressourcenpotenzial von 70 Prozent eine zusätzliche Einheit des standardisierten Steuerertrags, so reduzieren sich die Leistungen um 90 Prozent dieser Einheit. |
c | Die sich aus dem Ressourcenpotenzial pro Kopf ergebende Rangfolge der Kantone darf durch den Ressourcenausgleich nicht verändert werden. |
3 | Die Mittel werden den Kantonen ohne Zweckbindung ausgerichtet. |

SR 613.2 Bundesgesetz vom 3. Oktober 2003 über den Finanz- und Lastenausgleich (FiLaG) FiLaG Art. 4 Finanzierung des Ressourcenausgleichs - 1 Die ressourcenstarken Kantone und der Bund stellen die Mittel für den Ressourcenausgleich zur Verfügung. |
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1 | Die ressourcenstarken Kantone und der Bund stellen die Mittel für den Ressourcenausgleich zur Verfügung. |
2 | Die jährliche Gesamtleistung der ressourcenstarken Kantone an den Ressourcenausgleich beträgt zwei Drittel der Leistungen des Bundes.8 |
3 | Die ressourcenstarken Kantone entrichten pro Einwohnerin oder Einwohner einen einheitlichen Prozentsatz der Differenz zwischen ihrem Ressourcenpotenzial pro Kopf und dem schweizerischen Durchschnitt.9 |
4.5 Die Verzerrungen im NFA, die durch Doppelbesteuerungsfälle hervorgerufen werden können, sind also generell kein Grund dafür, einem Kanton im Doppelbesteuerungsverfahren vor Bundesgericht zu gestatten, zu Unrecht bezogene Steuern einzubehalten. Ebenso wenig ist im Doppelbesteuerungsverfahren vor Bundesgericht zu prüfen, inwiefern solche Verzerrungen Anlass für einen Schadenersatzanspruch eines Kantons gegen die steuerpflichtige Person sein könnten. Ein anderes Interesse daran, die zu Unrecht bezogenen Steuern einbehalten zu dürfen, macht der Kanton Appenzell Ausserrhoden nicht geltend. Ob es bereits ein qualifiziert treuwidriges Verhalten darstellt, wenn eine steuerpflichtige Person in ihren Steuererklärungen im erstveranlagenden Kanton angibt, ausserhalb dieses Kantons keine "Zweigniederlassungen [...], Geschäftsbetriebe, Betriebsstätten und Liegenschaften" zu unterhalten, wie dies die Beschwerdeführerin getan hat,
BGE 150 II 321 S. 334
ist zumindest zweifelhaft. Diese Frage kann aber offenbleiben, da es jedenfalls an einem legitimen Interesse des Kantons Appenzell Ausserrhoden fehlt, die zu Unrecht bezogenen Steuern einzubehalten.
4.6 Nach dem Gesagten sind die angefochtenen Veranlagungsverfügungen des Kantons Appenzell Ausserrhoden aufzuheben und ist der Kanton Appenzell Ausserrhoden zur Rückerstattung der zu Unrecht bezogenen Steuern zu verpflichten.