Urteilskopf

148 IV 356

34. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis, Zentrales Amt gegen A. (Beschwerde in Strafsachen) 6B_536/2022 vom 25. August 2022

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Sachverhalt ab Seite 356

BGE 148 IV 356 S. 356

A. Mit zweitinstanzlichem Urteil vom 4. März 2022 stellte das Kantonsgericht Wallis das Strafverfahren gegen A. wegen mehrfacher einfachen Körperverletzung ein (Dispositiv-Ziffer 1) und sprach ihn frei von den Vorwürfen des Fahrens ohne Berechtigung, der versuchten Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit und der mehrfachen Vergewaltigung (Dispositiv-Ziffer 2). Hingegen verurteilte es ihn wegen Widerhandlung gegen das
BGE 148 IV 356 S. 357

Betäubungsmittelgesetz, Fahrens in fahrunfähigem Zustand, grober Verletzung der Verkehrsregeln, mehrfacher Schändung und sexueller Nötigung (Dispositiv-Ziffer 3). Es verhängte eine bedingte Freiheitsstrafe von 24 Monaten, eine bedingte Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 140.- und eine Busse von Fr. 4'200.-. Die Probezeit legte es auf 3 Jahre fest (Dispositiv-Ziffer 4). Zudem sprach es der Privatklägerin eine Genugtuung von Fr. 8'000.- und Schadenersatz von Fr. 383.15 nebst Zins zu (Dispositiv-Ziffer 5).
B. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, Dispositiv-Ziffer 4 des kantonsgerichtlichen Urteils sei aufzuheben. A. sei zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 30 Monaten und einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 140.- zu verurteilen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen. Das Kantonsgericht verweist auf die Erwägungen im angefochtenen Urteil und verzichtet auf Anträge. A. beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Die Vorinstanz erwägt bei der Strafzumessung, dass der Beschwerdegegner seit Oktober 2017 nicht mehr delinquiert habe. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen diese Feststellung und macht geltend, in Wahrheit habe sich der Beschwerdegegner am 21. Juli 2021 der einfachen Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung zum Nachteil seiner damaligen Freundin schuldig gemacht.
2.1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 105 Massgebender Sachverhalt - 1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
1    Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
2    Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht.
3    Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so ist das Bundesgericht nicht an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden.95
BGG). Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich ist und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 97 Unrichtige Feststellung des Sachverhalts - 1 Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.
1    Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.
2    Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so kann jede unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden.86
BGG). Willkür im Sinne von Art. 9
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben - Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.
BV liegt vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, das heisst, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Willkürlich ist
BGE 148 IV 356 S. 358

auch eine Beweiswürdigung, welche mit den Akten in klarem Widerspruch steht oder einseitig einzelne Beweise berücksichtigt (BGE 118 Ia 28 E. 1b; Urteile 6B_257/2020 / 6B_298/2020 vom 24. Juni 2021 E. 4.2.4, nicht publ. in: BGE 147 IV 409; 6B_17/2016 vom 18. Juli 2017 E. 1.3.2; 6B_676/2016 vom 16. Februar 2017 E. 1.3; 6B_288/ 2015 vom 12. Oktober 2015 E. 1.2; je mit Hinweisen). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 106 Rechtsanwendung - 1 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an.
1    Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an.
2    Es prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist.
BGG). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1 mit Hinweisen).
2.2 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 6 Untersuchungsgrundsatz - 1 Die Strafbehörden klären von Amtes wegen alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen ab.
1    Die Strafbehörden klären von Amtes wegen alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen ab.
2    Sie untersuchen die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt.
, Art. 195 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 195 Einholen von Berichten und Auskünften - 1 Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
1    Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
2    Zur Abklärung der persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person holen Staatsanwaltschaft und Gerichte Auskünfte über Vorstrafen und den Leumund sowie weitere sachdienliche Berichte von Amtsstellen und Privaten ein.
sowie Art. 84 Abs. 3
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 84 Eröffnung der Entscheide - 1 Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung mündlich und begründet es kurz.
1    Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung mündlich und begründet es kurz.
2    Das Gericht händigt den Parteien am Ende der Hauptverhandlung das Urteilsdispositiv aus oder stellt es ihnen innert 5 Tagen zu.
3    Kann das Gericht das Urteil nicht sofort fällen, so holt es dies so bald als möglich nach und eröffnet das Urteil in einer neu angesetzten Hauptverhandlung. Verzichten die Parteien in diesem Falle auf eine öffentliche Urteilsverkündung, so stellt ihnen das Gericht das Dispositiv sofort nach der Urteilsfällung zu.
4    Muss das Gericht das Urteil begründen, so stellt es innert 60 Tagen, ausnahmsweise 90 Tagen, der beschuldigten Person und der Staatsanwaltschaft das vollständige begründete Urteil zu, den übrigen Parteien nur jene Teile des Urteils, in denen ihre Anträge behandelt werden.
5    Die Strafbehörde eröffnet einfache verfahrensleitende Beschlüsse oder Verfügungen den Parteien schriftlich oder mündlich.
6    Entscheide sind nach den Bestimmungen des eidgenössischen und kantonalen Rechts anderen Behörden, Rechtsmittelentscheide auch der Vorinstanz, rechtskräftige Entscheide soweit nötig den Vollzugs- und den Strafregisterbehörden mitzuteilen.
und 4
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 84 Eröffnung der Entscheide - 1 Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung mündlich und begründet es kurz.
1    Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung mündlich und begründet es kurz.
2    Das Gericht händigt den Parteien am Ende der Hauptverhandlung das Urteilsdispositiv aus oder stellt es ihnen innert 5 Tagen zu.
3    Kann das Gericht das Urteil nicht sofort fällen, so holt es dies so bald als möglich nach und eröffnet das Urteil in einer neu angesetzten Hauptverhandlung. Verzichten die Parteien in diesem Falle auf eine öffentliche Urteilsverkündung, so stellt ihnen das Gericht das Dispositiv sofort nach der Urteilsfällung zu.
4    Muss das Gericht das Urteil begründen, so stellt es innert 60 Tagen, ausnahmsweise 90 Tagen, der beschuldigten Person und der Staatsanwaltschaft das vollständige begründete Urteil zu, den übrigen Parteien nur jene Teile des Urteils, in denen ihre Anträge behandelt werden.
5    Die Strafbehörde eröffnet einfache verfahrensleitende Beschlüsse oder Verfügungen den Parteien schriftlich oder mündlich.
6    Entscheide sind nach den Bestimmungen des eidgenössischen und kantonalen Rechts anderen Behörden, Rechtsmittelentscheide auch der Vorinstanz, rechtskräftige Entscheide soweit nötig den Vollzugs- und den Strafregisterbehörden mitzuteilen.
StPO. Sie macht der Vorinstanz zum Vorwurf, dass sie keinen aktuellen Strafregisterauszug eingeholt und deshalb den Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt habe.
2.3

2.3.1 Die Strafbehörden klären von Amtes wegen alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen ab (Art. 6 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 6 Untersuchungsgrundsatz - 1 Die Strafbehörden klären von Amtes wegen alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen ab.
1    Die Strafbehörden klären von Amtes wegen alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen ab.
2    Sie untersuchen die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt.
StPO). Zur Abklärung der persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person holen Staatsanwaltschaft und Gerichte Auskünfte über Vorstrafen und den Leumund sowie weitere sachdienliche Berichte von Amtsstellen und Privaten ein (Art. 195 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 195 Einholen von Berichten und Auskünften - 1 Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
1    Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
2    Zur Abklärung der persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person holen Staatsanwaltschaft und Gerichte Auskünfte über Vorstrafen und den Leumund sowie weitere sachdienliche Berichte von Amtsstellen und Privaten ein.
StPO). Art. 195 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 195 Einholen von Berichten und Auskünften - 1 Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
1    Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
2    Zur Abklärung der persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person holen Staatsanwaltschaft und Gerichte Auskünfte über Vorstrafen und den Leumund sowie weitere sachdienliche Berichte von Amtsstellen und Privaten ein.
StPO steht in Zusammenhang mit Art. 161
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 161 Abklärung der persönlichen Verhältnisse im Vorverfahren - Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person über ihre persönlichen Verhältnisse nur dann, wenn mit einer Anklage oder einem Strafbefehl zu rechnen oder es aus anderen Gründen notwendig ist.
StPO, wonach die Staatsanwaltschaft die beschuldigte Person grundsätzlich nur dann über ihre persönlichen Verhältnisse befragt, wenn mit einer Anklage oder einem Strafbefehl zu rechnen ist. Dieser Bestimmung liegt der Gedanke zu Grunde, dass Fragen über die persönlichen Verhältnisse die Privatsphäre der beschuldigten Person berühren. Solange noch offen ist, ob die Untersuchung in eine Anklage oder einen Strafbefehl münden wird, soll die Staatsanwaltschaft die beschuldigte Person grundsätzlich nicht über die persönlichen Verhältnisse einvernehmen (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1195 Ziff. 2.4.2). Diesen Überlegungen ist auch bei der Anwendung von Art. 195 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 195 Einholen von Berichten und Auskünften - 1 Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
1    Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
2    Zur Abklärung der persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person holen Staatsanwaltschaft und Gerichte Auskünfte über Vorstrafen und den Leumund sowie weitere sachdienliche Berichte von Amtsstellen und Privaten ein.
StPO Rechnung zu tragen (MARTIN BÜRGISSER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 7 zu Art. 195
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 195 Einholen von Berichten und Auskünften - 1 Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
1    Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
2    Zur Abklärung der persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person holen Staatsanwaltschaft und Gerichte Auskünfte über Vorstrafen und den Leumund sowie weitere sachdienliche Berichte von Amtsstellen und Privaten ein.
StPO). Dies bedeutet umgekehrt, dass das
BGE 148 IV 356 S. 359

Berufungsgericht einen aktuellen Strafregisterauszug einzuholen hat, wenn die beschuldigte Person sanktioniert wird.
2.3.2 In das Strafregister-Informationssystem VOSTRA werden Personen eingetragen, gegen die in der Schweiz ein Strafverfahren wegen Verbrechen oder Vergehen nach Bundesrecht hängig ist. Angegeben werden die Personalien der beschuldigten Person, das Datum der Eröffnung des Strafverfahrens, die zuständige Verfahrensleitung und die der beschuldigten Person vorgeworfenen Straftaten (Art. 366 Abs. 4
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 195 Einholen von Berichten und Auskünften - 1 Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
1    Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
2    Zur Abklärung der persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person holen Staatsanwaltschaft und Gerichte Auskünfte über Vorstrafen und den Leumund sowie weitere sachdienliche Berichte von Amtsstellen und Privaten ein.
StGB sowie Art. 7 lit. a
SR 331 Verordnung vom 19. Oktober 2022 über das Strafregister-Informationssystem VOSTRA (Strafregisterverordnung, StReV) - VOSTRA-Verordnung
StReV Art. 7 Recht zur Änderung oder Entfernung von identifizierenden Angaben zur Person - (Art. 11 Abs. 3 StReG)
der Verordnung vom 29. September 2006 über das Strafregister [VOSTRA-Verordnung; SR 331]). Bei hängigen Strafverfahren sind die Daten innert zwei Wochen seit Eröffnung des Strafverfahrens beziehungsweise seit Eintritt der Änderung in das Strafregister-Informationssystem einzutragen (Art. 11 Abs. 3
SR 331 Verordnung vom 19. Oktober 2022 über das Strafregister-Informationssystem VOSTRA (Strafregisterverordnung, StReV) - VOSTRA-Verordnung
StReV Art. 11 Datensicherheit - (Art. 14 StReG)
1    Für die Gewährleistung der Datensicherheit gelten namentlich:
a  die Datenschutzverordnung vom 31. August 20225 (DSV);
b  die Informationssicherheitsverordnung vom 8. November 20237.
2    Die angeschlossenen Behörden treffen in ihrem Bereich angemessene organisatorische und technische Massnahmen zur Gewährleistung der Datensicherheit. Die angeschlossenen kantonalen Behörden sorgen namentlich dafür, dass in ihrem Zuständigkeitsbereich minimale Vorgaben für die Informatiksicherheit (IKT-Grundschutz) umgesetzt sind, welche mit jenen in der Bundesverwaltung gleichwertig sind.
3    Die registerführende Stelle sorgt dafür, dass die Vorgaben der Datensicherheit eingehalten werden.
VOSTRA-Verordnung). Die Strafjustizbehörden dürfen durch ein Abrufverfahren Einsicht in die Personendaten über Urteile nehmen (Art. 367 Abs. 2 lit. a
SR 331 Verordnung vom 19. Oktober 2022 über das Strafregister-Informationssystem VOSTRA (Strafregisterverordnung, StReV) - VOSTRA-Verordnung
StReV Art. 11 Datensicherheit - (Art. 14 StReG)
1    Für die Gewährleistung der Datensicherheit gelten namentlich:
a  die Datenschutzverordnung vom 31. August 20225 (DSV);
b  die Informationssicherheitsverordnung vom 8. November 20237.
2    Die angeschlossenen Behörden treffen in ihrem Bereich angemessene organisatorische und technische Massnahmen zur Gewährleistung der Datensicherheit. Die angeschlossenen kantonalen Behörden sorgen namentlich dafür, dass in ihrem Zuständigkeitsbereich minimale Vorgaben für die Informatiksicherheit (IKT-Grundschutz) umgesetzt sind, welche mit jenen in der Bundesverwaltung gleichwertig sind.
3    Die registerführende Stelle sorgt dafür, dass die Vorgaben der Datensicherheit eingehalten werden.
i.V.m. Abs. 1 lit. b StGB). Unter den Begriff der Strafjustizbehörden fallen auch die Strafgerichte (ARNOLD/GRUBER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2019, N. 21 zu Art. 367
SR 331 Verordnung vom 19. Oktober 2022 über das Strafregister-Informationssystem VOSTRA (Strafregisterverordnung, StReV) - VOSTRA-Verordnung
StReV Art. 11 Datensicherheit - (Art. 14 StReG)
1    Für die Gewährleistung der Datensicherheit gelten namentlich:
a  die Datenschutzverordnung vom 31. August 20225 (DSV);
b  die Informationssicherheitsverordnung vom 8. November 20237.
2    Die angeschlossenen Behörden treffen in ihrem Bereich angemessene organisatorische und technische Massnahmen zur Gewährleistung der Datensicherheit. Die angeschlossenen kantonalen Behörden sorgen namentlich dafür, dass in ihrem Zuständigkeitsbereich minimale Vorgaben für die Informatiksicherheit (IKT-Grundschutz) umgesetzt sind, welche mit jenen in der Bundesverwaltung gleichwertig sind.
3    Die registerführende Stelle sorgt dafür, dass die Vorgaben der Datensicherheit eingehalten werden.
StGB).
2.3.3 Das Gericht zieht sich nach dem Abschluss der Parteiverhandlungen zur geheimen Urteilsberatung zurück (Art. 348 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 348 Urteilsberatung - 1 Das Gericht zieht sich nach dem Abschluss der Parteiverhandlungen zur geheimen Urteilsberatung zurück.
1    Das Gericht zieht sich nach dem Abschluss der Parteiverhandlungen zur geheimen Urteilsberatung zurück.
2    Die Gerichtsschreiberin oder der Gerichtsschreiber nimmt mit beratender Stimme teil.
StPO). Ist der Fall noch nicht spruchreif, so entscheidet das Gericht, die Beweise zu ergänzen und die Parteiverhandlungen wieder aufzunehmen (Art. 349
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 349 Ergänzung von Beweisen - Ist der Fall noch nicht spruchreif, so entscheidet das Gericht, die Beweise zu ergänzen und die Parteiverhandlungen wieder aufzunehmen.
StPO). Das Gericht eröffnet sein Urteil nach den Bestimmungen von Art. 84
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 84 Eröffnung der Entscheide - 1 Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung mündlich und begründet es kurz.
1    Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung mündlich und begründet es kurz.
2    Das Gericht händigt den Parteien am Ende der Hauptverhandlung das Urteilsdispositiv aus oder stellt es ihnen innert 5 Tagen zu.
3    Kann das Gericht das Urteil nicht sofort fällen, so holt es dies so bald als möglich nach und eröffnet das Urteil in einer neu angesetzten Hauptverhandlung. Verzichten die Parteien in diesem Falle auf eine öffentliche Urteilsverkündung, so stellt ihnen das Gericht das Dispositiv sofort nach der Urteilsfällung zu.
4    Muss das Gericht das Urteil begründen, so stellt es innert 60 Tagen, ausnahmsweise 90 Tagen, der beschuldigten Person und der Staatsanwaltschaft das vollständige begründete Urteil zu, den übrigen Parteien nur jene Teile des Urteils, in denen ihre Anträge behandelt werden.
5    Die Strafbehörde eröffnet einfache verfahrensleitende Beschlüsse oder Verfügungen den Parteien schriftlich oder mündlich.
6    Entscheide sind nach den Bestimmungen des eidgenössischen und kantonalen Rechts anderen Behörden, Rechtsmittelentscheide auch der Vorinstanz, rechtskräftige Entscheide soweit nötig den Vollzugs- und den Strafregisterbehörden mitzuteilen.
StPO (Art. 351 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 351 - 1 Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
1    Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
2    Es kann kriminalpolizeiliche Informationen zur Verhütung von Straftaten übermitteln, wenn auf Grund konkreter Umstände mit der grossen Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens oder Vergehens zu rechnen ist.
3    Es kann Informationen zur Suche nach Vermissten und zur Identifizierung von Unbekannten vermitteln.
4    Zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kann das Bundesamt für Polizei von Privaten Informationen entgegennehmen und Private orientieren, wenn dies im Interesse der betroffenen Personen ist und deren Zustimmung vorliegt oder nach den Umständen vorausgesetzt werden kann.
StGB). Kann das Gericht das Urteil nicht sofort fällen, so holt es dies so bald als möglich nach und eröffnet das Urteil in einer neu angesetzten Hauptverhandlung. Verzichten die Parteien in diesem Fall auf eine öffentliche Urteilsverkündung, so stellt ihnen das Gericht das Dispositiv sofort nach der Urteilsfällung zu (Art. 84 Abs. 3
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 84 Eröffnung der Entscheide - 1 Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung mündlich und begründet es kurz.
1    Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung mündlich und begründet es kurz.
2    Das Gericht händigt den Parteien am Ende der Hauptverhandlung das Urteilsdispositiv aus oder stellt es ihnen innert 5 Tagen zu.
3    Kann das Gericht das Urteil nicht sofort fällen, so holt es dies so bald als möglich nach und eröffnet das Urteil in einer neu angesetzten Hauptverhandlung. Verzichten die Parteien in diesem Falle auf eine öffentliche Urteilsverkündung, so stellt ihnen das Gericht das Dispositiv sofort nach der Urteilsfällung zu.
4    Muss das Gericht das Urteil begründen, so stellt es innert 60 Tagen, ausnahmsweise 90 Tagen, der beschuldigten Person und der Staatsanwaltschaft das vollständige begründete Urteil zu, den übrigen Parteien nur jene Teile des Urteils, in denen ihre Anträge behandelt werden.
5    Die Strafbehörde eröffnet einfache verfahrensleitende Beschlüsse oder Verfügungen den Parteien schriftlich oder mündlich.
6    Entscheide sind nach den Bestimmungen des eidgenössischen und kantonalen Rechts anderen Behörden, Rechtsmittelentscheide auch der Vorinstanz, rechtskräftige Entscheide soweit nötig den Vollzugs- und den Strafregisterbehörden mitzuteilen.
StPO). Muss das Gericht das Urteil begründen, so stellt es innert 60 Tagen, ausnahmsweise 90 Tagen, der beschuldigten Person und der Staatsanwaltschaft das vollständige begründete Urteil zu (Art. 84 Abs. 4
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 84 Eröffnung der Entscheide - 1 Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung mündlich und begründet es kurz.
1    Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung mündlich und begründet es kurz.
2    Das Gericht händigt den Parteien am Ende der Hauptverhandlung das Urteilsdispositiv aus oder stellt es ihnen innert 5 Tagen zu.
3    Kann das Gericht das Urteil nicht sofort fällen, so holt es dies so bald als möglich nach und eröffnet das Urteil in einer neu angesetzten Hauptverhandlung. Verzichten die Parteien in diesem Falle auf eine öffentliche Urteilsverkündung, so stellt ihnen das Gericht das Dispositiv sofort nach der Urteilsfällung zu.
4    Muss das Gericht das Urteil begründen, so stellt es innert 60 Tagen, ausnahmsweise 90 Tagen, der beschuldigten Person und der Staatsanwaltschaft das vollständige begründete Urteil zu, den übrigen Parteien nur jene Teile des Urteils, in denen ihre Anträge behandelt werden.
5    Die Strafbehörde eröffnet einfache verfahrensleitende Beschlüsse oder Verfügungen den Parteien schriftlich oder mündlich.
6    Entscheide sind nach den Bestimmungen des eidgenössischen und kantonalen Rechts anderen Behörden, Rechtsmittelentscheide auch der Vorinstanz, rechtskräftige Entscheide soweit nötig den Vollzugs- und den Strafregisterbehörden mitzuteilen.
StPO; vgl. auch SARARARD ARQUINT, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 6 ff. zu Art. 84
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 84 Eröffnung der Entscheide - 1 Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung mündlich und begründet es kurz.
1    Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung mündlich und begründet es kurz.
2    Das Gericht händigt den Parteien am Ende der Hauptverhandlung das Urteilsdispositiv aus oder stellt es ihnen innert 5 Tagen zu.
3    Kann das Gericht das Urteil nicht sofort fällen, so holt es dies so bald als möglich nach und eröffnet das Urteil in einer neu angesetzten Hauptverhandlung. Verzichten die Parteien in diesem Falle auf eine öffentliche Urteilsverkündung, so stellt ihnen das Gericht das Dispositiv sofort nach der Urteilsfällung zu.
4    Muss das Gericht das Urteil begründen, so stellt es innert 60 Tagen, ausnahmsweise 90 Tagen, der beschuldigten Person und der Staatsanwaltschaft das vollständige begründete Urteil zu, den übrigen Parteien nur jene Teile des Urteils, in denen ihre Anträge behandelt werden.
5    Die Strafbehörde eröffnet einfache verfahrensleitende Beschlüsse oder Verfügungen den Parteien schriftlich oder mündlich.
6    Entscheide sind nach den Bestimmungen des eidgenössischen und kantonalen Rechts anderen Behörden, Rechtsmittelentscheide auch der Vorinstanz, rechtskräftige Entscheide soweit nötig den Vollzugs- und den Strafregisterbehörden mitzuteilen.
StPO). Erkennt das Gericht erst anlässlich der Urteilsberatung, dass der Fall noch nicht spruchreif ist, hat es Beweisergänzungen zu beschliessen.
BGE 148 IV 356 S. 360

Nach Massgabe der eidgenössischen Strafprozessordnung hat das Gericht die Beweisergänzungen zwingend selbst durchzuführen, sodass eine diesbezügliche Delegation an die Staatsanwaltschaft ausser Betracht fällt (SCHMID/JOSITSCH, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2017, Rz. 1339; HEIMGARTNER/NIGGLI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 1 und 5 zu Art. 349
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 349 Ergänzung von Beweisen - Ist der Fall noch nicht spruchreif, so entscheidet das Gericht, die Beweise zu ergänzen und die Parteiverhandlungen wieder aufzunehmen.
StPO).
2.4 Die Rüge der Beschwerdeführerin ist begründet.

2.4.1 Am 8. März 2021 und am 10. März 2021 erklärte zuerst die Staatsanwaltschaft und dann die Privatklägerin Berufung. Der Beschwerdegegner beantragte am 30. März 2021 Nichteintreten und erhob Anschlussberufung. Am 15. Juni 2021 holte die Vorinstanz einen Strafregisterauszug ein und lud die Parteien zur Berufungsverhandlung vom 6. Oktober 2021 vor. Wenige Tage vor der Berufungsverhandlung traf am 29. September 2021 bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis, Amt der Region Oberwallis, ein neuer Verzeigungsbericht gegen den Beschwerdegegner ein. Es ging um Tätlichkeiten, Nötigung und Freiheitsberaubung. Der entsprechende Strafregistereintrag erfolgte am 5. Oktober 2021, also einen Tag vor der Berufungsverhandlung. Mit Strafbefehl vom 6. November 2021 verurteilte die Staatsanwaltschaft den Beschwerdegegner wegen einfacher Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung. Diese Straftaten hatte der Beschwerdegegner am 21. Juli 2021 zum Nachteil seiner damaligen Freundin begangen. Der Strafbefehl blieb unangefochten und wuchs am 22. November 2021 in Rechtskraft. Erst am 4. März 2022 erging das Urteil der Vorinstanz.
2.4.2 Die Vorinstanz trägt in ihrer Vernehmlassung vor, sie habe keine Kenntnis oder Mitteilung erhalten, dass bei der Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren hängig und mit Strafbefehl abgeschlossen worden sei. Damit weist sie auf den entscheidenden Punkt hin. Denn sie hätte vor dem Erlass des angefochtenen Urteils einen aktuellen Strafregisterauszug über den Beschwerdegegner einholen müssen. Auf diese Weise hätte sie erkannt, dass seit dem 29. September 2021 ein weiteres Strafverfahren gegen ihn hängig war. Nachdem am 6. November 2021 der Strafbefehl ergangen war, hätte die Vorinstanz erkennen können, dass der Beschwerdegegner verurteilt worden war, weil er am 21. Juli 2021 eine einfache Körperverletzung,
BGE 148 IV 356 S. 361

Nötigung und Freiheitsberaubung zum Nachteil seiner damaligen Freundin begangen hatte. Nach dem 22. November 2021 wäre für die Vorinstanz ersichtlich gewesen, dass der Strafbefehl in Rechtskraft erwachsen war. Bei der Strafzumessung mass die Vorinstanz dem Umstand Bedeutung zu, dass der Beschwerdegegner angeblich seit Oktober 2017 nicht mehr delinquiert habe. Diese Feststellung hätte sie nicht gestützt auf einen Strafregisterauszug treffen dürfen, der zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung vom 6. Oktober 2021 über drei Monate und im für den Entscheid wesentlichen Zeitpunkt des angefochtenen Urteils vom 4. März 2022 über acht Monate alt war. Vielmehr war sie gestützt auf Art. 195 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 195 Einholen von Berichten und Auskünften - 1 Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
1    Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
2    Zur Abklärung der persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person holen Staatsanwaltschaft und Gerichte Auskünfte über Vorstrafen und den Leumund sowie weitere sachdienliche Berichte von Amtsstellen und Privaten ein.
StPO dazu verpflichtet, zur Abklärung der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdegegners einen aktuellen Strafregisterauszug einzuholen. Dies, zumal für die Vorinstanz von Gewicht war, dass der Beschwerdegegner angeblich seit Oktober 2017 deliktfrei war. Unter diesen Umständen hätte sie erkennen müssen, dass die Beweise gemäss Art. 349
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 349 Ergänzung von Beweisen - Ist der Fall noch nicht spruchreif, so entscheidet das Gericht, die Beweise zu ergänzen und die Parteiverhandlungen wieder aufzunehmen.
i.V.m. Art. 405 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 405 Mündliches Verfahren - 1 Die mündliche Berufungsverhandlung richtet sich nach den Bestimmungen über die erstinstanzliche Hauptverhandlung.
1    Die mündliche Berufungsverhandlung richtet sich nach den Bestimmungen über die erstinstanzliche Hauptverhandlung.
2    Hat die beschuldigte Person oder die Privatklägerschaft die Berufung oder Anschlussberufung erklärt, so lädt die Verfahrensleitung sie zur Berufungsverhandlung vor. In einfachen Fällen kann sie sie auf ihr Gesuch hin von der Teilnahme dispensieren und ihr gestatten, ihre Anträge schriftlich einzureichen und zu begründen.
3    Die Verfahrensleitung lädt die Staatsanwaltschaft zur Verhandlung vor:
a  in den in Artikel 337 Absätze 3 und 4 vorgesehenen Fällen;
b  wenn die Staatsanwaltschaft die Berufung oder die Anschlussberufung erklärt hat.
4    Ist die Staatsanwaltschaft nicht vorgeladen, so kann sie schriftliche Anträge stellen und eine schriftliche Begründung einreichen oder persönlich vor Gericht auftreten.
StPO um einen aktuellen Strafregisterauszug zu ergänzen sind. Dies gilt umso mehr, als seit der Berufungsverhandlung einige Zeit verstrichen war und die Vorinstanz die Ordnungsvorschrift von Art. 84 Abs. 4
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 84 Eröffnung der Entscheide - 1 Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung mündlich und begründet es kurz.
1    Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung mündlich und begründet es kurz.
2    Das Gericht händigt den Parteien am Ende der Hauptverhandlung das Urteilsdispositiv aus oder stellt es ihnen innert 5 Tagen zu.
3    Kann das Gericht das Urteil nicht sofort fällen, so holt es dies so bald als möglich nach und eröffnet das Urteil in einer neu angesetzten Hauptverhandlung. Verzichten die Parteien in diesem Falle auf eine öffentliche Urteilsverkündung, so stellt ihnen das Gericht das Dispositiv sofort nach der Urteilsfällung zu.
4    Muss das Gericht das Urteil begründen, so stellt es innert 60 Tagen, ausnahmsweise 90 Tagen, der beschuldigten Person und der Staatsanwaltschaft das vollständige begründete Urteil zu, den übrigen Parteien nur jene Teile des Urteils, in denen ihre Anträge behandelt werden.
5    Die Strafbehörde eröffnet einfache verfahrensleitende Beschlüsse oder Verfügungen den Parteien schriftlich oder mündlich.
6    Entscheide sind nach den Bestimmungen des eidgenössischen und kantonalen Rechts anderen Behörden, Rechtsmittelentscheide auch der Vorinstanz, rechtskräftige Entscheide soweit nötig den Vollzugs- und den Strafregisterbehörden mitzuteilen.
StPO nicht einhielt. Denn das vollständige begründete Urteil liess länger als 90 Tage auf sich warten.
2.4.3 Nach dem Gesagten verletzte die Vorinstanz Art. 195 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 195 Einholen von Berichten und Auskünften - 1 Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
1    Die Strafbehörden holen amtliche Berichte und Arztzeugnisse über Vorgänge ein, die im Strafverfahren bedeutsam sein können.
2    Zur Abklärung der persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person holen Staatsanwaltschaft und Gerichte Auskünfte über Vorstrafen und den Leumund sowie weitere sachdienliche Berichte von Amtsstellen und Privaten ein.
StPO, indem sie es versäumte, einen aktuellen Strafregisterauszug über den Beschwerdegegner einzuholen. Dadurch stellte sie die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdegegners offensichtlich unrichtig fest, indem sie annahm, er habe seit Oktober 2017 nicht mehr delinquiert. Die Behebung dieses Mangels kann für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein. Denn bei korrekter Feststellung der persönlichen Verhältnisse ist ein anderes Ergebnis der Strafzumessung wahrscheinlich. Dies gilt namentlich für den Strafaufschub.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 148 IV 356
Date : 25. August 2022
Published : 14. Januar 2023
Source : Bundesgericht
Status : 148 IV 356
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 6 und 195 Abs. 2 StPO; Untersuchungsgrundsatz; Einholen von Berichten und Auskünften; Auskünfte über Vorstrafen und


Legislation register
BGG: 97  105  106
BV: 9
StGB: 351  366  367
StPO: 6  84  161  195  348  349  405
StReV: 7  11
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118-IA-28 • 146-IV-88 • 147-IV-409 • 148-IV-356
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2006/1195