143 III 344
49. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Pensionskasse B. (Beschwerde in Zivilsachen) 4A_703/2016 vom 24. Mai 2017
Regeste (de):
- Art. 271 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 271 - 1 Die Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst.
1 Die Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst. 2 Die Kündigung muss auf Verlangen begründet werden. - Eine Begründung der Kündigung ist auch dann kein Gültigkeitserfordernis, wenn die Kündigung im Hinblick auf Sanierungs- oder Umbauarbeiten erfolgt (E. 5.3).
Regeste (fr):
- Art. 271 al. 2 CO; motivation de la résiliation d'un bail notifiée en vue de travaux de transformation ou de rénovation.
- La motivation du congé n'est pas une condition de sa validité, même lorsque celui-ci intervient en vue de travaux d'assainissement ou de transformation (consid. 5.3).
Regesto (it):
- Art. 271 cpv. 2 CO; motivazione della disdetta della locazione in vista di lavori di trasformazione o rinnovazione.
- Una motivazione della disdetta non è un requisito per la sua validità, nemmeno se la disdetta viene data in vista di lavori di trasformazione o rinnovazione (consid. 5.3).
Sachverhalt ab Seite 344
BGE 143 III 344 S. 344
Die Pensionskasse B. ist Eigentümerin einer Überbauung, die über hundert Wohnungen umfasst. Eine davon vermietete sie an A. Sie kündigte diesen Mietvertrag ordentlich und begründete dies mit dringenden Sanierungsarbeiten an den Gipsdecken in sämtlichen Wohnungen, die nicht in Anwesenheit von Mietparteien durchgeführt werden könnten. A. focht die Kündigung als gegen Treu und Glauben verstossend an. Die Treuwidrigkeit der Kündigung soll sich primär aus ihrer Begründung ergeben, die A. als unvollständig und ungenau erachtet. Das Bundesgericht weist die von A. erhobene Beschwerde in Zivilsachen ab.
(Zusammenfassung)
BGE 143 III 344 S. 345
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5. (...)
5.3.1 Nach der allgemein auf Kündigungen bezogenen Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf eine ordentliche Kündigung keiner Begründung, um gültig zu sein (BGE 125 III 231 E. 4b S. 239); sie ist jedoch auf Verlangen zu begründen (Art. 271 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 271 - 1 Die Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst. |
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1 | Die Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst. |
2 | Die Kündigung muss auf Verlangen begründet werden. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 271 - 1 Die Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst. |
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1 | Die Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst. |
2 | Die Kündigung muss auf Verlangen begründet werden. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 273 - 1 Will eine Partei die Kündigung anfechten, so muss sie das Begehren innert 30 Tagen nach Empfang der Kündigung der Schlichtungsbehörde einreichen. |
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1 | Will eine Partei die Kündigung anfechten, so muss sie das Begehren innert 30 Tagen nach Empfang der Kündigung der Schlichtungsbehörde einreichen. |
2 | Will der Mieter eine Erstreckung des Mietverhältnisses verlangen, so muss er das Begehren der Schlichtungsbehörde einreichen: |
a | bei einem unbefristeten Mietverhältnis innert 30 Tagen nach Empfang der Kündigung; |
b | bei einem befristeten Mietverhältnis spätestens 60 Tage vor Ablauf der Vertragsdauer. |
3 | Das Begehren um eine zweite Erstreckung muss der Mieter der Schlichtungsbehörde spätestens 60 Tage vor Ablauf der ersten einreichen. |
4 | Das Verfahren vor der Schlichtungsbehörde richtet sich nach der ZPO103.104 |
5 | Weist die zuständige Behörde ein Begehren des Mieters betreffend Anfechtung der Kündigung ab, so prüft sie von Amtes wegen, ob das Mietverhältnis erstreckt werden kann.105 |
BGE 143 III 344 S. 346
(BGE 142 III 91 E. 3.2.1 S. 93; BGE 140 III 496 E. 4.2.2 S. 499 f.; ferner auch Urteil 4A_625/2014 vom 25. Juni 2015 E. 4 und 5).
5.3.2 Aufgrund des Vorangehenden erscheint es angebracht, aufzuzeigen, wie es sich mit der Begründung von ordentlichen Kündigungen im Mietrecht und insbesondere bei Kündigungen im Hinblick auf Sanierungs- und Umbauarbeiten verhält. Dies vor allem auch, weil in den diesbezüglichen Erwägungen von BGE 142 III 91 und BGE 140 III 496 nicht Bezug genommen wird auf die generelle Rechtsprechung, namentlich etwa auf BGE 138 III 59, wodurch das Verhältnis ungeklärt bleibt. In der Literatur wird dies infolgedessen, gerade bezüglich dem Nachschieben von Gründen, sowohl in die eine als auch in die andere Richtung interpretiert (kritisch hinsichtlich einer gesteigerten rechtlichen Bedeutung der Begründung etwa HERZOG/KÄGI, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Mietvertragsrecht im Jahr 2015, Jusletter 13. März 2017 Rz. 30; PHILIPPE CONOD, in: Droit du bail à loyer et à ferme, 2. Aufl. 2016, N. 24 und 31a f. zu Art. 271
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 271 - 1 Die Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst. |
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1 | Die Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst. |
2 | Die Kündigung muss auf Verlangen begründet werden. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 271 - 1 Die Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst. |
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1 | Die Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst. |
2 | Die Kündigung muss auf Verlangen begründet werden. |
5.3.3 Klarzustellen ist dies dahingehend, dass eine Begründung der Kündigung auch dann kein Gültigkeitserfordernis ist, wenn die Kündigung im Hinblick auf Sanierungs- oder Umbauarbeiten erfolgt (im Ergebnis ebenso bereits Urteil 4A_583/2014 vom 23. Januar 2015 Sachverhalt lit. A und E. 2.1). Die Gesetzeslage ist stets dieselbe und es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb diesbezüglich ausnahmsweise etwas anderes gelten sollte als sonst. Die allgemeinen Grundsätze bezüglich Begründung der Kündigung, auf welche zurückzukommen hier kein Anlass besteht, finden also bei Sanierungs- und Umbaukündigungen ebenfalls Anwendung. Die Formulierungen in BGE 142 III 91 und BGE 140 III 496, die auf die Begründung abzustellen und diese letztlich zu einem
BGE 143 III 344 S. 347
Gültigkeitserfordernis zu erheben scheinen, erweisen sich daher als missverständlich, zumal aus rechtlicher Sicht die Begründung der Kündigung in beiden Fällen gar nicht entscheidwesentlich war (dahingehend auch URBAN HULLIGER, Sanierungskündigung, MRA 2016 S. 102). Die Kündigungen erwiesen sich nämlich nicht aufgrund "unzureichender" Begründungen als treuwidrig, sondern weil im massgeblichen Zeitpunkt der Kündigungen (noch) keine genügend konkreten, umsetzbaren und realitätsnahen Projekte bestanden, aufgrund deren überhaupt hätte beurteilt werden können, ob und inwiefern die Arbeiten durch die Anwesenheit der Mieterschaft tangiert würden (vgl. dazu nicht publ. E. 4.2). Deutlich zeigt sich dies in den zwei letzten Absätzen von E. 4.2.2 von BGE 140 III 496 und auch in der zusammenfassenden E. 3.2.3 von BGE 142 III 91 wird einzig auf den Stand des Projekts abgestellt, nicht auf die Begründung. Die Kündigungen erfolgten somit jeweils auf Vorrat und damit verfrüht, weshalb an ihnen, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt, kein schutzwürdiges Interesse bestand - deshalb waren sie treuwidrig. Selbst wenn nun die angedachten, sich aber im entscheidenden Moment noch nicht in einem realitätsnahen Projekt konkretisierten Sanierungs- und Umbauarbeiten in der Kündigungsbegründung detaillierter umschrieben worden wären, die Begründung also "besser" gewesen wäre, hätte sich hieran nichts geändert; die Kündigung wäre nach wie vor verfrüht und daher treuwidrig gewesen.
5.3.4 Hervorzuheben ist allerdings gleichzeitig, dass der Begründung auf faktischer Ebene, d.h. im Rahmen der Beweiswürdigung, eine erhebliche Bedeutung zukommen kann, auch wenn es sich bei ihr aus rechtlicher Sicht bloss um eine Obliegenheit der kündigenden Partei handelt. Spezifisch bei Sanierungs- oder Umbaukündigungen verhält es sich so, dass wenn die Vermieterschaft im Zeitpunkt der Kündigung über ein genügend ausgereiftes Projekt verfügt, es ihr an sich ohne Weiteres möglich und zumutbar ist, die Kündigung auch entsprechend genau zu begründen (sei es von sich aus oder spätestens auf Verlangen hin), so dass sich gestützt auf diese Angaben ein Bild davon machen lässt, ob und inwiefern die Anwesenheit der Mieterschaft diese Arbeiten tangieren würde (geradezu vorbildlich etwa die Begründung in Urteil 4A_409/2016 vom 13. September 2016 Sachverhalt lit. B). Vor diesem Hintergrund kann es - ebenso wie eine fehlerhafte Begründung (so schon BGE 125 III 231 E. 4b S. 239 f.) - ein Indiz dafür sein, dass an der Kündigung kein schützenswertes Interesse besteht, wenn zur Begründung bloss pauschal
BGE 143 III 344 S. 348
Sanierungs- oder Umbauarbeiten angegeben werden. Gegen die Wahrhaftigkeit sowohl des einen als auch des anderen Grundes kann es sodann sprechen, wenn die kündigende Partei zunächst einen Grund als Motiv für die Kündigung angibt, sich im Laufe des Verfahrens alsdann aber auf einen anderen beruft (so im Ergebnis Urteil 4C.131/2003 vom 6. August 2003 E. 3.2; vgl. auch THOMAS KOLLER, Die mietrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahr 2012, ZBJV 2013 S. 914 in fine; siehe ferner BGE 138 III 59 E. 2.3 S. 65); es sei denn, es bestünden nachvollziehbare Beweggründe für ein solches Vorgehen (etwa Urteil 4C.85/2006 vom 24. Juli 2006 E. 2; kritisch dazu DAVID LACHAT, La motivation de la résiliation du bail, CdB 2008 S. 71 f.). (...)