138 V 402
48. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Bundesamt für Sozialversicherungen gegen L. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) 8C_14/2012 vom 17. September 2012
Regeste (de):
- Art. 50 Abs. 2
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 50 Zwangsvollstreckung und Verrechnung - 1 Der Rentenanspruch ist der Zwangsvollstreckung entzogen.
1 Der Rentenanspruch ist der Zwangsvollstreckung entzogen. 2 Für die Verrechnung findet Artikel 20 Absatz 2 AHVG302 sinngemäss Anwendung. SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)
AHVG Art. 20 - 1 Der Rentenanspruch ist der Zwangsvollstreckung entzogen.106
1 Der Rentenanspruch ist der Zwangsvollstreckung entzogen.106 2 Mit fälligen Leistungen können verrechnet werden: a die Forderungen aufgrund dieses Gesetzes, des IVG107, des Erwerbsersatzgesetzes vom 25. September 1952108 und des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1952109 über die Familienzulagen in der Landwirtschaft; b Rückforderungen von Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung; c die Rückforderung von Renten und Taggeldern der obligatorischen Unfallversicherung, der Militärversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Krankenversicherung.110 SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 20 Gewährleistung zweckgemässer Verwendung - 1 Geldleistungen können ganz oder teilweise einem geeigneten Dritten oder einer Behörde ausbezahlt werden, der oder die der berechtigten Person gegenüber gesetzlich oder sittlich unterstützungspflichtig ist oder diese dauernd fürsorgerisch betreut, sofern:
1 Geldleistungen können ganz oder teilweise einem geeigneten Dritten oder einer Behörde ausbezahlt werden, der oder die der berechtigten Person gegenüber gesetzlich oder sittlich unterstützungspflichtig ist oder diese dauernd fürsorgerisch betreut, sofern: - Die Wahrung des Existenzminimums ist als Schranke der Verrechnung bei Nachzahlungen von Renten früherer Perioden dann nicht zu beachten, wenn die nachzuzahlende Rente lediglich eine in der früheren Periode geleistete Rente ersetzt und sich beide gegenseitig ausschliessen (E. 4.5).
Regeste (fr):
- Art. 50 al. 2 LAI; art. 20 al. 2 LAVS; art. 20 LPGA.
- En cas de paiements rétroactifs de rentes pour des périodes antérieures, le maintien du minimum vital ne doit pas être pris en compte comme limite de compensation lorsque la rente allouée à titre rétroactif remplace simplement une rente accordée pour une période antérieure et que les deux s'excluent mutuellement (consid. 4.5).
Regesto (it):
- Art. 50 cpv. 2 LAI; art. 20 cpv. 2 LAVS; art. 20 LPGA.
- Nel caso di pagamento retroattivo di rendite per periodi precedenti, la salvaguardia del minimo esistenziale non dev'essere presa in considerazione quale limite di compensazione laddove la rendita assegnata a titolo retroattivo sostituisce semplicemente una rendita riconosciuta per un periodo precedente e le due prestazioni si escludono vicendevolmente (consid. 4.5).
Sachverhalt ab Seite 403
BGE 138 V 402 S. 403
A.a Ab 1. März 2008 bezog die altersrentenberechtigte E. Zusatzrenten der AHV zugunsten ihres Ehemannes L. (1952). Mit Verfügung vom 5. November 2009, ersetzt durch Verfügung vom 11. November 2010, wurde diesem selber eine Rente der Invalidenversicherung mit Wirkung ebenfalls ab 1. März 2008 zugesprochen. Die IV-Stelle des Kantons Zürich (nachfolgend: IV-Stelle) kürzte gleichzeitig den Betrag der nachzuzahlenden Invalidenrenten um den Betrag der im Zeitraum vom 1. März 2008 bis und mit Oktober 2009 bezogenen Zusatzrenten der AHV, entsprechend einer Verrechnung von insgesamt Fr. 11'320.-.
A.b Die dagegen von L. erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 16. November 2011 gut und wies die Sache an die Verwaltung zurück, damit diese prüfe, ob die angeordnete Verrechnung in das Existenzminimum eingreife, und hernach neu verfüge.
A.c Auf die dagegen vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht nicht ein (Urteil 8C_1053/2010 vom 26. Januar 2011).
A.d Am 20. Mai 2011 erliess die IV-Stelle eine neue Verfügung. In der Begründung wies sie darauf hin, dass nach der Berechnung der grossen Härte nur noch Fr. 1'341.- verrechnet würden bzw. Fr. 9'979.- an den Versicherten auszurichten seien.
B. Dagegen erhob das BSV Beschwerde, die das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 14. November 2011 abwies.
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt das BSV, der vorinstanzliche Entscheid und die Verfügung vom 20. Mai 2011 seien aufzuheben, und die IV-Stelle sei anzuweisen, die vollumfängliche Verrechnung der bezogenen Zusatzrenten mit den nachzuzahlenden Invalidenrenten anzuordnen. Die IV-Stelle schliesst in ihrer Vernehmlassung, welche sie durch die Ausgleichskasse Berner Arbeitgeber erstellen liess, auf Gutheissung der Beschwerde. L. trägt mit Eingabe vom 20. Februar 2012 auf Abweisung der Beschwerde an. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
BGE 138 V 402 S. 404
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Unbestritten ist, dass die vom 1. März 2008 bis 31. Oktober 2009 an die Ehefrau des Versicherten (zugunsten ihres Ehemannes) ausgerichteten Zusatzrenten zu Unrecht geleistet wurden und zurückgefordert werden müssen, nachdem der Versicherte ab 1. März 2008 einen eigenen Anspruch auf eine Invalidenrente erworben hat (Art. 22bis
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 22bis Zusatzrente - 1 Männern und Frauen, die bis zur Entstehung des Anspruchs auf die Altersrente eine Zusatzrente der Invalidenversicherung bezogen haben, wird diese Rente weitergewährt, bis ihr Ehegatte einen Anspruch auf eine Altersrente oder eine Invalidenrente erwirbt. Eine geschiedene Person ist der verheirateten gleichgestellt, sofern sie für die ihr zugesprochenen Kinder überwiegend aufkommt und selbst keine Invaliden- oder Altersrente beanspruchen kann.114 |
|
1 | Männern und Frauen, die bis zur Entstehung des Anspruchs auf die Altersrente eine Zusatzrente der Invalidenversicherung bezogen haben, wird diese Rente weitergewährt, bis ihr Ehegatte einen Anspruch auf eine Altersrente oder eine Invalidenrente erwirbt. Eine geschiedene Person ist der verheirateten gleichgestellt, sofern sie für die ihr zugesprochenen Kinder überwiegend aufkommt und selbst keine Invaliden- oder Altersrente beanspruchen kann.114 |
2 | In Abweichung von Artikel 20 ATSG115 ist die Zusatzrente dem nicht rentenberechtigten Ehegatten auszuzahlen: |
a | auf sein Verlangen, wenn der rentenberechtigte Ehegatte seiner Unterhaltspflicht gegenüber der Familie nicht nachkommt; |
b | auf sein Verlangen, wenn die Ehegatten getrennt leben; |
c | von Amtes wegen, wenn die Ehegatten geschieden sind.116 |
3 | Abweichende zivilrichterliche Anordnungen bleiben in den Fällen von Absatz 2 vorbehalten.117 |
3.
3.1 Die Vorinstanz stützte sich namentlich auf das Urteil 9C_365/2008 vom 17. Juni 2009, in welchem in E. 5.4 erwähnt wurde, es könne angenommen werden, dass das betreibungsrechtliche Existenzminimum durch die Verrechnung nicht tangiert werde. Daraus leitete das Sozialversicherungsgericht ab, die bundesgerichtliche Rechtsprechung erachte in solchen Fällen die Wahrung des Existenzminimums als wesentlich.
3.2 Das beschwerdeführende BSV beruft sich namentlich auf BGE 136 V 286 und das Urteil 9C_1015/2010 vom 12. April 2011, in: SVR 2011 IV Nr. 70 S. 210 sowie Rz. 10922 RWL. Dabei macht es geltend, dass im vorliegenden Fall eine Verrechnung der Rentennachzahlung zulässig sei, da es um eine Frage der Rentenkoordination gehe. Nur wenn die kompensatorische Verrechnung gemäss Art. 20
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 20 - 1 Der Rentenanspruch ist der Zwangsvollstreckung entzogen.106 |
|
1 | Der Rentenanspruch ist der Zwangsvollstreckung entzogen.106 |
2 | Mit fälligen Leistungen können verrechnet werden: |
a | die Forderungen aufgrund dieses Gesetzes, des IVG107, des Erwerbsersatzgesetzes vom 25. September 1952108 und des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1952109 über die Familienzulagen in der Landwirtschaft; |
b | Rückforderungen von Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung; |
c | die Rückforderung von Renten und Taggeldern der obligatorischen Unfallversicherung, der Militärversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Krankenversicherung.110 |
BGE 138 V 402 S. 405
4.
4.1 Aus dem Urteil 9C_365/2008 kann entgegen der Vorinstanz nicht abgeleitet werden, dass nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in Fällen, da Rentennachzahlungen mit früheren Leistungen verrechnet werden, das Existenzminimum einzuhalten ist. Da in jenem Verfahren aufgrund der Akten keine Anhaltspunkte für eine mögliche Verletzung des Existenzminimums bestanden und die Beschwerdeführerin auch nichts dergleichen geltend gemacht hatte, musste die Frage zum Vornherein nicht geprüft werden. Im Übrigen erging das Urteil nicht als Grundsatzentscheid (Art. 20 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 20 Besetzung - 1 Die Abteilungen entscheiden in der Regel in der Besetzung mit drei Richtern oder Richterinnen (Spruchkörper). |
|
1 | Die Abteilungen entscheiden in der Regel in der Besetzung mit drei Richtern oder Richterinnen (Spruchkörper). |
2 | Über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder auf Antrag eines Richters oder einer Richterin entscheiden sie in Fünferbesetzung. Ausgenommen sind Beschwerden gegen Entscheide der kantonalen Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen. |
3 | In Fünferbesetzung entscheiden sie ferner über Beschwerden gegen referendumspflichtige kantonale Erlasse und gegen kantonale Entscheide über die Zulässigkeit einer Initiative oder das Erfordernis eines Referendums. Ausgenommen sind Beschwerden, die eine Angelegenheit einer Gemeinde oder einer anderen Körperschaft des kantonalen Rechts betreffen. |
4.2 Das ATSG (SR 830.1) enthält keine allgemeine Verrechnungsnorm (vgl. aber Art. 20 Abs. 2
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) ATSG Art. 20 Gewährleistung zweckgemässer Verwendung - 1 Geldleistungen können ganz oder teilweise einem geeigneten Dritten oder einer Behörde ausbezahlt werden, der oder die der berechtigten Person gegenüber gesetzlich oder sittlich unterstützungspflichtig ist oder diese dauernd fürsorgerisch betreut, sofern: |
|
1 | Geldleistungen können ganz oder teilweise einem geeigneten Dritten oder einer Behörde ausbezahlt werden, der oder die der berechtigten Person gegenüber gesetzlich oder sittlich unterstützungspflichtig ist oder diese dauernd fürsorgerisch betreut, sofern: |
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG) IVG Art. 50 Zwangsvollstreckung und Verrechnung - 1 Der Rentenanspruch ist der Zwangsvollstreckung entzogen. |
|
1 | Der Rentenanspruch ist der Zwangsvollstreckung entzogen. |
2 | Für die Verrechnung findet Artikel 20 Absatz 2 AHVG302 sinngemäss Anwendung. |
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 20 - 1 Der Rentenanspruch ist der Zwangsvollstreckung entzogen.106 |
|
1 | Der Rentenanspruch ist der Zwangsvollstreckung entzogen.106 |
2 | Mit fälligen Leistungen können verrechnet werden: |
a | die Forderungen aufgrund dieses Gesetzes, des IVG107, des Erwerbsersatzgesetzes vom 25. September 1952108 und des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1952109 über die Familienzulagen in der Landwirtschaft; |
b | Rückforderungen von Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung; |
c | die Rückforderung von Renten und Taggeldern der obligatorischen Unfallversicherung, der Militärversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Krankenversicherung.110 |
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG) IVG Art. 50 Zwangsvollstreckung und Verrechnung - 1 Der Rentenanspruch ist der Zwangsvollstreckung entzogen. |
|
1 | Der Rentenanspruch ist der Zwangsvollstreckung entzogen. |
2 | Für die Verrechnung findet Artikel 20 Absatz 2 AHVG302 sinngemäss Anwendung. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 112 * - 1 Der Bund erlässt Vorschriften über die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung. |
|
1 | Der Bund erlässt Vorschriften über die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung. |
2 | Er beachtet dabei folgende Grundsätze: |
a | Die Versicherung ist obligatorisch. |
abis | Sie gewährt Geld- und Sachleistungen. |
b | Die Renten haben den Existenzbedarf angemessen zu decken. |
c | Die Höchstrente beträgt maximal das Doppelte der Mindestrente. |
d | Die Renten werden mindestens der Preisentwicklung angepasst. |
3 | Die Versicherung wird finanziert: |
a | durch Beiträge der Versicherten, wobei die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber für ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Hälfte der Beiträge bezahlen; |
b | durch Leistungen des Bundes. |
4 | Die Leistungen des Bundes betragen höchstens die Hälfte der Ausgaben.67 |
5 | Die Leistungen des Bundes werden in erster Linie aus dem Reinertrag der Tabaksteuer, der Steuer auf gebrannten Wassern und der Abgabe aus dem Betrieb von Spielbanken gedeckt. |
6 | ...68 |
BGE 138 V 402 S. 406
Erlass der Rentenverfügung die Verrechnungsschranke zu umgehen (bereits erwähntes Urteil I 141/05 E. 5.3.1 mit Hinweis auf das Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 153/85 vom 29. April 1986).
4.3 Diese Rechtsprechung wurde mit den beiden vom beschwerdeführenden BSV zitierten Urteilen des Bundesgerichts bestätigt. Im bereits erwähnten Urteil 9C_1015/2010 E. 3.4 wurde die Verrechnung einer Rentennachzahlung verweigert für einen früheren Zeitraum, in welchem der Versicherte mangels Unterstützung durch die Sozialbehörde unter dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum gelebt hatte. Das Bundesgericht lehnte eine Änderung der Rechtsprechung ab, wonach bei Rentennachzahlungen die Zulässigkeit einer Verrechnung generell nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des Existenzminimums zu prüfen gewesen wäre und verwies namentlich auf den bereits im Urteil I 141/05 hervorgehobenen Gesichtspunkt, dass es die Verwaltung sonst in der Hand hätte, durch Zuwarten mit dem Erlass der Rentenverfügung die Verrechnungsschranke zu umgehen. In BGE 136 V 286 (E. 7 f.) wurde sodann die Verrechnung von Rentennachzahlungen mit Schadenersatzforderungen nach Art. 52 Abs. 2
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
|
1 | Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
2 | Handelt es sich beim Arbeitgeber um eine juristische Person, so haften subsidiär die Mitglieder der Verwaltung und alle mit der Geschäftsführung oder Liquidation befassten Personen. Sind mehrere Personen für den gleichen Schaden verantwortlich, so haften sie für den ganzen Schaden solidarisch.292 |
3 | Der Schadenersatzanspruch verjährt nach den Bestimmungen des Obligationenrechts293 über die unerlaubten Handlungen.294 |
4 | Die zuständige Ausgleichskasse macht den Schadenersatz durch Erlass einer Verfügung geltend.295 |
5 | In Abweichung von Artikel 58 Absatz 1 ATSG296 ist für die Beschwerde das Versicherungsgericht des Kantons zuständig, in welchem der Arbeitgeber seinen Wohnsitz hat. |
6 | Die Haftung nach Artikel 78 ATSG ist ausgeschlossen. |
4.4 Die Frage der Verrechnung kann sich stellen gegenüber Beitragsforderungen, Leistungen und Leistungsrückforderungen (vgl. E. 4.1 hievor). Im Hinblick auf die Verrechnung von Nachzahlungen ist von Bedeutung, ob diese mit offenen Beitragsforderungen oder mit Leistungsrückforderungen erfolgen soll. Im ersten Fall entstand die Verrechnungsforderung, weil der Versicherte seine Verpflichtungen gegenüber dem Sozialversicherer nicht erfüllte; im zweiten Fall, weil ein Sozialversicherer Leistungen erbrachte, deren Rechtsgrund nachträglich entfiel.
BGE 138 V 402 S. 407
Die Frage der Wahrung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums kann sich nur in ersterem Fall stellen. Entsprechend ging es auch in den Urteilen 9C_1015/2010 und I 141/05 darum, dass Rentennachzahlungen mit ausstehenden Beiträgen verrechnet werden sollten. Da im relevanten Zeitraum, für welchen die Nachzahlung erfolgen sollte, keine anderen Leistungen geflossen waren, war in diesen Fällen zu prüfen, ob das Nicht-Erreichen des Existenzminimums der Verrechnung entgegengehalten werden kann. Die Situation ist jedoch eine andere, wenn im fraglichen Zeitraum Leistungen erbracht wurden, deren Rechtsgrund nachträglich entfällt. Hier wird nur eine Bedarfsleistung durch eine andere ersetzt. Das Bundesgericht hat in BGE 130 V 505 zum rechtlichen Verhältnis zwischen der vorerst einem Ehepartner zugesprochenen Zusatzrente und der später zugunsten des andern Ehepartners verfügten Invalidenrente festgehalten, der Anspruch des einen Ehepartners auf eine Zusatzrente für den andern sei von der Bedingung abhängig, dass jener keinen eigenen Anspruch auf eine Rente habe. Die beiden zur Diskussion stehenden Leistungen schlössen sich somit gegenseitig aus (E. 2.6). Das bedeute, dass die Verrechnung zuzulassen sei. In E. 2.9 des französischsprachigen Urteils führte das Bundesgericht aus (vgl. Übersetzung in: Pra 2005 Nr. 153 S. 1038): Das Gegenteil zuzulassen, könnte eine wirksame Rechtsanwendung verhindern, wenn die Höhe der Leistungen an einen Ehegatten zufolge des Eintrittes eines zweiten Versicherungsfalles beim Ehepaar überprüft werden muss. Das Rückerstattungsbegehren gegenüber dem Leistungsberechtigten würde sich bei Erlass der Rückerstattung als undurchführbar erweisen. Ein solcher Erlass müsste häufig erfolgen, weil die Voraussetzung des guten Glaubens immer erfüllt und dann allein noch die Frage der grossen Härte zu prüfen wäre (Art. 25
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) ATSG Art. 25 Rückerstattung - 1 Unrechtmässig bezogene Leistungen sind zurückzuerstatten. Wer Leistungen in gutem Glauben empfangen hat, muss sie nicht zurückerstatten, wenn eine grosse Härte vorliegt. |
|
1 | Unrechtmässig bezogene Leistungen sind zurückzuerstatten. Wer Leistungen in gutem Glauben empfangen hat, muss sie nicht zurückerstatten, wenn eine grosse Härte vorliegt. |
2 | Der Rückforderungsanspruch erlischt drei Jahre, nachdem die Versicherungseinrichtung davon Kenntnis erhalten hat, spätestens aber fünf Jahre seit der Auszahlung der einzelnen Leistung.19 Wird der Rückerstattungsanspruch aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für welche das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist vorsieht, so ist diese Frist massgebend. |
3 | Zuviel bezahlte Beiträge können zurückgefordert werden. Der Anspruch erlischt mit dem Ablauf eines Jahres, nachdem der Beitragspflichtige von seinen zu hohen Zahlungen Kenntnis erhalten hat, spätestens aber fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge bezahlt wurden. |
SR 830.11 Verordnung vom 11. September 2002 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSV) ATSV Art. 5 Grosse Härte - 1 Eine grosse Härte im Sinne von Artikel 25 Absatz 1 ATSG liegt vor, wenn die vom Bundesgesetz vom 6. Oktober 20068 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG) anerkannten Ausgaben und die zusätzlichen Ausgaben nach Absatz 4 die nach ELG anrechenbaren Einnahmen übersteigen. |
|
1 | Eine grosse Härte im Sinne von Artikel 25 Absatz 1 ATSG liegt vor, wenn die vom Bundesgesetz vom 6. Oktober 20068 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG) anerkannten Ausgaben und die zusätzlichen Ausgaben nach Absatz 4 die nach ELG anrechenbaren Einnahmen übersteigen. |
2 | Bei der Berechnung der anerkannten Ausgaben nach Absatz 1 werden angerechnet: |
a | bei zu Hause lebenden Personen: als Mietzins der jeweilige Höchstbetrag nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b ELG; |
b | bei in Heimen oder Spitälern lebenden Personen: 4800 Franken pro Jahr als Betrag für persönliche Auslagen; |
c | bei allen Personen: als Pauschalbetrag für die obligatorische Krankenpflegeversicherung die höchste Prämie für die jeweilige Personenkategorie nach der jeweils gültigen Verordnung des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) über die kantonalen und regionalen Durchschnittsprämien der Krankenpflegeversicherung für die Berechnung der Ergänzungsleistungen. |
3 | Der Vermögensverzehr bei in Heimen oder Spitälern lebenden Personen beträgt ein Fünfzehntel; bei in Heimen oder Spitälern lebenden Altersrentnerinnen und |
4 | Als zusätzliche Ausgabe werden angerechnet: |
a | bei Alleinstehenden: 8000 Franken; |
b | bei Ehepaaren: 12 000 Franken; |
c | bei rentenberechtigten Waisen und bei Kindern, die einen Anspruch auf Kinderrente der AHV oder IV begründen: 4000 Franken pro Kind. |
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 47 |
BGE 138 V 402 S. 408
grundsätzlich gegenseitig ausschliessenden Leistungen als Folge des zeitlichen Auseinanderfallens der Zusprache ist, und die finanzielle Situation des Versicherten nicht dazu führen kann, diese Leistungskumulation trotzdem zuzulassen. Im gleichen Sinn hat das Bundesgericht in früheren Urteilen auch die Berufung auf den Härtefall nach aArt. 47 Abs. 1
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 47 |
4.5 Die Verrechnung ist hier somit zulässig, ohne dass dem die Einhaltung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums entgegengehalten werden kann. Dies entspricht auch dem oben in E. 4.2 dargelegten grundsätzlichen Ziel, dass Rechtswirkungen nicht lediglich aus der zeitlichen Verschiebung von Zahlungen resultieren sollen. Ebenso wenig wie die Beachtung der Verrechnungsschranke bei Nachzahlungen sicherstellen soll, dass es nicht zufolge zeitlicher Verschiebungen von Zahlungen zu ungerechtfertigten Nachteilen für den Versicherten kommt, soll die zeitliche Verschiebung zu vom Gesetz grundsätzlich ausgeschlossenen Leistungskumulationen führen.