Urteilskopf

137 IV 92

13. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau und Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen) 1B_153/2011 vom 5. Mai 2011

Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 94

BGE 137 IV 92 S. 94

A. X. wurde am 1. März 2011, um 19.30 Uhr, beim Grenzübertritt in Diepoldsau/SG vorläufig festgenommen wegen des Verdachts, einer international tätigen, auf Luxusautomobile spezialisierten Diebesbande anzugehören. Am 2. März 2011 wurde er der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau zugeführt, welche ihn tags darauf befragte und ihm anschliessend die Festnahme eröffnete. Am 4. März 2011 beantragte die Staatsanwaltschaft Aarau-Lenzburg dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau, gegen X. vorläufig bis zum 3. Juni 2011 Untersuchungshaft anzuordnen.
Am 5. März 2011 führte das Zwangsmassnahmengericht eine Verhandlung durch und versetzte X. bis zum 3. Juni 2011 in Untersuchungshaft. Am 7. März 2011 erhob X. beim Obergericht des Kantons Aargau Beschwerde mit dem Antrag, ihn unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Am 21. März 2001 erkannte die Beschwerdekammer des Obergerichts: "1. Es wird festgestellt, dass die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau das prozessuale Beschleunigungsgebot in Haftsachen verletzt hat. 2. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau vom 5. März 2011 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Haftrichterin zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
3. und 4. (Kosten- und Entschädigungsfolgen)"

B. Am 25. März 2011 versetzte das Zwangsmassnahmengericht X. einstweilen bis zum 1. Juni 2011 in Untersuchungshaft. Die Beschwerde von X. gegen diesen Entscheid ist beim Obergericht hängig.
C. Mit Beschwerde in Strafsachen vom 1. April 2011 beantragt X. in der Sache, Dispositiv-Ziffer 2 des Entscheids des Obergerichts vom 21. März 2011 aufzuheben und wie folgt neu zu fassen:
BGE 137 IV 92 S. 95

"Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau vom 5. März 2011 aufgehoben. Der Beschwerdeführer wird unverzüglich aus der Haft entlassen." (Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Der Beschwerdeführer wurde am 1. März 2011, um 19.30 Uhr, festgenommen. Der Haftanordnungsantrag der Staatsanwaltschaft ging nach den unbestrittenen Feststellungen der kantonalen Instanzen am 4. März 2011, um 07.36 Uhr, beim Zwangsmassnahmengericht ein. Dieses führte die Haftverhandlung am 5. März 2011, ab 08.30 Uhr, durch und eröffnete dem Beschwerdeführer den Haftentscheid um 9.15 Uhr mündlich.
2.1 Nach Art. 224 Abs. 1 der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen (AS 2010 1881) Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO; SR 312.0) befragt die Staatsanwaltschaft die beschuldigte Person unverzüglich und gibt ihr Gelegenheit, sich zum Tatverdacht und zu den Haftgründen zu äussern. Sie erhebt unverzüglich jene Beweise, die zur Erhärtung oder zur Entkräftung des Tatverdachts und der Haftgründe geeignet und ohne Weiteres verfügbar sind. Bestätigen sich der Tatverdacht und die Haftgründe, so beantragt die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden seit der Festnahme, die Anordnung von Untersuchungshaft oder einer Ersatzmassnahme. Sie reicht ihren Antrag schriftlich ein, begründet ihn kurz und legt die wesentlichen Akten bei (Abs. 2). Nach Art. 226 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 226 Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts - 1 Das Zwangsmassnahmengericht entscheidet unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden nach Eingang des Antrags.
1    Das Zwangsmassnahmengericht entscheidet unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden nach Eingang des Antrags.
2    Es eröffnet seinen Entscheid der Staatsanwaltschaft, der beschuldigten Person und ihrer Verteidigung unverzüglich mündlich oder, falls sie abwesend sind, schriftlich. Anschliessend stellt es ihnen eine kurze schriftliche Begründung zu.
3    Ordnet es die Untersuchungshaft an, so weist es die beschuldigte Person darauf hin, dass sie jederzeit ein Haftentlassungsgesuch stellen kann.
4    Es kann in seinem Entscheid:
a  eine Höchstdauer der Untersuchungshaft festlegen;
b  die Staatsanwaltschaft anweisen, bestimmte Untersuchungshandlungen vorzunehmen;
c  an Stelle der Untersuchungshaft Ersatzmassnahmen anordnen.
5    Ordnet es die Untersuchungshaft nicht an, so wird die beschuldigte Person unverzüglich freigelassen.
StPO hat daraufhin das Zwangsmassnahmengericht unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden nach Eingang des Antrags zu entscheiden.
2.2 Die Staatsanwaltschaft beantragte die Anordnung von Untersuchungshaft rund 60 Stunden nach der Festnahme des Beschwerdeführers, mithin 12 Stunden zu spät. Das ist unstrittig und wurde vom Obergericht mit einer entsprechenden Feststellung in Dispositiv-Ziffer 1 des angefochtenen Entscheids sanktioniert. Der Beschwerdeführer macht geltend, Art. 224 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 224 Haftverfahren vor der Staatsanwaltschaft - 1 Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person unverzüglich und gibt ihr Gelegenheit, sich zum Tatverdacht und zu den Haftgründen zu äussern. Sie erhebt unverzüglich jene Beweise, die zur Erhärtung oder Entkräftung des Tatverdachts und der Haftgründe geeignet und ohne Weiteres verfügbar sind.
1    Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person unverzüglich und gibt ihr Gelegenheit, sich zum Tatverdacht und zu den Haftgründen zu äussern. Sie erhebt unverzüglich jene Beweise, die zur Erhärtung oder Entkräftung des Tatverdachts und der Haftgründe geeignet und ohne Weiteres verfügbar sind.
2    Bestätigen sich der Tatverdacht und die Haftgründe, so beantragt die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden seit der Festnahme, die Anordnung der Untersuchungshaft oder einer Ersatzmassnahme. Sie reicht ihren Antrag schriftlich ein, begründet ihn kurz und legt die wesentlichen Akten bei.
3    Verzichtet sie auf einen Haftantrag, so verfügt sie die unverzügliche Freilassung. Beantragt sie eine Ersatzmassnahme, so trifft sie die erforderlichen sichernden Massnahmen.
StPO statuiere eine Gültigkeits-, keine blosse Ordnungsvorschrift. Sie könne zwar im Ausnahmefall zugunsten des Festgenommenen - z.B. für die Abnahme eines Entlastungsbeweises - in engem Rahmen überschritten werden. Abgesehen davon sei sie zwingend einzuhalten, bei Verletzung der Frist müsse der Festgenommene unverzüglich auf
BGE 137 IV 92 S. 96

freien Fuss gesetzt werden, da die Bestimmung sonst toter Buchstabe bleibe.
3.

3.1 Der Anspruch des Festgenommenen auf einen unverzüglichen richterlichen Entscheid über die Anordnung von Untersuchungshaft bzw. die entsprechende Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, einen Haftantrag mit besonderer Beschleunigung dem zuständigen Haftrichter vorzulegen, ergeben sich unabhängig vom anwendbaren Prozessrecht aus den entsprechenden verfassungs- und konventionsrechtlichen Garantien von Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV und Art. 5 Ziff. 3
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
EMRK; eine übermässige Haftdauer oder ungerechtfertigte, von den Strafverfolgungsbehörden zu vertretende Verzögerungen im Haftanordnungsverfahren stellen unverhältnismässige Beschränkungen dieser Grundrechte dar (BGE 133 I 270 E. 1.2.2; BGE 128 I 149 E. 2.2.1; je mit Hinweisen). Die Rechtsprechung zum Beschleunigungsgebot geht zwar davon aus, dass die Frist zwischen Festnahme und haftrichterlicher Anhörung 48 Stunden grundsätzlich nicht überschreiten sollte (BGE 136 I 274 E. 2.2; BGE 131 I 36 E. 2.6 S. 44). Diese Zeitspanne ist allerdings nicht als starre Frist zu verstehen; vielmehr ist stets im Einzelfall zu prüfen, ob die Zeitspanne zwischen Festnahme und haftrichterlicher Verhandlung unter Berücksichtigung aller massgeblicher Umstände noch als "unverzüglich" im Sinn der verfassungs- und konventionsrechtlichen Garantien gelten kann oder nicht. Die Verletzung des Beschleunigungsgebotes kann im Weiteren nur zur Haftentlassung führen, wenn die Verfahrensverzögerung geeignet ist, die Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft in Frage zu stellen. Das ist nur der Fall, wenn sie besonders schwer wiegt und die Strafverfolgungsbehörden erkennen lassen, dass sie nicht gewillt oder in der Lage sind, das Verfahren nunmehr mit der für Haftfälle verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung voranzutreiben (BGE 128 I 149 E. 2.2.1; Urteil 1B_63/2007 vom 11. Mai 2007 E. 4.3, nicht publ. in: BGE 133 I 168).
3.2 Der Gesetzgeber hat für den Zeitablauf zwischen Festnahme und Haftentscheid nunmehr konkrete Fristen aufgestellt. Danach hat die Staatsanwaltschaft maximal 48 Stunden Zeit bis zur Einreichung des Haftantrags, und dem Zwangsmassnahmengericht stehen anschliessend maximal 48 Stunden zu, seinen Entscheid zu fällen (Art. 224 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 224 Haftverfahren vor der Staatsanwaltschaft - 1 Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person unverzüglich und gibt ihr Gelegenheit, sich zum Tatverdacht und zu den Haftgründen zu äussern. Sie erhebt unverzüglich jene Beweise, die zur Erhärtung oder Entkräftung des Tatverdachts und der Haftgründe geeignet und ohne Weiteres verfügbar sind.
1    Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person unverzüglich und gibt ihr Gelegenheit, sich zum Tatverdacht und zu den Haftgründen zu äussern. Sie erhebt unverzüglich jene Beweise, die zur Erhärtung oder Entkräftung des Tatverdachts und der Haftgründe geeignet und ohne Weiteres verfügbar sind.
2    Bestätigen sich der Tatverdacht und die Haftgründe, so beantragt die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden seit der Festnahme, die Anordnung der Untersuchungshaft oder einer Ersatzmassnahme. Sie reicht ihren Antrag schriftlich ein, begründet ihn kurz und legt die wesentlichen Akten bei.
3    Verzichtet sie auf einen Haftantrag, so verfügt sie die unverzügliche Freilassung. Beantragt sie eine Ersatzmassnahme, so trifft sie die erforderlichen sichernden Massnahmen.
, Art. 226 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 226 Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts - 1 Das Zwangsmassnahmengericht entscheidet unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden nach Eingang des Antrags.
1    Das Zwangsmassnahmengericht entscheidet unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden nach Eingang des Antrags.
2    Es eröffnet seinen Entscheid der Staatsanwaltschaft, der beschuldigten Person und ihrer Verteidigung unverzüglich mündlich oder, falls sie abwesend sind, schriftlich. Anschliessend stellt es ihnen eine kurze schriftliche Begründung zu.
3    Ordnet es die Untersuchungshaft an, so weist es die beschuldigte Person darauf hin, dass sie jederzeit ein Haftentlassungsgesuch stellen kann.
4    Es kann in seinem Entscheid:
a  eine Höchstdauer der Untersuchungshaft festlegen;
b  die Staatsanwaltschaft anweisen, bestimmte Untersuchungshandlungen vorzunehmen;
c  an Stelle der Untersuchungshaft Ersatzmassnahmen anordnen.
5    Ordnet es die Untersuchungshaft nicht an, so wird die beschuldigte Person unverzüglich freigelassen.
StPO). Das Gesetz regelt die Säumnisfolgen nicht, und die Botschaft (BBl 2006 1085 ff., insbesondere 1230 ff.) schweigt sich dazu aus.

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3.2.1 Diese gesetzlichen Fristen sollen offensichtlich die oben in E. 3.1 dargestellten verfassungs- und konventionsrechtlichen Vorgaben konkretisieren. Bereits daraus ergibt sich ohne Weiteres, dass es sich dabei nicht um reine Ordnungsfristen handelt, aus deren Überschreitung der Betroffene in der Regel nichts zu seinen Gunsten ableiten kann. Für den Festgenommenen entscheidend ist allerdings nur die Zeitspanne zwischen Festnahme und Haftentscheid. Von untergeordneter Bedeutung ist für ihn hingegen, wie sich die einzelnen Verfahrensschritte vor dem Haftentscheid zeitlich verteilen. Insofern richtet sich die Frist von Art. 224 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 224 Haftverfahren vor der Staatsanwaltschaft - 1 Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person unverzüglich und gibt ihr Gelegenheit, sich zum Tatverdacht und zu den Haftgründen zu äussern. Sie erhebt unverzüglich jene Beweise, die zur Erhärtung oder Entkräftung des Tatverdachts und der Haftgründe geeignet und ohne Weiteres verfügbar sind.
1    Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person unverzüglich und gibt ihr Gelegenheit, sich zum Tatverdacht und zu den Haftgründen zu äussern. Sie erhebt unverzüglich jene Beweise, die zur Erhärtung oder Entkräftung des Tatverdachts und der Haftgründe geeignet und ohne Weiteres verfügbar sind.
2    Bestätigen sich der Tatverdacht und die Haftgründe, so beantragt die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden seit der Festnahme, die Anordnung der Untersuchungshaft oder einer Ersatzmassnahme. Sie reicht ihren Antrag schriftlich ein, begründet ihn kurz und legt die wesentlichen Akten bei.
3    Verzichtet sie auf einen Haftantrag, so verfügt sie die unverzügliche Freilassung. Beantragt sie eine Ersatzmassnahme, so trifft sie die erforderlichen sichernden Massnahmen.
StPO in erster Linie an die Staatsanwaltschaft, die durch deren Einhaltung gezwungen werden soll, dem Haftrichter ausreichend Zeit für die Prüfung des Haftantrags einzuräumen. Es handelt sich damit um eine vor allem die inneren Abläufe der Strafverfolgungsbehörden betreffende Frist, deren Einhaltung grundsätzlich auch im Interesse der festgenommenen Person liegt. Daraus ergibt sich, dass die Aufrechterhaltung der Haft nicht schon dann gesetzwidrig wird, wenn die Staatsanwaltschaft den Haftantrag nicht innert 48 Stunden nach der Festnahme dem Haftrichter einreicht, sondern erst, wenn der Haftrichter den Haftentscheid dem Festgenommenen nicht innert 96 Stunden nach der Festnahme eröffnet hat. Allerdings ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass das verfassungs- und konventionsrechtliche ebenso wie das strafprozessuale Beschleunigungsgebot eine besonders beförderliche Behandlung des Haftverfahrens verlangen, was bedeutet, dass diese gesetzlichen Maximalfristen im Normalfall weit unterschritten werden müssen und höchstens in begründeten Einzelfällen ausgeschöpft werden dürfen.
3.2.2 Vorliegend wurde der Beschwerdeführer am 1. März 2011, um 19.30 Uhr, bei der Einreise in die Schweiz im Kanton St. Gallen verhaftet und am nächsten Tag ins Bezirksgefängnis Unterkulm überführt, wo er um 17.30 Uhr eintraf. Die Erledigung der mit der Festnahme verbundenen Formalitäten und die Organisation des Transports sind mit einem nicht unerheblichen Zeitaufwand verbunden, weshalb diese Überführung in zeitlicher Hinsicht nicht zu beanstanden ist. Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau führte mit dem Beschwerdeführer am 3. März 2011, um 08.25 Uhr, eine Einvernahme durch. Sie erstellte gleichentags den Antrag auf Anordnung von Untersuchungshaft und faxte diesen unbestrittenermassen um 17.45 Uhr dem Verteidiger des Beschwerdeführers. Dem
BGE 137 IV 92 S. 98

Zwangsmassnahmengericht stellte sie den Antrag am 4. März 2011, um 07.36 Uhr, zu. Das Obergericht hat zu Recht beanstandet, dass die Staatsanwaltschaft die Zustellung an das Zwangsmassnahmengericht ohne zwingenden Grund über Nacht hinausschob. Dieses hat den Haftentscheid dann innert 26 Stunden gefällt und eröffnet. Dieser Zeitbedarf erscheint unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgebots nicht übermässig, insbesondere weil auch noch eine Dolmetscherin aufgeboten werden musste.
3.2.3 Eine zusammenfassende Würdigung der Verfahrensführung in zeitlicher Hinsicht ergibt somit, dass zwar der Staatsanwaltschaft vorzuwerfen ist, dass sie den Antrag auf Haftanordnung dem Zwangsmassnahmengericht nicht am Abend des 3., sondern erst am frühen Morgen des 4. März 2011 zustellte und damit die Frist von Art. 224 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 224 Haftverfahren vor der Staatsanwaltschaft - 1 Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person unverzüglich und gibt ihr Gelegenheit, sich zum Tatverdacht und zu den Haftgründen zu äussern. Sie erhebt unverzüglich jene Beweise, die zur Erhärtung oder Entkräftung des Tatverdachts und der Haftgründe geeignet und ohne Weiteres verfügbar sind.
1    Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person unverzüglich und gibt ihr Gelegenheit, sich zum Tatverdacht und zu den Haftgründen zu äussern. Sie erhebt unverzüglich jene Beweise, die zur Erhärtung oder Entkräftung des Tatverdachts und der Haftgründe geeignet und ohne Weiteres verfügbar sind.
2    Bestätigen sich der Tatverdacht und die Haftgründe, so beantragt die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden seit der Festnahme, die Anordnung der Untersuchungshaft oder einer Ersatzmassnahme. Sie reicht ihren Antrag schriftlich ein, begründet ihn kurz und legt die wesentlichen Akten bei.
3    Verzichtet sie auf einen Haftantrag, so verfügt sie die unverzügliche Freilassung. Beantragt sie eine Ersatzmassnahme, so trifft sie die erforderlichen sichernden Massnahmen.
StPO verletzte. Die richterliche Eröffnung der Untersuchungshaft erfolgte indessen 86 Stunden nach der Festnahme und damit innerhalb der gesetzlichen Maximalfrist von 96 Stunden. Das ist insbesondere mit Blick auf die Schwierigkeiten des Verfahrens - Zuführung des Beschwerdeführers aus einem anderen Kanton und Notwendigkeit, eine Dolmetscherin für eine in der Schweiz wenig gängige Sprache aufzubieten - gerade noch akzeptabel. Die Rüge, der Beschwerdeführer hätte wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots umgehend auf freien Fuss gesetzt werden müssen, ist unbegründet. Das Obergericht hat zudem der Verletzung der Frist von Art. 224 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 224 Haftverfahren vor der Staatsanwaltschaft - 1 Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person unverzüglich und gibt ihr Gelegenheit, sich zum Tatverdacht und zu den Haftgründen zu äussern. Sie erhebt unverzüglich jene Beweise, die zur Erhärtung oder Entkräftung des Tatverdachts und der Haftgründe geeignet und ohne Weiteres verfügbar sind.
1    Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person unverzüglich und gibt ihr Gelegenheit, sich zum Tatverdacht und zu den Haftgründen zu äussern. Sie erhebt unverzüglich jene Beweise, die zur Erhärtung oder Entkräftung des Tatverdachts und der Haftgründe geeignet und ohne Weiteres verfügbar sind.
2    Bestätigen sich der Tatverdacht und die Haftgründe, so beantragt die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden seit der Festnahme, die Anordnung der Untersuchungshaft oder einer Ersatzmassnahme. Sie reicht ihren Antrag schriftlich ein, begründet ihn kurz und legt die wesentlichen Akten bei.
3    Verzichtet sie auf einen Haftantrag, so verfügt sie die unverzügliche Freilassung. Beantragt sie eine Ersatzmassnahme, so trifft sie die erforderlichen sichernden Massnahmen.
StPO durch die Staatsanwaltschaft bereits Rechnung getragen, indem es die Verletzung des Beschleunigungsgebots feststellte und entgegen dem Ausgang des Beschwerdeverfahrens die gesamten Gerichtskosten auf die Staatskasse nahm, obwohl es die Beschwerde nur teilweise guthiess und damit der Beschwerdeführer an sich einen Teil der Verfahrenskosten hätte übernehmen müssen.
3.2.4 Der Beschwerdeführer rügt, das Obergericht habe auch selber das Beschleunigungsgebot verletzt, indem es die Sache zu neuem Entscheid an das Zwangsmassnahmengericht zurückgewiesen habe, anstatt selber zu entscheiden. Mit einem Entscheid in der Sache hätte das Obergericht indessen den Rechtsmittelzug des Beschwerdeführers um eine Instanz verkürzt, und es steht keineswegs fest, dass es in der Lage gewesen wäre, schneller neu zu entscheiden als es das Zwangsmassnahmengericht tat, nämlich am 25. März 2011, nur vier Tage nach dem Rückweisungsentscheid. Dieser ist daher auch unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgebots vertretbar. Die Rüge ist unbegründet.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 137 IV 92
Datum : 05. Mai 2011
Publiziert : 23. Juli 2011
Quelle : Bundesgericht
Status : 137 IV 92
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 31 BV, Art. 5 Ziff. 3 EMRK, Art. 224 Abs. 1 und 2, Art. 226 Abs. 1 StPO; Beschleunigungsgebot, Fristen des Haftverfahrens.


Gesetzesregister
BV: 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
EMRK: 5
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
StPO: 224 
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 224 Haftverfahren vor der Staatsanwaltschaft - 1 Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person unverzüglich und gibt ihr Gelegenheit, sich zum Tatverdacht und zu den Haftgründen zu äussern. Sie erhebt unverzüglich jene Beweise, die zur Erhärtung oder Entkräftung des Tatverdachts und der Haftgründe geeignet und ohne Weiteres verfügbar sind.
1    Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person unverzüglich und gibt ihr Gelegenheit, sich zum Tatverdacht und zu den Haftgründen zu äussern. Sie erhebt unverzüglich jene Beweise, die zur Erhärtung oder Entkräftung des Tatverdachts und der Haftgründe geeignet und ohne Weiteres verfügbar sind.
2    Bestätigen sich der Tatverdacht und die Haftgründe, so beantragt die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden seit der Festnahme, die Anordnung der Untersuchungshaft oder einer Ersatzmassnahme. Sie reicht ihren Antrag schriftlich ein, begründet ihn kurz und legt die wesentlichen Akten bei.
3    Verzichtet sie auf einen Haftantrag, so verfügt sie die unverzügliche Freilassung. Beantragt sie eine Ersatzmassnahme, so trifft sie die erforderlichen sichernden Massnahmen.
226
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 226 Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts - 1 Das Zwangsmassnahmengericht entscheidet unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden nach Eingang des Antrags.
1    Das Zwangsmassnahmengericht entscheidet unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden nach Eingang des Antrags.
2    Es eröffnet seinen Entscheid der Staatsanwaltschaft, der beschuldigten Person und ihrer Verteidigung unverzüglich mündlich oder, falls sie abwesend sind, schriftlich. Anschliessend stellt es ihnen eine kurze schriftliche Begründung zu.
3    Ordnet es die Untersuchungshaft an, so weist es die beschuldigte Person darauf hin, dass sie jederzeit ein Haftentlassungsgesuch stellen kann.
4    Es kann in seinem Entscheid:
a  eine Höchstdauer der Untersuchungshaft festlegen;
b  die Staatsanwaltschaft anweisen, bestimmte Untersuchungshandlungen vorzunehmen;
c  an Stelle der Untersuchungshaft Ersatzmassnahmen anordnen.
5    Ordnet es die Untersuchungshaft nicht an, so wird die beschuldigte Person unverzüglich freigelassen.
BGE Register
128-I-149 • 131-I-36 • 133-I-168 • 133-I-270 • 136-I-274 • 137-IV-92
Weitere Urteile ab 2000
1B_153/2011 • 1B_63/2007
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
zwangsmassnahmengericht • festnahme • beschleunigungsgebot • untersuchungshaft • uhr • frist • haftrichter • verfassung • aarau • aargau • tag • stelle • beschuldigter • schweizerische strafprozessordnung • gerichtskosten • beschwerde in strafsachen • gesetzliche frist • entscheid • verdacht • sachverhalt
... Alle anzeigen
AS
AS 2010/1881
BBl
2006/1085