Urteilskopf

134 IV 57

8. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen) 6B_601/2007 vom 7. Dezember 2007

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Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 57

BGE 134 IV 57 S. 57

A. Die Präsidentin des Bezirksgerichts Bremgarten sprach X. am 22. Januar 2007 des mehrfachen fahrlässigen Beschäftigens von Ausländern ohne Arbeitsbewilligung im Sinne von Art. 23 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 3 ANAG schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 2'000.- respektive bei schuldhafter Nichtbezahlung zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 40 Tagen. Auf Berufung hin bestätigte das Obergericht des Kantons Aargau am 25. Juli 2007 das erstinstanzliche Urteil im Schuldpunkt, reduzierte
BGE 134 IV 57 S. 58

die ausgefällte Busse aber auf Fr. 1'000.- bzw. die Ersatzfreiheitsstrafe auf 10 Tage. X. wird zur Last gelegt, vom 27. Januar 2005 bis 3. Juli 2006 bzw. vom 12. Juni 2006 bis 31. August 2006 bei der A. AG zwei Handwerker, einen Plattenleger und einen Steinmetz, deutscher Nationalität beschäftigt zu haben, die nicht über die erforderlichen Aufenthalts- bzw. Arbeitsbewilligungen verfügten.
B. X. führt Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht mit dem Antrag auf Freisprechung von Schuld und Strafe. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4. Seit dem 1. Juni 2002 gilt das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681). Bürgerinnen und Bürger der EU- und EFTA-Staaten haben danach das Recht, sich zur Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit im gesamten Hoheitsgebiet der Schweiz frei zu bewegen und aufzuhalten. Gemäss Art. 2 Anhang I des Freizügigkeitsabkommens wird zum Nachweis des Rechts, sich im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei aufzuhalten, eine Aufenthaltsbewilligung ausgestellt. Das Freizügigkeitsabkommen kennt dabei zwei Arten von Aufenthaltsbewilligungen: Bei Arbeitsverhältnissen mit einer Dauer von mehr als drei Monaten, aber weniger als einem Jahr werden Kurzaufenthaltsbewilligungen EG erteilt, bei unbefristeten Arbeitsverträgen oder solchen mit einer Dauer von mindestens einem Jahr Daueraufenthaltsbewilligungen EG mit einer Gültigkeit von fünf Jahren (Art. 6
SR 142.203 Verordnung vom 22. Mai 2002 über den freien Personenverkehr zwischen der Schweiz und der Europäischen Union und deren Mitgliedstaaten, zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich sowie unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (Verordnung über den freien Personenverkehr, VFP) - Verordnung über den freien Personenverkehr
VFP Art. 6 Ausländerausweise - 1 EU- und EFTA-Angehörige und ihre Familienangehörigen sowie Dienstleistungserbringer nach Artikel 2 Absatz 3, die eine Bewilligung gestützt auf das Freizügigkeitsabkommen oder das EFTA-Übereinkommen besitzen, erhalten einen Ausländerausweis.
1    EU- und EFTA-Angehörige und ihre Familienangehörigen sowie Dienstleistungserbringer nach Artikel 2 Absatz 3, die eine Bewilligung gestützt auf das Freizügigkeitsabkommen oder das EFTA-Übereinkommen besitzen, erhalten einen Ausländerausweis.
2    Der Ausländerausweis für den Nachweis der Niederlassungsbewilligung EU/EFTA wird zur Kontrolle mit einer Laufzeit von fünf Jahren ausgestellt. Er ist zwei Wochen vor Ende der Laufzeit der zuständigen Behörde zur Verlängerung vorzulegen.
3    Die Ausstellung und die Vorweisung der Ausländerausweise richten sich nach den Artikeln 71-72 VZAE34.
Anhang I des Freizügigkeitsabkommens, Art. 4
SR 142.203 Verordnung vom 22. Mai 2002 über den freien Personenverkehr zwischen der Schweiz und der Europäischen Union und deren Mitgliedstaaten, zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich sowie unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (Verordnung über den freien Personenverkehr, VFP) - Verordnung über den freien Personenverkehr
VFP Art. 4 Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA, Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA und Grenzgängerbewilligung EU/EFTA - (Art. 6, 7, 12, 13, 20 und 24 Anhang I Freizügigkeitsabkommen und
1    EU- und EFTA-Angehörigen wird nach den Bestimmungen des Freizügigkeitsabkommens oder des EFTA-Übereinkommens eine Kurzaufenthaltsbewilligung EU/ EFTA, eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA oder eine Grenzgängerbewilligung EU/EFTA erteilt.
2    Soweit das Bundesrecht nichts anderes bestimmt, gelten die Kurzaufenthalts- und die Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA für die ganze Schweiz.26
3    Die Grenzgängerbewilligung EU/EFTA für Staatsangehörige der EU und der EFTA gilt für die ganze Schweiz.27
3bis    ...28
4    Staatsangehörige der EU sowie der EFTA, die innerhalb eines Kalenderjahres insgesamt nicht länger als drei Monate in der Schweiz erwerbstätig sind, benötigen keine Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA.29
der Verordnung vom 22. Mai 2002 über die Einführung des freien Personenverkehrs [VEP; SR 142.203]). Diese in Anwendung des Freizügigkeitsabkommens ausgestellten Bewilligungen haben nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nicht rechtsbegründenden Charakter, sondern bloss deklarative Bedeutung (Urteile vom 5. Februar 1991 in der Rechtssache C-363/89, Roux, Slg. 1991, I-273, Randnr. 12 sowie vom 25. Juli 2002 in der Rechtssache C-459/99, Mouvement contre le racisme, l'antisémitisme et la xénophobie [MRAX], Slg. 2002, I-6591, Randnr. 74). Das bedeutet, dass der
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Aufenthalt bzw. die Ausübung einer Erwerbstätigkeit auch bei fehlender Bewilligung nicht rechtswidrig ist mit der Folge, dass der Arbeitgeber, welcher EU- oder EFTA-Staatsangehörige in der Schweiz ohne Aufenthalts- bzw. Arbeitserlaubnis beschäftigte, nicht nach Art. 23 Abs. 4 ANAG strafbar wäre. Allerdings ist vor dem Hintergrund der etappenweisen Einführung der vollen Personenfreizügigkeit zu beachten, dass die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen - mit Ausnahme solcher für Arbeitseinsätze von weniger als vier Monaten - für Erwerbstätige aus den alten EU-Mitgliedstaaten sowie Zypern und Malta während der ersten fünf Jahre, also bis Ende Mai 2007, kontingentiert war (Art. 10 des Freizügigkeitsabkommens; vgl. Art. 2
IR 0.813.151.4 Vereinbarung vom 5. Oktober 2015 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung des Fürstentums Liechtenstein über die Zusammenarbeit im Bereich der Zulassungsverfahren für Biozidprodukte gemäss der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten
EU Art. 2 Begriffe - 1 Als Biozidprodukte gelten Biozidprodukte und Biozidproduktfamilien nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstaben a und s der Verordnung (EU) Nr. 528/2012.
1    Als Biozidprodukte gelten Biozidprodukte und Biozidproduktfamilien nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstaben a und s der Verordnung (EU) Nr. 528/2012.
2    Als Zulassung gilt:
a  die nationale Zulassung eines Biozidprodukts;
b  die nationale Zulassung eines Biozidprodukts im vereinfachten Verfahren;
c  die zeitlich nachfolgende gegenseitige Anerkennung;
d  die zeitlich parallele gegenseitige Anerkennung einer Zulassung eines Biozidprodukts in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens;
e  die Unionszulassung eines Biozidprodukts;
f  die Zulassung gleicher Biozidprodukte;
g  die Genehmigung für den Parallelhandel eines Biozidprodukts;
h  die Verlängerung, Aufhebung oder Änderung einer der genannten Zulassungen.
des Protokolls vom 26. Oktober 2004 über die Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens auf die neuen EU-Mitgliedstaaten [AS 2006 S. 995]). Soweit und solange die Zulassung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit der Kontingentierung - einer arbeitsmarktlichen Beschränkung im Sinne von Art. 10 des Freizügigkeitsabkommens - untersteht, ist für den Stellenantritt übergangsrechtlich doch noch eine Aufenthaltsbewilligung erforderlich (Art. 26 Abs. 2 Anhang I des Freizügigkeitsabkommens). Die Arbeitsstelle darf und kann somit während des Übergangsregimes legal erst angetreten werden, wenn die entsprechende Bewilligung, welche gemäss Art. 6 Abs. 7 Anhang I des Freizügigkeitsabkommens allerdings ohne Aufschub zu erteilen ist, vorliegt. Wird sie nicht eingeholt, kann deshalb der Straftatbestand der Beschäftigung ohne Bewilligung nach Art. 23 Abs. 4 ANAG erfüllt sein. Im vorliegenden Fall geht es um unbefristete Arbeitsverhältnisse, die der Kontingentierung unterstanden. Für den rechtmässigen Stellenantritt wären daher nach dem Gesagten Aufenthaltsbewilligungen erforderlich gewesen. Dass im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit der ausländischen Arbeitskraft eine gültige Zusicherung der Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA vorgelegen hat, ändert daran nichts. Denn eine solche Zusicherung stellt die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung zur Ausübung der Erwerbstätigkeit lediglich in Aussicht (Art. 8
SR 142.203 Verordnung vom 22. Mai 2002 über den freien Personenverkehr zwischen der Schweiz und der Europäischen Union und deren Mitgliedstaaten, zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich sowie unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (Verordnung über den freien Personenverkehr, VFP) - Verordnung über den freien Personenverkehr
VFP Art. 8 Zusicherung der Bewilligung - (Anhang I Art. 1 Abs. 1 und 27 Abs. 2 i. V. m. Art. 10 Abs. 4d Freizügigkeitsabkommen)
VEP), berechtigt die ausländische Person aber nicht per se zum Stellen- bzw. Arbeitsantritt. Der diesbezügliche Einwand des Beschwerdeführers erweist sich deshalb als unbehelflich.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 134 IV 57
Date : 07. Dezember 2007
Published : 24. Mai 2008
Source : Bundesgericht
Status : 134 IV 57
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Rechtswidriges Beschäftigen von ausländischen Arbeitskräften (Art. 23 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 3 ANAG). Aufenthaltsbewilligungen,


Legislation register
ANAG: 3  23
EU: 2
VFP: 4  6  8
BGE-register
134-IV-57
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