134 I 204
23. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Zweckverband für soziale Dienstleistungen der Amtei Thal-Gäu gegen X. und Volkswirtschaftsdepartement des Kantons Solothurn (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) 1C_183/2007 vom 5. Februar 2008
Regeste (de):
- Art. 9 und 50 BV; Art. 89 Abs. 1 und Abs. 2 lit. c BGG; Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten; Beschwerdelegitimation; öffentliches Personalrecht.
- Der Beschwerdeführer ist ein kommunaler Zweckverband und durch das angefochtene Urteil als Träger hoheitlicher Gewalt betroffen, weshalb er gestützt auf Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG die Verletzung von Garantien rügen kann, die ihm die Kantons- oder Bundesverfassung einräumt. Die Beschwerdelegitimation des Gemeinwesens ist auch nach Art. 89 Abs. 1 BGG gegeben, wenn dieses in gleicher oder zumindest ähnlicher Weise berührt wird wie ein privater Arbeitgeber. Dies ist bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten im Bereich des öffentlichen Personalrechts grundsätzlich zu bejahen (E. 2).
Regeste (fr):
- Art. 9 et 50 Cst.; art. 89 al. 1 et al. 2 let. c LTF; recours en matière de droit public; qualité pour recourir; droit de la fonction publique.
- Une association intercommunale atteinte par la décision attaquée en tant que détentrice de la puissance publique peut recourir sur la base de l'art. 89 al. 2 let. c LTF en invoquant la violation de garanties qui lui sont reconnues par la constitution cantonale ou la Constitution fédérale. La qualité pour agir des collectivités publiques est également donnée au regard de l'art. 89 al. 1 LTF, lorsqu'elles sont touchées de façon identique ou analogue à un employeur privé. Tel est en principe le cas dans les litiges de nature pécuniaire relevant du droit de la fonction publique (consid. 2).
Regesto (it):
- Art. 9 e 50 Cost.; art. 89 cpv. 1 e cpv. 2 lett. c LTF; ricorso in materia di diritto pubblico; diritto di ricorso; ordinamento del personale pubblico.
- Un consorzio intercomunale toccato come titolare del pubblico potere dalla decisione impugnata è legittimato a far valere, sulla base dell'art. 89 cpv. 2 lett. c LTF, la violazione di garanzie riconosciutegli dalla Costituzione federale o cantonale. La legittimazione a ricorrere di enti pubblici è data anche secondo l'art. 89 cpv. 1 LTF, qualora siano toccati in maniera uguale o per lo meno analoga a quella di un datore di lavoro privato. Ciò si verifica, di massima, riguardo a controversie in materia patrimoniale nell'ambito del diritto sull'ordinamento del personale pubblico (consid. 2).
Sachverhalt ab Seite 204
BGE 134 I 204 S. 204
X. trat am 22. November 1993 beim ehemaligen Zweckverband für die Familien- und Säuglingsfürsorge in den Bezirken Thal und
BGE 134 I 204 S. 205
Gäu eine Arbeitsstelle als Gesundheitsschwester, Fachbereich Mütterberatung, an. Am 23. September 2005 erteilte der mittlerweile in Zweckverband für soziale Dienstleistungen der Amtei Thal-Gäu umbenannte Arbeitgeber X. einen schriftlichen Verweis wegen Reklamationen seitens von Fachpersonen, inakzeptablen Umgangs mit dem Vorgesetzten und einer Reihe von Vorfällen. Mit Schreiben vom 9. März 2006 kündigte der Zweckverband das Arbeitsverhältnis auf den 30. Juni 2006. Zur Begründung verwies er auf den schriftlichen Verweis. Als weitere Gründe nannte er eine Kompetenzüberschreitung, generell eine schlechte Arbeitshaltung, mangelnde Kritik- und Teamfähigkeit sowie Zweifel an der fachlichen Kompetenz der Arbeitnehmerin. X. erhob gegen die Kündigung Verwaltungsbeschwerde, welche das Volkswirtschaftsdepartement des Kantons Solothurn mit Verfügung vom 18. Oktober 2006 abwies. In teilweiser Gutheissung der von X. erhobenen Beschwerde stellte das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 21. Mai 2007 die Missbräuchlichkeit der Kündigung fest, wies das Begehren um Wiederanstellung der Beschwerdeführerin ab und verpflichtete den Zweckverband, X. eine Abgangsentschädigung im Umfang von sechs Monatslöhnen zu bezahlen. Der Zweckverband für soziale Dienstleistungen der Amtei Thal-Gäu hat gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung von Art. 9 und Art. 50 BV sowie Verletzung von kantonalem Verfassungsrecht erhoben. Neben der Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragt er, es sei festzustellen, dass die Kündigung rechtmässig erfolgt und das Dienstverhältnis beendet sei. Eventualiter sei er zur Entrichtung einer Entschädigung im Umfang von höchstens einem Monatslohn zu verurteilen. Subeventualiter sei die Angelegenheit zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Der Beschwerdeführer erhebt sowohl Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff . BGG) als auch
BGE 134 I 204 S. 206
Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff . BGG). Infolge der subsidiären Natur der Verfassungsbeschwerde (vgl. Art. 113 BGG) ist zuerst zu prüfen, ob die Eintretensvoraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erfüllt sind.
2.1 Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts, ein Endentscheid einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d , Art. 90 BGG), betrifft ein öffentlich-rechtliches Arbeitsverhältnis, d.h. eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit im Sinn von Art. 82 lit. a BGG. Der Verfahrensgegenstand betrifft eine Abgangsentschädigung von sechs Monatslöhnen in der Höhe von insgesamt Fr. 38'424.30. Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit, weshalb der Ausschlussgrund von Art. 83 lit. g BGG nicht gegeben ist. Die Streitwertgrenze von Fr. 15'000.- ist erreicht (Art. 85 Abs. 1 lit. b BGG).
2.2 Der Beschwerdeführer ist ein kommunaler Zweckverband und somit eine öffentlich-rechtliche Körperschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit (§ 166 Abs. 1 des Gemeindegesetzes vom 16. Februar 1992 des Kantons Solothurn [GG/SO]). Er ist durch das angefochtene Urteil als Träger hoheitlicher Gewalt betroffen, weshalb er gestützt auf Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG die Verletzung von Garantien rügen kann, die ihm die Kantons- oder Bundesverfassung einräumt. Die Vorschrift übernimmt die diesbezügliche Rechtsprechung der staatsrechtlichen Beschwerde (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4330). In diesem Rahmen kann der Beschwerdeführer auch eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV) rügen, soweit dieses Vorbringen mit der Autonomieverletzung in engem Zusammenhang steht (BGE 131 I 91 E. 1 S. 93 mit Hinweisen).
2.3 Näher zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer auch ohne Zusammenhang mit einer Autonomieverletzung zur Beschwerdeführung legitimiert ist. Nach Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a), durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist (lit. b) und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (lit. c). Dieses allgemeine Beschwerderecht, das an die bisherige Beschwerdelegitimation für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach
BGE 134 I 204 S. 207
Art. 103 lit. a OG anknüpft, ist grundsätzlich auf Privatpersonen zugeschnitten (BGE 133 II 400 E. 2.4.2 S. 406). Nach der zu Art. 103 lit. a OG entwickelten Praxis können sich Gemeinwesen jedoch dann auf diese allgemeine Umschreibung der Legitimation berufen, wenn sie gleich oder ähnlich wie ein Privater betroffen oder aber in schutzwürdigen eigenen hoheitlichen Interessen berührt sind (vgl. BGE 131 II 58 E. 1.3 S. 61 ff., BGE 131 II 753 E. 4.3 S. 757 ff.; BGE 124 II 293 E. 3b S. 304; BGE 123 II 371 E. 2c S. 374 f., je mit Hinweisen). Hingegen begründet nach ständiger Praxis das blosse allgemeine Interesse an der richtigen und einheitlichen Anwendung des Rechts keine Beschwerdelegitimation des Gemeinwesens; insbesondere ist die in einem Rechtsmittelverfahren unterlegene Vorinstanz nicht legitimiert (BGE 123 II 371 E. 2d S. 375 mit Hinweisen). Unter der Geltung des OG stellte sich die Frage der Beschwerdelegitimation von Gemeinwesen im Bereich des Personalrechts kaum: Gegen Entscheide der eidgenössischen Personalrekurskommission konnte die Bundesverwaltung gestützt auf Art. 103 lit. b OG Beschwerde führen; gegen kantonale Entscheide stand nur die staatsrechtliche Beschwerde offen, zu deren Erhebung (von Autonomiebeschwerden ausgenommen) nur Private legitimiert waren (Art. 88 OG). Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde war allerdings gegen sämtliche Verfügungen uneingeschränkt zulässig, die sich auf das Bundesgesetz vom 24. März 1995 über die Gleichstellung von Frau und Mann (Gleichstellungsgesetz, GlG; SR 151.1) stützten. In diesem Bereich wurde die Legitimation von Gemeinden und Kantonen anerkannt, weil das Gleichstellungsgesetz in seinen zentralen materiellrechtlichen Bestimmungen gleichermassen für privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse gilt und der öffentliche Arbeitgeber, der seinen Angestellten eine Leistung nach Art. 5
SR 151.1 Bundesgesetz vom 24. März 1995 über die Gleichstellung von Frau und Mann (Gleichstellungsgesetz, GlG) - Gleichstellungsgesetz GlG Art. 5 Rechtsansprüche |
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1 | Wer von einer Diskriminierung im Sinne der Artikel 3 und 4 betroffen ist, kann dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde beantragen: |
a | eine drohende Diskriminierung zu verbieten oder zu unterlassen; |
b | eine bestehende Diskriminierung zu beseitigen; |
c | eine Diskriminierung festzustellen, wenn diese sich weiterhin störend auswirkt; |
d | die Zahlung des geschuldeten Lohns anzuordnen. |
2 | Besteht die Diskriminierung in der Ablehnung einer Anstellung oder in der Kündigung eines obligationenrechtlichen Arbeitsverhältnisses, so hat die betroffene Person lediglich Anspruch auf eine Entschädigung. Diese ist unter Würdigung aller Umstände festzusetzen und wird auf der Grundlage des voraussichtlichen oder tatsächlichen Lohnes errechnet. |
3 | Bei einer Diskriminierung durch sexuelle Belästigung kann das Gericht oder die Verwaltungsbehörde der betroffenen Person zudem auch eine Entschädigung zusprechen, wenn die Arbeitgeberinnen oder die Arbeitgeber nicht beweisen, dass sie Massnahmen getroffen haben, die zur Verhinderung sexueller Belästigungen nach der Erfahrung notwendig und angemessen sind und die ihnen billigerweise zugemutet werden können. Die Entschädigung ist unter Würdigung aller Umstände festzusetzen und wird auf der Grundlage des schweizerischen Durchschnittslohns errechnet. |
4 | Die Entschädigung bei Diskriminierung in der Ablehnung einer Anstellung nach Absatz 2 darf den Betrag nicht übersteigen, der drei Monatslöhnen entspricht. Die Gesamtsumme der Entschädigungen darf diesen Betrag auch dann nicht übersteigen, wenn mehrere Personen einen Anspruch auf eine Entschädigung wegen diskriminierender Ablehnung derselben Anstellung geltend machen. Die Entschädigung bei Diskriminierung in der Kündigung eines obligationenrechtlichen Arbeitsverhältnisses nach Absatz 2 und bei Diskriminierung durch sexuelle Belästigung nach Absatz 3 darf den Betrag nicht übersteigen, der sechs Monatslöhnen entspricht. |
5 | Vorbehalten bleiben Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung sowie weitergehende vertragliche Ansprüche. |
In Anknüpfung an diese Rechtsprechung ist die Legitimation von Gemeinwesen zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 89 Abs. 1 BGG zu bejahen, wenn diese in gleicher oder zumindest ähnlicher Weise berührt werden wie ein privater Arbeitgeber. Dies ist bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten im Bereich des öffentlichen Dienstrechts grundsätzlich zu bejahen, auch wenn sich die Arbeitsverhältnisse nicht nach OR, sondern nach öffentlichem Recht richten. Wird zum Beispiel um die Höhe des Lohns oder über eine Abgangsentschädigung wegen angeblich
BGE 134 I 204 S. 208
missbräuchlicher Kündigung gestritten, befindet sich das Gemeinwesen in der Rolle des Arbeitgebers und somit in einer dem privaten Arbeitgeber vergleichbaren Situation (PIERRE MOOR, La qualité pour agir des autorités et collectivités dans les recours de droit public et de droit administratif, in: Etudes de procédure et d'arbitrage en l'honneur de Jean-François Poudret, Lausanne 1999, S. 18 f.). In diesen Fällen hat das Gemeinwesen ein besonderes schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung eines Entscheides. Wie es sich verhält bei nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten und solchen, die der subsidiären Verfassungsbeschwerde unterliegen, ist hier nicht zu prüfen. Nach dem Gesagten ist der Beschwerdeführer, der sich gegen die Verurteilung zur Zahlung einer Abgangsentschädigung wehrt, gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde legitimiert.