Urteilskopf

131 V 329

45. Auszug aus dem Urteil i.S. Amt für Sozialbeiträge Basel-Stadt gegen F., betreffend L., und Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt P 19/04 vom 17. August 2005

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Erwägungen ab Seite 330

BGE 131 V 329 S. 330

Aus den Erwägungen:

4. Streitig ist der Anspruch auf Ergänzungsleistungen und in diesem Zusammenhang allein die Frage, ob der mit Schreiben vom 20. Dezember 2001 gewährte und im Februar 2002 bezogene Betrag von Fr. 90'000.- als Verzichtsvermögen in der Berechnung der Ergänzungsleistungen zu berücksichtigen ist. Daher hat sich die richterliche Beurteilung praxisgemäss auf diesen Punkt zu beschränken, wogegen kein Anlass besteht, die übrigen unbestrittenen Berechnungspositionen in die Prüfung mit einzubeziehen (BGE 110 V 53 Erw. 4a; ZAK 1992 S. 487 Erw. 1b).
4.1 Die Vorinstanz führt aus, dass dem Beschwerdegegner und seiner Ehefrau für die geleistete Pflege gegenüber der Mutter kein Anspruch aus Arbeitsvertrag zustehe, da die Arbeit in Erfüllung einer gesetzlichen oder moralischen Pflicht unentgeltlich erbracht
BGE 131 V 329 S. 331

worden sei. Da auch kein Lidlohnanspruch vorliege, habe die Mutter des Beschwerdegegners der Auszahlung der Fr. 90'000.- nicht in Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung zugestimmt. Jedoch hätten die Aufwendungen des Beschwerdegegners und seiner Ehefrau zu einer Ersparnis geführt, indem die Mutter diese Pflegeleistungen nicht habe einkaufen müssen. Es sei in dieser Hinsicht nicht bestritten, dass die Pflege während elf Jahren im Umfang von sechs Stunden pro Woche resp. 24 Stunden pro Monat erbracht worden sei, wie auch der vom Beschwerdegegner gewählte Stundenansatz von Fr. 23.- nicht angezweifelt werde; damit resultiere eine Summe von Fr. 72'864.-. In diesem Umfang stellten die Pflegeleistungen eine Gegenleistung für die erhaltenen Fr. 90'000.- dar, weshalb nur die Differenz (d.h. Fr. 17'136.-) als Verzichtsvermögen zu berücksichtigen sei. Dies stehe jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Mutter des Beschwerdegegners bei der Unterzeichnung des Dokumentes vom 20. Dezember 2001, welches zum Bezug der Fr. 90'000.- ermächtigte, handlungsfähig gewesen sei. Andernfalls hätte sie sich nicht verpflichten können und der Barbezug des Geldes sei ohne Rechtsgrund erfolgt, weshalb ihr ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zustünde, der in der Berechnung der Ergänzungsleistungen zu berücksichtigen wäre. Daher habe die Verwaltung zunächst die Handlungsfähigkeit abzuklären und anschliessend neu zu verfügen. Das Beschwerde führende Amt für Sozialbeiträge Basel-Stadt ist demgegenüber der Auffassung, dass die Pflege aus einer moralischen Verpflichtung heraus geleistet worden sei und kein entgeltliches Rechtsgeschäft vorgelegen habe; somit könne die Zahlung von Fr. 90'000.- nicht nachträglich als Gegenleistung für die erbrachte Unterstützung angesehen werden. Im Weiteren sei nicht nachgewiesen, dass die Pflege effektiv während elf Jahren erfolgt sei; schliesslich müssten Leistung und Gegenleistung innert eines absehbaren zeitlichen Rahmens erfolgen, was bei der hier vorliegenden Zeitdauer von elf Jahren nicht mehr der Fall sei.
In seiner Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt der Beschwerdegegner ausführen, dass die Voraussetzungen für die Anrechnung eines Vermögensverzichts (keine rechtliche Verpflichtung, keine Gegenleistung) kumulativ vorliegen müssten: Hier sei die Mutter während elf Jahren unterstützt worden, so dass eine Gegenleistung vorliege und in der Folge auch kein
BGE 131 V 329 S. 332

Vermögensverzicht angenommen werden könne. Zudem sei die Rüge der Verwaltung, die Pflege habe nicht elf Jahre gedauert, zu spät erhoben worden.
4.2 Nach der Rechtsprechung ist der Tatbestand des Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG erfüllt, wenn der Anspruchsberechtigte ohne rechtliche Verpflichtung und ohne adäquate Gegenleistung auf Einkünfte oder Vermögen verzichtet hat (BGE 121 V 206 Erw. 4b, BGE 120 V 191 Erw. 2b; FERRARI, Dessaisissement volontaire et prestations complémentaires à l'AVS/AI, in: SZS 2002 S. 419; CARIGIET/KOCH, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, Supplement, Zürich 2000, S. 100; vgl. auch eine etwas andere, aber inhaltlich gleiche Formulierung in BGE 121 V 205 Erw. 4a). In den Akten finden sich keinerlei Hinweise, dass der Beschwerdegegner und seine Ehefrau die Pflege und Unterstützung der Mutter in Erfüllung einer rechtlichen Pflicht erbracht hätten, mit der eine Pflicht der Mutter zur Bezahlung eines Entgelts korreliert hätte: So fällt auf, dass weder ein Beleg für eine Honorarabrede vorliegt noch die für die Pflege der Mutter aufgewendeten Zeiten sowie die entstandenen Auslagen (Fahrspesen, Barauslagen etc.) aufgeschrieben worden sind. Die in den Akten vorhandenen Belege für diverse Auslagen datieren von Mai 2002 und sind damit erst nach der Unterzeichnung des Dokuments im Dezember 2001 und dem Barbezug im Februar 2002 erstellt worden. Auch die vom Beschwerdegegner vorgenommene Berechnung des durchschnittlichen Zeitaufwandes für die geleisteten Hilfsdienste erfüllt die Anforderungen nicht, welche an den Nachweis einer Abrede über eine rechtliche Verpflichtung zur Pflege der Mutter gestellt werden müssen. Dieser - offensichtlich im Nachhinein vorgenommene - Zusammenzug durchschnittlicher Zeitaufwände kann wohl eine plausible Grundlage für die behauptete vorgenommene Unterstützung darstellen, jedoch nicht ernsthafte Basis einer Rechnungsstellung (und entsprechender Kontrolle durch die Gegenpartei) sein; so fällt z.B. auf, dass der monatliche Stundenaufwand jährlich zwölfmal gerechnet wird und damit auch Zeiten umfasst, in denen der Beschwerdegegner wegen seiner (in der Vernehmlassung erwähnten) Ferien die Mutter gar nicht pflegen konnte. Nichts zu seinen Gunsten kann der Beschwerdegegner aus Art. 13 Abs. 5 bis 7 ELKV ableiten, wonach - unter gewissen Voraussetzungen und in einem bestimmten Rahmen - Entschädigungen an Familienangehörige ausgerichtet oder ausgewiesene Kosten
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entschädigt werden; denn die Entgeltlichkeit muss dabei vorher vereinbart werden, damit überhaupt ausgewiesene Kosten vorliegen können (vgl. Urteil B. vom 12. Dezember 2003, P 76/02, Erw. 2.1), während durch die Pflege der Mutter keine länger dauernde wesentliche Erwerbseinbusse im Sinne des Art. 13 Abs. 5 ELKV des Beschwerdegegners oder seiner Frau geltend gemacht worden ist. Weiter können die entsprechenden Dienstleistungen resp. deren behauptete Kosten nicht nach langer Zeit zur Aufrechnung eines Verzichtsvermögens herangezogen werden, nachdem vorher jahrelang die Hilfe der Angehörigen ohne jede Gegenleistung angeboten und angenommen worden ist. Damit ist nicht erstellt, dass die Pflege in Erfüllung einer rechtlichen Pflicht erfolgt ist; die Mutter hätte die Unterstützung denn auch nicht auf dem Rechtsweg einfordern können. Daraus folgt, dass die Leistung der Mutter ebenfalls ohne auf einem Pflegeverhältnis basierende rechtliche Verpflichtung erfolgt ist, sondern eine Schenkung, einen Erbvorbezug oder ein ähnliches Rechtsgeschäft darstellt, wobei das Motiv für die Leistung durchaus Dankbarkeit für die erbrachte Pflege sein kann, was jedoch keine Rechtspflicht gegenüber dem Beschwerdegegner und seiner Ehefrau darstellt. Es handelt sich aber auch nicht um eine sittliche Pflicht (vgl. Art. 239 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 239 - 1 Als Schenkung gilt jede Zuwendung unter Lebenden, womit jemand aus seinem Vermögen einen andern ohne entsprechende Gegenleistung bereichert.
1    Als Schenkung gilt jede Zuwendung unter Lebenden, womit jemand aus seinem Vermögen einen andern ohne entsprechende Gegenleistung bereichert.
2    Wer auf sein Recht verzichtet, bevor er es erworben hat, oder eine Erbschaft ausschlägt, hat keine Schenkung gemacht.
3    Die Erfüllung einer sittlichen Pflicht wird nicht als Schenkung behandelt.
OR), denn die Voraussetzungen zur Annahme einer solchen Pflicht sind streng: Es reicht nicht aus, dass ein bestimmtes Verhalten gesellschaftlich erwartet wird, sondern das Unterlassen dieses Verhaltens muss als unanständig qualifiziert werden (EUGEN BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil ohne Deliktsrecht, 2. Aufl., Zürich 1988, S. 69); dies ist anhand der konkreten Umstände im vorliegenden Fall bei der Nichtbezahlung der von Sohn und Schwiegertochter erbrachten Leistungen nicht der Fall. Vor allem aber spricht der Zeitpunkt der nach Jahren einmalig erbrachten Leistung kurz vor Heimeintritt gegen die Erfüllung einer sittlichen Pflicht, da das Geld offensichtlich nicht für das Heim ausgegeben werden, sondern in der Familie bleiben sollte; es ist deshalb nicht zu entscheiden, wie es sich verhielte, wenn die Mutter während der jahrelangen Dauer der Leistungserbringung immer wieder einen gewissen Betrag an Sohn und Schwiegertochter überwiesen hätte, und ob daraus allenfalls die Annahme einer rechtlichen Pflicht zur Bezahlung der Pflege abzuleiten wäre. Da im hier vorliegenden Fall keine sittliche Pflicht der Mutter bestanden hat, kann auch offen
BGE 131 V 329 S. 334

bleiben, ob eine in Erfüllung einer sittlichen Pflicht erfolgte Vermögenshingabe einen Vermögensverzicht im Sinne des Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG darstellt oder nicht. Mangels Vorliegens einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht liegt somit ein Vermögensverzicht vor; es ist jedoch weiter zu prüfen, ob der entsprechende Betrag bei der Bemessung der Ergänzungsleistungen auch anzurechnen ist.
4.3 Die Rechtsprechung setzt für die Erfüllung des Tatbestandes des Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG voraus, dass der Anspruchsberechtigte ohne rechtliche Verpflichtung und ohne adäquate Gegenleistung auf Einkünfte oder Vermögen verzichtet hat (Erw. 4.2 hievor). Jedoch ist bisher noch nicht entschieden worden, in welchem Verhältnis diese beiden Anspruchsvoraussetzungen zueinander stehen. Zu beurteilen ist deshalb, ob die Tatbestandselemente "ohne Rechtspflicht" und "ohne angemessene Gegenleistung" kumulativ erfüllt sein müssen, oder ob es ausreicht, wenn eines der beiden Elemente gegeben ist, damit ein Vermögenswert, auf den verzichtet worden ist, in die Berechnung der Ergänzungsleistungen aufgenommen werden muss. Die Vorinstanz ist in dieser Hinsicht offenbar stillschweigend von kumulativen Voraussetzungen ausgegangen, hat sie doch eine rechtliche Pflicht verneint, aber eine Gegenleistung teilweise bejaht (vgl. Erw. 4.1 hievor). Vor der 2. Revision des ELG, die auf den 1. Januar 1987 in Kraft getreten ist, sah alt Art. 3 Abs. 1 lit. f
SR 831.30 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2006 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG)
ELG Art. 3 Bestandteile der Ergänzungsleistungen - 1 Die Ergänzungsleistungen bestehen aus:
1    Die Ergänzungsleistungen bestehen aus:
a  der jährlichen Ergänzungsleistung;
b  der Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten.
2    Die jährliche Ergänzungsleistung ist eine Geldleistung (Art. 15 ATSG4), die Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten eine Sachleistung (Art. 14 ATSG).
ELG vor, dass nur diejenigen Einkünfte und Vermögenswerte anzurechnen sind, auf die zur Erwirkung von Ergänzungsleistungen verzichtet worden ist. Diese Voraussetzung ist mit der 2. Revision des ELG aufgehoben worden, da es "oft sehr schwierig [war], mit Sicherheit festzustellen, ob beim Verzicht auf Einkommen oder Vermögen der Gedanke an eine Ergänzungsleistung tatsächlich eine Rolle gespielt hat oder nicht" (Botschaft betreffend die zweite Revision des Bundesgesetzes über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV vom 21. November 1984, BBl 1985 I 106 Ziff. 21.10.1). Vor diesem Hintergrund ist auch die Rechtsprechung zu sehen, waren doch bis 1987 drei Tatbestandselemente notwendig, die in den Urteilen - sprachlich korrekt - durch ein Komma sowie ein "und" verbunden worden sind, so z.B. in EVGE 1967 S. 182 Erw. 2b: "wenn der Versicherte zum Verzicht rechtlich nicht verpflichtet war, keine äquivalente Gegenleistung dafür erhalten hat und aus den
BGE 131 V 329 S. 335

Umständen geschlossen werden kann, der Gedanke an eine Ergänzungsleistung habe wenigstens mitgespielt ..." Nachdem mit der 2. Revision des ELG das Element der Erwirkungsabsicht weggefallen ist, wurden in der Rechtsprechung die bisher durch ein Komma getrennten Tatbestandselemente teilweise durch ein "und" (z.B. die in BGE 114 V 150 nicht publizierte Erw. 3 des Urteils A. vom 19. Oktober 1988, P 27/88, mit Hinweis auf vorherige Rechtsprechung) und teilweise durch ein "oder" (z.B. ZAK 1989 S. 569 Erw. 2a ebenfalls mit Hinweis auf vorherige Rechtsprechung) miteinander verbunden. Jedoch ist bisher noch nicht entschieden worden, ob die beiden Elemente (ohne rechtliche Pflicht, ohne angemessene Gegenleistung) kumulativ oder alternativ vorausgesetzt werden; auch in den Materialien (sowohl zum ELG wie zu den bisherigen Revisionen) finden sich diesbezüglich keine Hinweise.
4.4 Die Anrechnung eines Verzichtsvermögens bezweckt die Verhinderung von Missbräuchen, wobei eine einheitliche und gerechte Lösung ermöglicht werden soll, indem sich die schwierige Prüfung der Frage erübrigt, ob beim Verzicht auf Einkommen und Vermögen der Gedanke an eine Ergänzungsleistung tatsächlich eine Rolle gespielt hat oder nicht (BGE 117 V 155 Erw. 2a; AHI 1997 S. 254 Erw. 2 mit Hinweisen). Werden die beiden Verzichtselemente kumulativ vorausgesetzt (ist ein Vermögen also nur dann anrechenbar, wenn beide Kriterien gegeben sind), ist ein Verzichtstatbestand nicht nur dann zu verneinen, wenn eine Rechtspflicht und eine angemessene Gegenleistung vorliegen, sondern immer auch dann, wenn ein Element zu verneinen, das andere aber zu bejahen ist. Damit könnte auch in den folgenden Fällen ein Vermögen bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen nicht angerechnet werden: - Es besteht eine Rechtspflicht, jedoch liegt keine angemessene Gegenleistung vor. Dies ist z.B. der Fall der gemischten Schenkung, wenn für die Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von Fr. 50'000.- ein Bild im Wert von Fr. 100'000.- zu Eigentum übertragen wird (und ohne dass Zinsen in Höhe von Fr. 50'000.- aufgelaufen sind). - Es besteht keine Rechtspflicht, jedoch liegt eine angemessene Gegenleistung vor. Es handelt sich dabei um eine Konstellation wie im hier vorliegenden Fall, da für die Leistung der Unterstützung keine rechtliche (oder allenfalls sittliche) Pflicht
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bestanden hat (vgl. Erw. 4.2 hievor), jedoch eine angemessene Gegenleistung (hier die geleistete Pflege) vorliegt (resp. zumindest behauptet ist). Der Fall der gemischten Schenkung stellt jedoch klarerweise einen Fall einer Verzichtshandlung dar (CARIGIET/KOCH, a.a.O., S. 104 f.), weshalb in der Fallgruppe "Rechtspflicht/ohne angemessene Gegenleistung" die beiden Elemente alternativ zu verstehen sind. Dasselbe muss aber auch für die Fallgruppe "ohne Rechtspflicht/angemessene Gegenleistung" gelten: Andernfalls könnten ohne rechtliche Verpflichtung und ohne Anspruch auf Entgelt erbrachte Dienstleistungen im Nachhinein abgegolten werden. Da vorher keine Entgeltlichkeit vereinbart worden ist und die Leistungen deshalb freiwillig erfolgt sind, würden die von Privaten ohne Rechtspflicht erbrachten Leistungen im Nachhinein dennoch von der Allgemeinheit bezahlt werden, indem der Lebensunterhalt des Schenkers nicht mehr durch den Verzehr des Vermögens, sondern durch Ergänzungsleistungen finanziert würde. Dafür sind die Ergänzungsleistungen jedoch nicht geschaffen worden, so verständlich der Gedanke auch ist, genossene freiwillige Dienste mit Schenkungen zu "vergelten". In rechtlicher Hinsicht liegt jedoch in solchen Fällen eben gerade keine Entgeltlichkeit vor, steht doch der Leistung des Schenkers definitionsgemäss keine entsprechende Gegenleistung des Beschenkten gegenüber (Art. 239 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 239 - 1 Als Schenkung gilt jede Zuwendung unter Lebenden, womit jemand aus seinem Vermögen einen andern ohne entsprechende Gegenleistung bereichert.
1    Als Schenkung gilt jede Zuwendung unter Lebenden, womit jemand aus seinem Vermögen einen andern ohne entsprechende Gegenleistung bereichert.
2    Wer auf sein Recht verzichtet, bevor er es erworben hat, oder eine Erbschaft ausschlägt, hat keine Schenkung gemacht.
3    Die Erfüllung einer sittlichen Pflicht wird nicht als Schenkung behandelt.
OR). Für die Annahme gegenseitig bindender Rechtspflichten (Pflege und Entgelt) ist vielmehr eine - allenfalls stillschweigende - Abrede der Entgeltlichkeit und das Bewusstsein beider Parteien notwendig, dass Hilfe und Unterstützung von einer Gegenleistung abhängen, welche mindestens bestimmbar sein muss (vgl. GAUCH/ SCHLUEP/SCHMID/REY, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Bd. I, 8. Aufl., Zürich 2003, Rz 344 ff.). Aus dem Gesagten folgt, dass die Voraussetzungen ("ohne rechtliche Verpflichtung", "ohne adäquate Gegenleistung") zur Anrechnung eines Verzichtsvermögens nicht kumulativ vorliegen müssen, sondern dass es ausreicht, wenn alternativ eines der beiden Elemente gegeben ist.
4.5 Da die beiden Tatbestandselemente des Vermögensverzichts alternativ zu verstehen sind (vgl. Erw. 4.4 hievor) und hier die Leistung der Fr. 90'000.- ohne Rechtspflicht erfolgt ist (vgl. Erw. 4.2 hievor), liegt ein in der Berechnung der Ergänzungsleistungen
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zu berücksichtigendes Verzichtsvermögen vor. Es kann daher offen bleiben, ob für die ausgerichtete Leistung eine angemessene Gegenleistung in Form von Pflege und Unterstützung vorliegt. Weil die Feststellung des Sachverhaltes das Eidgenössische Versicherungsgericht in Versicherungsleistungsstreitigkeiten nicht bindet (Art. 132 lit. b
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 239 - 1 Als Schenkung gilt jede Zuwendung unter Lebenden, womit jemand aus seinem Vermögen einen andern ohne entsprechende Gegenleistung bereichert.
1    Als Schenkung gilt jede Zuwendung unter Lebenden, womit jemand aus seinem Vermögen einen andern ohne entsprechende Gegenleistung bereichert.
2    Wer auf sein Recht verzichtet, bevor er es erworben hat, oder eine Erbschaft ausschlägt, hat keine Schenkung gemacht.
3    Die Erfüllung einer sittlichen Pflicht wird nicht als Schenkung behandelt.
OG), wäre im Übrigen die diesbezügliche Rüge der Verwaltung - entgegen der Auffassung in der Vernehmlassung des Beschwerdegegners - nicht verspätet erhoben worden.
4.6 Schliesslich ist zu berücksichtigen, dass die Mutter des Beschwerdegegners im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Dokumentes, das zum Bezug der Fr. 90'000.- berechtigt hat, privatrechtlich allenfalls nicht handlungsfähig gewesen ist und sich damit zur Leistung gar nicht verpflichten konnte (Art. 18
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 18 - Wer nicht urteilsfähig ist, vermag unter Vorbehalt der gesetzlichen Ausnahmen durch seine Handlungen keine rechtliche Wirkung herbeizuführen.
ZGB). In diesem Fall wäre der Bezug der Fr. 90'000.- ohne Rechtsgrund erfolgt, so dass der Mutter des Beschwerdegegners ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gegenüber diesem und seiner Ehefrau zustünde. Dieser Anspruch wäre als Vermögenswert in der Berechnung der Ergänzungsleistungen zu berücksichtigen. Obwohl im letztinstanzlichen Verfahren ein Arztbericht eingereicht worden ist, der die Handlungsfähigkeit der Mutter im Zeitpunkt der Unterschrift bejaht, kann diese Frage hier letztlich offen gelassen werden. Denn im massgebenden Zeitraum bis zum Verfügungserlass im Jahr 2002 (BGE 121 V 366 Erw. 1b) ist der bezogene Betrag von Fr. 90'000.- bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen so oder so im gesamten Umfang zu berücksichtigen, sei es als Verzichtsvermögen (vgl. Erw. 4.5 hievor) oder sei es als Anspruch der Mutter aus ungerechtfertigter Bereicherung gegenüber dem Beschwerdegegner und seiner Ehefrau. Insoweit spielt es keine Rolle, dass in den Jahren ab 2003 die Fr. 90'000.- anders zu berücksichtigen sind, je nachdem, ob ein Bereicherungsanspruch vorliegt (diesfalls teilweise Anrechnung gemäss Art. 3c Abs. 1 lit. c
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 18 - Wer nicht urteilsfähig ist, vermag unter Vorbehalt der gesetzlichen Ausnahmen durch seine Handlungen keine rechtliche Wirkung herbeizuführen.
ELG als Einkommen), oder ob ein Verzichtsvermögen angenommen wird (diesfalls Amortisation gemäss Art. 17a
SR 831.301 Verordnung vom 15. Januar 1971 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELV)
ELV Art. 17a Bewertung des Vermögens - 1 Das anrechenbare Vermögen ist nach den Grundsätzen der Gesetzgebung über die direkte kantonale Steuer für die Bewertung des Vermögens im Wohnsitzkanton zu bewerten.
1    Das anrechenbare Vermögen ist nach den Grundsätzen der Gesetzgebung über die direkte kantonale Steuer für die Bewertung des Vermögens im Wohnsitzkanton zu bewerten.
2    und 3 ...76
4    Dienen Grundstücke dem Bezüger oder einer Person, die in der EL-Berechnung eingeschlossen ist, nicht zu eigenen Wohnzwecken, so sind diese zum Verkehrswert einzusetzen.
5    Bei der entgeltlichen oder unentgeltlichen Entäusserung eines Grundstückes ist der Verkehrswert für die Prüfung, ob ein Vermögensverzicht im Sinne von Artikel 11a Absatz 2 ELG vorliegt, massgebend. Der Verkehrswert gelangt nicht zur Anwendung, wenn von Gesetzes wegen ein Rechtsanspruch auf den Erwerb zu einem tieferen Wert besteht.77
6    Die Kantone können anstelle des Verkehrswertes einheitlich den für die interkantonale Steuerausscheidung massgebenden Repartitionswert anwenden.78
ELV). In dieser Hinsicht ist die Verfügung von Juli 2002 für den hier massgebenden Zeitraum im Ergebnis korrekt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 131 V 329
Date : 17. August 2005
Published : 31. Dezember 2005
Source : Bundesgericht
Status : 131 V 329
Subject area : BGE - Sozialversicherungsrecht (bis 2006: EVG)
Subject : Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG: Die Tatbestandselemente der Anrechenbarkeit eines Verzichtsvermögens sind alternativ zu verstehen.


Legislation register
ELG: 3  3c
ELKV: 13
ELV: 17a
OG: 132
OR: 239
ZGB: 18
BGE-register
110-V-48 • 114-V-150 • 117-V-153 • 120-V-187 • 121-V-204 • 121-V-362 • 131-V-329
Weitere Urteile ab 2000
P_19/04 • P_27/88 • P_76/02
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BBl
1985/I/106
AHI
1997 S.254
SZS
2002 S.419