Urteilskopf

129 III 476

75. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. Personalfürsorgestiftung der Firma X. AG Strassen- & Tiefbau gegen Konkursmasse der K. AG (Berufung) 5C.269/2002 vom 6. Juni 2003

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Regesto (it):


Erwägungen ab Seite 476

BGE 129 III 476 S. 476

Aus den Erwägungen:

1. Strittig ist unter den Parteien das Konkursprivileg für "die Forderungen von Personalvorsorgeeinrichtungen gegenüber den angeschlossenen Arbeitgebern" (Art. 219 Abs. 4
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 219 - 1 Die pfandgesicherten Forderungen werden aus dem Ergebnisse der Verwertung der Pfänder vorweg bezahlt.
1    Die pfandgesicherten Forderungen werden aus dem Ergebnisse der Verwertung der Pfänder vorweg bezahlt.
2    Hafteten mehrere Pfänder für die nämliche Forderung, so werden die daraus erlösten Beträge im Verhältnisse ihrer Höhe zur Deckung der Forderung verwendet.
3    Der Rang der Grundpfandgläubiger und der Umfang der pfandrechtlichen Sicherung für Zinse und andere Nebenforderungen bestimmt sich nach den Vorschriften über das Grundpfand.392
4    Die nicht pfandgesicherten Forderungen sowie der ungedeckte Betrag der pfandgesicherten Forderungen werden in folgender Rangordnung aus dem Erlös der ganzen übrigen Konkursmasse gedeckt:
a  Die Forderungen von Personen, deren Vermögen kraft elterlicher Gewalt dem Schuldner anvertraut war, für alles, was derselbe ihnen in dieser Eigenschaft schuldig geworden ist. Dieses Vorzugsrecht gilt nur dann, wenn der Konkurs während der elterlichen Verwaltung oder innert einem Jahr nach ihrem Ende veröffentlicht worden ist.
abis  Die Rückforderungen von Arbeitnehmern betreffend Kautionen.
ater  Die Forderungen von Arbeitnehmern aus Sozialplänen, die nicht früher als sechs Monate vor der Konkurseröffnung entstanden oder fällig geworden sind.
b  Die Beitragsforderungen nach dem Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946400 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, dem Bundesgesetz vom 19. Juni 1959401 über die Invalidenversicherung, dem Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung, dem Erwerbsersatzgesetz vom 25. September 1952402 und dem Arbeitslosenversicherungsgesetz vom 25. Juni 1982403.
c  Die Prämien- und Kostenbeteiligungsforderungen der sozialen Krankenversicherung.
d  Die Beiträge an die Familienausgleichskasse.
e  ...
f  Die Einlagen nach Artikel 37a des Bankengesetzes vom 8. November 1934406.
5    Bei den in der ersten und zweiten Klasse gesetzten Fristen werden nicht mitberechnet:
1  die Dauer eines vorausgegangenen Nachlassverfahrens;
2  die Dauer eines Prozesses über die Forderung;
3  bei der konkursamtlichen Liquidation einer Erbschaft die Zeit zwischen dem Todestag und der Anordnung der Liquidation.408
Erste Klasse lit. b SchKG) und dabei einzig die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitgeber als "angeschlossen" zu gelten hat.
1.1 Dem Gesetz lässt sich nicht unmittelbar entnehmen, was unter "den angeschlossenen Arbeitgebern" ("des employeurs affiliés"; "dei datori di lavoro affiliati") zu verstehen ist. Der Wortlaut stimmt in allen drei Amtssprachen überein. Das Gesetz ist auch insoweit klar, als es die Forderungen von Personalvorsorgeeinrichtungen gegen die angeschlossenen Arbeitgeber von jenen gegenüber irgendwelchen Arbeitgebern abgrenzt und nur erstere privilegiert.
1.2 Das Konkursprivileg ist mit der SchKG-Revision von 1994/1997 neu gefasst worden. Bereits der frühere Art. 219 Abs. 4
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 219 - 1 Die pfandgesicherten Forderungen werden aus dem Ergebnisse der Verwertung der Pfänder vorweg bezahlt.
1    Die pfandgesicherten Forderungen werden aus dem Ergebnisse der Verwertung der Pfänder vorweg bezahlt.
2    Hafteten mehrere Pfänder für die nämliche Forderung, so werden die daraus erlösten Beträge im Verhältnisse ihrer Höhe zur Deckung der Forderung verwendet.
3    Der Rang der Grundpfandgläubiger und der Umfang der pfandrechtlichen Sicherung für Zinse und andere Nebenforderungen bestimmt sich nach den Vorschriften über das Grundpfand.392
4    Die nicht pfandgesicherten Forderungen sowie der ungedeckte Betrag der pfandgesicherten Forderungen werden in folgender Rangordnung aus dem Erlös der ganzen übrigen Konkursmasse gedeckt:
a  Die Forderungen von Personen, deren Vermögen kraft elterlicher Gewalt dem Schuldner anvertraut war, für alles, was derselbe ihnen in dieser Eigenschaft schuldig geworden ist. Dieses Vorzugsrecht gilt nur dann, wenn der Konkurs während der elterlichen Verwaltung oder innert einem Jahr nach ihrem Ende veröffentlicht worden ist.
abis  Die Rückforderungen von Arbeitnehmern betreffend Kautionen.
ater  Die Forderungen von Arbeitnehmern aus Sozialplänen, die nicht früher als sechs Monate vor der Konkurseröffnung entstanden oder fällig geworden sind.
b  Die Beitragsforderungen nach dem Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946400 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, dem Bundesgesetz vom 19. Juni 1959401 über die Invalidenversicherung, dem Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung, dem Erwerbsersatzgesetz vom 25. September 1952402 und dem Arbeitslosenversicherungsgesetz vom 25. Juni 1982403.
c  Die Prämien- und Kostenbeteiligungsforderungen der sozialen Krankenversicherung.
d  Die Beiträge an die Familienausgleichskasse.
e  ...
f  Die Einlagen nach Artikel 37a des Bankengesetzes vom 8. November 1934406.
5    Bei den in der ersten und zweiten Klasse gesetzten Fristen werden nicht mitberechnet:
1  die Dauer eines vorausgegangenen Nachlassverfahrens;
2  die Dauer eines Prozesses über die Forderung;
3  bei der konkursamtlichen Liquidation einer Erbschaft die Zeit zwischen dem Todestag und der Anordnung der Liquidation.408
SchKG privilegierte die "Forderungen von Fonds zur Gründung und Unterstützung von Wohlfahrtseinrichtungen für Angestellte und Arbeiter
BGE 129 III 476 S. 477

gegenüber dem Arbeitgeber sowie für Genossenschafter, soweit diese Fonds mit dem Rechte der Persönlichkeit ausgestattet sind" (Zweite Klasse lit. e). In seiner Rechtsprechung hat das Bundesgericht festgehalten, dass das Privileg den Forderungen von Wohlfahrtsfonds ganz allgemein zukommt, ungeachtet ihres Rechtsgrunds oder ihrer Herkunft. Die Privilegierung aller Forderungen von Wohlfahrtsfonds gegen den Arbeitgeber hat das Bundesgericht mit der besonderen Schutzbedürftigkeit des Vermögens gerechtfertigt, dessen Verwaltung dem Arbeitgeber anvertraut sei oder auf dessen Verwaltung er mindestens einen massgebenden Einfluss ausübe. Das Schutzbedürfnis sei besonders stark bei Geldmangel des Arbeitgebers, weil diesfalls nicht bloss die Forderungen gegen den Arbeitgeber gefährdet seien, sondern der Arbeitgeber versucht sein könnte, Mittel des Wohlfahrtsfonds für sein Unternehmen zu verwenden. Entscheidend sei die tatsächliche Verfügungsmacht des Arbeitgebers über das Vermögen des Wohlfahrtsfonds und nicht so sehr das Verfügungsrecht, das der Arbeitgeber als Organ des Wohlfahrtsfonds besitzen könne (zuletzt: BGE 97 III 83 E. 5 S. 85 f.).
1.3 Die Privilegierung der "Forderungen von Personalvorsorgeeinrichtungen gegenüber den angeschlossenen Arbeitgebern" lässt sich inhaltlich auf das bisherige Konkursprivileg zu Gunsten der Forderungen von Wohlfahrtsfonds zurückführen. Der Bundesrat schlug zwar vor, das Privileg auf die Beitragsforderungen der Vorsorgeeinrichtungen gegenüber den angeschlossenen Arbeitgebern, soweit sie nicht durch den Sicherheitsfonds gemäss dem Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG; SR 831.40) gedeckt sind, zu beschränken (Botschaft, BBl 1991 III 1, S. 129 und 254). In der Kommission des Nationalrats wurde jedoch beantragt, am geltenden Recht festzuhalten und - aus den erwähnten Gründen (E. 1.2 soeben) - weiterhin sämtliche Forderungen der Vorsorgeeinrichtungen zu privilegieren. Das Konkursprivileg erhielt dabei seine heutige Fassung (Sitzungen vom 22./23. April 1992, S. 22 f., und vom 16./17. November 1992, S. 57 f.). Der Nationalrat stimmte dem Antrag seiner Kommission in diesem Punkt vorbehaltlos zu. Der Ständerat folgte darin dem Beschluss des Nationalrats. Zu Diskussionen Anlass gaben hingegen andere Fragen der Privilegienordnung (AB 1993 N 36 f. und AB 1993 S 651 ff.).
1.4 Die Entstehungsgeschichte verdeutlicht, dass der Gesetzgeber von beruflicher Vorsorge in einem umfassenden Sinn und dabei von einem Anschlussverhältnis ausgegangen ist, wie es in Art. 11
BGE 129 III 476 S. 478

Abs. 1 BVG für die obligatorische Versicherung der Arbeitnehmer geregelt wird. Danach muss der Arbeitgeber, der obligatorisch zu versichernde Arbeitnehmer beschäftigt, eine in das Register für die berufliche Vorsorge eingetragene Vorsorgeeinrichtung errichten oder sich einer solchen anschliessen. Als Grundsatz kann deshalb gelten, dass ein Arbeitgeber dann "angeschlossen" im Sinne des Konkursprivilegs ist, wenn seine Arbeitnehmer bei einer Vorsorgeeinrichtung obligatorisch oder überobligatorisch versichert sind, die er selber errichtet hat oder mit der er einen Anschlussvertrag geschlossen hat. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung handelt es sich beim Anschlussvertrag um einen Vertrag sui generis im engeren Sinne (BGE 120 V 299 E. 4a S. 304), für dessen Abschluss die Regeln des Obligationenrechts gelten (z.B. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 5/87 vom 30. Mai 1989, E. 4, publ. in: SZS 1990 S. 204; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 84/00 vom 3. Oktober 2001, E. 4a nicht publ. in BGE 127 V 377). Ein "Anschluss" kann daher auch stillschweigend, insbesondere konkludent erfolgen, d.h. durch ein Verhalten, das nicht bloss passiv ist, sondern eindeutig und zweifelsfrei einen Anschlusswillen zeigt (BGE 123 III 53 E. 5a S. 59).
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 129 III 476
Date : 06. Juni 2003
Published : 31. Dezember 2004
Source : Bundesgericht
Status : 129 III 476
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Konkursprivileg für die Forderungen von Personalvorsorgeeinrichtungen gegenüber den angeschlossenen Arbeitgebern (Art. 219


Legislation register
SchKG: 219
BGE-register
120-V-299 • 123-III-53 • 127-V-377 • 129-III-476 • 97-III-83
Weitere Urteile ab 2000
5C.269/2002 • B_5/87 • B_84/00
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BBl
1991/III/1
AB
1993 N 36 • 1993 S 651
SZS
1990 S.204