129 I 65
6. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. A. gegen Obergericht des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde) 5P.202/2002 vom 21. November 2002
Regeste (de):
- Art. 9
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben - Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.
- Kürzt die obere Instanz die für das erstinstanzliche Verfahren festgesetzte Entschädigung eines Offizialanwaltes von Amtes wegen, handelt sie willkürlich, wenn hierfür keine gesetzliche Grundlage besteht und die entsprechende Entscheidziffer von keiner Partei angefochten worden ist (E. 2).
Regeste (fr):
- Art. 9 Cst.; réduction des honoraires d'un avocat d'office.
- Agit arbitrairement l'autorité supérieure qui réduit d'office l'indemnité allouée dans la procédure de première instance à un avocat d'office alors qu'il n'existe à cet effet aucune base légale et que les parties n'ont pas contesté la décision sur ce point (consid. 2).
Regesto (it):
- Art. 9 Cost.; riduzione dell'onorario di un avvocato d'ufficio.
- L'istanza superiore, che riduce d'ufficio l'indennità per ripetibili concessa all'avvocato d'ufficio per il procedimento di primo grado, incorre nell'arbitrio qualora non vi sia nessuna base legale per agire in tal senso e il dispositivo concernente l'indennità non sia stato contestato dalle parti (consid. 2).
Sachverhalt ab Seite 65
BGE 129 I 65 S. 65
Im Rahmen eines hängigen Scheidungsverfahrens regelte das Vizegerichtspräsidium Arbon mit Verfügung vom 4. März 2002 die Kinderbelange (Ziff. 1-4) und sprach dem Offizialanwalt der Ehefrau zu Lasten des Staates ein Honorar von Fr. 2'152.- zu (Ziff. 5). Nachdem diese beschränkt auf die Kinderalimente rekurriert hatte, setzte das Obergericht des Kantons Thurgau die Entschädigung des Offizialanwaltes für das erstinstanzliche Verfahren mit Entscheid vom 8. April 2002 von Amtes wegen auf Fr. 1'400.- herab (Ziff. 3a). Das Bundesgericht heisst die gegen die Honorarkürzung erhobene staatsrechtliche Beschwerde des Offizialanwaltes gut.
BGE 129 I 65 S. 66
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1 Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, er habe einzig gegen Ziff. 4 des erstinstanzlichen Entscheides (Kinderunterhalt) rekurriert. Gemäss § 237 ZPO/TG hemme der Rekurs "Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des angefochtenen Entscheides im Umfang der Rekursanträge", und die Rekursinstanz habe nach § 241 ZPO/TG "Verfahren und Entscheid der ersten Instanz im Rahmen der Rekursanträge" zu prüfen. Es sei nicht ersichtlich, woher das Obergericht seine Kompetenz nehme, von Amtes wegen über nicht angefochtene Punkte zu entscheiden; weder aus dem Anwaltstarif noch aus der Zivilprozessordnung ergebe sich diese Möglichkeit. Die Kürzung des Honorars für das erstinstanzliche Verfahren bedeute eine willkürliche Anwendung des kantonalen Zivilprozessrechts und verletzte damit Art. 9
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben - Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden. |
2.2 Das Obergericht hat in seiner Vernehmlassung ausgeführt, als Auftraggeber des Offizialanwalts sei der Staat berechtigt und verpflichtet, die Angemessenheit des Honorars zu überprüfen. Dies sei das Gegenstück dazu, dass keine Partei legitimiert sei, das Honorar anzufechten, und diene mit Rücksicht auf das Rückgriffsrecht des Staates vorab dem Schutz der vertretenen Partei. Das Honorar sei von derjenigen Instanz festzusetzen, die das Verfahren rechtskräftig erledige. Aus diesem Grund spreche das Obergericht häufig auch eine einzige Entschädigung für das Verfahren vor beiden Instanzen.
2.3 Es trifft zu, dass von Amtes wegen über die Kosten zu befinden ist und dass insbesondere auch das Verfahren um Erteilung der unentgeltlichen Prozessführung der Offizialmaxime unterliegt. Indes bedeutet dies nicht, dass die Rechtsmittelbehörde von Amtes wegen alle Punkte des erstinstanzlichen Verfahrens überprüfen kann; vielmehr ergeben sich die Schranken aus den einschlägigen Bestimmungen der kantonalen Zivilprozessordnung. Für den Kanton Thurgau sieht diese vor, dass die obere Instanz die Streitsache einzig im Rahmen der Rekursanträge überprüfen darf (§ 241 ZPO/TG), während die nicht angefochtenen Ziffern des Dispositivs in Rechtskraft erwachsen sind (§ 237 ZPO/TG). Die Herabsetzung des Honorars bedeutet für den amtlichen Anwalt eine Reformatio in peius. Die thurgauische Zivilprozessordnung enthält keine gesetzliche Grundlage für eine von keiner Seite beantragte, sondern von Amtes wegen vorgenommene Honorarkürzung. Insbesondere liesse sich dies nicht auf § 83 Abs. 2 ZPO/TG
BGE 129 I 65 S. 67
stützen, der die obere Instanz befugt, für die Fortsetzung des Verfahrens die Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung von Amtes wegen zu überprüfen. Da es sich beim Verbot der Reformatio in peius um einen klaren und unumstrittenen Rechtsgrundsatz handelt, begründet dessen Missachtung Willkür (BGE 110 II 113 E. 3c S. 115). Der Argumentation des Obergerichts ist Folgendes entgegenzuhalten: Es mag zutreffen, dass die Herabsetzung des Honorars für das erstinstanzliche Verfahren im Interesse des die Prozesskosten vorschiessenden Staates, aber auch in demjenigen der rückforderungsbelasteten Partei liegen kann. Indes ist nicht ausgeschlossen, dass die letztlich kostenbelastete Partei gegen eine überhöhte Entschädigung ihres amtlichen Anwaltes opponiert, während sich die finanziellen Interessen des Staates durch ein Rekursrecht des zuständigen Departementes oder der Staatskasse gegen überhöhte Entschädigungen wahren lassen (vgl. etwa Art. 19 Abs. 1
SR 747.201 Bundesgesetz vom 3. Oktober 1975 über die Binnenschifffahrt (BSG) BSG Art. 19 - 1 Ausweise und Bewilligungen sind zu entziehen, wenn die Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen. |
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1 | Ausweise und Bewilligungen sind zu entziehen, wenn die Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen. |
2 | Sie können entzogen werden, wenn die mit der Erteilung verbundenen Beschränkungen oder Auflagen missachtet oder Steuern oder Gebühren für das Schiff nicht entrichtet werden. |
3 | Nach Widerhandlungen gegen die Verkehrsregeln und die Bestimmungen über die Fahreignung, die in diesem Gesetz mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedroht sind, wird der Schiffsführerausweis entzogen oder eine Verwarnung ausgesprochen.33 |
4 | Bei der Festsetzung der Dauer des Schiffsführerausweisentzugs sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, namentlich die Gefährdung der Verkehrssicherheit der Schifffahrt, das Verschulden, der Leumund als Führer von Motorfahrzeugen und Schiffen sowie die berufliche Notwendigkeit, ein Schiff zu führen. Die Mindestentzugsdauer darf jedoch nicht unterschritten werden.34 |