Urteilskopf

128 IV 272

42. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Nichtigkeitsbeschwerde) 6S.280/2002 vom 20. September 2002

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Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 273

BGE 128 IV 272 S. 273

A.- Das Obergericht des Kantons Luzern verurteilte X. am 30. August 2002 wegen Begleitung eines Fahrschülers auf einer Lernfahrt in angetrunkenem Zustand (Art. 91 Ziff. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 91 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer:
SVG [SR 741.01]) und wegen Nichtanpassens der Geschwindigkeit an die Strassenverhältnisse (Art. 90 Ziff. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
i.V.m. Art. 100 Ziff. 3
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 100 - 1. Bestimmt es dieses Gesetz nicht ausdrücklich anders, so ist auch die fahrlässige Handlung strafbar.
SVG) zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 3 Tagen und zu einer Busse von Fr. 800.-. Der Verurteilung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Am 9. Dezember 1999 um etwa 06.40 Uhr begleitete X. den Fahrzeuglenker A., Inhaber eines Lernfahrausweises, auf einer Lernfahrt im Raum Luzern. A. verlor die Herrschaft über den Personenwagen und verursachte eine Kollision. Beide Fahrzeuginsassen wurden einer Blutprobe unterzogen; der Lenker wies einen Blutalkoholgehalt von mindestens 0,64 und sein Begleiter von mindestens 1,42 Gewichtspromillen auf.
B.- Der Kassationshof des Bundesgerichtes weist die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde des X. ab.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des Legalitätsprinzips geltend (Art. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 1 - Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt.
StGB: nullum crimen sine lege). Auch wenn sein Verhalten strafwürdig sei, sei es von Art. 91 Abs. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 91 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer:
SVG nicht erfasst. Die kantonalen Behörden haben sich an die Rechtsprechung des Bundesgerichtes gehalten. Danach gilt bei einer Lernfahrt der Begleiter des Fahrschülers als Motorfahrzeugführer. Begründet wird dies damit, dass der Begleiter nicht nur die Fahrweise des Fahrschülers ständig überwachen und die nötigen Anweisungen geben, sondern notfalls die Handbremse ziehen oder das Steuer herumreissen, somit das Fahrzeug selber führen muss. Deshalb sei es notwendig, dass er fahrtüchtig sei wie ein Lenker. Die Gründe, die für die Strafbarkeit des angetrunkenen Führers sprächen, würden folglich im gleichem Ausmass für den Begleiter gelten (BGE 91 IV 147). Diese Rechtsprechung wird in der Literatur teilweise kritisiert. So wird ohne weitere Begründung gesagt, die extensive Auslegung des Begriffs des "Führens" kollidiere mit dem Legalitätsprinzip (ANDRÉ BUSSY/BAPTISTE RUSCONI, Code suisse de la circulation routière, 3. Aufl., Lausanne 1996, N. 4.4 zu Art. 91
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 91 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer:
SVG). Teilweise wird die bundesgerichtliche Rechtsprechung vorbehaltlos referiert (HANS SCHULTZ, Die strafrechtliche Rechtsprechung zum neuen Strassenverkehrsrecht,
BGE 128 IV 272 S. 274

Bern 1968, S. 235; HANS GIGER/ROBERT SIMMEN, Strassenverkehrsgesetz, 5. Aufl., Zürich 1996, N. 4 zu Art. 100
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 100 - 1. Bestimmt es dieses Gesetz nicht ausdrücklich anders, so ist auch die fahrlässige Handlung strafbar.
SVG, S. 263).
2. Strafbar ist nur, wer eine Tat begeht, die das Gesetz ausdrücklich mit Strafe bedroht (Art. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 1 - Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt.
StGB). Der Gesetzestext ist Ausgangspunkt der Gesetzesanwendung. Selbst ein klarer Wortlaut bedarf aber der Auslegung, wenn er vernünftigerweise nicht der wirkliche Sinn des Gesetzes sein kann. Massgebend ist nicht der Buchstabe des Gesetzes, sondern dessen Sinn, der sich namentlich aus den dem Gesetz zu Grunde liegenden Wertungen ergibt, im Wortlaut jedoch unvollkommen ausgedrückt sein kann. Sinngemässe Auslegung kann auch zu Lasten des Beschuldigten vom Wortlaut abweichen. Im Rahmen solcher Gesetzesauslegung ist auch der Analogieschluss erlaubt. Dieser dient dann lediglich als Mittel sinngemässer Auslegung. Der Grundsatz "keine Strafe ohne Gesetz" (Art. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 1 - Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt.
StGB) verbietet bloss, über den dem Gesetz bei richtiger Auslegung zukommenden Sinn hinauszugehen, also neue Straftatbestände zu schaffen oder bestehende derart zu erweitern, dass die Auslegung durch den Sinn des Gesetzes nicht mehr gedeckt wird. Die Abgrenzung zwischen zulässiger Auslegung einer Strafbestimmung zu Ungunsten des Beschuldigten und unzulässiger Schaffung neuer Straftatbestände durch Analogieschlüsse ist allerdings schwierig. Das Bestreben, ein strafwürdiges Verhalten tatsächlich auch zu bestrafen, darf nicht mit dem Sinn und Zweck einer Strafnorm vermengt bzw. gleichgesetzt werden. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass sich die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten unter einen Straftatbestand fällt, eben gerade dann stellt, wenn es als strafwürdig erscheint (BGE 127 IV 198 E. 3b S. 200).
3. Strafbar im Sinne von Art. 91 Abs. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 91 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer:
SVG macht sich, wer in angetrunkenem Zustand ein Motorfahrzeug "führt" ("conduit un véhicule automobile", "conduce un veicolo a motore"). Wer angetrunken ist, darf kein Fahrzeug "führen" (Art. 31 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 31 - 1 Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann.
SVG).
3.1 Das Führen eines Fahrzeugs besteht darin, es zu bedienen, insbesondere in Bewegung zu setzen und zu lenken (BGE 80 IV 125 E. 1 S. 127). Grundsätzlich führt der Lenker das Fahrzeug. Das folgt nicht nur aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch, sondern auch aus Art. 31 Abs. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 31 - 1 Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann.
SVG, wonach der Führer das Fahrzeug ständig beherrschen muss, oder aus Art. 3
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 3 Bedienung des Fahrzeugs - (Art. 31 Abs. 1 SVG)
1    Der Fahrzeugführer muss seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden. Er darf beim Fahren keine Verrichtung vornehmen, welche die Bedienung des Fahrzeugs erschwert. Er hat ferner dafür zu sorgen, dass seine Aufmerksamkeit insbesondere durch Tonwiedergabegeräte sowie Kommunikations- und Informationssysteme nicht beeinträchtigt wird.27
2    Die Führer von Gesellschaftswagen dürfen im dichten Verkehr oder auf schwierigen Strassen die Fahrgäste nicht über Sehenswürdigkeiten u. dgl. orientieren. Sie dürfen kein Handmikrophon verwenden.
3    Die Führer von Motorfahrzeugen und Fahrrädern dürfen die Lenkvorrichtung nicht loslassen.28
3bis    Bei Verwendung eines Einparkassistenzsystems darf der Führer während des Parkierungsmanövers die Lenkvorrichtung loslassen und das Fahrzeug verlassen, sofern das Assistenzsystem dies vorsieht. Er muss das Parkierungsmanöver überwachen und bei Bedarf abbrechen.29
4    Der Fahrzeugführer hat den vorgeschriebenen Fahrtschreiber ständig in Betrieb zu halten und richtig zu bedienen. Ist:
a  das Fahrzeug mit einem analogen Fahrtschreiber ausgerüstet, so darf ihn der Fahrzeugführer unterwegs zu Kontrollzwecken und muss ihn auf Verlangen der Polizei öffnen. Der Halter hat Schlüssel und Einlageblätter zur Verfügung zu stellen. Jedes Einlageblatt darf nur einmal verwendet werden; freiwillige Vermerke dürfen die Auswertung nicht erschweren. Es müssen genügend leere Einlageblätter mitgeführt werden;
b  das Fahrzeug mit einem digitalen Fahrtschreiber ausgerüstet, so müssen die Fahrerkarten von Führer und Mitfahrer während der gesamten beruflichen Tätigkeit eingesteckt bleiben. Ohne Fahrerkarte darf ein Fahrzeug ausser bei Beschädigung, Fehlfunktion, Verlust oder Diebstahl der Karte nicht geführt werden. Es muss genügend Druckerpapier mitgeführt werden.30
der Vekehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11), der dem Fahrzeugführer
BGE 128 IV 272 S. 275

vorschreibt, beim Fahren keine Verrichtung vorzunehmen, welche die Bedienung des Fahrzeugs erschwert, kein Handmikrophon zu verwenden und die Lenkvorrichtung nicht loszulassen. Fahrzeugführer kann allerdings auch sein, wer nicht hinter dem Lenkrad sitzt. Das Fahrzeug führt auch der Beifahrer, der in den Führungsvorgang des Lenkers eingreift, beispielsweise indem er auf das Gaspedal drückt, die Handbremse zieht oder das Lenkrad herumreisst (BGE 118 Ib 524 E. 2 S. 525; BGE 91 IV 147 E. 1 S. 148). Wer nur einen Lernfahrausweis besitzt, darf nicht allein einen Motorwagen führen. Lernfahrten auf Motorwagen dürfen nur mit einem Begleiter unternommen werden, welcher dafür sorgt, dass die Lernfahrt gefahrlos durchgeführt wird und der Fahrschüler die Verkehrsvorschriften nicht verletzt (Art. 15
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 15 - 1 Lernfahrten auf Motorwagen dürfen nur mit einem Begleiter unternommen werden, der das 23. Altersjahr vollendet hat, seit wenigstens drei Jahren den entsprechenden Führerausweis und diesen nicht mehr auf Probe besitzt.43
SVG). Der Begleiter muss neben dem Fahrschüler Platz nehmen und wenigstens die Handbremse leicht erreichen können (Art. 27 Abs. 2
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 27 Lernfahrten - (Art. 15 SVG)
1    Solange Motorfahrzeuge von Inhabern eines Lernfahrausweises geführt werden, müssen sie eine blaue Tafel mit weissem «L» tragen. Die Tafel muss so angebracht sein, dass sie von hinten gut erkennbar ist. Sie ist zu entfernen, wenn keine Lernfahrt stattfindet.121
2    Auf Lern- und Prüfungsfahrten mit Motorwagen muss der Begleiter neben dem Führer Platz nehmen, ausgenommen auf Übungsplätzen, beim Rückwärtsfahren oder beim Parkieren. Der Begleiter muss wenigstens die Handbremse leicht erreichen können, ausgenommen auf Lernfahrten mit Motorwagen der Kategorie C, sofern der Fahrzeugführer prüfungsreif ist.122
3    Der Inhaber eines Lernfahrausweises darf keine Passagiere mitführen, die nicht selber über den entsprechenden Führerausweis verfügen:
a  auf Motorrädern;
b  auf oder in Motorfahrzeugen ohne Anhänger, mit denen er Lernfahrten ohne Begleitperson ausführen darf.123
4    Fahrschüler dürfen verkehrsreiche Strassen erst befahren, wenn sie genügend ausgebildet sind, Autobahnen und Autostrassen erst, wenn sie prüfungsreif sind.
5    Auf verkehrsreichen Strassen sind Anfahren in Steigungen, Wenden, Rückwärtsfahren und ähnliche Übungen untersagt, in Wohngebieten sind sie möglichst zu vermeiden.
6    Auf Lern- und Prüfungsfahrten darf auch dann über längere Strecken rückwärts gefahren werden, wenn das Weiterfahren oder Wenden möglich ist.124
VRV). Nötigenfalls muss er in den Führungsvorgang eingreifen und die Handbremse ziehen oder das Steuer herumreissen (BGE 91 IV 147 E. 1 S. 148). Der Fahrschüler darf also den Motorwagen nur zusammen mit dem Begleiter führen, und es ist der Begleiter, der für die Einhaltung der Verkehrsregeln und die Vermeidung von Unfällen zu sorgen hat. Der Begleiter ist damit nicht ein gewöhnlicher Beifahrer; er ist im Gegenteil von Gesetzes wegen an der Führung des Fahrzeuges durch den Fahrschüler beteiligt. In diesem Sinn führen beide, Fahrschüler und Begleiter, das Fahrzeug gemeinsam. Die gesetzlich umschriebene Tätigkeit des Begleiters kann deshalb unter den Begriff des Führens subsumiert werden, ohne diesen zu überdehnen. Diese Auslegung entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Im alten Art. 14 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 15. März 1932 über den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr (MFG; BS 7 S. 595 ff.) stand, dass der Begleiter "die Verantwortlichkeit als Führer trägt". In der Botschaft vom 24. Juni 1955 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über den Strassenverkehr steht in Zusammenhang mit Art. 93 Ziff. 3
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 93 - 1 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer vorsätzlich die Betriebssicherheit eines Fahrzeugs beeinträchtigt, sodass die Gefahr eines Unfalls entsteht. Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Busse.
(heute Art. 100 Ziff. 3
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 100 - 1. Bestimmt es dieses Gesetz nicht ausdrücklich anders, so ist auch die fahrlässige Handlung strafbar.
SVG), dass die Rechtsprechung zu Art. 14 MFG übernommen wird und das Gesetz den Begleiter "zum Führer des Fahrzeugs" erklärt (BBl 1955 II 65; vgl. BGE 80 IV 125 E. 1 S. 127).

3.2 Es ist offensichtlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht bestritten, dass der Begleiter zumindest die gleich gute Reaktionsfähigkeit besitzen muss wie ein Lenker, um seinen gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben nachkommen zu können. Die Gründe, aus welchen der Gesetzgeber die Angetrunkenheit am Steuer unter
BGE 128 IV 272 S. 276

Strafe gestellt hat, gelten gleichermassen gegenüber dem Lenker und dem Begleiter. Denn die Verkehrssicherheit erheischt nicht nur, dass der Lenker nicht angetrunken ist, sondern auch, dass der Begleiter eines Fahrschülers es nicht ist. So hat denn der Gesetzgeber gegenüber berufsmässigen Fahrlehrern gar ein Alkoholverbot verhängt; während der Arbeitszeit und innert sechs Stunden vor Arbeitsbeginn ist ihnen der Genuss alkoholischer Getränke gänzlich untersagt (Art. 58 Abs. 5
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 100 - 1. Bestimmt es dieses Gesetz nicht ausdrücklich anders, so ist auch die fahrlässige Handlung strafbar.
VZV).
3.3 Der Beschwerdeführer wendet ein, der Begleiter könne nicht als Führer des Fahrzeugs betrachtet werden, weil ansonsten Art. 100 Ziff. 3
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 100 - 1. Bestimmt es dieses Gesetz nicht ausdrücklich anders, so ist auch die fahrlässige Handlung strafbar.
SVG keinen Sinn hätte. Diese Bestimmung sieht vor, dass für strafbare Handlungen auf Lernfahrten der Begleiter verantwortlich ist, wenn er die Pflichten verletzt hat, die ihm als Folge der Übernahme der Begleitung oblagen (Abs. 1), und dass der Fahrschüler verantwortlich ist, soweit er die Widerhandlung nach dem Stand seiner Ausbildung hätte vermeiden können (Abs. 2).
Art. 100 Ziff. 3
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 100 - 1. Bestimmt es dieses Gesetz nicht ausdrücklich anders, so ist auch die fahrlässige Handlung strafbar.
SVG übernimmt die zur Geltungszeit von Art. 14 MFG ergangene Rechtsprechung zur Frage, inwieweit der Fahrschüler für Verletzungen von Verkehrsregeln selber strafrechtlich verantwortlich ist (BGE 80 IV 125 E. 1 S. 127; vgl. BBl 1955 II 65). Im entsprechenden Entscheid, wo festgehalten wird, dass "auch der Fahrschüler im Rahmen der ihm ... belassenen Verantwortung Führer ... ist", ging es darum, festzuhalten, dass entgegen früherer Praxis der Fahrschüler unter Umständen strafbar sein kann, sei es neben dem Begleiter, sei es allein, beispielsweise wenn er sich bewusst und gewollt den Weisungen des Begleiters widersetzt (vgl. hierzu: HANS SCHULTZ, Die Strafbestimmungen des Bundesgesetzes über den Strassenverkehr vom 19. Dezember 1958, Bern 1964, S. 64 und 68). Aus Art. 100 Ziff. 3
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 100 - 1. Bestimmt es dieses Gesetz nicht ausdrücklich anders, so ist auch die fahrlässige Handlung strafbar.
SVG kann also nicht abgeleitet werden, der Begleiter sei nicht Führer und könne folglich nicht wegen Führens eines Fahrzeugs in angetrunkenem Zustand verurteilt werden. In der Botschaft wird im Gegenteil zu dieser Bestimmung ausdrücklich festgehalten, dass der Begleiter als Führer des vom Fahrschüler gelenkten Fahrzeugs zu betrachten ist (BBl 1955 II 65). Dass Abs. 1 von Art. 100 Ziff. 3
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 100 - 1. Bestimmt es dieses Gesetz nicht ausdrücklich anders, so ist auch die fahrlässige Handlung strafbar.
SVG mit der Formulierung, der Begleiter sei für die Verletzung der ihm obliegenden Pflichten verantwortlich, etwas aussagt, was ohnehin gilt, und dass die Bestimmung somit, streng genommen, überflüssig ist, vermag daran nichts zu ändern.
3.4 Damit kann offen bleiben, ob subsidiär eine Verurteilung wegen Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
StGB) in Frage käme (vgl. BGE 73 IV 180 E. 1 S. 182).
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 128 IV 272
Datum : 20. September 2002
Publiziert : 31. Dezember 2003
Quelle : Bundesgericht
Status : 128 IV 272
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 1 StGB, Art. 31 Abs. 2 und Art. 100 Ziff. 3 SVG; Grundsatz "nulla poena sine lege", Verantwortung des angetrunkenen
Einordnung : Bestätigung der Rechtsprechung


Gesetzesregister
SVG: 15 
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 15 - 1 Lernfahrten auf Motorwagen dürfen nur mit einem Begleiter unternommen werden, der das 23. Altersjahr vollendet hat, seit wenigstens drei Jahren den entsprechenden Führerausweis und diesen nicht mehr auf Probe besitzt.43
31 
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 31 - 1 Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann.
90 
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
91 
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 91 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer:
93 
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 93 - 1 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer vorsätzlich die Betriebssicherheit eines Fahrzeugs beeinträchtigt, sodass die Gefahr eines Unfalls entsteht. Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Busse.
100
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 100 - 1. Bestimmt es dieses Gesetz nicht ausdrücklich anders, so ist auch die fahrlässige Handlung strafbar.
StGB: 1 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 1 - Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt.
237
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
VRV: 3 
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 3 Bedienung des Fahrzeugs - (Art. 31 Abs. 1 SVG)
1    Der Fahrzeugführer muss seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden. Er darf beim Fahren keine Verrichtung vornehmen, welche die Bedienung des Fahrzeugs erschwert. Er hat ferner dafür zu sorgen, dass seine Aufmerksamkeit insbesondere durch Tonwiedergabegeräte sowie Kommunikations- und Informationssysteme nicht beeinträchtigt wird.27
2    Die Führer von Gesellschaftswagen dürfen im dichten Verkehr oder auf schwierigen Strassen die Fahrgäste nicht über Sehenswürdigkeiten u. dgl. orientieren. Sie dürfen kein Handmikrophon verwenden.
3    Die Führer von Motorfahrzeugen und Fahrrädern dürfen die Lenkvorrichtung nicht loslassen.28
3bis    Bei Verwendung eines Einparkassistenzsystems darf der Führer während des Parkierungsmanövers die Lenkvorrichtung loslassen und das Fahrzeug verlassen, sofern das Assistenzsystem dies vorsieht. Er muss das Parkierungsmanöver überwachen und bei Bedarf abbrechen.29
4    Der Fahrzeugführer hat den vorgeschriebenen Fahrtschreiber ständig in Betrieb zu halten und richtig zu bedienen. Ist:
a  das Fahrzeug mit einem analogen Fahrtschreiber ausgerüstet, so darf ihn der Fahrzeugführer unterwegs zu Kontrollzwecken und muss ihn auf Verlangen der Polizei öffnen. Der Halter hat Schlüssel und Einlageblätter zur Verfügung zu stellen. Jedes Einlageblatt darf nur einmal verwendet werden; freiwillige Vermerke dürfen die Auswertung nicht erschweren. Es müssen genügend leere Einlageblätter mitgeführt werden;
b  das Fahrzeug mit einem digitalen Fahrtschreiber ausgerüstet, so müssen die Fahrerkarten von Führer und Mitfahrer während der gesamten beruflichen Tätigkeit eingesteckt bleiben. Ohne Fahrerkarte darf ein Fahrzeug ausser bei Beschädigung, Fehlfunktion, Verlust oder Diebstahl der Karte nicht geführt werden. Es muss genügend Druckerpapier mitgeführt werden.30
27
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 27 Lernfahrten - (Art. 15 SVG)
1    Solange Motorfahrzeuge von Inhabern eines Lernfahrausweises geführt werden, müssen sie eine blaue Tafel mit weissem «L» tragen. Die Tafel muss so angebracht sein, dass sie von hinten gut erkennbar ist. Sie ist zu entfernen, wenn keine Lernfahrt stattfindet.121
2    Auf Lern- und Prüfungsfahrten mit Motorwagen muss der Begleiter neben dem Führer Platz nehmen, ausgenommen auf Übungsplätzen, beim Rückwärtsfahren oder beim Parkieren. Der Begleiter muss wenigstens die Handbremse leicht erreichen können, ausgenommen auf Lernfahrten mit Motorwagen der Kategorie C, sofern der Fahrzeugführer prüfungsreif ist.122
3    Der Inhaber eines Lernfahrausweises darf keine Passagiere mitführen, die nicht selber über den entsprechenden Führerausweis verfügen:
a  auf Motorrädern;
b  auf oder in Motorfahrzeugen ohne Anhänger, mit denen er Lernfahrten ohne Begleitperson ausführen darf.123
4    Fahrschüler dürfen verkehrsreiche Strassen erst befahren, wenn sie genügend ausgebildet sind, Autobahnen und Autostrassen erst, wenn sie prüfungsreif sind.
5    Auf verkehrsreichen Strassen sind Anfahren in Steigungen, Wenden, Rückwärtsfahren und ähnliche Übungen untersagt, in Wohngebieten sind sie möglichst zu vermeiden.
6    Auf Lern- und Prüfungsfahrten darf auch dann über längere Strecken rückwärts gefahren werden, wenn das Weiterfahren oder Wenden möglich ist.124
VZV: 58
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118-IB-524 • 127-IV-198 • 128-IV-272 • 73-IV-180 • 80-IV-125 • 91-IV-147
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nulla poena sine lege • strassenverkehrsgesetz • bundesgericht • frage • verhalten • sachverhalt • fahrzeugführer • beschuldigter • verurteilung • verurteilter • kassationshof • lernfahrer • automobil • weisung • verkehrsregelnverordnung • trunkenheit • entscheid • bedürfnis • begründung des entscheids • gerichts- und verwaltungspraxis
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1955/II/65