127 IV 215
36. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 31. Juli 2001 i.S. A. und B. gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 47 - Bei Tötung eines Menschen oder Körperverletzung kann der Richter unter Würdigung der besonderen Umstände dem Verletzten oder den Angehörigen des Getöteten eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zusprechen.
SR 312.5 Bundesgesetz vom 23. März 2007 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz, OHG) - Opferhilfegesetz
OHG Art. 8 Information über die Opferhilfe und Meldung - 1 Die Strafverfolgungsbehörden informieren das Opfer über die Opferhilfe und leiten unter bestimmten Voraussetzungen Name und Adresse an eine Beratungsstelle weiter. Die entsprechenden Pflichten richten sich nach der einschlägigen Verfahrensordnung.
1 Die Strafverfolgungsbehörden informieren das Opfer über die Opferhilfe und leiten unter bestimmten Voraussetzungen Name und Adresse an eine Beratungsstelle weiter. Die entsprechenden Pflichten richten sich nach der einschlägigen Verfahrensordnung. 2 Eine in der Schweiz wohnhafte Person, die im Ausland Opfer einer Straftat geworden ist, kann sich an eine schweizerische Vertretung oder an die mit dem schweizerischen konsularischen Schutz betraute Stelle wenden. Diese Stellen informieren das Opfer über die Opferhilfe in der Schweiz. Sie melden Name und Adresse des Opfers einer Beratungsstelle, sofern dieses damit einverstanden ist. 3 Die Absätze 1 und 2 finden auf Angehörige des Opfers sinngemäss Anwendung. SR 312.5 Bundesgesetz vom 23. März 2007 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz, OHG) - Opferhilfegesetz
OHG Art. 9 Angebot - 1 Die Kantone sorgen dafür, dass fachlich selbstständige öffentliche oder private Beratungsstellen zur Verfügung stehen. Dabei tragen sie den besonderen Bedürfnissen verschiedener Opferkategorien Rechnung.
1 Die Kantone sorgen dafür, dass fachlich selbstständige öffentliche oder private Beratungsstellen zur Verfügung stehen. Dabei tragen sie den besonderen Bedürfnissen verschiedener Opferkategorien Rechnung. 2 Sie können gemeinsame Beratungsstellen betreiben. - Das OHG verpflichtet die kantonalen Behörden nicht, Zivilansprüche nach der Untersuchungsmaxime zu beurteilen. Zur Bestimmung der Rechte und Pflichten der Parteien bleibt grundsätzlich das kantonale Verfahrensrecht massgebend (E. 2d).
- Verlangt der Geschädigte eine höhere Genugtuungssumme, als veröffentlichte Gerichtspraxis und die dem Gericht bekannten Entscheidungsgrundlagen nahelegen, ist er beweispflichtig für jene Elemente, die eine Erhöhung rechtfertigen könnten (E. 2e).
Regeste (fr):
- Art. 8 CC, art. 47 CO, art. 8 et 9 LAVI; prétentions civiles de la victime, obligation de les faire valoir et de les établir.
- La LAVI n'oblige pas les autorités cantonales à juger les prétentions civiles selon la maxime d'office. En principe, les droits et les devoirs des parties sont déterminés par le droit cantonal de procédure (consid. 2d).
- Lorsque le lésé exige une réparation morale plus élevée que celle qui résulte de la jurisprudence publiée et des circonstances d'espèce déterminantes connues du tribunal, il lui appartient de prouver les éléments qui pourraient justifier une indemnité supérieure (consid. 2e).
Regesto (it):
- Art. 8 CC, art. 47 CO, art. 8 e 9 LAV; pretese civili della vittima, obbligo di farle valere e di comprovarle.
- La LAV non obbliga le autorità cantonali a pronunciarsi sulle pretese civili secondo la massima d'ufficio. In linea di principio, il diritto di procedura cantonale determina i diritti e i doveri delle parti (consid. 2d).
- Ove il danneggiato esiga un'indennità a titolo di riparazione morale superiore a quella che risulta dalla giurisprudenza pubblicata e dalle circostanze determinanti del caso conosciute dal tribunale, egli deve apportare la prova degli elementi che potrebbero giustificare tale indennità (consid. 2e).
Sachverhalt ab Seite 216
BGE 127 IV 215 S. 216
Am 12. Januar 1997 beging X. einen Raubüberfall auf ein Wohnhaus zum Vollzug der Halbfreiheit, wobei er auf grausame Weise C. ermordete und O. schwer verletzte. C., geboren 1962, war am Geschehen nicht beteiligt und nur am Tatort erschienen, um im Rahmen des Vollzugs einer vierjährigen Zuchthausstrafe in das Wohnhaus überzutreten. Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte X. am 22. November 2000 wegen vollendeten und versuchten Mordes sowie Raubes zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe. Die Freiheitsstrafe wurde zugunsten einer Verwahrung aufgeschoben. X. wurde verpflichtet, nebst Schadenersatz der Witwe von C., A., Fr. 50'000.- und dem Sohn B. Fr. 30'000.- als Genugtuung zu bezahlen, zuzüglich Zins zu 5 % ab 12. Januar 1997. A. und B. führen eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, ihnen eine Genugtuung von Fr. 80'000.- bzw. Fr. 50'000.- zuzüglich Zinsen zuzusprechen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Die Beschwerdeführer machen geltend, die Vorinstanz habe das ihr zustehende Ermessen bei der Festsetzung der Genugtuung in unbilliger bzw. in stossender Weise ausgeübt. Sie habe die massgeblichen Bemessungskriterien nicht hinreichend gewichtet, insbesondere das überdurchschnittlich schwere Verschulden des Täters und seine Verurteilung wegen Mordes, des schwersten Tötungsdeliktes des Gesetzes. Die zumeist auf fahrlässigen Tötungsdelikten beruhenden Genugtuungsbeträge, von denen die Vorinstanz ausgegangen sei, hätten im vorliegenden Fall noch weiter erhöht werden müssen. a) Bei Tötung eines Menschen kann der Richter unter Würdigung der besonderen Umstände den Angehörigen des Getöteten eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zusprechen (Art. 47
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 47 - Bei Tötung eines Menschen oder Körperverletzung kann der Richter unter Würdigung der besonderen Umstände dem Verletzten oder den Angehörigen des Getöteten eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zusprechen. |
BGE 127 IV 215 S. 217
jedoch praxisgemäss, dass dem Sachrichter ein eigener weiter Spielraum des Ermessens zusteht. Dementsprechend auferlegt es sich bei der Überprüfung Zurückhaltung und schreitet nur ein, wenn der Sachrichter grundlos von den in Lehre und Rechtsprechung ermittelten Bemessungsgrundsätzen abgewichen ist, wenn er Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle spielen, oder wenn er andererseits Umstände ausser Betracht gelassen hat, die er in seinen Entscheid hätte mit einbeziehen müssen. Es greift ausserdem in Ermessensentscheide ein, wenn sich diese als offensichtlich unbillig bzw. als in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 125 III 412 E. 2a mit Hinweisen). b) Die Vorinstanz stützt ihren Entscheid auf die Umstände der Tat, deren rechtliche Qualifikation, den Verwandtschaftsgrad der Beschwerdeführer zum Opfer und das Alter des Kindes zum Tatzeitpunkt. Sie berücksichtigt die massgeblichen Kriterien, ohne sachfremde Überlegungen einzubeziehen. Bei der Bemessung der Genugtuungssummen geht sie von einem Basisbetrag von Fr. 30'000.- für die Witwe und von Fr. 20'000.- für den Sohn aus, was ebenfalls nicht gegen Bundesrecht verstösst. c) Das Verhältnis der Ehegatten wird nur sehr knapp erwähnt. Die Vorinstanz geht mangels anderer Angaben von einer normalen, weder besonders engen noch besonders lockeren ehelichen Beziehung aus. Weitere Angaben fehlen. Insbesondere ist unbekannt, wie sich der Vollzug der dem Ehemann auferlegten vierjährigen Freiheitsstrafe auf die familiäre Situation, die gegenseitigen Beziehungen und die Zukunftspläne ausgewirkt hat. Ebensowenig sind Feststellungen vorhanden, wie schwer der Tod des Ehegatten bzw. des Vaters die Beschwerdeführer getroffen hat und wie sie den Verlust zu verarbeiten vermögen. Die Vorinstanz weist darauf hin, dass derartige Elemente die Genugtuung erhöhen können, aber von den Beschwerdeführern zu behaupten und zu beweisen wären. d) Das Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten vom 4. Oktober 1991 (Opferhilfegesetz, OHG; SR 312.5) will die Stellung der Opfer von Straftaten unter anderem dadurch verbessern, dass sie ihre zivilrechtlichen Ansprüche im Strafverfahren geltend machen können. Das Opfer soll in einem einfachen und möglichst raschen Verfahren ohne grosses Kostenrisiko zu seinem Recht kommen und nicht neben dem oft belastenden Strafprozess noch in einem zweiten Prozess mit den Folgen der Straftat konfrontiert werden (BGE 123 IV 78 E. 2a; Botschaft zum OHG, BBl 1990 II 986). Durch die Vorschriften des OHG wird in die Hoheit der Kantone über das
BGE 127 IV 215 S. 218
Prozessrecht eingegriffen. Dieser Eingriff soll nach dem Willen des Gesetzgebers so geringfügig wie möglich, respektive nur so gross wie zur Erreichung der Ziele des OHG nötig ausfallen. Bei den vom OHG gewährten Rechten handelt es sich um Mindestgarantien (BGE 124 IV 137 E. 2d; BGE 123 IV 78 E. 2a; BERNARD CORBOZ, Les droits procéduraux de la LAVI, in: SJ 1996 S. 55; Botschaft, a.a.O., S. 967, 970, 985 mit Hinweisen zur Vernehmlassung zum weiter gehenden Vorentwurf). Die Regelung des Verfahrens bleibt Sache der Kantone (BGE 123 IV 78 E. 2a; CORBOZ, a.a.O., S. 73; EVA WEISHAUPT, Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Opferhilfegesetzes, Zürich 1998, S. 242 f.). Dies gilt auch für die Zivilansprüche des Opfers. Bei der in Frage stehenden Genugtuung geht es um eine Forderung zivilrechtlicher Natur, womit die Beweislast für die anspruchsbegründenden Sachverhaltselemente die Kläger trifft (Art. 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. |
BGE 127 IV 215 S. 219
damit die Entscheidungsgrundlagen, wie die Vorinstanz sie aufgeführt hat. e) Die Vorinstanz hat aufgrund der bekannten Elemente den Beschwerdeführern eine Genugtuung zugesprochen, indem sie von den publizierten Werten der Rechtsprechung ausgeht und diese in Anbetracht der Umstände der Tat erhöht. Damit verletzt sie kein Bundesrecht und missbraucht auch nicht das ihr zustehende Ermessen (BGE 125 III 269 E. 2a, 412 E. 2a). Die Genugtuungssumme darf nicht nach festen Tarifen festgesetzt, sondern muss dem Einzelfall angepasst werden. Das schliesst aber den Rückgriff auf Präjudizien im Sinne von Richtwerten nicht aus. Der seelische Schmerz entzieht sich in jedem Fall einer genauen geldmässigen Bemessung. Der Richter wird eine Genugtuung aussprechen, wenn sich die erlittene seelische Unbill auf die allgemeine Lebenserfahrung abstützen lässt (BGE 120 II 97 E. 2b; ROLAND BREHM, Berner Kommentar, 1998, N. 21, 62 zu Art. 47
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 47 - Bei Tötung eines Menschen oder Körperverletzung kann der Richter unter Würdigung der besonderen Umstände dem Verletzten oder den Angehörigen des Getöteten eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zusprechen. |