Urteilskopf

125 V 503

82. Urteil vom 18. Oktober 1999 i.S. H. gegen IV-Stelle für Versicherte im Ausland und Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen
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Sachverhalt ab Seite 504

BGE 125 V 503 S. 504

A.- Mit Verfügung vom 31. August 1998 sprach die IV-Stelle für Versicherte im Ausland dem 1936 geborenen H., deutscher Staatsangehöriger, rückwirkend ab 1. Oktober 1996 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu.
B.- Am 30. September 1998 gab H. beim Bürgermeisteramt K., Deutschland, eine hiegegen gerichtete Beschwerde zu Protokoll, welche die Amtsstelle am 7. Oktober 1998 der deutschen Post übergab. Mit Entscheid vom 17. März 1999 trat die Eidg. Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen auf die Eingabe wegen Verspätung nicht ein.
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt H. die nochmalige Überprüfung des Falles sowie die Gewährung einer halben Invalidenrente ab 1. September 1993 und einer ganzen Rente ab 1. Oktober 1996. Dabei macht er geltend, die an die Eidg. Rekurskommission gerichtete Beschwerde sei fristgerecht erfolgt.
BGE 125 V 503 S. 505

Während sich die IV-Stelle in ihrer Stellungnahme eines formellen Antrages enthält, lässt sich das Bundesamt für Sozialversicherung nicht vernehmen.
Erwägungen

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich gegen den vorinstanzlichen Nichteintretensentscheid. Das Eidg. Versicherungsgericht hat daher zu prüfen, ob die Vorinstanz zu Recht auf die bei ihr erhobene Beschwerde nicht eingetreten ist. Dagegen kann auf den in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellten materiellen Antrag nicht eingetreten werden (vgl. BGE 117 V 122 f. Erw. 1).
2. Gemäss Art. 33 des Abkommens vom 25. Februar 1964 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über Soziale Sicherheit gelten Anträge, Erklärungen und Rechtsbehelfe, die nach den Rechtsvorschriften der einen Vertragspartei bei einer Behörde, einem Gericht, einem Träger oder einer anderen Stelle einzureichen sind, als bei der zuständigen Stelle eingereicht, wenn sie bei einer entsprechenden Stelle der anderen Vertragspartei eingereicht werden; der Tag, an dem die Anträge, Erklärungen und Rechtsbehelfe bei dieser Stelle eingehen, gilt als Tag des Eingangs bei der zuständigen Stelle (Abs. 1). Die Anträge, Erklärungen und Rechtsbehelfe werden von der Stelle, bei der sie eingereicht worden sind, unverzüglich an die zuständige Stelle der anderen Vertragspartei weitergeleitet (Abs. 2). Zur Weiterleitung der bei einer unzuständigen Stelle der einen Vertragspartei eingehenden Anträge, Erklärungen, Rechtsbehelfe und anderen Unterlagen an zuständige Stellen der anderen Vertragspartei können die Verbindungsstellen in Anspruch genommen werden (Art. 23 der Vereinbarung vom 25. August 1978 zur Durchführung des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über Soziale Sicherheit).
3. Im vorliegenden Fall hat die Rekurskommission in für das Eidg. Versicherungsgericht verbindlicher (Art. 105 Abs. 2 OG) und unbestrittener Weise festgestellt, dass die Rentenverfügung dem Beschwerdeführer am 5. September 1998 ausgehändigt worden ist (vgl. BGE 103 V 66 Erw. 2a; ZAK 1992 S. 370 Erw. 3a) und die Frist von 30 Tagen zur Einreichung eines Rechtsmittels (Art. 69
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 69 Besonderheiten der Rechtspflege - 1 In Abweichung von den Artikeln 52 und 58 ATSG415 sind die nachstehenden Verfügungen wie folgt anfechtbar:
1    In Abweichung von den Artikeln 52 und 58 ATSG415 sind die nachstehenden Verfügungen wie folgt anfechtbar:
a  Verfügungen der kantonalen IV-Stellen: direkt vor dem Versicherungsgericht am Ort der IV-Stelle;
b  Verfügungen der IV-Stelle für Versicherte im Ausland: direkt beim Bundesverwaltungsgericht.417
1bis    Das Beschwerdeverfahren bei Streitigkeiten über IV-Leistungen vor dem kantonalen Versicherungsgericht ist kostenpflichtig.418 Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von 200-1000 Franken festgelegt.419
2    Absatz 1bis sowie Artikel 85bis Absatz 3 AHVG420 gelten sinngemäss für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.421
3    Gegen Entscheide der kantonalen Schiedsgerichte nach Artikel 27quinquies kann nach Massgabe des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005422 beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden.423
IVG, Art. 84 Abs. 1
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)
AHVG Art. 84 Besondere Zuständigkeit - Über Beschwerden gegen Verfügungen und Einspracheentscheide kantonaler Ausgleichskassen entscheidet in Abweichung von Artikel 58 Absatz 1 ATSG386 das Versicherungsgericht am Ort der Ausgleichskasse.
AHVG und Art. 50
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 50 - 1 Die Beschwerde ist innerhalb von 30 Tagen nach Eröffnung der Verfügung einzureichen.
1    Die Beschwerde ist innerhalb von 30 Tagen nach Eröffnung der Verfügung einzureichen.
2    Gegen das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern einer Verfügung kann jederzeit Beschwerde geführt werden.
VwVG) demnach am 5. Oktober 1998 geendet hat (Art. 81
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 81
IVG, Art. 96
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)
AHVG Art. 96
AHVG und Art. 20 Abs. 1
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 20 - 1 Berechnet sich eine Frist nach Tagen und bedarf sie der Mitteilung an die Parteien, so beginnt sie an dem auf ihre Mitteilung folgenden Tage zu laufen.
1    Berechnet sich eine Frist nach Tagen und bedarf sie der Mitteilung an die Parteien, so beginnt sie an dem auf ihre Mitteilung folgenden Tage zu laufen.
2    Bedarf sie nicht der Mitteilung an die Parteien, so beginnt sie an dem auf ihre Auslösung folgenden Tage zu laufen.
2bis    Eine Mitteilung, die nur gegen Unterschrift des Adressaten oder einer anderen berechtigten Person überbracht wird, gilt spätestens am siebenten Tag nach dem ersten erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt.51
3    Ist der letzte Tag der Frist ein Samstag, ein Sonntag oder ein vom Bundesrecht oder vom kantonalen Recht anerkannter Feiertag, so endet sie am nächstfolgenden Werktag. Massgebend ist das Recht des Kantons, in dem die Partei oder ihr Vertreter Wohnsitz oder Sitz hat.52
VwVG). Da einzig die Protokollaufgabe beim Bürgermeisteramt innert dieser
BGE 125 V 503 S. 506

Frist erfolgt ist, stellt sich die Frage, ob der Versicherte damit rechtzeitig Beschwerde erhoben hat.
4. a) Nach Massgabe von Art. 33 Abs. 1 des schweizerisch-deutschen Abkommens gilt die vorliegend an die Eidg. Rekurskommission zu richtende Beschwerde gegen die Rentenverfügung der IV-Stelle als fristgerecht eingereicht, wenn sie innert der gleichen Frist bei einer "entsprechenden Stelle" in Deutschland erhoben wird. Uneinigkeit besteht vorliegend einzig in der Frage, ob das Bürgermeisteramt als "entsprechende Stelle" im Sinne dieser staatsvertraglichen Bestimmung zu betrachten ist.
b) Die Auslegung eines Staatsvertrages hat in erster Linie vom Vertragstext auszugehen. Erscheint dieser klar und ist seine Bedeutung, wie sie sich aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch sowie aus Gegenstand und Zweck des Übereinkommens ergibt, nicht offensichtlich sinnwidrig, so kommt eine über den Wortlaut hinausgehende ausdehnende bzw. einschränkende Auslegung nur in Frage, wenn aus dem Zusammenhang oder der Entstehungsgeschichte mit Sicherheit auf eine vom Wortlaut abweichende Willenseinigung der Vertragsstaaten zu schliessen ist (BGE 124 V 228 Erw. 3a, BGE 121 V 43 Erw. 2c, BGE 117 V 269 Erw. 3b mit Hinweisen). c) Nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung von Art. 33 Abs. 1 des schweizerisch-deutschen Abkommens (wie auch der analogen Normen in den übrigen von der Schweiz geschlossenen Sozialversicherungsabkommen; z.B. Frankreich: Art. 33 Abs. 1; Italien: Art. 21; Österreich: Art. 29; Griechenland: Art. 25; Portugal: Art. 34; Dänemark: Art. 34; Belgien: Art. 36 Abs. 1; Zypern: Art. 26) können die nach den Rechtsvorschriften der einen Vertragspartei bei einer bestimmten Stelle (Behörde, Gericht, Träger etc.) vorzunehmenden Rechtsvorkehren mit fristwahrender Wirkung an die Stelle, welche nach den Vorschriften der anderen Vertragspartei hiefür zuständig wäre, gerichtet werden. "Entsprechend" ist somit im Sinne von "in einem parallelen innerstaatlichen Verfahren der anderen Vertragspartei zuständig" zu verstehen. Dass damit, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, nicht die in Art. 35 Abs. 2 des schweizerisch-deutschen Abkommens genannten Verbindungsstellen gemeint sind, ergibt sich auch, wenn die Bestimmung von Art. 33 Abs. 1 des schweizerisch-deutschen Abkommens im Zusammenhang mit Art. 23 der erwähnten schweizerisch-deutschen Verwaltungsvereinbarung gelesen wird, wonach die "entsprechenden Stellen" für die Weiterleitung solcher Eingaben die Verbindungsstellen in Anspruch nehmen können.
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d) Damit bleibt vorliegend zu prüfen, ob gegen Bescheide der deutschen Rentenversicherung bei Bürgermeisterämtern ein Rechtsmittel eingelegt werden kann. Nach § 8 des deutschen Sozialgerichtsgesetzes vom 3. September 1953 (SGG) entscheiden die Sozialgerichte, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, im ersten Rechtszug über alle Streitigkeiten, für die der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit offensteht. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt, da es um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit in einer Angelegenheit der Sozialversicherung geht, für welche dieser Rechtsweg in § 51 Abs. 1 SGG vorgesehen ist. Mit der Protokollaufgabe beim Bürgermeisteramt hat der Versicherte somit bei einer Stelle Beschwerde erhoben, die auch nach deutschem innerstaatlichen Recht in einem analogen Verfahren hiefür nicht zuständig wäre. Indessen kennt auch das deutsche Recht den Grundsatz, dass Eingaben an unzuständige innerstaatliche Behörden fristwahrende Wirkung haben und von Amtes wegen an die zuständige Behörde weiterzuleiten sind (für das schweizerische Recht: BGE 111 V 406). Gemäss § 91 SGG gilt die Frist für die Erhebung der Klage auch dann als gewahrt, wenn die Klageschrift innerhalb der Frist statt bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Versicherungsträger oder bei einer deutschen Konsularbehörde oder, soweit es sich um die Versicherung von Seeleuten handelt, auch bei einem deutschen Seemannsamt im Ausland eingegangen ist (Abs. 1). Die Klageschrift ist alsdann unverzüglich an das zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit abzugeben (Abs. 2). Dabei gelten als Behörden im Sinne von § 91 Abs. 1 SGG alle Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen (JENS MEYER-LADEWIG, Sozialgerichtsgesetz, 6. Aufl., München 1998, S. 457, N. 3 zu § 91). Da das Bürgermeisteramt diese Voraussetzung erfüllt, kommt der bei ihm erfolgten Protokollaufgabe fristwahrende Wirkung zu. Wurde die Beschwerde somit rechtzeitig erhoben, hat die Eidg. Rekurskommission auf das Rechtsmittel einzutreten.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 125 V 503
Date : 18. Oktober 1999
Published : 31. Dezember 1999
Source : Bundesgericht
Status : 125 V 503
Subject area : BGE - Sozialversicherungsrecht (bis 2006: EVG)
Subject : Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom 25. Februar 1964 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland


Legislation register
AHVG: 84  96
IVG: 69  81
OG: 105
VwVG: 20  50
BGE-register
103-V-63 • 111-V-406 • 117-V-121 • 117-V-268 • 121-V-40 • 124-V-225 • 125-V-503
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