125 III 169
31. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. April 1999 i.S. N. (Berufung)
Regeste (de):
- Art. 397a ff. ZGB; Zwangsbehandlung in einer Anstalt.
- Art und Durchführung der Betreuung im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung werden durch Bundesrecht nicht geregelt. Die Art. 397a ff. ZGB bieten für eine Zwangsbehandlung zu therapeutischen Zwecken keine Gesetzesgrundlage.
Regeste (fr):
- Art. 397a ss CC; traitement forcé dans un établissement.
- En matière de privation de liberté à des fins d'assistance, le droit fédéral ne règle pas le genre de soins à prodiguer ni la manière dont ils doivent être administrés. Les art. 397a ss CC ne constituent pas une base légale pour l'administration forcée d'un traitement à buts thérapeutiques.
Regesto (it):
- Art. 397a segg. CC; trattamento coatto in uno stabilimento.
- Nell'ambito della privazione della libertà a scopo di assistenza il diritto federale non regola il tipo e l'attuazione delle cure. Gli art. 397a segg. CC non costituiscono una base legale per un trattamento coatto a fini terapeutici.
Sachverhalt ab Seite 169
BGE 125 III 169 S. 169
N., Jahrgang 1951, hielt sich ab 1969 mehrmals in der Psychiatrischen Klinik X. auf. Seit 1971 ist er wegen Geisteskrankheit bevormundet. Im Dezember 1983 wurde er bezirksärztlich in die Klinik eingewiesen, woselbst er nach Rückzug einer Beschwerde freiwillig verblieb. Er leidet an Wahnvorstellungen. Ab Dezember 1984 wurden ihm Clopixol-Depotspritzen verabreicht, die er im Januar 1999 endgültig verweigerte. Mit Verfügung vom 22. Januar 1999 ordnete der Bezirksarzt-Stellvertreter L. an, N. in der Psychiatrischen Klinik X. zurückzubehalten. Die Depot-Medikation wurde wieder aufgenommen. N. stellte im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren den Antrag, die Verabreichung von Medikamenten einzustellen und ihn auf eine Rehabilitationsabteilung für Allgemeinpatienten zu verlegen.
BGE 125 III 169 S. 170
Am 2. März 1999 wies das Verwaltungsgericht (1. Kammer) des Kantons Aargau die Beschwerde ab. In der Folge ernannte es Rechtsanwalt G. zum amtlichen Anwalt von N. zwecks Prüfung der Urteilsanfechtung und allfälliger Einreichung einer Berufung an das Bundesgericht. N. beantragt dem Bundesgericht mit Berufung, das angefochtene Urteil und die Zurückbehaltungsverfügung vom 22. Januar 1999 betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung aufzuheben sowie der Klinik X. insbesondere zu verbieten, ihn medikamentös zwangszubehandeln. Sein Anwalt sei als notwendiger, unentgeltlicher Rechtsbeistand zu bestätigen. Er stellt den prozessualen Antrag, der Berufung die aufschiebende Wirkung zu erteilen und die Zwangsbehandlung zu verbieten. Das Verwaltungsgericht hat im Voraus auf Gegenbemerkungen zur Berufung verzichtet. Das Gesuch um aufschiebende Wirkung und um Erlass eines Behandlungsverbots ist abgewiesen worden (Präsidialverfügung vom 15. April 1999). Auf die gegen das nämliche Urteil gleichzeitig erhobene staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der persönlichen Freiheit ist die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts mit Urteil vom heutigen Tag nicht eingetreten. Das Bundesgericht hat die Berufung gutgeheissen, soweit darauf eingetreten werden konnte, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Das Verwaltungsgericht hat festgehalten, die fürsorgerische Freiheitsentziehung sei angeordnet worden, um die Behandlung zu ermöglichen, die nach Ansicht des Bezirksarzt-Stellvertreters und der Klinikärzte unbedingt erforderlich gewesen sei, gegen den Willen des Patienten aber nicht habe erfolgen dürfen. Unter Hinweis auf sein Urteil vom 2. April 1996 (nachzulesen in: ZBl 97/1996 S. 505 ff.), demzufolge eine endgültige Festlegung des Bundesgerichts fehle und in der Lehre verschiedene Ansichten dazu vertreten würden, hat das Verwaltungsgericht die unstreitig erforderliche Gesetzesgrundlage für eine Zwangsbehandlung in Art. 397a ff. ZGB gesehen. Es ist davon ausgegangen, im Vordergrund stehe die Erwägung, dass der Zweck der FFE-Bestimmungen des ZGB zu einem grossen Teil unterlaufen würde, wenn Behandlungen gegen den Willen des Betroffenen mangels kantonalgesetzlicher Grundlage
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als unzulässig erschienen. Die Folge wäre, dass zahlreichen Menschen, die eine Behandlung generell oder jedenfalls die nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft indizierte Behandlung ablehnten, die notwendige persönliche Fürsorge nicht erbracht werden dürfte, obwohl alle Voraussetzungen von Art. 397a ZGB erfüllt wären. In seiner staatsrechtlichen Beschwerde hatte der Berufungskläger unter anderem gerügt, eine Zwangsbehandlung ohne gesetzliche Grundlage stelle einen unzulässigen Eingriff in die persönliche Freiheit dar. Entgegen der verwaltungsgerichtlichen Auffassung lasse sich auch aus den Art. 397a ff. ZGB keine Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung ableiten. Das Bundesgericht ist darauf nicht eingetreten mit der Begründung, die Regelung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung bilde der Sache nach eine Konkretisierung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (vgl. SCHNYDER, Zehn Jahre «fürsorgerische Freiheitsentziehung» bei Erwachsenen in der Schweiz, FS Lange, Stuttgart 1992, S. 939 ff., S. 941/942); eine Missachtung dieses Verfassungsrechts bedeute deshalb zunächst eine Verletzung der in das Zivilgesetzbuch aufgenommenen Bestimmungen, die vor Bundesgericht mit Berufung gerügt werden müsse (Art. 44 lit. f OG; nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 11. September 1997 i.S. F., E. 2a; für die verfassungsmässig gewährleisteten Verfahrensgarantien bereits BGE 118 II 249 E. 2 S. 251 mit Hinweisen). Mit eidgenössischer Berufung wendet der Berufungskläger ein, die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung im Rahmen der fürsorgerischen Freiheitsentziehung beurteile sich nach kantonalem Recht; die Art. 397a ff. ZGB könnten hiefür nicht als gesetzliche Grundlage herangezogen werden. Dass zu Unrecht Bundesrecht angewendet worden sei, wo kantonales Recht anwendbar gewesen wäre, ist ein zulässiger Berufungsgrund (BGE 123 III 454 E. 3b S. 457). Die Auslegung des kantonalen Rechts, dass dieses keine gesetzliche Grundlage für eine Zwangsbehandlung gibt, ist für das Bundesgericht verbindlich (z.B. BGE 93 II 189 E. a S. 191; POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, I, Bern 1990, N. 1.6.2 zu Art. 43 OG, S. 138 f.; MESSMER/IMBODEN, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Zürich 1992, N. 74 S. 104 mit Nachweisen in Anm. 13).
3. Zur Streitfrage hat sich das Bundesgericht erstmals in einem Staatshaftungsfall geäussert und unter Hinweis auf den Wortlaut und die Gesetzesmaterialien festgehalten, dass Art. 429a Abs. 1 ZGB nur
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den Entzug der Bewegungsfreiheit, nicht aber Eingriffe in die körperliche oder psychische Integrität der betroffenen Person erfasst, und ebenso wenig wie Art. 5 Ziffer 5
IR 0.101 Convention du 4 novembre 1950 de sauvegarde des droits de l'homme et des libertés fondamentales (CEDH) CEDH Art. 5 Droit à la liberté et à la sûreté - 1. Toute personne a droit à la liberté et à la sûreté. Nul ne peut être privé de sa liberté, sauf dans les cas suivants et selon les voies légales: |
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1 | Toute personne a droit à la liberté et à la sûreté. Nul ne peut être privé de sa liberté, sauf dans les cas suivants et selon les voies légales: |
a | s'il est détenu régulièrement après condamnation par un tribunal compétent; |
b | s'il a fait l'objet d'une arrestation ou d'une détention régulières pour insoumission à une ordonnance rendue, conformément à la loi, par un tribunal ou en vue de garantir l'exécution d'une obligation prescrite par la loi; |
c | s'il a été arrêté et détenu en vue d'être conduit devant l'autorité judiciaire compétente, lorsqu'il y a des raisons plausibles de soupçonner qu'il a commis une infraction ou qu'il y a des motifs raisonnables de croire à la nécessité de l'empêcher de commettre une infraction ou de s'enfuir après l'accomplissement de celle-ci; |
d | s'il s'agit de la détention régulière d'un mineur, décidée pour son éducation surveillée ou de sa détention régulière, afin de le traduire devant l'autorité compétente; |
e | s'il s'agit de la détention régulière d'une personne susceptible de propager une maladie contagieuse, d'un aliéné, d'un alcoolique, d'un toxicomane ou d'un vagabond; |
f | s'il s'agit de l'arrestation ou de la détention régulières d'une personne pour l'empêcher de pénétrer irrégulièrement dans le territoire, ou contre laquelle une procédure d'expulsion ou d'extradition est en cours. |
2 | Toute personne arrêtée doit être informée, dans le plus court délai et dans une langue qu'elle comprend, des raisons de son arrestation et de toute accusation portée contre elle. |
3 | Toute personne arrêtée ou détenue, dans les conditions prévues au par. 1.c du présent article, doit être aussitôt traduite devant un juge ou un autre magistrat habilité par la loi à exercer des fonctions judiciaires et a le droit d'être jugée dans un délai raisonnable, ou libérée pendant la procédure. La mise en liberté peut être subordonnée à une garantie assurant la comparution de l'intéressé à l'audience. |
4 | Toute personne privée de sa liberté par arrestation ou détention a le droit d'introduire un recours devant un tribunal, afin qu'il statue à bref délai sur la légalité de sa détention et ordonne sa libération si la détention est illégale. |
5 | Toute personne victime d'une arrestation ou d'une détention dans des conditions contraires aux dispositions de cet article a droit à réparation. |
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fürsorgerischen Freiheitsentziehung, einer Person die nötige persönliche Fürsorge zu gewähren, nahelegen, der Gesetzgeber habe über die Beschränkung der Bewegungsfreiheit hinaus als weiteres Mittel die medizinische Zwangsbehandlung regeln wollen (z.B. BIGGER, Fürsorgerische Freiheitsentziehung (FFE) und Strafrechtliche Massnahme bei Suchtkranken aus rechtlicher Sicht (Art. 397a ZGB/44 StGB), ZVW 47/1992 S. 41 ff., S. 49/50). Ein entsprechender Wille des Gesetzgebers lässt sich den Materialien indessen nicht entnehmen (ausführlich: GEISER, Die fürsorgerische Freiheitsentziehung als Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung?, FS Schnyder, Freiburg i.Ö. 1995, S. 289 ff., S. 303 ff.). Gegenteils muss aus den Unterschieden zwischen Vorentwurf und Botschaft an das Parlament (BBl 1977 III 1, S. 5 f. Ziffer 122) sowie namentlich aus den Erläuterungen des Bundesrats geschlossen werden, dass nicht geregelt werden wollte, worin die Betreuung in der Anstalt im Einzelnen besteht (BGE 118 II 254 E. 6b S. 263 mit Nachweisen, vorab auf das Votum Furgler, in: AB 1978 N 754 f.). Ferner bleiben doch erhebliche Zweifel, ob mit der verwaltungsgerichtlichen Auslegung von Art. 397a ff. ZGB für die Zwangsbehandlung überhaupt eine gesetzliche Grundlage gewonnen würde, die den Anforderungen an die Bestimmtheit der diesen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit rechtfertigenden Norm erfüllte (dazu GEISER, a.a.O., S. 308 f. mit Hinweisen auf die Lehre in Anm. 86; BORGHI, Les limites posées par l'Etat de droit au traitement forcé psychiatrique, ZVW 46/1991 S. 81 ff., S. 87 ff.); allein gestützt auf Art. 397a ff. ZGB kann das Problem der Zwangsbehandlung wohl nicht gelöst werden (vgl. Schnyder, FS Lange, S. 946 f. und Formelles Bundeszivilrecht - am Beispiel der fürsorgerischen Freiheitsentziehung, FS P. Piotet, Bern 1990, S. 119 ff., S. 128). Schliesslich gilt es zu bedenken, dass gegenüber dem seinerzeitigen Vorentwurf, der unter anderem eine dem besonderen Zustand des Versorgten entsprechende Behandlung vorschreiben wollte, insbesondere die Kompetenz des Bundeszivilgesetzgebers zu einer abschliessenden Regelung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung in Frage gestellt wurde (Botschaft, BBl 1977 III 1, S. 6 Ziffer 123), und dass dem Bundesgesetzgeber heute vorzugreifen umso weniger Grund besteht, als die vorliegende Streitfrage Gegenstand der Revision des Vormundschaftsrechts bilden dürfte (STETTLER, a.a.O.). Zusammenfassend ist daran festzuhalten, dass die Zwangsbehandlung im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung nicht durch Bundesrecht geregelt wird und dass die Art. 397a ff. ZGB
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für eine solche Zwangsbehandlung zu therapeutischen Zwecken keine Rechtsgrundlage bieten. Die Kantone bleiben hiefür zuständig, bis der Bundesgesetzgeber selber eine Regelung aufstellt (D. PIOTET, Droit cantonal complémentaire, in: Schweizerisches Privatrecht, I/2, Basel 1998, N. 495 ff. S. 163 f.; MARTI, Zürcher Kommentar, N. 66 zu Art. 6
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907 CC Art. 6 - 1 Les lois civiles de la Confédération laissent subsister les compétences des cantons en matière de droit public. |
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1 | Les lois civiles de la Confédération laissent subsister les compétences des cantons en matière de droit public. |
2 | Les cantons peuvent, dans les limites de leur souveraineté, restreindre ou prohiber le commerce de certaines choses ou frapper de nullité les opérations qui s'y rapportent. |
4. Fehlt es für die Zwangsbehandlung an einer bundesgesetzlichen und - nach den verbindlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts auch - an einer kantonalen Rechtsgrundlage, so kann der Betroffene grundsätzlich nicht in der Anstalt behalten werden, wenn die Freiheitsentziehung die Therapierung zum Zweck haben soll (GEISER, a.a.O., S. 312). Indessen steht eine Entlassung des Berufungsklägers ausser Diskussion, zumal er dies auch selbst nicht verlangt. Im kantonalen Verfahren hatte er offenbar Antrag auf Verlegung in eine andere Abteilung der gleichen Klinik gestellt. Darüber ist nicht entschieden worden, und es fehlen die tatsächlichen Feststellungen zur Beurteilung, ob ihm dieser Wechsel durch fürsorgerische Freiheitsentziehung versagt werden muss. Es bleibt daher bei der Regel, dass bei Anwendung von Bundesrecht statt kantonalen Rechts das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen ist (BGE 121 III 246 E. 3d S. 248; POUDRET/SANDOZ-MONOD, N. 1.6.2 zu Art. 43 OG, S. 139; MESSMER/IMBODEN, a.a.O., N. 122 S. 165 mit Nachweisen in Anm. 14). Einer weitergehenden Aufhebung der Zurückbehaltungsverfügung bedarf es allerdings nicht, da diese durch das angefochtene Urteil ersetzt worden ist, und für ein ausdrückliches Verbot der Behandlung fehlt die Rechtsgrundlage, nachdem sich ergeben hat, dass Bundesrecht nicht regelt, worin die persönliche Fürsorge im Einzelnen besteht; es könnte Letzteres höchstens formell im Dispositiv festgestellt werden, doch geben die Erwägungen hierüber genügend klar Aufschluss.