123 I 41
6. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14. Februar 1997 i.S. Heinrich Baltensperger und Mitbeteiligte, Evangelische Volkspartei des Kantons Zürich und Mitbeteiligte sowie Andrea Nüssli-Danuser und Mitbeteiligte gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Art. 84 Abs. 1 lit. a
OG, Art. 85 lit. a
und Art. 88
OG; Gewaltenteilungsbeschwerde; Stimmrechtsbeschwerde.
- Keine Legitimation zur Gewaltenteilungsbeschwerde kraft der blossen Eigenschaft als Stimmbürger, Mitglied oder Kandidat einer Behörde, Beamter oder politische Partei (E. 5).
- Keine Stimmrechtsbeschwerde gegen eine organisationsrechtliche Anordnung, welche die Mitgliederzahl einer durch Volkswahl zu besetzenden Behörde festlegt (E. 6).
Regeste (fr):
- Art. 84 al. 1 let. a OJ, art. 85 let. a et art. 88 OJ; recours pour violation du principe de la séparation des pouvoirs et du droit de vote.
- Absence de qualité pour recourir comme simple citoyen, membre d'une autorité ou candidat à une autorité, de même qu'en tant que fonctionnaire et parti politique, pour violation du principe de la séparation des pouvoirs (consid. 5).
- Le recours pour violation du droit de vote n'est pas ouvert contre des dispositions d'ordre organisationnel qui fixent le nombre de membres d'une autorité élue par le peuple (consid. 6).
Regesto (it):
- Art. 84 cpv. 1 lett. a
OG, art. 85 lett. a
e art. 88
OG; ricorso per violazione del principio della separazione dei poteri; ricorso per violazione del diritto di voto.
- Non vi è legittimazione a proporre un ricorso per violazione del principio della separazione dei poteri quale semplice cittadino, membro di un'autorità o candidato a un'autorità, così come quale funzionario o quale partito politico (consid. 5).
- Il ricorso per violazione del diritto di voto non è dato contro disposizioni organizzative che fissano il numero dei membri di un'autorità eletta dal popolo (consid. 6).
Sachverhalt ab Seite 42
BGE 123 I 41 S. 42
§ 15 des zürcherischen Unterrichtsgesetzes vom 23. Dezember 1859 (UG) legt fest, dass jeder Bezirk mindestens eine Bezirksschulpflege hat. Nach § 16 UG zählt jede Bezirksschulpflege mindestens 13 Mitglieder. Im übrigen bestimmt der Regierungsrat die Zahl der Mitglieder nach Massgabe des Bedürfnisses. Gemäss § 17 UG werden ein Fünftel der Mitglieder der Bezirksschulpflege durch die Schulkapitel oder deren Abteilungen, die übrigen Mitglieder durch die Stimmberechtigten des Bezirks gewählt. Bisher betrug die Mitgliederzahl der Bezirksschulpflegen je nach Bezirk zwischen 19 und 155, insgesamt im ganzen Kanton 662. Mit Beschluss vom 25. September 1996 setzte der Regierungsrat die Mitgliederzahlen der Bezirksschulpflegen für die Amtsdauer 1997/2001 neu fest, wobei insgesamt für den ganzen Kanton die Mitgliederzahl nur noch 339, für die einzelnen Bezirke zwischen 13 und 78 beträgt. Heinrich Baltensperger und 6 Mitbeteiligte, die Evangelische Volkspartei des Kantons Zürich und 2 Mitbeteiligte sowie Andrea Nüssli-Danuser und 9 Mitbeteiligte erheben je gemeinsam staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Beschluss des Regierungsrates vom 25. September 1996 aufzuheben. Alle Beschwerdeführer rügen eine Verletzung der Gewaltenteilung, des Legalitätsprinzips, der politischen Rechte und des Willkürverbots. Das Bundesgericht tritt auf die staatsrechtlichen Beschwerden nicht ein.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5. a) Die Beschwerdeführer berufen sich einerseits auf verfassungsmässige Rechte im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. a
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 27 Wirtschaftsfreiheit - 1 Die Wirtschaftsfreiheit ist gewährleistet. |
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1 | Die Wirtschaftsfreiheit ist gewährleistet. |
2 | Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowie den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und deren freie Ausübung. |
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BGE 123 I 41 S. 43
sein. Das Erfordernis eines Eingriffs in rechtlich geschützte Interessen gilt auch für die Legitimation zur Anfechtung von rechtsetzenden Erlassen. Zwar genügt hier zur Legitimation, dass der Beschwerdeführer virtuell, das heisst mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit früher oder später einmal, betroffen ist, doch muss es immer um einen drohenden Eingriff in rechtlich geschützte Interessen gehen (BGE 122 I 44 E. 2b S. 45 f., mit Hinweisen). Die staatsrechtliche Beschwerde nach Art. 84 Abs. 1 lit. a
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BGE 123 I 41 S. 44
Rechtsanspruch auf Wahl bzw. Wiederwahl besitzt (BGE 120 Ia 110 E. 1a S. 112, mit Hinweisen). Dasselbe gilt für Mitglieder oder Kandidaten politischer Behörden (BGE 112 Ia 174 E. 3c S. 178). Die Beschwerdeführer machen zu Recht nicht geltend, einen persönlichen Rechtsanspruch auf Wahl oder Wiederwahl für die Amtsperiode 1997/2001 zu haben. Die Vorschriften, deren Verletzung sie beanstanden, dienen dem Schutz öffentlicher Interessen und allenfalls dem Schutz des Stimmrechts, aber nicht dem Schutz persönlicher Rechte. Ihre allfällige Verletzung begründet deshalb keine Legitimation für die Verfassungsbeschwerde. Ob die angefochtene Regelung das in der politischen Stimmberechtigung enthaltene passive Wahlrecht berührt, ist an anderer Stelle zu prüfen (E. 6). cc) Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, in ihrer Eigenschaft als Eltern schulpflichtiger Kinder berührt zu sein, weil durch den angefochtenen Beschluss die Qualität der Schule in Frage gestellt werde, ist darauf hinzuweisen, dass die Ausgestaltung der Schulaufsicht gar nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet. Im übrigen dienen die Vorschriften über die Ausgestaltung der Schulaufsicht in erster Linie dem öffentlichen Interesse, nicht individuellen Rechten der einzelnen Schulkinder oder deren Eltern. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung des Anspruchs auf genügenden Schulunterricht (Art. 27 Abs. 2
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 27 Wirtschaftsfreiheit - 1 Die Wirtschaftsfreiheit ist gewährleistet. |
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1 | Die Wirtschaftsfreiheit ist gewährleistet. |
2 | Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowie den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und deren freie Ausübung. |
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SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 73 - Die Beschwerde an den Bundesrat ist zulässig gegen Verfügungen: |
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a | der Departemente und der Bundeskanzlei; |
b | letzter Instanzen autonomer Anstalten und Betriebe des Bundes; |
c | letzter kantonaler Instanzen. |
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SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 73 - Die Beschwerde an den Bundesrat ist zulässig gegen Verfügungen: |
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a | der Departemente und der Bundeskanzlei; |
b | letzter Instanzen autonomer Anstalten und Betriebe des Bundes; |
c | letzter kantonaler Instanzen. |
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 27 Wirtschaftsfreiheit - 1 Die Wirtschaftsfreiheit ist gewährleistet. |
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1 | Die Wirtschaftsfreiheit ist gewährleistet. |
2 | Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowie den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und deren freie Ausübung. |
BGE 123 I 41 S. 45
Bezirksschulpflege oder des Kantonsrats an der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gehindert zu werden. Die blosse Mitgliedschaft in einer Behörde begründet keine geschützte persönliche Rechtsstellung im Sinne von Art. 88
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BGE 123 I 41 S. 46
d) Soweit mit den vorliegenden Beschwerden eine Verletzung der Gewaltenteilung und des Willkürverbots gerügt wird, ist darauf mangels Legitimation der Beschwerdeführer nicht einzutreten.
6. a) Die Beschwerdeführer sind stimmberechtigte Bürger des Kantons Zürich bzw. eine im Kanton Zürich tätige politische Partei und in dieser Eigenschaft zur Stimmrechtsbeschwerde nach Art. 85 lit. a
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BGE 123 I 41 S. 47
c) Soweit die Beschwerdeführer generell beanstanden, der angefochtene Beschluss verletze sie in ihrem Mitwirkungsrecht an der Gesetzgebung, indem er die dem Regierungsrat zustehenden Kompetenzen überschreite, kann diese Rüge nach dem Vorstehenden nicht Gegenstand einer Stimmrechtsbeschwerde bilden. d) Die Beschwerdeführer bringen darüber hinaus vor, durch die Reduktion der Mitgliederzahl werde ihr aktives und passives Wahlrecht beeinträchtigt, indem sie weniger Mitglieder wählen könnten bzw. ihre Wahlchancen reduziert würden. Es muss trotz der zitierten Rechtsprechung zulässig sein, mit Stimmrechtsbeschwerde (ab- strakt oder vorfrageweise) geltend zu machen, der Regierungsrat habe durch den Erlass von Verordnungen gegen höherrangige Bestimmungen verstossen, welche spezifisch die Durchführung von Wahlen oder Abstimmungen regeln, könnte doch sonst die durch die Stimmrechtsbeschwerde geschützte politische Mitwirkung der Stimmbürger beliebig ausgehöhlt werden. Indessen betrifft der angefochtene Beschluss nicht direkt die Durchführung der Wahl für die Bezirksschulpflege. Er stellt vielmehr eine organisationsrechtliche Massnahme dar, welche (für die Dauer einer Amtsperiode) die Grösse der Behörde generell, unabhängig vom konkreten Wahlakt, festlegt. Es verhält sich insofern anders als im nicht publizierten Urteil des Bundesgerichts i.S. B. vom 14. Dezember 1994, wo eine durchgeführte Wahl in die Bezirksschulpflege angefochten und diese Beschwerde als Stimmrechtsbeschwerde entgegengenommen wurde. Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich auch von dem in BGE 119 Ia 167 beurteilten Fall, wo der Bewerberin für eine der Volkswahl unterstehende Lehrerstelle, die sich gegen die Nichtdurchführung der angestrebten Wahl zur Wehr setzte, unter dem Gesichtswinkel des passiven Wahlrechts die Legitimation zur Stimmrechtsbeschwerde zugebilligt wurde. Die Durchführung einer Wahl in eine Behörde setzt zwangsläufig voraus, dass es die zu wählende Behörde überhaupt und mit einer bestimmten Mitgliederzahl gibt. Insofern hat jede Bestimmung, welche zum Beispiel Bestand, Mitgliederzahl oder Amtsdauer einer vom Volk zu wählenden Behörde festlegt, indirekt Auswirkungen auf die Wahl. Das bedeutet aber nicht, dass sämtliche organisationsrechtlichen Bestimmungen, durch welche eine bisher durch
BGE 123 I 41 S. 48
Volkswahl besetzte Stelle geändert oder aufgehoben wird, zwangsläufig Gegenstand von Stimmrechtsbeschwerden sein können. Wird etwa infolge Rückgangs der Schülerzahl oder aus organisatorischen Gründen eine Schulklasse aufgehoben und dadurch eine bisher durch Volkswahl zu besetzende Lehrerstelle überflüssig, dann wird der Entscheid, durch welchen die Schulklasse aufgehoben wird, dadurch noch nicht zum möglichen Gegenstand einer Stimmrechtsbeschwerde. Das Schwergewicht eines solchen Entscheides liegt nicht darin, die durch den Wahlakt gegebenen Mitwirkungsmöglichkeiten des Volkes an der staatlichen Willensbildung zu verändern, sondern in schulorganisatorischen Gründen. Vorliegend sieht § 17 Abs. 2 des Unterrichtsgesetzes wohl vor, dass ein bestimmter Teil der Mitglieder der Bezirksschulpflege von den Stimmberechtigten zu wählen ist. Die weiteren Vorschriften des Unterrichtsgesetzes, welche die Aufgaben der Bezirksschulpflege umschreiben und insofern den Massstab für die vom Regierungsrat festzulegende Mitgliederzahl dieser Behörde bilden, haben jedoch keinen direkten sachlichen Bezug zur Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts. Es handelt sich daher beim angefochtenen Beschluss über die Neufestsetzung der Mitgliederzahl nicht um eine Regelung, welche spezifisch die politischen Rechte beschlägt und damit inhaltlich Gegenstand einer Stimmrechtsbeschwerde bilden könnte. Das stünde von vornherein ausser Zweifel, wenn zum Beispiel bloss die Mitgliederzahl einer einzelnen Bezirksschulpflege aus besonderen organisatorischen Gründen geringfügig reduziert würde; doch kann es sich nicht anders verhalten, wenn der Regierungsrat als gesetzlich zuständige Behörde - im Rahmen seiner formellen Befugnisse - eine relativ weitgehende generelle Korrektur der Mitgliederzahlen beschliesst. Wie es sich verhielte, wenn eine im Gesetz vorgesehene, vom Volk zu wählende Behörde gänzlich abgeschafft oder der Volkswahl entzogen würde, kann dahingestellt bleiben. Die Stimmrechtsbeschwerde kann vorliegend nicht dazu dienen, die sachliche Begründetheit der streitigen organisationsrechtlichen Massnahme überprüfen zu lassen. e) Die vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerden können daher nicht als Stimmrechtsbeschwerden nach Art. 85 lit. a
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