Urteilskopf

121 IV 353

57. Urteil des Kassationshofes vom 24. November 1995 i.S. Z. gegen Erbengemeinschaft K. und L. (Nichtigkeitsbeschwerde)
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Sachverhalt ab Seite 353

BGE 121 IV 353 S. 353

Der Gerichtspräsident VII von Bern sprach Z. mit Urteil vom 15. November 1994 von der Anschuldigung der Verfügung über amtlich aufgezeichnete Sachen ohne Entschädigung frei. Auf eine Appellation der Privatklägerin Erbengemeinschaft K. und L. hin erklärte das Obergericht des Kantons Bern Z. mit Urteil vom 2. Mai 1995 der Verfügung über amtlich aufgezeichnete
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Sachen schuldig und verurteilte ihn zu 10 Tagen Gefängnis, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit von zwei Jahren. Ferner hiess es die Zivilklage gut und verpflichtete Z. zur Zahlung von Fr. 1'650.-- nebst 5% Zins ab 2. Mai 1995 an die Privatklägerin. Gegen dieses Urteil führt Z. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung und zur Abweisung der Zivilklage an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner ersucht er, der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu verleihen. Die Privatklägerin beantragt in ihrer Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht des Kantons Bern hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. a) Die Vorinstanz legte dem Beschwerdeführer zur Last, er habe in seiner Funktion als Verwaltungsratspräsident der Firma G. und Z. im Rahmen eines Mietzinsretentionsverfahrens zwei mit Beschlag belegte Gegenstände, ein Fotokopiergerät sowie einen Metallschrank, beiseite geschafft und dadurch seine Gläubiger im Umfang von ca. Fr. 1'650.-- geschädigt. Sie stellte für den Kassationshof verbindlich (Art. 277bis Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 169 - Wer eigenmächtig zum Schaden der Gläubiger über einen Vermögenswert verfügt, der
BStP) fest, der Beschwerdeführer habe die fraglichen Gegenstände am 27. Oktober 1992 der Firma R. und Sohn verkauft. Der (noch weitere Gegenstände umfassende) Kaufpreis von insgesamt Fr. 35'000.-- sei am 4. November 1992 bezahlt worden. Der Verkauf sei somit vor dem 22. Dezember 1992, an welchem Tag die Retention erfolgt sei, abgewickelt worden. Die beiden mit Beschlag belegten Gegenstände seien noch bis vor Weihnachten im Büro des Beschwerdeführers zum Gebrauch stehen gelassen und sodann von R. nach dem 22. Dezember 1992 in Abwesenheit des Beschwerdeführers abgeholt worden. Die Vorinstanz gelangte zum Schluss, es sei ein gültiger Retentionsbeschlag zustande gekommen. Daran ändere der Umstand nichts, dass der Fotokopierer und der Metallschrank in das Eigentum der Firma R. und Sohn übergegangen sei. Auch habe die Vermieterin nicht annehmen müssen, die fraglichen Gegenstände hätten nicht der Mieterin gehört. Über die Retention sei der Beschwerdeführer mindestens summarisch von seiner Sekretärin in Kenntnis gesetzt worden. Er habe daher gewusst, dass alle Sachen auf Geheiss des Betreibungsamtes im Büro zu verbleiben hätten. Im übrigen habe die
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Übernahme der Gegenstände mit R. noch besprochen werden müssen. Die Erfüllung des Kaufvertrages habe daher von ihm noch ein Handeln verlangt. Ob diese Regelung vor dem Retentionsbeschlag oder danach getroffen wurde, könne offengelassen werden. Auch wenn die Abholung der Gegenstände zum Zeitpunkt der Retention bereits geregelt gewesen wäre, wäre er noch in der Lage gewesen, durch entsprechende Benachrichtigung des Vertragspartners die Inbesitznahme der retinierten Sachen zu verhindern. Diese Pflicht zum Tätigwerden habe ihm von Gesetzes wegen obgelegen, habe ihn doch aufgrund seiner Schuldnerstellung im Retentionsverfahren gegenüber dem Betreibungsamt eine Garantenpflicht getroffen. b) Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe den Besitz an den Gegenständen auf die Erwerberin übertragen, dieselben jedoch aufgrund eines besonderen Rechtsverhältnisses zurückbehalten. Es fehle an der nachträglichen, eigenmächtigen Verfügung über eine amtlich aufgezeichnete Sache. Die Übertragung des Eigentums an den Sachen sei im Moment der Retention längst erfolgt. Danach habe er nur noch als Entlehner von den beiden geliehenen Gegenständen Gebrauch machen dürfen. Die Abholung derselben habe nicht mehr von seinem Willen abgehangen, sondern ausschliesslich von demjenigen des Verleihers. Er habe somit nach der Retention vom 22. Dezember 1992 nicht mehr über die fraglichen Gegenstände verfügen können. Zudem fehle es auch am subjektiven Tatbestand. Es sei ihm bewusst gewesen, dass die Gegenstände bereits im Eigentum der Firma R. und Sohn gestanden hätten. Die Behändigung derselben durch die Käufer und Verleiher hätten daher nach seinem Dafürhalten keine Schädigung der Gläubigerin bewirkt. Schliesslich sei er weder verpflichtet noch überhaupt in der Lage gewesen, die Wegnahme der Gegenstände zu verhindern.
2. a) Gemäss Art. 169 aStGB wird mit Gefängnis bestraft, wer über eine amtlich gepfändete oder mit Arrest belegte Sache oder über eine Sache, die in einem Betreibungs-, Konkurs- oder Retentionsverfahren amtlich aufgezeichnet ist, eigenmächtig zum Nachteile der Gläubiger verfügt, oder eine solche Sache beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht. Im Zuge der Revision des Vermögensstrafrechts ist der Tatbestand des sogenannten Verstrickungsbruchs neu gefasst worden. Art. 169
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 169 - Wer eigenmächtig zum Schaden der Gläubiger über einen Vermögenswert verfügt, der
StGB nF (in Kraft seit 1. Januar 1995) bringt indes hinsichtlich der Tathandlung materiell keine Änderungen; hinsichtlich des Tatobjekts ist die Bestimmung insoweit weiter gefasst worden, als sie nun auch das durch Liquidationsvergleich abgetretene Vermögen schützt.
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b) Tathandlung des Verstrickungsbruchs ist die eigenmächtige Verfügung, Beschädigung, Zerstörung, Entwertung oder das Unbrauchbarmachen. Eigenmächtig ist die Verfügung, wenn sie ohne betreibungsrechtliche oder behördliche Ermächtigung getroffen wird (BGE 100 IV 227 E. 2). Erfasst werden nicht bloss rechtsgeschäftliche, sondern auch rein tatsächliche Verfügungen (BGE 75 IV 62 E. 3; ALBRECHT, Kommentar Strafrecht, Bes. Teil, 2. Band, Art. 169 N. 25; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil I, 5. Aufl. 1995, § 23 N. 41). Art. 268
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 268 - 1 Der Vermieter von Geschäftsräumen hat für einen verfallenen Jahreszins und den laufenden Halbjahreszins ein Retentionsrecht an den beweglichen Sachen, die sich in den vermieteten Räumen befinden und zu deren Einrichtung oder Benutzung gehören.
1    Der Vermieter von Geschäftsräumen hat für einen verfallenen Jahreszins und den laufenden Halbjahreszins ein Retentionsrecht an den beweglichen Sachen, die sich in den vermieteten Räumen befinden und zu deren Einrichtung oder Benutzung gehören.
2    Das Retentionsrecht des Vermieters umfasst die vom Untermieter eingebrachten Gegenstände insoweit, als dieser seinen Mietzins nicht bezahlt hat.
3    Ausgeschlossen ist das Retentionsrecht an Sachen, die durch die Gläubiger des Mieters nicht gepfändet werden könnten.
OR räumt den Vermietern von Geschäftsräumen zur Sicherung ihrer Zinsforderungen ein Retentionsrecht an den beweglichen Sachen ein, die sich in den vermieteten Räumen befinden und zu deren Einrichtung oder Benutzung gehören (für die Pacht vgl. Art. 299c
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 299c - Der Verpächter von Geschäftsräumen hat für einen verfallenen und einen laufenden Pachtzins das gleiche Retentionsrecht wie der Vermieter für Mietzinsforderungen (Art. 268 ff.).
OR). Auf Gesuch des Retentionsgläubigers nimmt das Betreibungsamt ein Retentionsverzeichnis auf (Art. 283
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 283 - 1 Vermieter und Verpächter von Geschäftsräumen können, auch wenn die Betreibung nicht angehoben ist, zur einstweiligen Wahrung ihres Retentionsrechtes (Art. 268 ff. und 299c OR492) die Hilfe des Betreibungsamtes in Anspruch nehmen.493
1    Vermieter und Verpächter von Geschäftsräumen können, auch wenn die Betreibung nicht angehoben ist, zur einstweiligen Wahrung ihres Retentionsrechtes (Art. 268 ff. und 299c OR492) die Hilfe des Betreibungsamtes in Anspruch nehmen.493
2    Ist Gefahr im Verzuge, so kann die Hilfe der Polizei oder der Gemeindebehörde nachgesucht werden.
3    Das Betreibungsamt nimmt ein Verzeichnis der dem Retentionsrecht unterliegenden Gegenstände auf und setzt dem Gläubiger eine Frist zur Anhebung der Betreibung auf Pfandverwertung an.
SchKG). Die Aufnahme in das Verzeichnis begründet den Retentionsbeschlag. Die Schutzwirkung des Verzeichnisses besteht darin, dass der Schuldner die aufgezeichneten Gegenstände zwar gebrauchen, nicht aber über sie verfügen darf, sofern er nicht als Ersatz anderweitig Sicherheit leistet (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5. Aufl. 1993, § 34 N. 21; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibungs- und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. II, § 63 N. 22 und 24). Die Vorinstanz liess offen, ob der Beschwerdeführer noch nach dem Retentionsbeschlag im Hinblick auf die Abholung der retinierten Gegenstände durch die Käuferin tätig geworden sei; jedenfalls habe er es unterlassen, dies zu verhindern. Entgegen ihrer Auffassung genügt indessen eine blosse Unterlassung als Tathandlung der eigenmächtigen Verfügung nicht. Der Schuldner hat gegenüber seinen Gläubigern, hier der Vermieterin von Geschäftsräumen, keine Garantenstellung (ALBRECHT, a.a.O., Art. 169 N. 26; STRATENWERTH, a.a.O., § 23 N. 6). Das Verbot, über die aufgezeichneten Gegenstände zu verfügen, schafft keine besondere Obhuts- oder Sorgepflicht und keine gesteigerte Verantwortung des Schuldners gegenüber dem Gläubiger. Sie genügt daher nicht zur Begründung einer strafrechtlich relevanten besonderen Pflicht, zum Schutz der Vermögensinteressen des Gläubigers tätig zu werden (ALBRECHT, a.a.O., Art. 169 N. 26, vgl. auch Art. 163 N. 33). Dasselbe gilt für das Verhältnis des Schuldners zu den Betreibungs- und Konkursbehörden, auch wenn Art. 169
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 169 - Wer eigenmächtig zum Schaden der Gläubiger über einen Vermögenswert verfügt, der
StGB neben den Gläubigerinteressen zusätzlich die staatliche Autorität schützt (REHBERG, Strafrecht III, 6.

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Aufl. 1994, S. 265; vgl. ALBRECHT, a.a.O., Art. 169 N. 2). Das blosse Untätigbleiben stellt daher jedenfalls keine eigenmächtige Verfügung im Sinne von Art. 169 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 169 - Wer eigenmächtig zum Schaden der Gläubiger über einen Vermögenswert verfügt, der
StGB dar. Wie es sich bei den Tatbestandsalternativen des Beschädigens, Zerstörens, Entwertens oder des Unbrauchbarmachens verhält, kann hier offenbleiben. Indem der Beschwerdeführer gegen die Abholung der mit Beschlag belegten Gegenstände durch den Vertreter der Käuferin und neuen Eigentümerin derselben nichts unternommen hat, hat er den Tatbestand des Verstrickungsbruchs nicht erfüllt. Der Schuldspruch der Vorinstanz verletzt somit Bundesrecht.
c) Zum Vorsatz betreffend die Eigenmächtigkeit äusserte sich die Vorinstanz nicht. Sie prüfte auch nicht im einzelnen, ob der Beschwerdeführer mit dem Willen der Gläubigerbenachteiligung gehandelt, d.h. in Kauf genommen hat, die Beschwerdegegnerin zu schädigen, indem er nichts dagegen unternommen hat, dass die Käuferin, deren Eigentum an den Gegenständen nicht in Frage gestellt wurde, dieselben abholte (vgl. dazu BGE 119 IV 134 E. 2b). Dies kann hier jedoch offenbleiben, da die Vorinstanz das tatbestandsmässige Verhalten zu Unrecht in einer Unterlassung erblickt hat.

3. (Kostenfolgen).
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 121 IV 353
Date : 24. November 1995
Published : 31. Dezember 1995
Source : Bundesgericht
Status : 121 IV 353
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 169 StGB; Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte. Die Verpflichtung des Schuldners, die mit Beschlag belegten


Legislation register
BStP: 277bis
OR: 268  299c
SchKG: 283
StGB: 169
BGE-register
100-IV-227 • 119-IV-134 • 121-IV-353 • 75-IV-62
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