Urteilskopf

100 IV 227

58. Urteil des Kassationshofes vom 11. Oktober 1974 i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern.
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Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 227

BGE 100 IV 227 S. 227

A.- M. beauftragte Fürsprecher X. mit der Führung verschiedener Prozesse und leistete ihm Mitte Februar 1972 einen
BGE 100 IV 227 S. 228

Kostenvorschuss von Fr. 20 000.--. Davon verwendete X. bis Ende Februar den Betrag von Fr. 3000.-- für Verpflichtungen des M. Am 28. Februar 1972 pfändete das Betreibungsamt Arlesheim in einer gegen M. laufenden Betreibung dessen Guthaben bei X. bis zum Betrage von Fr. 10 000.--. Da Fürsprecher X. der Aufforderung des Betreibungsamtes zur Zahlung der in Betreibung gesetzten Forderung von Fr. 8749.95 nicht nachkam, verlangte der Pfändungsgläubiger die Abtretung nach Art. 131 Abs. 2
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 131 - 1 Geldforderungen des Schuldners, welche keinen Markt- oder Börsenpreis haben, werden, wenn sämtliche pfändende Gläubiger es verlangen, entweder der Gesamtheit der Gläubiger oder einzelnen von ihnen für gemeinschaftliche Rechnung zum Nennwert an Zahlungs Statt angewiesen. In diesem Falle treten die Gläubiger bis zur Höhe ihrer Forderungen in die Rechte des betriebenen Schuldners ein.
1    Geldforderungen des Schuldners, welche keinen Markt- oder Börsenpreis haben, werden, wenn sämtliche pfändende Gläubiger es verlangen, entweder der Gesamtheit der Gläubiger oder einzelnen von ihnen für gemeinschaftliche Rechnung zum Nennwert an Zahlungs Statt angewiesen. In diesem Falle treten die Gläubiger bis zur Höhe ihrer Forderungen in die Rechte des betriebenen Schuldners ein.
2    Sind alle pfändenden Gläubiger einverstanden, so können sie oder einzelne von ihnen, ohne Nachteil für ihre Rechte gegenüber dem betriebenen Schuldner, gepfändete Ansprüche im eigenen Namen sowie auf eigene Rechnung und Gefahr geltend machen. Sie bedürfen dazu der Ermächtigung des Betreibungsamtes. Das Ergebnis dient zur Deckung der Auslagen und der Forderungen derjenigen Gläubiger, welche in dieser Weise vorgegangen sind. Ein Überschuss ist an das Betreibungsamt abzuliefern.261
SchKG. Auf die entsprechende Anzeige teilte X. am 18. August 1972 dem Betreibungsamt mit, dass er sich für inzwischen entstandene Honorarforderungen schadlos halten müsse und deshalb unter Vorbehalt der endgültigen Abrechnung mit M. die Forderung des Pfandgläubigers bestreite.
B.- Das Obergericht des Kantons Bern sprach Fürsprecher X. am 19. April 1974 des untauglichen Versuchs der Verfügung über gepfändete Sachen (Art. 169
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 169 - Wer eigenmächtig zum Schaden der Gläubiger über einen Vermögenswert verfügt, der
StGB), begangen im August 1972, schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 300.--. Die Zivilklage des Pfändungsgläubigers wies es ab.
C.- X. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei im Strafpunkt aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Pfändung einer Forderung schliesst die Möglichkeit der Verrechnung mit einer Gegenforderung des Drittschuldners nicht aus. Im allgemeinen ist die Verrechnung allerdings auf Gegenforderungen beschränkt, die im Zeitpunkt der Pfändung bereits bestanden haben (BGE 95 II 240). Dementsprechend hat das Obergericht angenommen, der Beschwerdeführer sei im August 1972 nicht berechtigt gewesen, erst nach der Pfändung vom 28. Februar 1972 entstandene Honoraransprüche zu verrechnen. Diese Auffassung verkennt indessen, dass Gegenstand der Pfändung das Recht auf Rückforderung eines Geldvorschusses war, den der Betriebene dem Beschwerdeführer als Anwalt zur Ausführung eines Auftrags
BGE 100 IV 227 S. 229

zugewendet hatte. Ein solcher Vorschuss stellt eine bedingte Vorauszahlung dar, deren Zweck darin besteht, die Forderungen des Anwalts auf Honorar und Auslagenersatz, die im Zeitpunkt ihrer Entstehung fällig werden, durch Verrechnung zu tilgen. Dazu bedarf es in der Regel nicht einmal einer ausdrücklichen Verrechnungserklärung (GAUTSCHI, Kommentar zu Art. 402
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 402 - 1 Der Auftraggeber ist schuldig, dem Beauftragten die Auslagen und Verwendungen, die dieser in richtiger Ausführung des Auftrages gemacht hat, samt Zinsen zu ersetzen und ihn von den eingegangenen Verbindlichkeiten zu befreien.
1    Der Auftraggeber ist schuldig, dem Beauftragten die Auslagen und Verwendungen, die dieser in richtiger Ausführung des Auftrages gemacht hat, samt Zinsen zu ersetzen und ihn von den eingegangenen Verbindlichkeiten zu befreien.
2    Er haftet dem Beauftragten für den aus dem Auftrage erwachsenen Schaden, soweit er nicht zu beweisen vermag, dass der Schaden ohne sein Verschulden entstanden ist.
OR, Note 4/c). Anderseits kann der Auftraggeber den Vorschuss nicht jederzeit, sondern erst im Zeitpunkt der Beendigung oder des Widerrufs des Auftrags und nur insoweit zurückfordern, als er noch nicht aufgebraucht ist. Daran änderte die Pfändung nichts, durch die der Auftrag nicht widerrufen wurde. Demzufolge konnte das Betreibungsamt das Recht auf Rückerstattung des Vorschusses nur als bedingte Forderung pfänden, also nur in dem Umfang, als im Zeitpunkt der Beendigung des Auftrags ein Saldo zugunsten des betriebenen Auftraggebers bestehen sollte. Entgegen der Meinung der Vorinstanz lag demnach in der Mitteilung des Beschwerdeführers vom 18. August 1972 an das Betreibungsamt, wonach er den gepfändeten Vorschuss zur Tilgung bereits bestandener und noch entstehender Honorarforderungen für sich beanspruche, keine unzulässige Verrechnungserklärung. Der Beschwerdeführer übte vielmehr ein ihm zustehendes Recht aus und handelte infolgedessen rechtmässig.
2. Der Beschwerdeführer hat den Tatbestand des Art. 169
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 169 - Wer eigenmächtig zum Schaden der Gläubiger über einen Vermögenswert verfügt, der
StGB weder verwirklicht noch zu begehen versucht. Diese Bestimmung verlangt, dass der Täter bewusst und gewollt eigenmächtig zum Nachteil der Gläubiger verfügt. Das setzt voraus, dass er die Verfügung ohne gesetzliche oder behördliche Ermächtigung, also rechtswidrig trifft oder zu treffen versucht (SCHWANDER, Schweiz. Strafgesetzbuch, S. 379 Nr. 595 Ziff. 3). Da die Verrechnung, wie dargelegt wurde, erlaubt war, hat der Beschwerdeführer nicht eigenmächtig gehandelt und dadurch, dass er vom Verrechnungsrecht Gebrauch machte, auch nicht die Gläubiger benachteiligt. Ebenso fehlte der Vorsatz, auf den das Obergericht allein aus der unzutreffenden Annahme, die Verrechnung sei unzulässig, geschlossen hat. Aus den Akten ergibt sich jedoch, dass der Beschwerdeführer sich zur Verrechnung für berechtigt gehalten hat, weshalb er denn auch am 18. August 1972 gegenüber dem Betreibungsamt geltend machte, er sei nur zur Ablieferung des nach
BGE 100 IV 227 S. 230

Ausführung des Auftrags verbleibenden Rests des Vorschusses verpflichtet. Hat er aber die Verrechnung nicht im Bewusstsein und mit dem Willen vorgenommen, eigenmächtig zum Nachteil der Gläubiger zu verfügen, so liegt auch kein strafbarer Versuch vor. Der Beschwerdeführer ist daher von der Anklage freizusprechen.
Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 19. April 1974 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 100 IV 227
Datum : 11. Oktober 1974
Publiziert : 31. Dezember 1975
Quelle : Bundesgericht
Status : 100 IV 227
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 169 StGB, Verfügung über gepfändete Sachen. Der Anwalt ist zur Verrechnung mit einem Geldvorschuss auch dann berechtigt,


Gesetzesregister
OR: 402
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 402 - 1 Der Auftraggeber ist schuldig, dem Beauftragten die Auslagen und Verwendungen, die dieser in richtiger Ausführung des Auftrages gemacht hat, samt Zinsen zu ersetzen und ihn von den eingegangenen Verbindlichkeiten zu befreien.
1    Der Auftraggeber ist schuldig, dem Beauftragten die Auslagen und Verwendungen, die dieser in richtiger Ausführung des Auftrages gemacht hat, samt Zinsen zu ersetzen und ihn von den eingegangenen Verbindlichkeiten zu befreien.
2    Er haftet dem Beauftragten für den aus dem Auftrage erwachsenen Schaden, soweit er nicht zu beweisen vermag, dass der Schaden ohne sein Verschulden entstanden ist.
SchKG: 131
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 131 - 1 Geldforderungen des Schuldners, welche keinen Markt- oder Börsenpreis haben, werden, wenn sämtliche pfändende Gläubiger es verlangen, entweder der Gesamtheit der Gläubiger oder einzelnen von ihnen für gemeinschaftliche Rechnung zum Nennwert an Zahlungs Statt angewiesen. In diesem Falle treten die Gläubiger bis zur Höhe ihrer Forderungen in die Rechte des betriebenen Schuldners ein.
1    Geldforderungen des Schuldners, welche keinen Markt- oder Börsenpreis haben, werden, wenn sämtliche pfändende Gläubiger es verlangen, entweder der Gesamtheit der Gläubiger oder einzelnen von ihnen für gemeinschaftliche Rechnung zum Nennwert an Zahlungs Statt angewiesen. In diesem Falle treten die Gläubiger bis zur Höhe ihrer Forderungen in die Rechte des betriebenen Schuldners ein.
2    Sind alle pfändenden Gläubiger einverstanden, so können sie oder einzelne von ihnen, ohne Nachteil für ihre Rechte gegenüber dem betriebenen Schuldner, gepfändete Ansprüche im eigenen Namen sowie auf eigene Rechnung und Gefahr geltend machen. Sie bedürfen dazu der Ermächtigung des Betreibungsamtes. Das Ergebnis dient zur Deckung der Auslagen und der Forderungen derjenigen Gläubiger, welche in dieser Weise vorgegangen sind. Ein Überschuss ist an das Betreibungsamt abzuliefern.261
StGB: 169
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 169 - Wer eigenmächtig zum Schaden der Gläubiger über einen Vermögenswert verfügt, der
BGE Register
100-IV-227 • 95-II-235
Stichwortregister
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betreibungsamt • vorinstanz • bundesgericht • strafgesetzbuch • honorar • sachverhalt • kostenvorschuss • rechtsanwalt • zahl • rückübertragung • rückerstattung • auftrag • auftraggeber • widerrechtlichkeit • entscheid • bewilligung oder genehmigung • ersatz der kosten • not • anklage • treffen
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