120 Ia 14
2. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. März 1994 i.S. Dragan S. gegen Obergericht des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Die Praxis der Justizkommission des Obergerichts des Kantons Luzern, wonach die Wirkungen der unentgeltlichen Verbeiständung in der Regel erst ab dem Zeitpunkt eintreten, in dem sie den gutheissenden Entscheid des Amtsgerichtspräsidenten bestätigt, verletzt Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Regeste (fr):
- Art. 4 Cst.; droit à un avocat d'office.
- La pratique de la Commission de justice du Tribunal supérieur du canton de Lucerne, selon laquelle le droit à un avocat d'office ne prend effet, en règle générale, qu'à partir du moment où cette autorité confirme la décision favorable au requérant rendue par le président du tribunal de district, viole l'art. 4 Cst.
Regesto (it):
- Art. 4 Cost.; diritto a un patrocinatore d'ufficio.
- Viola l'art. 4 Cost. la prassi della Commissione della giustizia del Tribunale superiore di Lucerna, secondo la quale gli effetti della concessione del diritto a un patrocinatore d'ufficio, di regola, iniziano al momento in cui tale autorità conferma la decisione, favorevole al ricorrente, del presidente del Tribunale distrettuale.
Sachverhalt ab Seite 14
BGE 120 Ia 14 S. 14
Dragan S. wurde im Juli 1991 Opfer eines Arbeitsunfalles, aus welchem er Schadenersatzansprüche gegen seinen Arbeitgeber und einen Mitarbeiter ableitet. Am 28. Mai 1993 liess er durch Rechtsanwalt T. beim Amtsgericht Luzern-Stadt die Klage einreichen und gleichzeitig um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersuchen. Ein anschliessender Sühneversuch blieb erfolglos. Der Präsident des Amtsgerichts gab dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege erst am 8. November 1993 statt. Die Gutheissung des Gesuchs bedurfte nach kantonalem Recht der Bestätigung durch das Obergericht, dem auch die Ernennung des Rechtsbeistandes oblag. Antragsgemäss betraute die Justizkommission des Obergerichts Rechtsanwalt T. mit dieser Funktion. Der Entscheid der Justizkommission vom 15. Dezember 1993 enthält folgenden Schlusspassus: "Zur Klarheit wird festgehalten, dass die Bemühungen von Rechtsanwalt T. vor dem Datum dieses Bestätigungsentscheids (15.12.1993) nicht vom Staat zu entschädigen sind, da deren Dringlichkeit weder behauptet noch ausgewiesen ist (vgl. LGVE 1987 I Nr. 38)." Dragan S. hat den Entscheid der Justizkommission mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4
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BGE 120 Ia 14 S. 15
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3. a) Der Umfang des Anspruches auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung bestimmt sich zunächst nach den Vorschriften des kantonalen Rechts. Sichert dieses der bedürftigen Partei nicht in ausreichendem Masse die Möglichkeit, ihre Rechte zu wahren, so greifen die unmittelbar aus Art. 4
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BGE 120 Ia 14 S. 16
des Anwaltes zu einem vom Staat besoldeten Rechtsbeistand ist nach Auffassung des Beschwerdeführers in diesem Zusammenhang sachfremd; die Gutheissung des Gesuches durch beide kantonalen Instanzen bestätige, dass die auf eigenes Risiko der Partei zuvor erbrachten Aufwendungen notwendig gewesen seien. Auch habe die Verbindung des Gesuches mit der Klage die für seinen Erfolg entscheidende Beurteilung der Prozessaussichten überhaupt erst ermöglicht. Nach einem den Kanton Luzern betreffenden Entscheid des Bundesgerichts (BGE 61 I 234 ff.) könne zwar verlangt werden, dass der Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung schon zu Beginn des Prozesses angemeldet werde. Jedoch genüge zur Erreichung ihres Genusses bereits vom Beginn des Rechtsschriftenwechsels an ein zusammen mit der Klage eingereichtes Gesuch. Es sei nicht einzusehen, welches schutzwürdige Interesse das Gericht an einer früheren Einreichung haben könne. d) Da der Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung dem Ziel dient, auch der bedürftigen Partei den Zugang zum Gericht und die zweckdienliche Wahrung ihrer Parteirechte zu ermöglichen, kann er nach Vorliegen eines Antrages nicht davon abhängen, wann der Kanton dem Anwalt ein öffentlichrechtliches Mandat verleiht. Sind die Voraussetzungen erfüllt, so hat der Kanton ab sofort für die Kosten der Verbeiständung aufzukommen. War das Gesuch des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Einreichung, am 28. Mai 1993, aber begründet, der Anspruch also auf diesen Zeitpunkt hin nachgewiesen, so bestand kein sachlicher Grund, ihn erst mit Wirkung ab dem 8. November 1993 anzuerkennen. e) Die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ihre Wirkungen entfalten soll, ist in den meisten kantonalen Zivilprozessordnungen nicht ausdrücklich geregelt. In Lehre und Rechtsprechung zu den kantonalen Regelungen wird jedoch überwiegend die Meinung vertreten, die Wirkungen müssten mit der Gesuchseinreichung eintreten. Eine Rückwirkung über diesen Zeitpunkt hinaus, wie sie zum Beispiel in Art. 286 Abs. 2 ZPG/SG und Art. 89 Abs. 2 ZPO/AR als Ausnahme vorgesehen ist, wird dagegen nur vereinzelt und unter einschränkenden Voraussetzungen befürwortet (STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., N. 2 zu § 90 ZPO; STAEHELIN/SUTTER, Zivilprozessrecht, S. 195 f.; CHRISTIAN FAVRE, L'assistance judiciaire gratuite en droit suisse, Diss. Lausanne 1989, S. 118; BEAT RIES, Die unentgeltliche Rechtspflege nach der aargauischen Zivilprozessordnung vom 18. Dezember 1984, Diss.
BGE 120 Ia 14 S. 17
Zürich 1990, S. 154 f.; ZEN-RUFFINEN, Assistance judiciaire et administrative: les règles minima imposées par l'article 4 de la Constitution fédérale, Jdt 137 (1989) I, S. 56; PATRICK WAMISTER, Die unentgeltliche Rechtspflege, die unentgeltliche Verteidigung und der unentgeltliche Dolmetscher unter dem Gesichtspunkt von Art. 4
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IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 6 Recht auf ein faires Verfahren - (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde. |
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a | innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden; |
b | ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben; |
c | sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist; |
d | Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten; |
e | unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht. |
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BGE 120 Ia 14 S. 18
für das gesamte Verfahren vor einem luzernischen Amtsgericht schon vor Klageeinreichung sollte gestellt werden müssen. Daran ist unverändert festzuhalten. Das in jenem Zeitpunkt gestellte Gesuch schränkt den Entscheidungsspielraum des Amtsgerichtspräsidenten und der Justizkommission des Obergerichts in keiner Weise ein. Erweist sich das Gesuch als unbegründet oder kann ausnahmsweise der von der Partei getroffenen Anwaltswahl nicht beigepflichtet werden (dazu HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, S. 161 f.), so darf es in gleicher Weise abgewiesen werden, wie wenn es schon früher gestellt gewesen wäre. Das Risiko, für erwachsenen Aufwand eventuell nicht entschädigt zu werden, tragen Partei und Anwalt. Ist aber das Gesuch begründet, so tut die nachträgliche Bewilligung den Interessen des Staates keinen Abbruch. Dazu kommt, dass sowohl nach dem Verfassungsrecht des Bundes (vgl. E. 3a) wie nach dem kantonalen Prozessrecht (§ 307 Abs. 3 ZPO/LU) die Erlangung des Anspruchs voraussetzt, dass die Rechtsbegehren des Klägers nicht als aussichtslos erscheinen. Um dies dartun und die Interessen der Partei bereits bei der entsprechenden Untersuchung wirkungsvoll wahren zu können, ist der Anwalt auf vorgängige Abklärungen tatsächlicher und rechtlicher Natur angewiesen, die für das Gesuch allein kaum geringer sind als für die ausgearbeitete Klage. Die Zusammenfassung beider Arbeiten ist letztlich das wirtschaftlich sinnvollste Vorgehen. Würde aber die unentgeltliche Verbeiständung für das Gesuch und die entsprechenden Vorarbeiten schlechthin verweigert, so liefe dies für die bedürftige Partei auf eine gegen Art. 4
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