119 IV 120
20. Urteil des Kassationshofes vom 19. August 1993 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen R. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 13
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 13 - 1 Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat.
1 Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. 2 Hätte der Täter den Irrtum bei pflichtgemässer Vorsicht vermeiden können, so ist er wegen Fahrlässigkeit strafbar, wenn die fahrlässige Begehung der Tat mit Strafe bedroht ist. - Bestehen ernsthafte Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit eines angetrunkenen Fahrzeuglenkers, so hat der Richter grundsätzlich eine psychiatrische Begutachtung anzuordnen (E. 2a; Bestätigung der Rechtsprechung). Eine solche kann jedoch unterbleiben, wenn nebst der Blutalkoholkonzentration keine weiteren Indizien für die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit vorhanden sind (E. 2b und c).
Regeste (fr):
- Art. 13 CP; expertise psychiatrique d'un conducteur pris de boisson; exceptions.
- S'il existe un doute sérieux quant à la responsabilité d'un conducteur pris de boisson, le juge doit en principe ordonner une expertise psychiatrique (consid. 2a; confirmation de jurisprudence). Il n'est pas nécessaire cependant d'ordonner une expertise, s'il n'y a aucun autre indice que la concentration d'alcool dans le sang pour apprécier la responsabilité (consid. 2b et c).
Regesto (it):
- Art. 13 CP; perizia psichiatrica nei confronti d'un conducente ebbro; eccezioni.
- Ove esistano seri dubbi sulla responsabilità d'un conducente ebbro, il giudice è tenuto, in linea di principio, a ordinare una perizia psichiatrica (consid. 2a; conferma della giurisprudenza). Non occorre tuttavia ordinarla se, per valutare la responsabilità, non vi sia alcun altro indizio che la concentrazione alcolica nel sangue (consid. 2b e c).
Sachverhalt ab Seite 121
BGE 119 IV 120 S. 121
A.- R. fuhr in der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember 1989, nachdem er mit einem Kollegen mehrere Gaststätten besucht hatte, mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,39 Promille am Steuer seines Autos nach Hause. Unterwegs unterbrach er seine Fahrt und schlief im Fahrzeug ein, nachdem er den Zündungsschlüssel ins Handschuhfach gelegt hatte. R., geboren am 30. August 1962, war in den Jahren 1981 und 1983 bereits wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand verurteilt worden.
B.- Das Bezirksgericht Horgen verurteilte R. wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand zu zwei Monaten Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug (Probezeit fünf Jahre). Auf Berufung der Staatsanwaltschaft verweigerte das Obergericht des Kantons Zürich am 22. November 1990 den bedingten Strafvollzug.
C.- Am 1. Juni 1992 hiess das Bundesgericht eine Nichtigkeitsbeschwerde von R. gut und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück. Die Vorinstanz äussere sich zur Frage der Zurechnungsfähigkeit von R. nicht; bei einem Blutalkoholgehalt von mindestens 2,39 Promille stelle sich die Frage der Verminderung der Zurechnungsfähigkeit, insbesondere wenn in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen werden müsste, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Alkoholgenusses nicht damit habe rechnen müssen, später Auto zu fahren. Allenfalls sei das Mass der
BGE 119 IV 120 S. 122
Zurechnungsfähigkeit auch für die Frage des bedingten Strafvollzugs von Bedeutung.
D.- Das Obergericht verurteilte R. am 3. Dezember 1992 erneut zu zwei Monaten Gefängnis, gewährte ihm aber den bedingten Strafvollzug bei einer Probezeit von vier Jahren. Die beiden früheren Vortaten habe er im Alter von ungefähr 20 Jahren begangen, als er Schwierigkeiten persönlicher Natur und mit den Eltern gehabt habe; inzwischen habe er sich aufgefangen, weshalb die damaligen Tatumstände einem heute abgeschlossenen Lebensabschnitt entsprächen. Der Führerausweisentzug von sechs Monaten habe den Angeklagten hart getroffen. Zudem habe er sich erst im Zustand erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit entschlossen, mit seinem Auto nach Hause zu fahren, nachdem er vorher zureichende Vorkehren zur Verhinderung einer Fahrt in alkoholisiertem Zustand getroffen gehabt habe.
E.- Die Staatsanwaltschaft erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts wegen Verletzung von Art. 13
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 13 - 1 Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
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1 | Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
2 | Hätte der Täter den Irrtum bei pflichtgemässer Vorsicht vermeiden können, so ist er wegen Fahrlässigkeit strafbar, wenn die fahrlässige Begehung der Tat mit Strafe bedroht ist. |
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die Beschwerdeführerin hatte im Rückweisungsverfahren die Einholung eines Gutachtens zur Frage der Zurechnungsfähigkeit beantragt. Die Vorinstanz bemerkte dazu, der Beschwerdegegner habe sich mit mindestens 2,39 Gewichtspromille in einem ausgeprägten bis schweren Rauschzustand befunden. Es könne ohne weiteres eine erheblich verminderte Zurechnungsfähigkeit angenommen werden. Die Einholung eines Gutachtens sei müssig, könnte doch die Frage der Verminderung der Zurechnungsfähigkeit und insbesondere der Grad einer allfälligen Verminderung heute im konkreten Fall auch in einem solchen Gutachten nicht geklärt werden, weshalb ohnehin auf gewisse Erfahrungswerte abgestellt werden müsste. Dagegen wendet die Beschwerdeführerin ein, es gehe nicht an, dass zum vornherein für bestimmte Alkoholwerte jeweils eine bestimmte Verminderung der Zurechnungsfähigkeit angenommen werde. Auch bei einem Blutalkoholgehalt von über zwei Gewichtspromille sei volle Zurechnungsfähigkeit nicht auszuschliessen. Die Frage der Zurechnungsfähigkeit könne nur durch spezialärztliche Expertise individuell bestimmt werden. Die Einholung eines Gutachtens
BGE 119 IV 120 S. 123
sei vorliegend auch deshalb angezeigt, weil der Beschwerdegegner nach den Aussagen des Zeugen M., der den ganzen Abend mit ihm verbracht und ihn unmittelbar vor der fraglichen Fahrt gesprochen habe, nur "angeheitert" gewesen sei. Die Angaben dieses Zeugen seien jedenfalls vom Experten zu berücksichtigen. Die Vorinstanz habe auf den geistigen Zustand des Beschwerdegegners keinen näheren Bezug genommen.
2. a) Nach Art. 13 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 13 - 1 Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
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1 | Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
2 | Hätte der Täter den Irrtum bei pflichtgemässer Vorsicht vermeiden können, so ist er wegen Fahrlässigkeit strafbar, wenn die fahrlässige Begehung der Tat mit Strafe bedroht ist. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 13 - 1 Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
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1 | Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
2 | Hätte der Täter den Irrtum bei pflichtgemässer Vorsicht vermeiden können, so ist er wegen Fahrlässigkeit strafbar, wenn die fahrlässige Begehung der Tat mit Strafe bedroht ist. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 13 - 1 Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
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1 | Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
2 | Hätte der Täter den Irrtum bei pflichtgemässer Vorsicht vermeiden können, so ist er wegen Fahrlässigkeit strafbar, wenn die fahrlässige Begehung der Tat mit Strafe bedroht ist. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 13 - 1 Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
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1 | Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
2 | Hätte der Täter den Irrtum bei pflichtgemässer Vorsicht vermeiden können, so ist er wegen Fahrlässigkeit strafbar, wenn die fahrlässige Begehung der Tat mit Strafe bedroht ist. |
b) Es trifft zwar zu, dass dem Blutalkoholgehalt auch beim Fahren in angetrunkenem Zustand nicht alleinige Bedeutung zukommt. So wird im medizinischen Schrifttum die Auffassung vertreten, dass dieser Wert bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung lediglich eine grobe Orientierungshilfe sei. Doch häufig seien neben der Blutalkoholkonzentration weitere für die subjektive Befindlichkeit des Täters zur Zeit der Tat indizielle Umstände nicht mehr feststellbar und, soweit solche vorhanden sind, sei fraglich, wieweit sie mangels allgemein anerkannter Erfahrungssätze berücksichtigt werden könnten. Deshalb werde letztlich doch, auch wenn keine gesetzmässige lineare Beziehung zwischen der Blutalkoholkonzentration und der Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit bestehe, diesem Wert massgebliche Bedeutung zugemessen (vgl. SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, Kommentar 24.A., § 20 N. 16a mit Hinweisen). Die deutsche Rechtsprechung und Lehre nimmt an, bei einer Blutalkoholkonzentration ab drei Promille sei Schuldunfähigkeit selbst bei einem trinkgewohnten Menschen nicht auszuschliessen. Für den Bereich zwischen zwei und drei Promille geht sie im Regelfall von
BGE 119 IV 120 S. 124
einer Verminderung der Zurechnungsfähigkeit aus (SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, a.a.O.,; HENTSCHEL/BORN, Trunkenheit im Strassenverkehr, 6. Auflage, N. 257 ff. und 264). Wenn für die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit nicht weitere Indizien zur Verfügung stehen, wird also der Gutachter nicht anders als der Richter beweismässig ausschliesslich oder doch hauptsächlich auf die Blutalkoholkonzentration abstellen müssen. In solchen Fällen erübrigt sich die Einholung eines Gutachtens. Dies ändert jedoch nichts an der grundsätzlichen Pflicht, dass in Zweifelsfällen ein psychiatrisches Gutachten einzuholen ist (E. a).
c) Der Beschwerdegegner wies im Zeitpunkt der Tat eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,39 und maximal 3,0 Promille auf; actio libera in causa wurde von der Vorinstanz verneint. Da im Fall des Beschwerdegegners keine Auffälligkeiten ersichtlich sind und ein Gutachter somit nicht mehr Klarheit schaffen könnte, bestehen unter den gegebenen Umständen keine Zweifel an der von der Vorinstanz angenommenen erheblichen Verminderung der Zurechnungsfähigkeit. Daran ändert auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin nichts, ein Zeuge habe den Täter bloss für "angeheitert" gehalten. Eine Verletzung von Art. 13
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 13 - 1 Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
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1 | Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat. |
2 | Hätte der Täter den Irrtum bei pflichtgemässer Vorsicht vermeiden können, so ist er wegen Fahrlässigkeit strafbar, wenn die fahrlässige Begehung der Tat mit Strafe bedroht ist. |