Urteilskopf

118 II 93

20. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. Februar 1992 i.S. K. gegen K. (Berufung)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Erwägungen ab Seite 93

BGE 118 II 93 S. 93

Aus den Erwägungen:

1. a) Mit seinem Hauptantrag verlangt der Kläger vor Bundesgericht mehr, als ihm die erste Instanz als Unterhaltsbeitrag zugesprochen hatte. Die Verfügung des Kantonsgerichtspräsidenten war
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aber nur vom Beklagten, nicht auch vom Kläger an die Obergerichtskommission weitergezogen worden. Die Vorinstanz hält deshalb in ihrem Urteil fest, mehr als die vom ersten Richter zugesprochenen Fr. 1'600.-- im Monat stünden gar nicht mehr im Streit. Neue Begehren sind im Berufungsverfahren vor Bundesgericht unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. b OG). Die Berufungsanträge dürfen daher nicht über das hinausgehen, was vor der letzten kantonalen Instanz noch streitig gewesen ist. Es ist allerdings zu beachten, dass nach Art. 280 Abs. 2 ZGB für Verfahren über die Unterhaltspflicht der Eltern - wie bei Abstammungsprozessen nach Art. 254 Ziff. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 254
ZGB - die Offizialmaxime gilt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bezieht sich dieser prozessuale Grundsatz nicht nur auf die Abklärung des Sachverhalts und die Beweiswürdigung, sondern auch auf die Frage der Verbindlichkeit der Parteianträge. Der Richter ist deshalb im Bereich des Kinderunterhaltes grundsätzlich nicht an die Parteianträge gebunden (nicht veröffentlichter Entscheid vom 22. Dezember 1983 i.S. G. c. A.; E. 3a). In Scheidungsverfahren hat das Bundesgericht noch unter dem alten Kindesrecht aus der Offizialmaxime den Schluss gezogen, dass die Mutter in einer Berufung höhere Kinderalimente fordern kann als vor letzter kantonaler Instanz (BGE 82 II 470 ff.). Die obere kantonale Instanz kann die Kinderalimente sogar erhöhen, wenn diese bei ihr gar nicht mehr streitig sind (nicht veröffentlichter Entscheid vom 13. März 1986 i.S. A. c. P.; E. 6). Ob diese Maxime auch zugunsten der Eltern gilt, hat das Bundesgericht in BGE 109 II 197 f. (E. 2) noch offengelassen, in einem nicht veröffentlichten Entscheid vom 19. Januar 1990 (i.S. L. c. C.) jedoch bejaht. Es fragt sich allerdings, ob der Offizialmaxime die gleiche weite Bedeutung beigemessen werden kann, wenn es um den Unterhalt eines mündigen Kindes geht. Sowohl Art. 280 Abs. 2 ZGB als auch Art. 254 Ziff. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 254
ZGB sehen nach ihrem Wortlaut ausschliesslich vor, dass das Gericht den Sachverhalt von Amtes wegen zu erforschen und die Beweise nach seiner freien Überzeugung zu würdigen habe. Diese verfahrensrechtlichen Vorschriften haben ihren Grund darin, dass sowohl bei der Abstammung als auch beim Unterhalt ein erhöhtes Interesse an der materiellen Wahrheit besteht, deren Findung gefördert werden soll. Ein besonderes, verstärktes Bedürfnis nach Schutz der Kindesinteressen besteht zudem im Scheidungsverfahren, weil hier dem Kind selber keine Parteistellung zukommt (kritisch dazu RUTH REUSSER, Die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs des
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Scheidungskindes - eine unorthodoxe Meinung, in: Festschrift Hegnauer, S. 395 ff.), so dass seine Interessen in vermehrtem Masse vom Gericht gewahrt werden müssen. Im bereits genannten Entscheid BGE 82 II 470 ff. war es überdies so, dass die Ehefrau vor Bundesgericht nur eine für das Kind günstigere Aufteilung zwischen Frauenrente und Kinderrente als im kantonalen Verfahren verlangte, damit aber nicht den Gesamtbetrag überstieg, den sie von ihrem Ehemann forderte. Dass diesfalls eine Bindung an die vor letzter kantonaler Instanz geltend gemachten Kinderalimente der Sache nicht gerecht werden könnte, ist ohne weiteres einsichtig. Die Höhe des Unterhaltsbeitrages, der vom Elternteil, dem das Kind nicht zugewiesen wird, zu bezahlen ist, hängt wesentlich davon ab, was der das Kind unmittelbar betreuende Elternteil selber an den Kinderunterhalt beisteuern kann. Dies wird aber massgeblich verändert, wenn dem Inhaber der elterlichen Gewalt in letzter kantonaler Instanz eine Scheidungsrente verweigert oder diese erheblich gekürzt wird. Hier muss es möglich sein, der durch das letzte kantonale Urteil bewirkten Änderung der Leistungskraft auch im Berufungsverfahren vor Bundesgericht noch Rechnung zu tragen. Mit Bezug auf die Leistungskraft der Ehegatten bilden eben die Scheidungsrente und der Kinderunterhalt ein Ganzes, dessen einzelne Teile nicht vollständig unabhängig von- einander festgesetzt werden können. Verlangt demgegenüber das mündige Kind Unterhalt, stellt sich die Frage nicht in gleicher Weise. Dieses Verfahren erfolgt unabhängig von einem Scheidungsprozess, so dass keine unmittelbare Wechselwirkung zwischen dem Kinderunterhalt und der Höhe der Scheidungsrente entstehen kann. Auch die Interessenlage zeigt sich nicht in gleicher Weise. Während die Unterhaltspflicht gegenüber dem unmündigen Kind die Regel darstellt, unterstreicht das Gesetz mit dem Erfordernis der Zumutbarkeit den Ausnahmecharakter, den die Unterhaltsleistungen gegenüber dem mündigen Kind darstellen (BGE 111 II 416). Dies rechtfertigt es aber, dem Anspruchsberechtigten einen weniger starken prozessualen Schutz zu gewähren und die Elterninteressen stärker zu berücksichtigen (nicht veröffentlichter Entscheid vom 22. Oktober 1987 i.S. P. c. P.; E. 3). Es besteht deshalb kein Grund, in diesen Fällen von Art. 55 Abs. 1 lit. b OG abzuweichen und neue Anträge vor Bundesgericht noch zuzulassen. Entsprechend verletzt auch eine kantonale Instanz kein Bundesrecht, wenn sie - wie im vorliegenden Fall - auf einen Antrag auf höhere Unterhaltsbeiträge mit dem Argument nicht eintritt, nur
BGE 118 II 93 S. 96

der Unterhaltspflichtige, nicht aber der Unterhaltsberechtigte habe ein Rechtsmittel eingelegt. Da die Vorinstanz somit zu Recht auf den Antrag nicht eingetreten ist, den von der ersten Instanz auf Fr. 1'600.-- bezifferten Unterhaltsbeitrag auf Fr. 2'300.-- zu erhöhen, erweist sich der in der Berufung gestellte Hauptantrag, soweit es um die Erhöhung des monatlichen Unterhaltsbeitrags auf Fr. 1'900.-- geht, als neu und damit als unzulässig.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 118 II 93
Datum : 27. Februar 1992
Publiziert : 31. Dezember 1992
Quelle : Bundesgericht
Status : 118 II 93
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Bedeutung der Offizialmaxime nach Art. 280 Abs. 2 ZGB im Berufungsverfahren. Art. 280 Abs. 2 ZGB bedeutet nicht, dass das


Gesetzesregister
OG: 55
ZGB: 254 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 254
280
BGE Register
109-II-195 • 111-II-413 • 118-II-93 • 82-II-470
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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