109 II 195
45. Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. November 1983 i.S. H. F. gegen R. und H. B. sowie Obergericht des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Art. 254 Ziff. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 254
- 1. Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (E. 1).
- 2. Die im Vaterschaftsprozess von Bundesrechts wegen geltende Offizialmaxime verbietet es dem kantonalen Richter nicht, dem Beklagten, der die Vaterschaftsvermutung mit einer Expertise widerlegen will, für das Beweisverfahren einen Kostenvorschuss aufzuerlegen (E. 3).
Regeste (fr):
- Art. 254 ch. 1 CC; procès en constatation de paternité; avance de frais pour l'expertise.
- 1. Possibilité de former un recours de droit public pour violation du principe de la force dérogatoire du droit fédéral (consid. 1).
- 2. La maxime officielle en vigueur, en vertu du droit fédéral, dans la procédure en constatation de paternité n'empêche pas le juge cantonal d'exiger du défendeur, qui entend renverser la présomption de paternité à l'aide d'une expertise, une avance de frais pour la procédure probatoire (consid. 3).
Regesto (it):
- Art. 254 n. 1 CC (processo di accertamento della paternità, anticipazione delle spese di perizia).
- 1. Ammissibilità del ricorso di diritto pubblico per violazione del principio della forza derogatoria del diritto federale (consid. 1).
- 2. La massima ufficiale vigente, in virtù del diritto federale, nel processo di accertamento della paternità, non impedisce al giudice cantonale di esigere dal convenuto che intenda contestare con una perizia la presunzione di paternità un'anticipazione delle spese per la procedura probatoria (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 196
BGE 109 II 195 S. 196
A.- Vor Bezirksgericht Arbon ist zwischen dem 1982 geborenen R. B. sowie dessen Mutter H. B. einerseits und H. F. anderseits eine Klage auf Feststellung der Vaterschaft und auf Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen hängig. Der Beklagte hat zugegeben, der Mutter des Kindes in der kritischen Zeit beigewohnt zu haben, weshalb seine Vaterschaft zu vermuten ist. Zur Entkräftung der Vaterschaftsvermutung hat er die Einholung eines serologischen, eventuell eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens beantragt. Mit Verfügung vom 10. Januar 1983 wurde ihm hierauf eine Frist bis zum 31. Januar 1983 angesetzt, um einen Kostenvorschuss von Fr. 4'000.-- zu leisten, ansonst die Expertise unterbleiben würde. Nachdem der Beklagte geltend gemacht hatte, eine Kostenvorschusspflicht widerspreche dem von der Offizialmaxime beherrschten Kindesrecht des ZGB, erliess das Bezirksgericht Arbon am 28. Januar 1983 einen formellen Beschluss, womit der Beklagte nochmals verpflichtet wurde, zur Durchführung der beantragten serologischen Expertise bis spätestens 31. März 1983 einen Kostenvorschuss von Fr. 4'000.-- zu bezahlen, ansonst die Expertise unterbleiben würde. Eine Beschwerde des Beklagten gegen diesen Beschluss wurde vom Obergericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 24. Mai 1983 abgewiesen.
B.- Gegen den Entscheid des Obergerichts hat H. F. staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Mit Verfügung vom 29. August 1983 wurde der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.
BGE 109 II 195 S. 197
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die angefochtene Kostenvorschussverfügung stützt sich auf § 96 ZPO TG, wonach abgesehen vom Fall der unentgeltlichen Prozessführung jede Partei pflichtig ist, der Gerichtskasse die Kosten vorzuschiessen, welche durch die in ihrem besonderen Interesse vorzunehmenden Handlungen verursacht werden. Der Beschwerdeführer macht geltend, das in Vaterschaftssachen von der Offizialmaxime beherrschte Bundesrecht verbiete es, die Einholung von Vaterschaftsgutachten von der Leistung eines Kostenvorschusses abhängig zu machen, und zwar unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der unentgeltlichen Prozessführung gegeben seien oder nicht. Er beruft sich damit sinngemäss auf den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 254 |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 254 |
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2. Vor dem Inkrafttreten des neuen Kindesrechts bestimmte Art. 310 Abs. 2
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 310 - 1 Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden, so hat die Kindesschutzbehörde es den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen. |
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1 | Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden, so hat die Kindesschutzbehörde es den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen. |
2 | Die gleiche Anordnung trifft die Kindesschutzbehörde auf Begehren der Eltern oder des Kindes, wenn das Verhältnis so schwer gestört ist, dass das Verbleiben des Kindes im gemeinsamen Haushalt unzumutbar geworden ist und nach den Umständen nicht anders geholfen werden kann. |
3 | Hat ein Kind längere Zeit bei Pflegeeltern gelebt, so kann die Kindesschutzbehörde den Eltern seine Rücknahme untersagen, wenn diese die Entwicklung des Kindes ernstlich zu gefährden droht. |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 310 - 1 Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden, so hat die Kindesschutzbehörde es den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen. |
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1 | Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden, so hat die Kindesschutzbehörde es den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen. |
2 | Die gleiche Anordnung trifft die Kindesschutzbehörde auf Begehren der Eltern oder des Kindes, wenn das Verhältnis so schwer gestört ist, dass das Verbleiben des Kindes im gemeinsamen Haushalt unzumutbar geworden ist und nach den Umständen nicht anders geholfen werden kann. |
3 | Hat ein Kind längere Zeit bei Pflegeeltern gelebt, so kann die Kindesschutzbehörde den Eltern seine Rücknahme untersagen, wenn diese die Entwicklung des Kindes ernstlich zu gefährden droht. |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 310 - 1 Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden, so hat die Kindesschutzbehörde es den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen. |
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1 | Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden, so hat die Kindesschutzbehörde es den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen. |
2 | Die gleiche Anordnung trifft die Kindesschutzbehörde auf Begehren der Eltern oder des Kindes, wenn das Verhältnis so schwer gestört ist, dass das Verbleiben des Kindes im gemeinsamen Haushalt unzumutbar geworden ist und nach den Umständen nicht anders geholfen werden kann. |
3 | Hat ein Kind längere Zeit bei Pflegeeltern gelebt, so kann die Kindesschutzbehörde den Eltern seine Rücknahme untersagen, wenn diese die Entwicklung des Kindes ernstlich zu gefährden droht. |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 310 - 1 Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden, so hat die Kindesschutzbehörde es den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen. |
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1 | Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden, so hat die Kindesschutzbehörde es den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen. |
2 | Die gleiche Anordnung trifft die Kindesschutzbehörde auf Begehren der Eltern oder des Kindes, wenn das Verhältnis so schwer gestört ist, dass das Verbleiben des Kindes im gemeinsamen Haushalt unzumutbar geworden ist und nach den Umständen nicht anders geholfen werden kann. |
3 | Hat ein Kind längere Zeit bei Pflegeeltern gelebt, so kann die Kindesschutzbehörde den Eltern seine Rücknahme untersagen, wenn diese die Entwicklung des Kindes ernstlich zu gefährden droht. |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 254 |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 254 |
BGE 109 II 195 S. 198
sind im Vaterschaftsprozess Parteierklärungen (unter Vorbehalt der Anerkennung der Vaterschaftsklage), Eid und Handgelübde für den Richter nicht verbindlich (Botschaft des Bundesrats vom 5. Juni 1974, BBl 1974 II S. 26). Ferner ist, soweit erforderlich, auch über unbestrittene oder anerkannte Tatsachen Beweis zu erheben und ist der Richter an die von den Parteien angebotenen Beweismittel nicht gebunden. Er kann auch von den Parteien nicht angebotene Beweismittel beiziehen (vgl. Art. 36
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SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess BZP Art. 36 - 1 Beweis wird nur über erhebliche und soweit nicht der Sachverhalt von Amtes wegen zu erforschen ist oder ein Fall nach Artikel 12 Absatz 3 vorliegt, nur über bestrittene Tatsachen geführt. |
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1 | Beweis wird nur über erhebliche und soweit nicht der Sachverhalt von Amtes wegen zu erforschen ist oder ein Fall nach Artikel 12 Absatz 3 vorliegt, nur über bestrittene Tatsachen geführt. |
2 | Ob mangels eines ausdrücklichen Geständnisses eine Tatsache als bestritten anzusehen sei, hat der Richter unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts des Vorbringens und des Verhaltens der Partei im Prozesse zu beurteilen. |
3 | Inwiefern das Geständnis durch beigefügte Zusätze und Einschränkungen oder durch Widerruf unwirksam wird, beurteilt der Richter nach freiem Ermessen. |
4 | In gleicher Weise beurteilt er, inwiefern infolge eines aussergerichtlichen Geständnisses der Beweis unnötig wird. |
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SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess BZP Art. 37 - Der Richter ist an die von den Parteien angebotenen Beweismittel nicht gebunden; er berücksichtigt nur die notwendigen. Er kann auch von den Parteien nicht angebotene Beweismittel beiziehen. |
3. Im kantonalen Verfahren ist die Regelung der Prozesskosten ganz dem kantonalen Recht anheimgestellt. Das Bundesrecht kennt keine ausdrückliche Vorschrift, welche die Parteien in Fällen, in denen der Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen ist, von der Leistung von Kostenvorschüssen für die Durchführung von Beweismassnahmen befreit bzw. umgekehrt den Ausschluss des betreffenden Beweismittels zur Folge hat, wenn der verlangte Kostenvorschuss nicht rechtzeitig geleistet wird. Das stellt auch WALDER (a.a.O. S. 36) fest. Anderseits kann entgegen der Auffassung des Zürcher Obergerichts nicht gesagt werden, dass die Erforschung des Sachverhalts von Amtes wegen logisch zwingend einer kantonalen Kostenvorschusspflicht entgegensteht. Auch verlangt die Durchsetzung des Bundesprivatrechts keineswegs immer, dass die nicht bedürftige Partei von der Leistung von Kostenvorschüssen für das Beweisverfahren befreit werde. Weshalb die Öffentlichkeit für die Kosten der säumigen, nicht bedürftigen Partei einspringen
BGE 109 II 195 S. 199
sollte, ist sicher dort nicht einzusehen, wo es wie hier um die Entkräftung der Vaterschaftsvermutung geht. Auch im neuen Kindesrecht macht der Gesetzgeber die Begründung des Kindesverhältnisses nicht vom Nachweis der biologischen Abstammung abhängig. Er nimmt es vielmehr in Kauf, dass eine Vaterschaft allein gestützt auf die Vaterschaftsvermutung (Art. 262
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 262 - 1 Hat der Beklagte in der Zeit vom 300. bis zum 180. Tag vor der Geburt des Kindes der Mutter beigewohnt, so wird seine Vaterschaft vermutet. |
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1 | Hat der Beklagte in der Zeit vom 300. bis zum 180. Tag vor der Geburt des Kindes der Mutter beigewohnt, so wird seine Vaterschaft vermutet. |
2 | Diese Vermutung gilt auch, wenn das Kind vor dem 300. oder nach dem 180. Tag vor der Geburt gezeugt worden ist und der Beklagte der Mutter um die Zeit der Empfängnis beigewohnt hat. |
3 | Die Vermutung fällt weg, wenn der Beklagte nachweist, dass seine Vaterschaft ausgeschlossen oder weniger wahrscheinlich ist als die eines Dritten. |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 260 - 1 Besteht das Kindesverhältnis nur zur Mutter, so kann der Vater das Kind anerkennen. |
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1 | Besteht das Kindesverhältnis nur zur Mutter, so kann der Vater das Kind anerkennen. |
2 | Ist der Anerkennende minderjährig, steht er unter umfassender Beistandschaft oder hat die Erwachsenenschutzbehörde eine entsprechende Anordnung getroffen, so ist die Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters notwendig.288 |
3 | Die Anerkennung erfolgt durch Erklärung vor dem Zivilstandsbeamten oder durch letztwillige Verfügung oder, wenn eine Klage auf Feststellung der Vaterschaft hängig ist, vor dem Gericht. |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 260c - 1 Die Klage ist binnen Jahresfrist einzureichen, seitdem der Kläger von der Anerkennung und von der Tatsache Kenntnis erhielt, dass der Anerkennende nicht der Vater ist oder dass ein Dritter der Mutter um die Zeit der Empfängnis beigewohnt hat, oder seitdem er den Irrtum entdeckte oder seitdem die Drohung wegfiel, in jedem Fall aber vor Ablauf von fünf Jahren seit der Anerkennung. |
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1 | Die Klage ist binnen Jahresfrist einzureichen, seitdem der Kläger von der Anerkennung und von der Tatsache Kenntnis erhielt, dass der Anerkennende nicht der Vater ist oder dass ein Dritter der Mutter um die Zeit der Empfängnis beigewohnt hat, oder seitdem er den Irrtum entdeckte oder seitdem die Drohung wegfiel, in jedem Fall aber vor Ablauf von fünf Jahren seit der Anerkennung. |
2 | Die Klage des Kindes kann in jedem Fall bis zum Ablauf eines Jahres nach Erreichen der Volljährigkeit erhoben werden.292 |
3 | Nach Ablauf der Frist wird eine Anfechtung zugelassen, wenn die Verspätung mit wichtigen Gründen entschuldigt wird. |
Ob sich der Verzicht auf Kostenvorschüsse der beweispflichtigen Partei aufgrund einer kantonalen "erweiterten" (so Walder, a.a.O. S. 36) Offizialmaxime aufdränge, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, da die Anwendung des thurgauischen Prozessrechts nicht beanstandet wird.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.