118 Ia 129
19. Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. April 1992 i.S. P. gegen N. T. AG und Appellationshof des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde).
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- 1. Die Sachlegitimation ist vom Richter jeder Stufe von Amtes wegen zu prüfen, unter der Herrschaft der Verhandlungsmaxime allerdings bloss nach Massgabe des behaupteten und festgestellten Sachverhalts (E. 1).
- 2. Die Zulassung eines gewillkürten Parteiwechsels auf der Klägerseite ist ohne Zustimmung des Beklagten verfassungswidrig (E. 2).
Regeste (fr):
- Art. 4 Cst.; changement de partie en cours de procès civil.
- 1. La qualité pour agir doit être examinée d'office par le juge de chaque instance, seulement à la lumière de l'état de fait allégué et constaté lorsque la maxime des débats s'applique (consid. 1).
- 2. L'admission d'un changement volontaire de partie du côté du demandeur sans l'accord du défendeur est inconstitutionnelle (consid. 2).
Regesto (it):
- Art. 4 Cost.; sostituzione di una parte nel corso di un processo civile.
- 1. La qualità per agire deve essere esaminata d'ufficio dal Giudice, in ogni stadio di causa, in virtù del principio cd. attitatorio unicamente sulla base dei fatti allegati e accertati (consid. 1).
- 2. È arbitrario ammettere una sostituzione volontaria della parte attrice senza l'accordo di quella convenuta (consid. 2).
Sachverhalt ab Seite 129
BGE 118 Ia 129 S. 129
Am 8. Mai 1984 beschädigte P. bei einem Selbstunfall einen tags zuvor von der I. AG gemieteten Personenwagen. Die Vermieterin belangte ihn deswegen mit Klage vom 8. Mai 1985 auf Schadenersatz im Betrage von Fr. 7'999.-- nebst Zins. Der Gerichtspräsident I von Konolfingen schützte das Begehren am 26. Oktober 1987 im Teilbetrage von Fr. 5'340.-- nebst Zins. Die Aktivlegitimation der Klägerin war in diesem Verfahren nicht in Frage gestellt worden. P. zog dieses Urteil an den Appellationshof des Kantons Bern weiter. Noch vor der Aktenüberweisung an die Rechtsmittelinstanz wurde
BGE 118 Ia 129 S. 130
über die I. AG der Konkurs eröffnet. In der Folge blieb das Verfahren vorerst gemäss Art. 207
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 207 - 1 Mit Ausnahme dringlicher Fälle werden Zivilprozesse, in denen der Schuldner Partei ist und die den Bestand der Konkursmasse berühren, eingestellt. Sie können im ordentlichen Konkursverfahren frühestens zehn Tage nach der zweiten Gläubigerversammlung, im summarischen Konkursverfahren frühestens 20 Tage nach der Auflegung des Kollokationsplanes wieder aufgenommen werden. |
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1 | Mit Ausnahme dringlicher Fälle werden Zivilprozesse, in denen der Schuldner Partei ist und die den Bestand der Konkursmasse berühren, eingestellt. Sie können im ordentlichen Konkursverfahren frühestens zehn Tage nach der zweiten Gläubigerversammlung, im summarischen Konkursverfahren frühestens 20 Tage nach der Auflegung des Kollokationsplanes wieder aufgenommen werden. |
2 | Unter den gleichen Voraussetzungen können Verwaltungsverfahren eingestellt werden. |
3 | Während der Einstellung stehen die Verjährungs- und die Verwirkungsfristen still. |
4 | Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf Entschädigungsklagen wegen Ehr- und Körperverletzungen oder auf familienrechtliche Prozesse. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1. Die Sachlegitimation als materiellrechtliche Voraussetzung des eingeklagten Anspruchs ist vom Richter jeder Stufe von Amtes wegen zu prüfen (BGE 116 II 597, BGE 114 II 346, BGE 108 II 217), unter der Herrschaft der Verhandlungsmaxime allerdings bloss nach Massgabe des behaupteten und festgestellten Sachverhalts (BGE 115 II 465). Dem Appellationshof ist daher ohne weiteres beizupflichten, dass der erstinstanzliche Richter nicht gehalten war, von Amtes wegen der unerörtert gebliebenen Frage einer Rechtsbegebung durch die I. AG nachzugehen (OTT, Die unbestrittene Sachlegitimation, SJZ 78/1982 S. 17 ff.). Ebensowenig ist eine Verfassungsverletzung darin zu erblicken, dass die Rechtsmittelinstanz auch für die Legitimationsfrage auf die Verhältnisse im Zeitpunkt ihres Urteils abgestellt hat. Zu prüfen bleibt indessen, ob sie, wie vom Beschwerdeführer geltend gemacht, durch Zulassung eines Parteiwechsels auf seiten der Klägerin kantonales Prozessrecht willkürlich angewandt hat.
2. Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Vielmehr hebt das Bundesgericht einen kantonalen Entscheid wegen materieller Rechtsverweigerung nur auf, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 117 Ia 294, BGE 116 II 29 mit Hinweisen).
BGE 118 Ia 129 S. 131
a) Parteiwechsel nennt man den prozessualen Vorgang, bei dem in einem hängigen Verfahren eine Hauptpartei ausscheidet und durch einen Dritten ersetzt wird. In der Durchbrechung der subjektiven Identität unterscheidet er sich von der Parteierweiterung durch Parteibeitritt, insbesondere zufolge Intervention, von der alternativen oder eventuellen subjektiven Klagehäufung wie auch von der blossen Berichtigung einer Parteibezeichnung (BGE 114 II 336, BGE 113 Ia 106, 110 V 349; RUDOLF POHLE, Gedanken zum gesetzlich nicht geregelten, gewillkürten Parteiwechsel, in: The Year Book of the School of Law and Economic Science of the Aristotelian University of Thessaloniki, Band XII/2 (1967), S. 133 f.). Das bernische Prozessrecht regelt den Parteiwechsel einerseits in Art. 40
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 40 - 1 Für Klagen aus gesellschaftsrechtlicher Verantwortlichkeit ist das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei oder am Sitz der Gesellschaft zuständig. |
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1 | Für Klagen aus gesellschaftsrechtlicher Verantwortlichkeit ist das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei oder am Sitz der Gesellschaft zuständig. |
2 | Für die Wiedereintragung einer gelöschten Rechtseinheit ins Handelsregister ist das Gericht am letzten eingetragenen Sitz der gelöschten Rechtseinheit zwingend zuständig.26 |
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 41 |
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 41 |
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess BZP Art. 17 - 1 Wechsel der Partei ist nur mit Zustimmung der Gegenpartei gestattet. |
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1 | Wechsel der Partei ist nur mit Zustimmung der Gegenpartei gestattet. |
2 | Die ausscheidende Partei haftet für die bisher entstandenen Gerichtskosten solidarisch mit der eintretenden. |
3 | Die Rechtsnachfolge auf Grund von Gesamtnachfolge sowie kraft besonderer gesetzlicher Bestimmungen gilt nicht als Parteiwechsel. |
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 41 |
BGE 118 Ia 129 S. 132
Ob die Zulassung eines solchen Parteiwechsels nach geltendem bernischen Prozessrecht schlechthin verfassungswidrig wäre, kann offen bleiben; sie ist es jedenfalls auf der Klägerseite gegen den Willen bzw. ohne Zustimmung des Beklagten, sobald sich dieser in den Prozess, namentlich in die Hauptsache, eingelassen hat. Zwar kann nicht vom Willen des Beklagten abhängen, ob er in ein weiteres Verfahren verwickelt werde, doch kann ihm nicht zugemutet werden, seine auf einen bestimmten Gegner ausgerichtete Prozessführung auch gegenüber einem andern Kläger gegen sich gelten lassen zu müssen. Beschränkt ein Beklagter beispielsweise seine einlässliche Verteidigung darauf, die fehlende Aktivlegitimation des Klägers darzutun, und bringt er daher seine Einwände gegen Bestand und Inhalt der eingeklagten Forderung bloss in groben Zügen vor, hat er es nicht auf sich zu nehmen, dass durch einen Parteiwechsel seine Hauptabwehr entkräftet und die subsidiäre, nur summarisch vorgetragene Verteidigung als nicht durchschlagend abgetan wird. Sodann ist ihm insbesondere auch die Möglichkeit zu lassen, gegenüber dem Nichtberechtigten allenfalls versäumte oder ungenügend substantiierte tatsächliche Vorbringen oder Einwände erneut und rechtsgenüglich dem wahren Berechtigten entgegenzuhalten, was bei blossem Parteiwechsel angesichts der prozessualen Formstrenge (Eventualmaxime) oftmals nicht mehr möglich wäre. Gleiches gilt für die Möglichkeit neuer Einreden. Wenn sich der gewillkürte Parteiwechsel aus Gründen der Prozessökonomie auch insofern rechtfertigen liesse, als er ein Behauptungs- und Beweisverfahren, welches über Bestand und Inhalt des Anspruchs bereits durchgeführt worden ist, nicht nutzlos werden lässt, so ist doch nicht zu übersehen, dass er im Ergebnis der Rücknahme einer hängigen und dem Anbringen einer neuen Klage durch oder gegen den wahren Sachlegitimierten gleichkommt. Beim Klägerwechsel darf daher der Beklagte gegen seinen Willen nicht schlechter gestellt werden, als wenn sich derselbe Wechsel durch Beendigung eines hängigen und Einleitung eines neuen Prozesses verwirklichen würde. Daraus folgt, dass ein solcher Parteiwechsel stets der Zustimmung des Beklagten bedarf, wie dies jene schweizerischen Prozessordnungen, die das Institut kennen, auch ausdrücklich verlangen (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Auflage (1979), S. 237). Anders zu entscheiden, wäre mit dem Gedanken des Rechtsstaats nicht zu vereinbaren (POHLE, a.a.O., S. 150). Damit kommt dem Zustimmungserfordernis über Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 118 Ia 129 S. 133
c) Der Beschwerdeführer hat dem Parteiwechsel von der I. AG auf die N. T. AG im kantonalen Verfahren nicht zugestimmt. Das zugunsten der Beschwerdegegnerin gegen ihn ergangene Sachurteil des Appellationshofs ist daher als verfassungswidrig aufzuheben.