Urteilskopf

116 IV 179

35. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. September 1990 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 179

BGE 116 IV 179 S. 179

X., Y. und Z. kamen überein, sich durch einen Entreissdiebstahl an einem Angestellten der Firma A. in Zürich Geld zu beschaffen. X. teilte seinen Komplizen unter anderem mit, diese Person sei aller Voraussicht nach seine Mutter, die bei der genannten Firma als Verkäuferin tätig war. Am 6. April 1989 mussten Y. und Z., die die Tat ausführen sollten, jedoch wegen unerwarteter Schwierigkeiten von ihrem Vorhaben absehen. Daraufhin wurde ein neuer Plan gefasst und durchgeführt, der ebenfalls auf Informationen des X. über die Firma A. beruhte. Am 7. April 1989 begaben sich Y. und Z. gegen 19.45 Uhr an den Firmensitz. Z. klingelte, und einer der beiden Täter meldete sich mit den Worten: "Da isch de Fredi." Die Angestellte B. öffnete die Türe, worauf Y. und Z. in das Geschäft eindrangen. Sie bedrohten die beiden anwesenden Frauen mit Messern und erbeuteten einen Betrag von ca. Fr. 6'800.--. Zwar wusste X., dass seine Mittäter Waffen auf sich trugen; mit deren Einsatz war er jedoch nicht einverstanden. So forderte er die Komplizen ausdrücklich auf, seiner Mutter nichts anzutun. Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X. am 6. November 1989 des Raubes im Sinne von Art. 139 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 139 - 1. Wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung wegnimmt, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung wegnimmt, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    ...197
3    Der Dieb wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, wenn er:
a  gewerbsmässig stiehlt;
b  den Diebstahl als Mitglied einer Bande ausführt, die sich zur fortgesetzten Verübung von Raub oder Diebstahl zusammengefunden hat;
c  zum Zweck des Diebstahls eine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe mit sich führt oder eine Explosion verursacht; oder
d  sonst wie durch die Art, wie er den Diebstahl begeht, seine besondere Gefährlichkeit offenbart.198
4    Der Diebstahl zum Nachteil eines Angehörigen oder Familiengenossen wird nur auf Antrag verfolgt.
StGB und des versuchten Diebstahls im Sinne von Art. 137 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 137 - 1. Wer sich eine fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird, wenn nicht die besonderen Voraussetzungen der Artikel 138-140 zutreffen, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer sich eine fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird, wenn nicht die besonderen Voraussetzungen der Artikel 138-140 zutreffen, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Hat der Täter die Sache gefunden oder ist sie ihm ohne seinen Willen zugekommen,
i.V.m. Art. 21 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 21 - Wer bei Begehung der Tat nicht weiss und nicht wissen kann, dass er sich rechtswidrig verhält, handelt nicht schuldhaft. War der Irrtum vermeidbar, so mildert das Gericht die Strafe.
StGB (sowie eines weiteren, hier nicht interessierenden Deliktes) schuldig und bestrafte ihn mit zwei Jahren Gefängnis, abzüglich 75 Tage erstandene Untersuchungshaft.
BGE 116 IV 179 S. 180

Gegen diesen Entscheid richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des X. Er beantragt zur Hauptsache, der Strafpunkt des angefochtenen Urteils sei aufzuheben und statt dessen sei eine Strafe von nicht mehr als 18 Monaten Gefängnis, abzüglich 75 Tage erstandene Untersuchungshaft, auszusprechen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4. a) Gemäss Art. 63
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 63 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn:
1    Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn:
a  der Täter eine mit Strafe bedrohte Tat verübt, die mit seinem Zustand in Zusammenhang steht; und
b  zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit dem Zustand des Täters in Zusammenhang stehender Taten begegnen.
2    Das Gericht kann den Vollzug einer zugleich ausgesprochenen unbedingten Freiheitsstrafe, einer durch Widerruf vollziehbar erklärten Freiheitsstrafe sowie einer durch Rückversetzung vollziehbar gewordenen Reststrafe zu Gunsten einer ambulanten Behandlung aufschieben, um der Art der Behandlung Rechnung zu tragen. Es kann für die Dauer der Behandlung Bewährungshilfe anordnen und Weisungen erteilen.
3    Die zuständige Behörde kann verfügen, dass der Täter vorübergehend stationär behandelt wird, wenn dies zur Einleitung der ambulanten Behandlung geboten ist. Die stationäre Behandlung darf insgesamt nicht länger als zwei Monate dauern.
4    Die ambulante Behandlung darf in der Regel nicht länger als fünf Jahre dauern. Erscheint bei Erreichen der Höchstdauer eine Fortführung der ambulanten Behandlung notwendig, um der Gefahr weiterer mit einer psychischen Störung in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen zu begegnen, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Behandlung um jeweils ein bis fünf Jahre verlängern.
StGB misst der Richter die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu; er berücksichtigt die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen. Abgesehen von diesem allgemeinen Grundsatz regelt das schweizerische Strafrecht nicht, welche konkreten Umstände dazu führen sollen, dass eine Strafe (innerhalb des ordentlichen Strafrahmens) höher oder niedriger auszufällen ist. Unbestritten ist, dass die Rolle des Opfers im Tatgeschehen geeignet ist, die Schuld des Täters entscheidend zu beeinflussen (BRUNS, Strafzumessungsrecht, 2. Aufl. Köln 1974, S. 407; vgl. HORN, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 46 N. 100). Es kann beispielsweise von Bedeutung sein, ob das Opfer eine mehr aktive oder eher passive Rolle gespielt hat. Das StGB sieht in Art. 64 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 64 - 1 Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte, und wenn:59
1    Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte, und wenn:59
a  auf Grund der Persönlichkeitsmerkmale des Täters, der Tatumstände und seiner gesamten Lebensumstände ernsthaft zu erwarten ist, dass er weitere Taten dieser Art begeht; oder
b  auf Grund einer anhaltenden oder langdauernden psychischen Störung von erheblicher Schwere, mit der die Tat in Zusammenhang stand, ernsthaft zu erwarten ist, dass der Täter weitere Taten dieser Art begeht und die Anordnung einer Massnahme nach Artikel 59 keinen Erfolg verspricht.
1bis    Das Gericht ordnet die lebenslängliche Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, einen Raub, eine Vergewaltigung, eine sexuelle Nötigung, eine Freiheitsberaubung oder Entführung, eine Geiselnahme, ein Verschwindenlassen, Menschenhandel, Völkermord, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ein Kriegsverbrechen (Zwölfter Titelter) begangen hat und wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:60
a  Der Täter hat mit dem Verbrechen die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person besonders schwer beeinträchtigt oder beeinträchtigen wollen.
b  Beim Täter besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass er erneut eines dieser Verbrechen begeht.
c  Der Täter wird als dauerhaft nicht therapierbar eingestuft, weil die Behandlung langfristig keinen Erfolg verspricht.61
2    Der Vollzug der Freiheitsstrafe geht der Verwahrung voraus. Die Bestimmungen über die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe (Art. 86-88) sind nicht anwendbar.62
3    Ist schon während des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu erwarten, dass der Täter sich in Freiheit bewährt, so verfügt das Gericht die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe frühestens auf den Zeitpunkt hin, an welchem der Täter zwei Drittel der Freiheitsstrafe oder 15 Jahre der lebenslänglichen Freiheitsstrafe verbüsst hat. Zuständig ist das Gericht, das die Verwahrung angeordnet hat. Im Übrigen ist Artikel 64a anwendbar.63
4    Die Verwahrung wird in einer Massnahmevollzugseinrichtung oder in einer Strafanstalt nach Artikel 76 Absatz 2 vollzogen. Die öffentliche Sicherheit ist zu gewährleisten. Der Täter wird psychiatrisch betreut, wenn dies notwendig ist.
StGB sogar ausdrücklich vor, dass die Strafe gemildert werden kann, wenn der Täter durch das Verhalten des Verletzten ernstlich in Versuchung geführt worden ist.
Zu den Tatumständen, die der Richter bei der Strafzumessung berücksichtigen muss, wenn er die Tat in ihrer menschlichen Bedeutung verstehen will, gehören aber zweifellos auch die persönlichen Beziehungen zwischen Täter und Opfer (SCHULTZ, Kriminologische und strafrechtliche Bemerkungen zur Beziehung zwischen Täter und Opfer, ZStR 71/1956, S. 189; HORN, a.a.O., N. 101). Zu nennen sind beispielsweise nahe Verwandtschaft oder Freundschaft und ganz allgemein enge Kameradschafts- und Vertrauensverhältnisse. In der Regel wird bei solchen Beziehungen angenommen werden können, dass beim Täter eine besondere Hemmung bestand, dem Opfer eine Rechtsgutsverletzung zuzufügen; deren Überwindung deutet auf eine verwerfliche Gesinnung oder besondere Skrupellosigkeit hin und ist straferhöhend zu berücksichtigen. Die Täter-Opfer-Beziehung kann jedoch auch abgekühlt, gleichgültig, distanziert oder verfeindet sein, ja sogar zu einem deutlichen Abbau der Hemmungen führen. Ein extremes Beispiel dafür
BGE 116 IV 179 S. 181

stellt der Täter dar, der seinen Vater tötet, nachdem dieser die ganze Familie über Jahre hinaus sadistisch gequält hat; die normalerweise im Vater-Sohn-Verhältnis vorhandenen und erwarteten besonderen Tötungshemmungen können in einem solchen Fall mehr oder weniger abgebaut sein (s. MANFRED MAECK, Opfer und Strafzumessung, Stuttgart 1983, S. 102/103), ja gänzlich fehlen. Der Umstand allein, dass das Opfer mit dem Täter verwandt oder bekannt ist, sagt folglich über die Höhe von dessen Verschulden noch nichts aus; entscheidend sind die konkreten Beziehungen im Einzelfall. b) Die Vorinstanz ging von einem schweren Verschulden aus, da der Beschwerdeführer hemmungslos vorgegangen sei; selbst vor der Bedrohung und Gefährdung seiner Mutter habe er nicht zurückgeschreckt. Obwohl dieser Umstand bei der Strafzumessung offenbar entscheidend zulasten des Beschwerdeführers ins Gewicht fiel, äussert sich die Vorinstanz zur konkreten Beziehung von Täter und Opfer nicht. Auf eine Rückweisung zur näheren Prüfung dieser Frage kann indessen verzichtet werden, weil sich aus den Akten klar ergibt, dass der Beschwerdeführer mit seinen Eltern ausgesprochen eng und herzlich verbunden ist. In seinem Lebenslauf vom 6. Mai 1989 beschreibt er u.a. die Zusammenarbeit mit seinen Eltern im Restaurant F. in Bern; es sei eine richtige Freude gewesen, mit ihnen dank der äusserst guten Beziehungen und des gegenseitigen Vertrauens zusammenzuarbeiten; seine Freizeit habe er fast immer mit seinen Eltern verbracht; die Beziehung zu seiner Familie sei herzlich und gut. Aus der Befragung vor Obergericht geht hervor, dass es dem Beschwerdeführer nach wie vor ein Rätsel ist, wie er auf die Idee kommen konnte, einen Raubüberfall auf seine Mutter vorzuschlagen, von der er im übrigen immer wieder Unterstützungsgelder erhalten hat. Bei dieser Sachlage hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, wenn sie die Hemmungslosigkeit des Beschwerdeführers auch damit begründete, er sei selbst vor der Bedrohung und Gefährdung seiner Mutter nicht zurückgeschreckt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 116 IV 179
Date : 14. September 1990
Published : 31. Dezember 1991
Source : Bundesgericht
Status : 116 IV 179
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 63 StGB; Beziehungen des Täters zum Opfer. Persönliche Beziehungen zwischen Täter und Opfer hat der Richter bei der


Legislation register
StGB: 21  63  64  137  139
BGE-register
116-IV-179
Keyword index
Sorted by frequency or alphabet
antecedents • assessment of punishment • balance sheet • behavior • company • correctness • court of cassation • day • decision • family • father • federal court • grievous default • hamlet • individual circumstances • intention • language • leisure • lower instance • main issue • minority • money • month • mother • penal code • question • relationship • remand • restaurant • robbery • statement of affairs • theft • victim • vita • watch • weight • within