113 Ia 12
2. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11. Februar 1987 i.S. E. gegen Staatsanwaltschaft und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Es verstösst gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Regeste (fr):
- Art. 4 Cst.; § 10 al. 3 let. a CPP/BS, droit à la désignation d'un avocat d'office.
- L'art. 4 Cst. est violé par le refus de reconnaître le droit d'un inculpé à la désignation d'un défenseur d'office, alors que les conditions de ce droit, telles que définies par le texte clair du droit cantonal déterminant (§ 10 al. 3 let. a CPP/BS), sont remplies dans le cas d'espèce. Aucun motif objectif ne permet d'interpréter cette disposition contrairement à son texte clair (consid. 3).
Regesto (it):
- Art. 4 Cost.; § 10 cpv. 3 lett. a CPP/BS, diritto al gratuito patrocinio.
- Viola l'art. 4 Cost. il rifiuto di accordare a un imputato il gratuito patrocinio ove siano adempiuti nella fattispecie i presupposti di tale diritto, quali stabiliti dal testo della norma determinante della procedura cantonale (§ 10 cpv. 3 lett. a CPP/BS). Nessun motivo obiettivo consente d'interpretare detta norma in modo contrario al suo testo (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 12
BGE 113 Ia 12 S. 12
E. wurde in Basel wegen gewerbsmässigen Diebstahls und wiederholten und fortgesetzten Konsums von Betäubungsmitteln in Strafuntersuchung gezogen. Die Staatsanwaltschaft beantragte, ihn mit zehn Monaten Gefängnis zu bestrafen. Am 29. August 1986 ersuchte E. um Bewilligung der Offizialverteidigung. Der Strafgerichtspräsident lehnte das Gesuch mit Verfügung vom 1. September 1986 ab. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 18. September 1986 abgewiesen. Gegen das Urteil des Appellationsgerichts reichte E. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Der Anspruch eines Angeschuldigten auf Beigabe eines Verteidigers von Amtes wegen beurteilt sich in erster Linie nach
BGE 113 Ia 12 S. 13
dem massgebenden kantonalen Strafprozessrecht. Allgemein hat das Bundesgericht gewisse Mindestanforderungen aufgestellt, bei deren Vorliegen sich der Anspruch auf amtliche Verteidigung unmittelbar aus dem Gleichheitssatz (Art. 4
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3. a) § 10 Abs. 3 lit. a der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt vom 15. Oktober 1931 (StPO) lautet: "Ist ein Angeschuldigter unvermögend, so wird ihm auf sein Begehren von Amtes wegen ein Advokat als Verteidiger beigegeben,
a) sofern der gesetzliche Strafrahmen eine Höchststrafe von fünf Jahren Zuchthaus überschreitet."
Das Recht des Kantons Basel-Stadt stellt somit klarerweise für die Beurteilung der Frage nach der notwendigen Verteidigung nicht auf die im konkreten Einzelfall in Aussicht stehende, sondern auf die vom Gesetzgeber in abstrakter Form angedrohte Freiheitsstrafe ab. Es unterscheidet sich in diesem Punkte von den analogen Gesetzen der meisten anderen Kantone und auch von der dargelegten bundesgerichtlichen, lediglich die Minimalanforderungen umschreibenden Rechtsprechung. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass eine solche, für den Angeschuldigten günstigere Lösung der Verteidigungsfrage nicht gegen eidgenössisches Verfassungsrecht verstossen kann. b) Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt macht geltend, die vorstehend wiedergegebene Bestimmung sei "unglücklich abgefasst", das Abstellen auf den abstrakten Strafrahmen führe dazu, dass z.B. ein kleiner Ladendieb nach zwei Diebstählen
BGE 113 Ia 12 S. 14
bereits Anspruch auf einen Offizialverteidiger hätte. Ausschlaggebend müsse der gesetzgeberische Gedanke sein, der im Gesetzeswortlaut immer nur einen unvollkommenen Ausdruck finde. Dieser Gedanke bestehe in der hier zu beurteilenden Frage darin, dass Offizialverteidigung immer dann zu gewähren sei, wenn der Angeschuldigte konkret mit einer längeren Freiheitsstrafe rechnen müsse. Das treffe in Fällen wie dem vorliegenden, wo nur eine verhältnismässig kurze Freiheitsstrafe drohe, nicht zu, weshalb vom Wortlaut des Gesetzestextes abgewichen werden dürfe. Dieses Vorgehen stehe mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Minimalanspruch, wie sie vorstehend dargelegt wurde, in Einklang, und das Bundesgericht habe diese Praxis in seinem Urteil BGE 103 Ia 4 ff. nicht beanstandet, sondern die Frage ausdrücklich offengelassen. Wenn möglicherweise einzelne erstinstanzliche Strafgerichtspräsidenten eine andere Praxis befolgten, so sei dies für das Appellationsgericht bedeutungslos. Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Entscheid und die erwähnte Begründung für willkürlich. Zur Stützung seines Standpunktes verweist er auf den Gesetzeswortlaut, auf die Entstehungsgeschichte der Norm sowie darauf, dass die erstinstanzlichen Gerichtspräsidenten im Kanton Basel-Stadt § 10 Abs. 3 lit. a StPO teils nach seinem Wortlaut, teils nach der engeren Praxis des Appellationsgerichtes anwendeten, was zu einer Rechtsungleichheit führe. c) Der Wortlaut der vorstehend angeführten Norm ist an sich unzweideutig, was das Gericht sinngemäss selbst anerkennt. Auch kann er nicht gegen eidgenössisches Verfassungsrecht verstossen, da er den Angeschuldigten nicht weniger, sondern mehr Rechte einräumt als die vom Bundesgericht aus Art. 4
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BGE 113 Ia 12 S. 15
Festgabe 1975, S. 29 ff.; ULRICH HÄFELIN, Bindung des Richters an den Wortlaut des Gesetzes, in: Festschrift für Cyril Hegnauer, Bern 1986, S. 111 ff.). Gründe dieser Art sind indessen hier, entgegen der Auffassung des Appellationsgerichtes, nicht ersichtlich. Die vom Beschwerdeführer vorgelegten Materialien aus den Jahren 1926-1929 zeigen, dass der Gesetzgeber des Kantons Basel-Stadt bewusst die abstrakte Strafandrohung als Massstab für die notwendige Verteidigung gewählt hat, wobei darüber diskutiert wurde, ob die Grenze - nach altem kantonalem Strafrecht - bei vier oder fünf Jahren Freiheitsentzug zu ziehen sei. Dabei herrschte offensichtlich eine weitherzige Auffassung vor. Aus dem Bericht der Kommission des Grossen Rates vom 4. April 1929 ergibt sich, dass diese die notwendige Verteidigung verglichen mit dem früheren Rechtszustand in vermehrtem Masse gewähren wollte und sich sogar die Frage gestellt hat, ob nicht vor Strafgericht jedem Angeschuldigten ein Verteidiger beizugeben sei (Prot. S. 37). Historische Gründe rechtfertigen somit ein Abweichen vom Wortlaut des Gesetzes jedenfalls nicht. Der Vollständigkeit halber sei beigefügt, dass das Appellationsgericht selbst nicht geltend macht, das Inkrafttreten des Schweizerischen Strafgesetzbuches im Jahre 1942 habe hinsichtlich der Strafandrohungen eine fundamental andere Lage geschaffen, so dass die Bestimmungen über die notwendige Verteidigung aus diesem Grunde nicht mehr nach ihrem Wortlaut angewendet werden könnten. Es lässt sich auch nicht sagen, Sinn und Zweck der Vorschrift stünden einer wortgetreuen Anwendung entgegen. Wohl führt diese dazu, dass gelegentlich Angeklagte in den Genuss der Offizialverteidigung gelangen, bei denen dies, gemessen an den Minimalgarantien gemäss Art. 4
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BGE 113 Ia 12 S. 16
entgegen seiner Auffassung, nichts zugunsten seines Standpunktes herleiten. Das Bundesgericht hat in jenem Falle wörtlich ausgeführt: "Da die StPO auf den gesetzlichen Strafrahmen abstellt, wäre zu berücksichtigen, dass die Straftaten, welche das Strafgericht dem Beschwerdeführer zur Last legt, alle mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren als Höchststrafe bedroht sind (...). Man kann sich fragen, ob nicht im Hinblick auf Art. 68
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 68 - 1 Ist die Veröffentlichung eines Strafurteils im öffentlichen Interesse, im Interesse des Verletzten oder des Antragsberechtigten geboten, so ordnet sie das Gericht auf Kosten des Verurteilten an. |
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1 | Ist die Veröffentlichung eines Strafurteils im öffentlichen Interesse, im Interesse des Verletzten oder des Antragsberechtigten geboten, so ordnet sie das Gericht auf Kosten des Verurteilten an. |
2 | Ist die Veröffentlichung eines freisprechenden Urteils oder einer Einstellungsverfügung der Strafverfolgungsbehörde im öffentlichen Interesse, im Interesse des Freigesprochenen oder Entlasteten geboten, so ordnet sie das Gericht auf Staatskosten oder auf Kosten des Anzeigers an. |
3 | Die Veröffentlichung im Interesse des Verletzten, Antragsberechtigten, Freigesprochenen oder Entlasteten erfolgt nur auf deren Antrag. |
4 | Das Gericht bestimmt Art und Umfang der Veröffentlichung. |
In der Folge gelangte das Bundesgericht zum Ergebnis, die Verweigerung eines Offizialverteidigers sei im konkreten Falle schon wegen der Schwierigkeit der Sache weder mit dem einschlägigen § 10 Abs. 3 lit. c StPO noch mit den sich unmittelbar aus Art. 4
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 113 Ia 12 S. 17
Gründen nicht vertreten. Das Gericht verletzte daher Art. 4
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 137 - 1. Wer sich eine fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird, wenn nicht die besonderen Voraussetzungen der Artikel 138-140 zutreffen, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer sich eine fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird, wenn nicht die besonderen Voraussetzungen der Artikel 138-140 zutreffen, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Hat der Täter die Sache gefunden oder ist sie ihm ohne seinen Willen zugekommen, |