Urteilskopf

109 IV 15

6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Januar 1983 i.S. St. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde)
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Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 16

BGE 109 IV 15 S. 16

A.- St. ist Inhaber der Firma St. & Co., Leichtmetallbedachungen, Reinach/AG. Zwei Arbeitnehmer dieser Firma, W., Sanitärmonteur, und der Spenglerlehrling S., führten Ende Oktober 1978 auf dem Dach des Neubaus des Postgebäudes in Menziken Arbeiten aus. Die offenen Dachluken (in der Grösse von 128 x 132 cm) waren mit Plastikfolien abgedeckt. Am 26. Oktober 1978 um 15.30 Uhr trat W. beim Überqueren des Daches auf eine solche Plastikfolie, stürzte durch die Dachluke auf den 4,5 m tiefer liegenden Betonboden und erlitt schwere Kopfverletzungen, die zum Tode führten.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau erhob gegen St. Anklage wegen fahrlässiger Tötung (Art. 117
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB) und wegen fahrlässiger Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (Art. 229
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 229 - 1 Wer vorsätzlich bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks oder eines Abbruchs die anerkannten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.308
1    Wer vorsätzlich bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks oder eines Abbruchs die anerkannten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.308
2    Lässt der Täter die anerkannten Regeln der Baukunde fahrlässig ausser Acht, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
StGB); dem Angeklagten wird vorgeworfen, er habe es bei der Besichtigung der Baustelle auf dem Dach des Postgebäudes in pflichtwidriger Weise unterlassen, dafür zu sorgen, dass die mit Plastikfolien abgedeckten offenen Dachluken vorschriftsgemäss entweder in solider Weise überdeckt oder mit starken Schutzgeländern umgeben wurden.

B.- Während das Bezirksgericht Kulm St. mehrheitlich freisprach, hat das Obergericht des Kantons Aargau die Berufung der Staatsanwaltschaft gutgeheissen, St. gemäss Anklage schuldig gesprochen und zu einer Busse von Fr. 400.-- verurteilt.
C.- Gegen diesen Entscheid führt St. Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Gemäss Art. 7 der Verordnung über die Verhütung von Unfällen an und auf Dächern vom 17. November 1967 (SR 832.311.15) sind Boden- und Wandöffnungen jeder Art, durch die
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ein Absturz möglich ist, während der Arbeit entweder in solider Weise zu überdecken oder mit starkem Schutzgeländer und Bordbrett zu umgeben. Diese wichtige Vorschrift wurde im vorliegenden Fall nicht eingehalten. Das Abdecken mit einer Plastikfolie stellte keine Sicherung dar, erhöhte aber die Gefahr eines Fehltrittes in verhängnisvoller Weise. Die in Art. 7 der Verordnung umschriebene anerkannte Regel der Baukunde wurde missachtet. Das Obergericht hat festgehalten, dass die Gefahrensituation im vorliegenden Fall von der Baufirma H. & Cie. auf Veranlassung des Bauleiters S. geschaffen worden sei durch Wegnahme der vorher unter den Luken befindlichen Riconplatten und durch das Abdecken mit Plastikfolien. S. wurde strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.
2. Nach den für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz erkannte der Beschwerdeführer das besondere Risiko, welches diese offenen Dachluken für Arbeiten auf dem Dach bildeten. Er hat W. auf die Gefahr aufmerksam gemacht. In der Nichtigkeitsbeschwerde wird sinngemäss bestritten, dass St. eine strafrechtlich erfassbare Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne, weil er es unterlassen habe, die von der Baufirma H. geschaffene Gefährdung zu beseitigen. a) Wer bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks mitwirkt, ist dafür verantwortlich, dass in seinem Bereich die Regeln der Baukunde eingehalten werden. Soweit es um Massnahmen der Unfallverhütung geht, hat nicht nur derjenige, der die spezifische Unfallgefahr geschaffen hat, für die vorschriftsgemässe Verminderung oder Ausschaltung des Risikos besorgt zu sein, sondern jeder Arbeitgeber hat erkennbare Mängel, welche für seine Leute eine vermeidbare Gefährdung bilden, zu beheben oder durch zweckmässige Intervention die Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften zu veranlassen. Der Beschwerdeführer, der einen Vorarbeiter und einen Lehrling mit Arbeiten auf dem Dach des Postgebäudes betraute, hätte die Gefahr der offenen, durch Plastikfolien abgedeckten Dachluken nicht einfach bestehen lassen dürfen. Es kam ihm in dieser Hinsicht in bezug auf seine Untergebenen eine strafrechtlich relevante Garantenstellung zu. Der gegenüber W. geäusserte Hinweis auf die Gefährlichkeit der Situation vermag den Beschwerdeführer nicht zu entlasten. Eine "Ermahnung" genügte nicht. Es hätte eine dem Art. 7 der erwähnten Verordnung entsprechende Sicherungsmassnahme durchgesetzt werden müssen.

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b) Nachdem feststeht, dass der Beschwerdeführer sich persönlich um die Zuweisung dieser Isolationsarbeit auf dem Dach kümmerte und die spezifische Gefahr erkannte, lässt sich seine Tätereigenschaft im Sinne des Art. 229
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 229 - 1 Wer vorsätzlich bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks oder eines Abbruchs die anerkannten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.308
1    Wer vorsätzlich bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks oder eines Abbruchs die anerkannten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.308
2    Lässt der Täter die anerkannten Regeln der Baukunde fahrlässig ausser Acht, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
StGB nicht in Zweifel ziehen (vgl. BENDEL, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit bei der Verletzung der Regeln der Baukunde, Genfer Diss. 1960, S. 27 ff.; BGE 104 IV 96). Das in der Nichtigkeitsbeschwerde vorgetragene Argument, die Arbeit, welche den Unfall zur Folge hatte, habe nur einen kleinen Zusatzauftrag von ca. Fr. 600.-- betroffen, ist unbehelflich. Die Verantwortung für die Einhaltung von Unfallverhütungsvorschriften hängt selbstverständlich nicht von der finanziellen Bedeutung des Auftrages ab; auch bei kleinen Arbeiten auf dem Dach sind die einschlägigen Regeln zu beachten; das geringe in Frage stehende Arbeitsvolumen rechtfertigt das Tolerieren einer vorschriftswidrigen Gefahrensituation nicht.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 109 IV 15
Date : 10. Januar 1983
Published : 31. Dezember 1983
Source : Bundesgericht
Status : 109 IV 15
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 117 StGB. Art. 229 StGB. Arbeitsunfall. Fahrlässige Tötung. Verletzung der Regeln der Baukunde. 1. Für die Einhaltung


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StGB: 117  229
BGE-register
104-IV-96 • 109-IV-15
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