Urteilskopf

106 IV 61

21. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 8. Februar 1980 i.S. P. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 61

BGE 106 IV 61 S. 61

A.- Das Obergericht des Kantons Zürich erklärte P. am 6. September 1979 schuldig der Verletzung von Verkehrsregeln

BGE 106 IV 61 S. 62

im Sinne von Art. 90 Ziff. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
1    Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
2    Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt.
3    Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.
3bis    Die Mindeststrafe von einem Jahr kann bei Widerhandlungen gemäss Absatz 3 unterschritten werden, wenn ein Strafmilderungsgrund nach Artikel 48 StGB235 vorliegt, insbesondere wenn der Täter aus achtenswerten Beweggründen gehandelt hat.236
3ter    Der Täter kann bei Widerhandlungen gemäss Absatz 3 mit Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren oder Geldstrafe bestraft werden, wenn er nicht innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Tat wegen eines Verbrechens oder Vergehens im Strassenverkehr mit ernstlicher Gefahr für die Sicherheit anderer, respektive mit Verletzung oder Tötung anderer verurteilt wurde.237
4    Eine besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit liegt vor, wenn diese überschritten wird um:
a  mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt;
b  mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt;
c  mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt;
d  mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt.238
5    Artikel 237 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches239 findet in diesen Fällen keine Anwendung.
SVG in Verbindung mit Art. 40
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 40 - Wo die Sicherheit des Verkehrs es erfordert, hat der Fahrzeugführer die übrigen Strassenbenützer zu warnen. Unnötige und übermässige Warnsignale sind zu unterlassen. Rufzeichen mit der Warnvorrichtung sind untersagt.
SVG und Art. 29 Abs. 4
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 29 Warnsignale - (Art. 40 SVG)
1    Der Fahrzeugführer hat sich so zu verhalten, dass akustische Warnsignale oder Lichtsignale möglichst nicht notwendig sind. Er darf solche Signale nur geben, wo die Sicherheit des Verkehrs es erfordert; dies gilt auch für Gefahrenlichter (Art. 109 Abs. 6 und 110 Abs. 3 Bst. b VTS130).131
2    Der Fahrzeugführer hat akustische Warnsignale zu geben, wenn Kinder im Bereich der Strasse nicht auf den Verkehr achten und vor unübersichtlichen, engen Kurven ausserorts.
3    Nach Eintritt der Dunkelheit dürfen nur Lichtsignale gegeben werden. Akustische Warnsignale sind nur in Notfällen zulässig.
VRV und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 150.--.
B.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt P. Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und Rückweisung der Sache zum Freispruch.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Am 23. Januar 1978 fuhr der Beschwerdeführer mit seinem BMW von Davos nach Zürich. Auf der Autobahn N 3 holte er bei der Ausfahrt Thalwil den mit etwa 100-110 km/h fahrenden VW des V. ein. Bevor er ihn überholen konnte, bog V. noch knapp vor ihm auf die Überholspur aus. Der Beschwerdeführer gab ein Warnsignal, wozu er gemäss Vorinstanz berechtigt war. V. quittierte mit einem Bremsmanöver, wobei er die Bremse nur angetippt haben will, während gemäss Feststellung der Vorinstanz der Beschwerdeführer einen Schikanestopp annehmen und diesen mit einem Hupsignal beantworten durfte. V. blieb auf der Überholspur. Der Beschwerdeführer gab mehrmals Signal mit akustischer und Lichthupe, um ihn zu veranlassen, die Überholspur freizugeben. Dies, obwohl V. nun seinerseits am Überholen war und daher noch nicht auf die Normalspur einschwenken konnte und obwohl ein brüskes Einschwenken auf der nassen und teils mit Schneematsch bedeckten Strasse hätte gefährlich werden können.
2. Zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer verbotenerweise oder unnötig und übermässig Signale gegeben und damit Art. 40 SVG/29 VRV verletzt hat. Das angefochtene Urteil vertritt die Auffassung, eine Ankündigung durch Licht- oder Hupsignal sei nur gestattet, wenn an sich bereits genügend Platz zum Überholen vorhanden ist und der Überholende lediglich sicher sein will, dass der andere Fahrer keinen Fehler machen wird. Unzulässig sei es dagegen, einen auf der linken Seite fahrenden Verkehrsteilnehmer durch ein solches Signal aufzufordern, die linke Spur freizugeben. Das sei ein verbotenes "Weghupen" bzw. "Wegblinken".
Diese Meinung findet im Strassenverkehrsrecht keine Basis und widerspricht eindeutig der schweizerischen Gerichts- und Fahrpraxis. a) Nach Art. 35 Abs. 7
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 35 - 1 Es ist rechts zu kreuzen, links zu überholen.
1    Es ist rechts zu kreuzen, links zu überholen.
2    Überholen und Vorbeifahren an Hindernissen ist nur gestattet, wenn der nötige Raum übersichtlich und frei ist und der Gegenverkehr nicht behindert wird. Im Kolonnenverkehr darf nur überholen, wer die Gewissheit hat, rechtzeitig und ohne Behinderung anderer Fahrzeuge wieder einbiegen zu können.
3    Wer überholt, muss auf die übrigen Strassenbenützer, namentlich auf jene, die er überholen will, besonders Rücksicht nehmen.
4    In unübersichtlichen Kurven, auf und unmittelbar vor Bahnübergängen ohne Schranken sowie vor Kuppen darf nicht überholt werden, auf Strassenverzweigungen nur, wenn sie übersichtlich sind und das Vortrittsrecht anderer nicht beeinträchtigt wird.
5    Fahrzeuge dürfen nicht überholt werden, wenn der Führer die Absicht anzeigt, nach links abzubiegen, oder wenn er vor einem Fussgängerstreifen anhält, um Fussgängern das Überqueren der Strasse zu ermöglichen.
6    Fahrzeuge, die zum Abbiegen nach links eingespurt haben, dürfen nur rechts überholt werden.
7    Dem sich ankündigenden, schneller fahrenden Fahrzeug ist die Strasse zum Überholen freizugeben. Wer überholt wird, darf die Geschwindigkeit nicht erhöhen.
SVG ist dem sich ankündigenden, schneller fahrenden Fahrzeug die Strasse zum Überholen
BGE 106 IV 61 S. 63

freizugeben. Voraussetzung ist also, dass das langsamere Fahrzeug zunächst auf der linken Strassenseite bzw. auf der Überholspur führt und diese auf Signal des schnelleren Fahrzeugs hin verlassen soll. Es handelt sich somit gerade nicht um das Überholen eines bereits rechts fahrenden Fahrzeuges. Ankündigen kann sich der schnellere Fahrer durch Hupen oder ein Lichtsignal. Letzteres wird durch Art. 29 Abs. 3
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 29 Warnsignale - (Art. 40 SVG)
1    Der Fahrzeugführer hat sich so zu verhalten, dass akustische Warnsignale oder Lichtsignale möglichst nicht notwendig sind. Er darf solche Signale nur geben, wo die Sicherheit des Verkehrs es erfordert; dies gilt auch für Gefahrenlichter (Art. 109 Abs. 6 und 110 Abs. 3 Bst. b VTS130).131
2    Der Fahrzeugführer hat akustische Warnsignale zu geben, wenn Kinder im Bereich der Strasse nicht auf den Verkehr achten und vor unübersichtlichen, engen Kurven ausserorts.
3    Nach Eintritt der Dunkelheit dürfen nur Lichtsignale gegeben werden. Akustische Warnsignale sind nur in Notfällen zulässig.
VRV gerade zu diesem Zweck ausdrücklich zugelassen. Von einem unzulässigen "Wegblinken" ist entgegen dem angefochtenen Urteil keine Rede. b) Viele Lenker von Autos und Motorrädern fahren chronisch links. Teils ist dies schlechte Gewohnheit. Daneben gibt es Fahrer, die schikanös auf der linken Fahrbahnhälfte bleiben. Es ist verkehrsfremd, wenn die Vorinstanz davon ausgeht, in diesen Fällen habe der schnellere Fahrer zu warten, bis der die linke Bahn blockierende Fahrer sie endlich freigibt. c) Das Bundesgericht hat mehrfach Fälle beurteilt, wo solche Signale gegeben worden waren, um jemanden zur Freigabe der linken Spur aufzufordern. Als selbstverständlich wurde von der Zulässigkeit dieser Signalgabe ausgegangen, ohne dass die Frage überhaupt aufgeworfen worden wäre (z.B. in BGE 105 IV 59 E. 5).
3. War somit der Beschwerdeführer an sich berechtigt, den vor ihm auf der Überholspur fahrenden V. durch Signale aufzufordern, diese Spur freizugeben, und ihm damit das Überholen zu ermöglichen, so bleibt zu untersuchen, ob er von dieser Möglichkeit unnötig oder übermässig Gebrauch gemacht hat. a) Wo die Grenzen liegen, ist weder den Bestimmungen noch der Praxis eindeutig zu entnehmen. Da grundsätzlich auch Warnsignale möglichst zu unterlassen sind (Art. 40
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 40 - Wo die Sicherheit des Verkehrs es erfordert, hat der Fahrzeugführer die übrigen Strassenbenützer zu warnen. Unnötige und übermässige Warnsignale sind zu unterlassen. Rufzeichen mit der Warnvorrichtung sind untersagt.
SVG, 29 VRV), ist davon auszugehen, dass Signale auch als Aufforderung zur Freigabe der Überholspur nur zulässig sind, wenn und soweit der Zweck dies wirklich erfordert und die Signalgabe sinnvoll erscheint. So betrachtet darf signalisiert werden, wenn ein langsameres Fahrzeug die linke Fahrbahn benutzt und ohne Gefährdung Dritter nach rechts einbiegen könnte, es sei denn, dessen Führer habe erkennbar zum Abbiegen oder Überholen eingespurt. Leistet der langsamere Fahrer trotz freier rechter Spur der Aufforderung keine Folge, so ist auch eine Wiederholung des Signals zulässig.
BGE 106 IV 61 S. 64

Hat das langsamere Fahrzeug zum Abbiegen oder Überholen eingespurt, führt es gerade ein Überholmanöver aus oder kann es (z.B. bei Fahrt in zwei Kolonnen) nicht in eine genügend grosse Lücke auf der rechten Fahrbanhälfte gefahrlos eingefügt werden, so ist höchstens ein kurzes Signal zur Ankündung der Überholabsicht zulässig. Unzulässig ist dagegen ein wiederholtes Licht- oder Hupsignal und erst recht ein ungeduldiges ständiges Signalisieren. Auch wo der Fahrer des langsameren Fahrzeugs erkennbar die Signale beachtet hat, ihnen aber keine Folge leistet, darf der von hinten kommende Fahrer nicht dauernd die Hupe betätigen, sondern nur in Abständen ein neues Signal geben. b) Im vorliegenden Fall ist verbindlich festgestellt (Art. 277bis Abs. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 40 - Wo die Sicherheit des Verkehrs es erfordert, hat der Fahrzeugführer die übrigen Strassenbenützer zu warnen. Unnötige und übermässige Warnsignale sind zu unterlassen. Rufzeichen mit der Warnvorrichtung sind untersagt.
BStP), dass der Beschwerdeführer wiederholt beide Signale betätigte, obwohl V. seinerseits am Überholen war, deswegen gar nicht nach rechts einbiegen konnte und sich ein späteres brüskes Einschwenken auch wegen der Rutschgefahr verbot. Bei dieser Sachlage hat die Vorinstanz mit Recht angenommen, der Beschwerdeführer habe unnötig und übermässig signalisiert.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 106 IV 61
Date : 08. Februar 1980
Published : 31. Dezember 1981
Source : Bundesgericht
Status : 106 IV 61
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 40 SVG, Art. 29 VRV. Licht- und Hupsignale als Aufforderung zur Freigabe der Überholspur.


Legislation register
BStP: 277bis
SVG: 35  40  90
VRV: 29
BGE-register
105-IV-55 • 106-IV-61
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