106 IV 350
86. Urteil des Kassationshofes vom 24. Oktober 1980 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden gegen W. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 125 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 125 - 1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft.
1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft. 2 Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt. SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. 2 War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. - Vorsichtspflicht des Skifahrers auf einem Gelände, welches funktionell als Vorplatz einer Station, Warteraum oder Vorbereitungsareal am Beginn einer Abfahrtsstrecke erkennbar ist (E. 3c).
Regeste (fr):
- Art. 125 al. 1, 18 al. 3 CP.
- Devoir de prudence du skieur qui circule sur un espace utilisé visiblement comme terrasse d'une station et comme lieu d'attente et de préparation, au départ d'une piste (consid. 3 litt. c).
Regesto (it):
- Art. 125 cpv. 1, 18 cpv. 3 CP.
- Obbligo di prudenza dello sciatore che circola su di uno spazio visibilmente utilizzato come piazzale di una stazione, come luogo di attesa o di preparazione, all'inizio di una pista (consid. 3c).
Sachverhalt ab Seite 350
BGE 106 IV 350 S. 350
A.- Am 10. Dezember 1978 befand sich W. als Skifahrer im Gebiet des Corvatschgletschers in Silvaplana. Um ca. 14.30 Uhr fuhr er über den Gletscher hinunter gegen die Bergstation. Auf dem plateauartigen Platz vor der Bergstation befanden sich zwei Gruppen von Skifahrern, die stillstanden und rund 10 Meter voneinander entfernt waren. W. fuhr auf das Plateau und wollte zwischen den beiden Gruppen durchfahren. Dabei kollidierte er mit Frau K., die sich von der einen Personengruppe löste, um zur zweiten, weiter unten befindlichen Gruppe zu fahren. Durch diesen Zusammenstoss erlitt Frau K. einen Knöchelbruch am linken Fuss. Sie hat gegen W. Strafantrag wegen fahrlässiger Körperverletzung gestellt.
B.- a) Der Kreisgerichtsausschuss Oberengadin sprach W. am 6. März 1980 von der Anklage der fahrlässigen Körperverletzung (Art. 125 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 125 - 1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft. |
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1 | Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft. |
2 | Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt. |
BGE 106 IV 350 S. 351
C.- Die Staatsanwaltschaft führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Freispruch sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung und Bestrafung von W. an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.- Der Verteidiger des W. hat sich zur Nichtigkeitsbeschwerde vernehmen lassen. Er beantragt deren Abweisung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. In der Nichtigkeitsbeschwerde und in der Vernehmlassung des Verteidigers werden teilweise tatsächliche Feststellungen der Vorinstanz nicht in vollem Umfange übernommen oder kritisiert. Der Kassationshof ist jedoch an den vom Kantonsgericht festgestellten Sachverhalt gebunden und hat sich nur mit der rechtlichen Subsumtion zu befassen (Art. 269
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 125 - 1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft. |
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1 | Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft. |
2 | Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 125 - 1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft. |
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1 | Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft. |
2 | Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt. |
2. Auszugehen ist daher in diesem Verfahren von folgenden, für den Kassationshof verbindlichen, tatsächlichen Feststellungen. a) W. ist in ungebremster, "sportlicher" Fahrt auf das Plateau unterhalb der Bergstation gefahren. Aufgrund der in der Beurteilung der Geschwindigkeit nicht übereinstimmenden Aussagen der Zeugen kam die Vorinstanz zum Schluss, der Beweis eines nicht angemessenen Tempos sei nicht erbracht. b) Auf dem Plateau befanden sich im Abstand von ungefähr 10 Metern zwei grössere Gruppen von Skifahrern. Es handelt sich bei diesem ebenen Platz um den Vorbereitungsraum, wo sich die mit der Bergbahn ankommenden Skifahrer zur Abfahrt bereit machen. Wieviele Skifahrer sich zur Zeit des Unfalls auf dem Plateau befanden, steht nicht genau fest. Selbst nach der in der Vermehmlassung zitierten tiefsten Schätzung umfassten die beiden Gruppen zusammen mindestens 20 Personen bzw. etwa 20 bis 40 Personen. c) W. wollte nun - immer noch in zügiger Fahrt - den Zwischenraum zwischen den beiden Gruppen zur Durchfahrt benützen, um nachher anzuhalten. d) Frau K. löste sich - in der Fahrtrichtung von W. gesehen - von der linken Personengruppe, ohne sich zuvor zu vergewissern, ob die Passage zur andern Gruppe ohne Gefahr möglich sei.
BGE 106 IV 350 S. 352
e) Es kam zu einer Kollision. Dass der Knöchelbruch von Frau K. die direkte Folge dieser Kollision war, steht ausser Zweifel.
3. Mit der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird die Rechtsfrage zur Entscheidung gestellt, ob die Fahrweise des Beschwerdegegners unter den gegebenen Umständen ein pflichtwidrig unvorsichtiges Verhalten im Sinne von Art. 18 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
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1 | Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
2 | War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. |
BGE 106 IV 350 S. 353
Setzt man diese beiden Regeln in ein praktikables gegenseitiges Verhältnis, so führt dies bei analoger Anwendung des im Strassenverkehr geltenden Vertrauensprinzips (vgl. Art. 26
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
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1 | Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
2 | Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. |
BGE 106 IV 350 S. 354
befindet, nicht darauf vertrauen, dass jeder, der seine Fahrbahn kreuzen will, ihn rechtzeitig bemerkt und ihm dann den Vortritt gewährt. Während man auf einer Piste füglich von einem Vortrittsrecht des von oben mit üblicher Abfahrtsgeschwindigkeit Herankommenden gegenüber dem vom Pistenrand her Einbiegenden sprechen darf, kann dem von der Piste in einen Warte- oder Vorbereitungsraum Einfahrenden kein Vortrittsrecht gegenüber den dort stehenden Skifahrern zuerkannt werden. Erfahrungsgemäss ist auf einem solchen Platz mit Personen zu rechnen, die sich von einer Gruppe unvermittelt lösen. Das muss der von der Piste her Kommende bei seiner Fahrweise berücksichtigen.
4. a) Im vorliegenden Fall steht fest, dass sich die Kollision nicht auf einer klar erkennbaren Fortsetzung der Abfahrtspiste, sondern auf einer zum Vorbereitungsraum gehörenden Fläche ereignete. Im ganzen Verfahren wurde auch nie geltend gemacht, die Verletzte habe eine eigentliche Piste überquert, sondern aus allen Aussagen ergibt sich, dass W. von der Piste her auf ein der Vorbereitung dienendes Gelände fuhr und - wie er selber sagt - dort anhalten wollte. Der ungenauen Bemerkung im angefochtenen Urteil, W. habe sich auf einer "öffentlichen Piste befunden, welche auf dem Plateau endete", lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die Durchfahrt zwischen den beiden Skifahrergruppen durch die klare Linienführung einer Piste bedingt war. Indem W. so schnell auf das Plateau vor der Bergstation fuhr und zur linken Skifahrergruppe einen so geringen Abstand einhielt, dass er einer unvermittelt von dort wegfahrenden Person nicht ausweichen konnte, handelte er nach dem Gesagten pflichtwidrig unvorsichtig. Im Vorbereitungsraum bei der Bergstation musste er auf eine solche unaufmerksame Bewegung eines Skifahrers gefasst sein. Ob für die Kollision eher die Geschwindigkeit oder eher der geringe Abstand kausal war, ist letztlich ohne Belang. Auf jeden Fall hat W. seine Fahrweise insgesamt - wie die Kollision beweist - nicht auf eine solche in der gegebenen Situation keineswegs ungewöhnliche Verschiebung aus einer stillstehenden Gruppe heraus eingestellt, sondern gewissermassen ein Vortrittsrecht vorausgesetzt. Diese aus den festgestellten Tatsachen sich ergebende Schlussfolgerung wird durch die unterschiedliche Beurteilung der
BGE 106 IV 350 S. 355
Geschwindigkeit durch die Zeugen nicht in Frage gestellt.
b) Anders wäre höchstens zu entscheiden, wenn die Kollision sich ausserhalb des Vorbereitungsraumes ereignet hätte und W. auf einer eigentlichen Abfahrtspiste talwärts gefahren wäre. Wie es sich dabei verhält, wenn auf den beiden Seiten einer klar erkennbaren Piste Skifahrergruppen stehen, kann hier aber offen bleiben. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen solche Massierungen am Pistenrand (oder auf der Piste) das erhöhte Risiko von Traversierungen und plötzlichen Einbiegemanövern erkennen lassen und (analog Art. 26 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
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1 | Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
2 | Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. |