Urteilskopf

106 III 18

5. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 8. Januar 1980 i.S. Gemeinde F. (Rekurs)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 18

BGE 106 III 18 S. 18

A.- Die Gemeinde F., vertreten durch die Fürsorgebehörde, leitete gegen R. für eine Forderung von Fr. 10'323.-- nebst Zins und Kosten Betreibung ein. Die Forderung betraf Unterhaltsbeiträge, welche der Schuldner gemäss Scheidungsurteil für zwei Kinder und die geschiedene Ehefrau zu leisten hatte. Am 15. Juni 1979 nahm das zuständige Betreibungsamt beim Schuldner eine Lohnpfändung vor, wobei es von einem monatlichen Einkommen von Fr. 1'742.70 eine Lohnquote von Fr. 515.-- für die Dauer eines Jahres pfändete. Da der Notbedarf des Schuldners auf Fr. 2'018.20 im Monat berechnet wurde, griff die Lohnpfändung in sein Existenzminimum ein. Gestützt auf das Begehren von R. hob das Betreibungsamt die Lohnpfändung mit Verfügung vom 14. September 1979 auf mit der Begründung, der Schuldner verfüge nicht über das Existenzminimum und müsse vom Fürsorgeamt unterstützt
BGE 106 III 18 S. 19

werden; zudem habe seine Ehefrau vor kurzem ein weiteres Kind geboren.
B.- Gegen diese Verfügung erhob die Gemeinde F. bei der unteren kantonalen Aufsichtsbehörde im Betreibungswesen Beschwerde. Sie verlangte die Aufhebung der Verfügung vom 14. September 1979 und die Neuanpassung der Quotenberechnung, falls ein weiteres Kind zu berücksichtigen sei. Die Beschwerde wurde am 22. September 1979 abgewiesen. Die Gläubigerin zog diese Verfügung an die kantonale Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs weiter, welche die Beschwerde mit Entscheid vom 28. November 1979 abwies.
C.- Die Gemeinde F. führt Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts mit den Anträgen, den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde aufzuheben und den ursprünglichen Zustand gemäss der Pfändungsurkunde vom 24./30. Juli 1979 wiederherzustellen, unter Berücksichtigung des dem Schuldner inzwischen geborenen Kindes.
Erwägungen

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

1. Nach Art. 93
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 93 - 1 Erwerbseinkommen jeder Art, Nutzniessungen und ihre Erträge, Leibrenten sowie Unterhaltsbeiträge, Pensionen und Leistungen jeder Art, die einen Erwerbsausfall oder Unterhaltsanspruch abgelten, namentlich Renten und Kapitalabfindungen, die nicht nach Artikel 92 unpfändbar sind, können so weit gepfändet werden, als sie nach dem Ermessen des Betreibungsbeamten für den Schuldner und seine Familie nicht unbedingt notwendig sind.
1    Erwerbseinkommen jeder Art, Nutzniessungen und ihre Erträge, Leibrenten sowie Unterhaltsbeiträge, Pensionen und Leistungen jeder Art, die einen Erwerbsausfall oder Unterhaltsanspruch abgelten, namentlich Renten und Kapitalabfindungen, die nicht nach Artikel 92 unpfändbar sind, können so weit gepfändet werden, als sie nach dem Ermessen des Betreibungsbeamten für den Schuldner und seine Familie nicht unbedingt notwendig sind.
2    Solches Einkommen kann längstens für die Dauer eines Jahres gepfändet werden; die Frist beginnt mit dem Pfändungsvollzug. Nehmen mehrere Gläubiger an der Pfändung teil, so läuft die Frist von der ersten Pfändung an, die auf Begehren eines Gläubigers der betreffenden Gruppe (Art. 110 und 111) vollzogen worden ist.
3    Erhält das Amt während der Dauer einer solchen Pfändung Kenntnis davon, dass sich die für die Bestimmung des pfändbaren Betrages massgebenden Verhältnisse geändert haben, so passt es die Pfändung den neuen Verhältnissen an.
4    Auf Antrag des Schuldners weist das Amt den Arbeitgeber des Schuldners an, während der Dauer der Einkommenspfändung zusätzlich den für die Bezahlung der laufenden Prämien- und Kostenbeteiligungsforderungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erforderlichen Betrag an das Amt zu überweisen, soweit diese Prämien und Kostenbeteiligungen zum Existenzminimum des Schuldners gehören. Das Amt begleicht damit die laufenden Prämien- und Kostenbeteiligungsforderungen direkt beim Versicherer.205
SchKG kann der Lohn des Schuldners nur soweit gepfändet werden, als er für den Schuldner und seine Familie nicht unumgänglich notwendig ist. Die Rechtsprechung lässt indessen zu, dass unter bestimmten Voraussetzungen in den Notbedarf des Schuldners eingegriffen werden darf. Das ist dann der Fall, wenn als betreibende Gläubiger Familienmitglieder des Schuldners auftreten, die ihn für Unterhaltsforderungen aus dem letzten Jahr vor Zustellung des Zahlungsbefehls belangen (BGE 87 III 7). Zu diesen Familiengliedern wird von der Praxis auch die geschiedene Ehefrau des Schuldners gezählt (BGE 63 III 117 und BGE 55 III 155 f.). Ein solcher Eingriff in das Existenzminimum des Betriebenen wird jedoch nur zugelassen, wenn das Einkommen des Gläubigers mit Einschluss der Alimentenforderung zur Deckung seines eigenen Notbedarfs nicht ausreicht (BGE 68 III 106). Dabei ist der Eingriff so zu bemessen, dass sich der Schuldner und der Gläubiger im gleichen Verhältnis einschränken müssen (BGE 105 III 49 und 53 E. 3 mit Hinweisen). Indessen hat die Rechtsprechung bisher am Grundsatz festgehalten, dass das Privileg
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der Unterschreitung des Notbedarfs auf den persönlich betreibenden Unterhaltsgläubiger zu beschränken ist (BGE 63 III 117 f.). Es darf demnach gemäss bisheriger Praxis weder auf Dritte, die sich die Unterhaltsforderung abtreten liessen, wie etwa die Armenbehörde, noch auf andere Ansprüche als Alimentenforderungen ausgedehnt werden (vgl. auch FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, S. 207).
2. Im vorliegenden Fall strebt die Rekurrentin eine Änderung der dargelegten Rechtsprechung an. Sie hat sich die ausstehende Unterhaltsforderung sowohl der geschiedenen Ehefrau als auch der Kinder des Schuldners abtreten lassen und verlangt, dass zugunsten ihres Anspruchs in den Notbedarf des Schuldners eingegriffen werde. In der Rekursschrift weist sie auf die inzwischen eingetretene Änderung des Kindesrechts hin und macht geltend, bei Festhalten an der bisherigen Praxis werde Art. 289 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 289 - 1 Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364
1    Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364
2    Kommt jedoch das Gemeinwesen für den Unterhalt auf, so geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über.
ZGB mehr oder weniger illusorisch. Wenn dem Gemeinwesen bzw. dem Fürsorgeamt, das anstelle des Unterhaltsberechtigten versuche, den Anspruch durchzusetzen, das erwähnte Privileg nicht zukomme, so werde dieses gezwungen, den Berechtigten selber das Verfahren durchführen zu lassen. Damit werde aber die in Art. 289 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 289 - 1 Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364
1    Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364
2    Kommt jedoch das Gemeinwesen für den Unterhalt auf, so geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über.
ZGB zum Ausdruck gebrachte Absicht des Gesetzgebers vereitelt. Nach dieser Bestimmung geht der Unterhaltsanspruch des Kindes mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über, sofern dieses für dessen Unterhalt aufkommt. Diese Vorschrift bezieht sich demnach zum vorneherein nur auf die Alimentenforderung der Kinder, nicht aber auf diejenige der geschiedenen Ehefrau. Selbst wenn dem Standpunkt der Rekurrentin zu folgen wäre, könnte der Rekurs daher nur teilweise gutgeheissen werden. Der Auffassung der Rekurrentin kann jedoch aus folgenden Überlegungen nicht beigepflichtet werden. Wenn Art. 289 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 289 - 1 Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364
1    Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364
2    Kommt jedoch das Gemeinwesen für den Unterhalt auf, so geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über.
ZGB vorsieht, dass der Unterhaltsanspruch des Kindes mit "allen Rechten" auf das Gemeinwesen übergehe, so können damit nicht die Rechte höchstpersönlicher Natur gemeint sein, sondern nur Rechte, die als solche abtretungsfähig und nicht an die Person des Berechtigten gebunden sind, wie dies die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat. Das scheint auch die Ansicht HEGNAUERS zu sein, der zu den Rechten, die im Sinne von Art. 289 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 289 - 1 Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364
1    Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364
2    Kommt jedoch das Gemeinwesen für den Unterhalt auf, so geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über.
ZGB auf das Gemeinwesen übergehen, auch das Recht zählt, die Unterhaltsklage zu erheben
BGE 106 III 18 S. 21

sowie die Abänderung des Unterhaltsbeitrages, Anweisungen an den Schuldner und Sicherstellung zu verlangen (HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, S. 124, Ziff. II). Dabei handelt es sich um Rechte, die ihrer Natur nach ohne weiteres abtretbar sind. Auch wenn diese Aufzählung in Übereinstimmung mit der Vorinstanz nicht als abschliessend zu betrachten ist, so besteht doch kein sachlich vertretbarer Grund, den bloss ausnahmsweise zugelassenen Eingriff in das Existenzminimum des Schuldners auf weitere Fälle auszudehnen, und zwar auch dann nicht, wenn die öffentliche Armenpflege oder eine andere vom kantonalen Recht bezeichnete Inkassostelle in Anwendung von Art. 289 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 289 - 1 Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364
1    Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt.364
2    Kommt jedoch das Gemeinwesen für den Unterhalt auf, so geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über.
ZGB den Unterhaltsanspruch durchzusetzen sucht. Auch in diesem Fall gilt, wie bereits in BGE 63 III 118 ausgeführt wurde, dass der Eingriff in den Notbedarf als privilegium personae am Berechtigten und nicht an der Forderung haftet und damit auch nicht von einem Dritten geltend gemacht werden kann. Daran ändert auch der Einwand der Rekurrentin nichts, dass die öffentliche Fürsorge dadurch gezwungen werde, dem Berechtigten selbst die Eintreibung der Forderung zu überlassen. Die Vorbringen der Rekurrentin vermögen deshalb nicht, die bisherige - einschränkende - Rechtsprechung als unrichtig erscheinen zu lassen. Es ist vielmehr an ihr festzuhalten.
Dispositiv

Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 106 III 18
Date : 08. Januar 1980
Published : 31. Dezember 1981
Source : Bundesgericht
Status : 106 III 18
Subject area : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Subject : Lohnpfändung für Unterhaltsansprüche (Art. 93 SchKG). Dem Gemeinwesen, das sich den Unterhaltsanspruch gestützt auf Art.
Classification : Bestätigung der Rechtsprechung


Legislation register
SchKG: 93
ZGB: 289
BGE-register
105-III-48 • 106-III-18 • 55-III-152 • 63-III-116 • 68-III-105 • 87-III-7
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