Urteilskopf

105 II 39

7. Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Februar 1979 i.S. H. Leuenberger & Söhne gegen Ciulla (staatsrechtliche Beschwerde)
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Erwägungen ab Seite 40

BGE 105 II 39 S. 40

Erwägungen:

1. Die staatsrechtliche Beschwerde der Firma H. Leuenberger & Söhne richtet sich gegen einen Entscheid des Obergerichts des Kantons Solothurn, das am 19. September 1978 eine Nichtigkeitsbeschwerde der Firma gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Olten-Gösgen vom 6. April 1978 abgewiesen hat. Durch dieses Urteil wurde die Firma verpflichtet, dem Kläger Ciulla Fr. 4'124.70 für ausstehende Überstundenzuschläge zu bezahlen. Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Kläger habe vom Juni 1975 bis Januar 1978 das Monatsgehalt entgegengenommen, ohne die nach seiner Meinung geschuldeten Überzeitzuschläge zu fordern; dadurch habe er entgegen der willkürlichen Annahme des Obergerichts einen Anspruch auf Zuschläge verwirkt. Die Unverzichtbarkeit auf Forderungen im Sinne von Art. 341 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 341 - 1 Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten.
1    Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten.
2    Die allgemeinen Vorschriften über die Verjährung sind auf Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis anwendbar.
OR stehe einer Verwirkung des Anspruches durch längeres Zuwarten nicht im Wege. a) Diese Auffassung ist von beiden Vorinstanzen mit der Begründung verworfen worden, Überstundenarbeit sei seit der Revision des Arbeitsvertragsrechtes nach den neuen Bestimmungen des OR sowie nach den Vorschriften des einschlägigen Gesamtarbeitsvertrages (GAV) zu entschädigen. Art. 321c Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 321c - 1 Wird gegenüber dem zeitlichen Umfang der Arbeit, der verabredet oder üblich oder durch Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist, die Leistung von Überstundenarbeit notwendig, so ist der Arbeitnehmer dazu soweit verpflichtet, als er sie zu leisten vermag und sie ihm nach Treu und Glauben zugemutet werden kann.
1    Wird gegenüber dem zeitlichen Umfang der Arbeit, der verabredet oder üblich oder durch Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist, die Leistung von Überstundenarbeit notwendig, so ist der Arbeitnehmer dazu soweit verpflichtet, als er sie zu leisten vermag und sie ihm nach Treu und Glauben zugemutet werden kann.
2    Im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer kann der Arbeitgeber die Überstundenarbeit innert eines angemessenen Zeitraumes durch Freizeit von mindestens gleicher Dauer ausgleichen.
3    Wird die Überstundenarbeit nicht durch Freizeit ausgeglichen und ist nichts anderes schriftlich verabredet oder durch Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt, so hat der Arbeitgeber für die Überstundenarbeit Lohn zu entrichten, der sich nach dem Normallohn samt einem Zuschlag von mindestens einem Viertel bemisst.
OR sehe dafür nebst dem Normallohn einen Zuschlag von mindestens einem Viertel vor. Art. 16.4 des hier anwendbaren GAV der Schweiz. Metallunion stimme damit überein, sei eine unabdingbare Bestimmung gemäss Art. 357 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 357 - 1 Die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages über Abschluss, Inhalt und Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse gelten während der Dauer des Vertrages unmittelbar für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer und können nicht wegbedungen werden, sofern der Gesamtarbeitsvertrag nichts anderes bestimmt.
1    Die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages über Abschluss, Inhalt und Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse gelten während der Dauer des Vertrages unmittelbar für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer und können nicht wegbedungen werden, sofern der Gesamtarbeitsvertrag nichts anderes bestimmt.
2    Abreden zwischen beteiligten Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die gegen die unabdingbaren Bestimmungen verstossen, sind nichtig und werden durch die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages ersetzt; jedoch können abweichende Abreden zugunsten der Arbeitnehmer getroffen werden.
OR, gelte für die ganze Dauer des Arbeitsverhältnisses und begründe daher einen Anspruch im Sinne von Art. 341 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 341 - 1 Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten.
1    Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten.
2    Die allgemeinen Vorschriften über die Verjährung sind auf Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis anwendbar.
OR, auf den der Arbeitnehmer nicht verzichten könne. Ein Verstoss gegen Treu und Glauben liege nicht vor, da der Kläger seit Beginn der Rezession mit ernsthaften Nachteilen rechnen musste, wenn er die Lohnzahlungen beanstandet hätte. Vorher habe die Beschwerdeführerin die Überzeitzuschläge pünktlich bezahlt; sie sei sich ihrer Pflicht aber weiterhin bewusst gewesen, habe folglich mit der nachträglich erhobenen Forderung rechnen müssen.
BGE 105 II 39 S. 41

Die Beschwerdeführerin hält dem BGE 101 II 289 E. 8b entgegen, wo ausgeführt worden ist, dass Streitigkeiten über die wöchentliche Arbeitszeit, die Ruhezeit, Ferientage, Reiseentschädigungen und die Vergütung von Überstunden rasch zu erledigen sind. Allfällige Beanstandungen seien daher bei der Lohnzahlung anzubringen; wenn der Arbeitnehmer zusätzliche Forderungen geltend machen wolle, verlangten Treu und Glauben, dass er dies nach einer kurzen Überlegungszeit tue, da sonst die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gefährdet würde. In jenem Fall ging es nicht um Überstundenarbeit, sondern um Ersatz von Ferien und wöchentlicher Ruhezeit durch Geldleistungen; die Entschädigung für Überstunden wurde nur beiläufig erwähnt, obschon selbst dazu nach der Streitfrage kein Anlass bestand. Der Sachverhalt war zudem nach dem alten Recht zu beurteilen, das keine dem Art. 341 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 341 - 1 Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten.
1    Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten.
2    Die allgemeinen Vorschriften über die Verjährung sind auf Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis anwendbar.
OR entsprechende Regel enthielt; deshalb stellte sich damals denn auch die Frage, ob die Beklagten ihre Ersatzansprüche gemäss Art. 2 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
ZGB dadurch verwirkten, dass sie die Ansprüche erst bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses erhoben. Mit dem Inkrafttreten der in Art. 341 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 341 - 1 Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten.
1    Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten.
2    Die allgemeinen Vorschriften über die Verjährung sind auf Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis anwendbar.
OR enthaltenen Regel ist die rechtliche Stellung des Arbeitnehmers deutlich verstärkt worden. Nach dieser Bestimmung kann der Arbeitnehmer während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht auf Forderungen verzichten, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben. Damit soll den Umständen Rechnung getragen werden, dass der Arbeitnehmer sich in einem gesteigerten Abhängigkeitsverhältnis befindet und häufig der wirtschaftlich schwächere Teil ist, während des Arbeitsverhältnisses unter Druck gesetzt werden oder aus Angst um seine Stelle Hemmungen haben kann, zusätzliche Ansprüche unverzüglich zu erheben. Das leuchtet namentlich in Zeiten wirtschaftlicher Rezession und dann ein, wenn ein Unternehmen, wie hier, mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Aus solchen Gründen schliesst Art. 341 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 341 - 1 Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten.
1    Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten.
2    Die allgemeinen Vorschriften über die Verjährung sind auf Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis anwendbar.
OR nicht nur einen ausdrücklichen, sondern auch einen Verzicht durch konkludentes Verhalten des Arbeitnehmers aus. Der Ausschluss beschränkt sich zudem nicht auf eine blosse Überlegungsfrist; er gilt für die ganze Dauer des Arbeitsverhältnisses und einen Monat nach dessen Beendigung. Hätte der Gesetzgeber bloss an Schlussabrechnungen oder Saldoquittungen
BGE 105 II 39 S. 42

gedacht, die der Arbeitnehmer etwa unterzeichnen muss, wenn er den letzten Lohn ausbezahlt erhält, dann hätte er sich in Art. 341 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 341 - 1 Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten.
1    Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten.
2    Die allgemeinen Vorschriften über die Verjährung sind auf Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis anwendbar.
OR mit dem zusätzlichen Monat begnügen können. b) Es kann deshalb auch nicht der Sinn des Gesetzes sein, dem Arbeitnehmer den erhöhten Schutz, der ihm durch die neue Bestimmung gewährt wird, auf dem Umweg über Art. 2 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
ZGB wieder entziehen zu wollen. Diese Norm setzt die Bestimmungen des Zivilrechts nicht allgemein für bestimmte Arten von Fällen ausser Kraft, sondern weist den Richter nur an, besondern Umständen des einzelnen Falles Rechnung zu tragen (BGE 91 II 9 E. 1e und dort angeführte Urteile). Solche Umstände, welche das Zuwarten des Klägers als missbräuchlich erscheinen liessen, liegen hier nicht vor (vgl. BGE 98 II 144 E. 3 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin muss sich vielmehr entgegenhalten lassen, dass sie die Entschädigung von Überstundenarbeit einstellte, obschon sie sich ihrer Zahlungspflicht bewusst blieb. Es steht ihr daher nicht an, sich auf Treu und Glauben zu berufen, um die Nachlassgläubiger auf Kosten des Klägers besser stellen zu können. Von Willkür des Obergerichts kann schlechterdings nicht die Rede sein. Durch die Umstände unterscheidet der vorliegende Fall sich denn auch deutlich von dem in BGE 101 II 283 ff. veröffentlichten, wo es übrigens um die Abgeltung von Ruhezeit und Ferien durch Geldleistungen ging. Dass im Regest des Entscheides neben den damals noch anwendbaren Bestimmungen in Klammern auch die neuen angeführt worden sind, besagt entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin nicht, das Bundesgericht habe an seiner Auffassung über die Entschädigung von Überstundenarbeit unbekümmert um das neue Recht festgehalten. Es kann daraus nur abgeleitet werden, dass eine Verwirkung von Ferienansprüchen und insbesondere des Rechts auf Übertragung solcher auf das nächste Jahr möglich ist, nicht aber, dass auch Überstundenentschädigungen, die im Entscheid nur beiläufig erwähnt worden sind, der Verwirkung unterliegen.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 105 II 39
Date : 14. Februar 1979
Published : 31. Dezember 1980
Source : Bundesgericht
Status : 105 II 39
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Überstundenarbeit. Art. 321c Abs. 3, 341 Abs. 1 und 357 Abs. 2 OR. Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines


Legislation register
OR: 321c  341  357
ZGB: 2
BGE-register
101-II-283 • 105-II-39 • 91-II-4 • 98-II-138
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