104 V 209
52. Auszug aus dem Urteil vom 4. Dezember 1978 i.S. Stähli gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Bern
Regeste (de):
- Art. 71 und 121 Abs. 1 KUVG, Art. 12
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 12 - Die Behörde stellt den Sachverhalt von Amtes wegen fest und bedient sich nötigenfalls folgender Beweismittel:
a Urkunden; b Auskünfte der Parteien; c Auskünfte oder Zeugnis von Drittpersonen; d Augenschein; e Gutachten von Sachverständigen. SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 13 - 1 Die Parteien sind verpflichtet, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken:
1 Die Parteien sind verpflichtet, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken: a in einem Verfahren, das sie durch ihr Begehren einleiten; b in einem anderen Verfahren, soweit sie darin selbständige Begehren stellen; c soweit ihnen nach einem anderen Bundesgesetz eine weitergehende Auskunfts- oder Offenbarungspflicht obliegt. 1bis Die Mitwirkungspflicht erstreckt sich nicht auf die Herausgabe von Gegenständen und Unterlagen aus dem Verkehr einer Partei mit ihrem Anwalt, wenn dieser nach dem Anwaltsgesetz vom 23. Juni 200034 zur Vertretung vor schweizerischen Gerichten berechtigt ist.35 2 Die Behörde braucht auf Begehren im Sinne von Absatz 1 Buchstabe a oder b nicht einzutreten, wenn die Parteien die notwendige und zumutbare Mitwirkung verweigern. - - Umfang der Pflicht zur Beweisabnahme.
- - Bedeutung der von der SUVA während des Administrativverfahrens eingeholten Gutachten für den Sozialversicherungsprozess.
Regeste (fr):
- Art. 71 et 121 al. 1 LAMA, art. 12 et 13 PA.
- - Etendue du devoir d'admettre des preuves.
- - Importance, pour le procès en matière d'assurance sociale, des expertises aménagées par la Caisse nationale au cours de la procédure administrative.
Regesto (it):
- Art. 71 e 121 cpv. 1 LAMI, art. 12 e 13 PA.
- - Estensione del dovere di assumere prove.
- - Importanza, nel processo in materia d'assicurazione sociale, delle perizie chieste dall'INSAI nel corso della procedura amministrativa.
Sachverhalt ab Seite 209
BGE 104 V 209 S. 209
A.- Walter Stähli ... wurde am 2. März 1975 bei einer Frontalkollision auf der Hauptstrasse Lausanne-Bern in Faoug VD verletzt ... Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), bei der Walter Stähli auch für Nichtbetriebsunfall versichert war, erbrachte die vollen gesetzlichen Leistungen. Mit dem Hinweis, dass unfallfremde, vorbestehende Faktoren vorliegen, kürzte die SUVA ihre Geldleistungen mit Ausnahme der Heilungskosten in ihrer Verfügung vom 4. Mai 1976 im Sinne von Art. 91
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 13 - 1 Die Parteien sind verpflichtet, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken: |
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1 | Die Parteien sind verpflichtet, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken: |
a | in einem Verfahren, das sie durch ihr Begehren einleiten; |
b | in einem anderen Verfahren, soweit sie darin selbständige Begehren stellen; |
c | soweit ihnen nach einem anderen Bundesgesetz eine weitergehende Auskunfts- oder Offenbarungspflicht obliegt. |
1bis | Die Mitwirkungspflicht erstreckt sich nicht auf die Herausgabe von Gegenständen und Unterlagen aus dem Verkehr einer Partei mit ihrem Anwalt, wenn dieser nach dem Anwaltsgesetz vom 23. Juni 200034 zur Vertretung vor schweizerischen Gerichten berechtigt ist.35 |
2 | Die Behörde braucht auf Begehren im Sinne von Absatz 1 Buchstabe a oder b nicht einzutreten, wenn die Parteien die notwendige und zumutbare Mitwirkung verweigern. |
B.- Gegen diese Verfügungen liess Walter Stähli beim Versicherungsgericht des Kantons Bern Beschwerde einreichen und
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beantragen, die SUVA habe ihm die gesetzlichen Leistungen (Heilungskosten, Krankengeld, Invalidenrente) zu erbringen. Er leide nach wie vor an unfallbedingten Beschwerden und sei nicht mehr in der Lage, normal seiner Erwerbstätigkeit nachzugehen. Weil die bei den Akten liegenden Arztberichte sich widersprächen, sei Dr. med. B. als Zeuge einzuvernehmen und eine chirurgisch-neurologische Fachexpertise einzuholen. Mit Zwischenverfügung vom 15. Juni 1977 wies der Präsident der I. Kammer des Versicherungsgerichts die Beweisanträge ab. - In seinem Entscheid vom 22. November 1977 führte das Versicherungsgericht aus, die Berichte des Dr. med. H. seien schlüssig und stimmten mit der Beurteilung des Kreisarztes der SUVA überein. Ein Widerspruch mit der Auffassung des Hausarztes Dr. S. bestehe nicht, weil Dr. S. seinen Patienten selber an den Spezialisten Dr. H. zur Begutachtung überwiesen habe und sich sein objektiver Befund auf eine Nackensperre beschränkt habe, die von Dr. H. manuell gelöst worden sei. Bei Würdigung aller Umstände habe die SUVA ihre Leistungen zu Recht gekürzt und dann eingestellt, so dass die Beschwerde abzuweisen sei.
C.- Walter Stähli lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und sein erstinstanzliches Rechtsbegehren erneuern. Durch die Nichtabnahme der beantragten Beweise habe die Vorinstanz Recht verweigert. Dr. med. H. sei als behandelnder Arzt befangen, seine Berichte über den Erfolg eigener Massnahmen seien zum Beweis untauglich. Im Gegensatz zu Dr. H. erkläre Dr. B., der Walter Stähli seit Mai 1976 behandle, dass es sich bei den Veränderungen an der Halswirbelsäule um typische Spätfolgen von Schleuderverletzungen handle. Nur ein gerichtliches Gutachten könne diesen Widerspruch beseitigen. Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz Rechtsverweigerung vor, weil sie die von ihm beantragten Beweise, d.h. die Zeugeneinvernahme des Dr. med. B. sowie die Einholung eines Obergutachtens, nicht abgenommen habe. a) Der aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
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nur über jene Tatsachen abzunehmen, die für die Entscheidung der Streitsache erheblich sind. Auf ein beantragtes Beweismittel kann verzichtet werden, wenn der Sachverhalt, den eine Partei beweisen will, nicht rechtserheblich ist, wenn bereits Feststehendes bewiesen werden soll, wenn von vorneherein gewiss ist, dass der angebotene Beweis keine Abklärungen herbeizuführen vermag, oder wenn die Behörde den Sachverhalt gestützt auf ihre eigene Sachkenntnis bzw. jene ihrer fachkundigen Beamten zu würdigen vermag (IMBODEN/RHINOW, Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl., Band 1, Nr. 82 B IV, S. 509 ff.; nicht veröffentlichtes Urteil Siegrist vom 5. Juni 1978). An diesem Grundsatz hat sich die Auslegung der entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen über die Beweisabnahme im Einzelfall zu orientieren. b) Gemäss Art. 121 Abs. 1 KUVG haben die Kantone für die Erledigung von SUVA-Streitigkeiten einen möglichst einfachen und raschen Prozessweg vorzusehen und dafür zu sorgen, dass einer bedürftigen Partei auf ihr Verlangen die unentgeltliche Rechtspflege gewährt wird. In diesem Rahmen richtet sich das Verfahren vor den kantonalen Versicherungsgerichten nach kantonalem Recht. Bei der Anwendung des kantonalen Prozessrechts ist aber den bundesrechtlichen Vorschriften und den allgemeinen Grundsätzen des Sozialversicherungsprozesses Rechnung zu tragen. Neben den unter lit. a dargelegten Regeln muss der erstinstanzliche Richter insbesondere die Untersuchungsmaxime beachten (GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, 2. Aufl., S. 61). Die Untersuchungsmaxime verlangt, dass der Sozialversicherungsrichter - unter Vorbehalt der Mitwirkungspflicht der Parteien (vgl. dazu: BGE 97 V 173, nicht veröffentlichte Urteile Robyr vom 31. März 1977 sowie Stöckli vom 18. Mai 1973) - den Sachverhalt von Amtes wegen, also aus eigener Initiative, feststellt. Er hat nach Recht und Billigkeit zu bestimmen, was alles abzuklären ist; er muss für die Beschaffung der notwendigen Beweise sorgen und hernach das Ergebnis des Beweisverfahrens pflichtgemäss würdigen (BGE 96 V 95, BGE 100 V 62 Erw. 4). c) Nach ständiger Rechtsprechung handelt die SUVA nicht als Partei, solange sie in einem konkreten Fall noch nicht Prozesspartei ist, sondern als dem Gesetzesvollzug dienendes Verwaltungsorgan (nicht veröffentlichte Urteile Zwahlen vom 24. Mai 1976 und Hartmann vom 10. Mai 1963). Als autonome
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eidgenössische Anstalt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. c
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 1 - 1 Dieses Gesetz findet Anwendung auf das Verfahren in Verwaltungssachen, die durch Verfügungen von Bundesverwaltungsbehörden in erster Instanz oder auf Beschwerde zu erledigen sind. |
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1 | Dieses Gesetz findet Anwendung auf das Verfahren in Verwaltungssachen, die durch Verfügungen von Bundesverwaltungsbehörden in erster Instanz oder auf Beschwerde zu erledigen sind. |
2 | Als Behörden im Sinne von Absatz 1 gelten: |
a | der Bundesrat, seine Departemente, die Bundeskanzlei und die ihnen unterstellten Dienstabteilungen, Betriebe, Anstalten und anderen Amtsstellen der Bundesverwaltung; |
b | Organe der Bundesversammlung und der eidgenössischen Gerichte für erstinstanzliche Verfügungen und Beschwerdeentscheide nach Beamtengesetz vom 30. Juni 19277; |
c | die autonomen eidgenössischen Anstalten oder Betriebe; |
cbis | das Bundesverwaltungsgericht; |
d | die eidgenössischen Kommissionen; |
e | andere Instanzen oder Organisationen ausserhalb der Bundesverwaltung, soweit sie in Erfüllung ihnen übertragener öffentlich-rechtlicher Aufgaben des Bundes verfügen. |
3 | Auf das Verfahren letzter kantonaler Instanzen, die gestützt auf öffentliches Recht des Bundes nicht endgültig verfügen, finden lediglich Anwendung die Artikel 34-38 und 61 Absätze 2 und 3 über die Eröffnung von Verfügungen und Artikel 55 Absätze 2 und 4 über den Entzug der aufschiebenden Wirkung. Vorbehalten bleibt Artikel 97 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 19469 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung betreffend den Entzug der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden gegen Verfügungen der Ausgleichskassen.10 11 |
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 12 - Die Behörde stellt den Sachverhalt von Amtes wegen fest und bedient sich nötigenfalls folgender Beweismittel: |
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a | Urkunden; |
b | Auskünfte der Parteien; |
c | Auskünfte oder Zeugnis von Drittpersonen; |
d | Augenschein; |
e | Gutachten von Sachverständigen. |