101 Ia 88
17. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. Juni 1975 i.S. X. gegen Generalprokurator und Obergericht des Kantons Bern.
Regeste (de):
- 1. Keine Verletzung des aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- 2. Ob der Beizug eines amtlichen Verteidigers erforderlich ist, hängt weitgehend von den Umständen des Einzelfalles ab, wobei die Schwierigkeiten, die die Strafsache in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht bietet, an den Fähigkeiten, den prozessualen Erfahrungen des Angeklagten und den gerichtlichen Vorkehren zu messen sind (Erw. 3e).
Regeste (fr):
- 1. Le droit d'être entendu tel que le garantit l'art. 4 Cst. n'est pas violé, lorsque le droit de parole est retiré à l'accusé, soit limité dans le temps, parce que ses déclarations sont inutilement prolixes ou manquent de pertinence (consid. 2).
- 2. Savoir si l'assistance d'un défenseur d'office est nécessaire dépend des circonstances du cas particulier. A cet égard, il faudra prendre en considération les difficultés que peut présenter l'affaire, tant du point de vue de l'établissement des faits que de la solution juridique, les capacités de l'accusé, son expérience judiciaire, ainsi que les mesures prises pour l'instruction (consid. 3e).
Regesto (it):
- 1. Il diritto di essere sentito sgorgante dall'art. 4 Cost. non è violato ove il diritto di un imputato di prendere la parola sia revocato o limitato durante un'udienza giudiziaria, per essere le sue dichiarazioni inutilmente prolisse o non pertinenti (consid. 2).
- 2. Dipende in ampia misura dalle circostanze del caso concreto se l'assistenza di un difensore d'ufficio sia necessaria. Si devono considerare all'uopo le difficoltà che presenta la causa tanto sotto il profilo del diritto che dell'accertamento dei fatti, le capacità dell'imputato, la sua esperienza giudiziaria e i provvedimenti da adottare nel corso del procedimento (consid. 3e).
Sachverhalt ab Seite 89
BGE 101 Ia 88 S. 89
A.- Am 17. Dezember 1973 sprach das Strafamtsgericht von Aarberg X. schuldig des wiederholten Diebstahls in dreiundzwanzig Fällen, der Entwendung eines Mofas zum Gebrauch, der Wiederholten Sachbeschädigung, der wiederholten Irreführung der Rechtspflege, des wiederholten Betruges, der Gewalt und Drohung gegen Beamte und der Verletzung des Fernmelderegals und verurteilte ihn zu drei Jahren Zuchthaus, abzüglich 13 Monate Untersuchungshaft.
B.- Gegen dieses Urteil appellierte X. Der Generalprokurator des Kantons Bern schloss sich der Appellation an. Mit Urteil vom 3. September 1974 sprach das Obergericht des Kantons Bern X. in 2 Diebstahlsfällen frei, erhöhte aber die Strafe auf 3 1/2 Jahre Zuchthaus und rechnete lediglich 10 Monate Untersuchungshaft auf die Zuchthausstrafe an.
C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt X. durch den Anwalt seines Vormundes, das Urteil des Obergerichtes aufzuheben, die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen und dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung zu bewilligen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Der Beschwerdeführer rügt, bereits mit der Vorladung zur obergerichtlichen Verhandlung sei die Redezeit auf 20 bis 25 Minuten beschränkt worden. Mehrmals sei er während seiner Verteidigung unterbrochen worden und nach Ablauf der 25 Minuten habe man ihm das Wort entzogen. Zahlreiche Anklagepunkte seien in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umstritten gewesen. Eine Beschränkung der Redezeit sei mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör nicht vereinbar. Mindestens sei im vorliegenden Fall die Redezeit unverhältnismässig beschränkt worden.
Gemäss Art. 322 Abs. 1 StrV ist der Gerichtspräsident befugt,
BGE 101 Ia 88 S. 90
"die Dauer der für die Vorträge eingeräumten Zeit festzusetzen; jede Partei kann hiegegen die Entscheidung des Gerichtes anrufen. Bei Nichteinhaltung der Frist kann das Wort entzogen werden". Das Recht, die Redezeit der Parteien zu beschränken, fliesst aus der richterlichen Prozessleitung. Es ist dem rechtlichen Gehör, der Wahrheitserforschung und der Mitwirkung der Partei an der Rechtsfindung untergeordnet. Die Beschränkung der Redezeit darf die freie und wirksame Verteidigung nicht beeinträchtigen. Lediglich unnötige Weitschweifigkeiten und Ausführungen über Gegenstände, die nicht streitig sind oder nicht zur Sache gehören, dürfen unterbunden werden. In diesem Sinne wird die Prozessleitung auch von der Vorinstanz verstanden, wenn sie in ihrer Vernehmlassung schreibt, es komme vor Obergericht nicht vor, dass einer Partei, die zur Sache plädiere, nach Ablauf der vorgesehenen Redezeit das Wort entzogen werde. Ebenso sei bisher einem begründeten Gesuch um Verlängerung der Redezeit stets entsprochen worden. So gehandhabt verletzt Art. 322 Abs. 1 StrV den in Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 101 Ia 88 S. 91
wiederholt werden müssen, worauf der Beschwerdeführer noch vor Ablauf der Redezeit das Gericht als befangen erklärt und auf weitere Ausführungen verzichtet habe. Der Vorsitzende habe mit dem Schluss der Parteiverhandlungen einige Minuten zugewartet, ohne dass der Beschwerdeführer noch einmal das Wort ergriffen habe. Stimmen auch die beiden Berichte nicht in allen Teilen überein, so geht doch daraus hervor, dass der Beschwerdeführer vom Vorsitzenden aufgefordert wurde, zum Verhandlungsgegenstand zu kommen, was pflichtgemässer Verhandlungsleitung entsprach. Das war ein Rat, der dem Beschwerdeführer helfen konnte, sich wirksam zu verteidigen. Vor allem stimmen Protokoll und Vernehmlassung darin überein, dass der Beschwerdeführer nun auf weitere Ausführungen verzichtete und die ihm zur Verfügung stehende Redezeit nicht ausnützte. An dieser Aussage zu zweifeln, besteht kein Anlass. Bei diesem Sachverhalt ist somit der vom Beschwerdeführer erhobene Vorwurf, an der Gerichtsverhandlung sei ihm das rechtliche Gehör durch Unterbrechung der mündlichen Ausführungen und durch Beschränkung der Redezeit verweigert worden, unbegründet.
3. e) Art. 4
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BGE 101 Ia 88 S. 92
des Beschuldigten und den Veranstaltungen (Beweiserhebungen usw.) zu messen, welche eine Verteidigung erfordern (BGE 68 IV 15 E. 5, BGE 100 Ia 186). Je schwerer die Sanktion ist, welche der Angeklagte gewärtigen muss, umso eher ist die amtliche Verteidigung zu bewilligen (vgl. auch BGE 63 I 209 ff., BGE 100 Ia 187).
Im vorliegenden Falle war der Beschwerdeführer wegen zahlreicher Diebstähle angeschuldigt, die er - wenigstens zum grössten Teil - noch vor Obergericht bestritten hat. Die bezüglichen Akten füllen 15 Dossiers. Nicht jegliche Bestreitung war aussichtslos, hat ihn doch die erste Instanz in 13, das Obergericht in 2 weitern Anklagepunkten freigesprochen. Hinzu kommen Rechtsfragen, die ein Laie nicht ohne weiteres richtig darlegen kann, so diejenige der besonderen Gefährlichkeit des Täters im Sinne des Art. 137 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 137 - 1. Wer sich eine fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird, wenn nicht die besonderen Voraussetzungen der Artikel 138-140 zutreffen, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer sich eine fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird, wenn nicht die besonderen Voraussetzungen der Artikel 138-140 zutreffen, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Hat der Täter die Sache gefunden oder ist sie ihm ohne seinen Willen zugekommen, |