100 Ia 180
26. Urteil vom 13. Februar 1974 i.S. X. gegen Appellationsgericht (Ausschuss) des Kantons Basel-Stadt.
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Aktuelles Interesse an der Beschwerdeführung nach der Hauptverhandlung (Erw. 1).
- Neben dem auf Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Die Untersuchungshaft an sich vermag kein gemäss Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Regeste (fr):
- Art. 4 Cst. et liberté personnelle. Requête en désignation d'un défenseur d'office.
- Y a-t-il encore un intérêt à recourir après les débats principaux? (consid. 1).
- A côté du droit de se défendre fondé sur l'art. 4 Cst., il n y a pas de droit constitutionnel - que l'on puisse faire découler directement de la liberté personnelle - à la désignation d'un défenseur d'office (consid. 4 a).
- La détention préventive ne saurait créer en elle-même le besoin - à protéger en vertu de l'art. 4 Cst. - de faire désigner un défenseur d'office. L'art. 10 al. 3 lettre c du CPP bâlois, qui fait dépendre une telle désignation, également en cas de détention prolongée, d'un besoin concret de protection, ne viole pas le minimum de protection juridique exigé par la Constitution (consid. 4 b).
Regesto (it):
- Art. 4 CF e libertà personale. Istanza di designazione di un difensore d'ufficio.
- Esiste ancora un interesse ricorsuale dopo il pubblico d ibattimento? (consid. 1).
- Accanto al diritto d i difendersi, sgorgante dall'art. 4 CF, non esiste un diritto costituzionale - suscetti bile d'essere fondato direttamente sulla li bertà personale - alla designazione di un difensore d'ufficio (consid. 4 a).
- La detenzione preventiva non comporta, di per se stessa, la necessità, tutelabile ai sensi dell'art. 4 CF, di far designare un difensore d'ufficio. Il § 10 cpv. 3 lett. c del CPP basilese, che subordina tale designazione, anche in caso di detenzione prolungata, ad bisogno concreto di protezione, non viola il minimo di tutela giuridica garantito dalla Costituzione (consid. 4 b).
Sachverhalt ab Seite 181
BGE 100 Ia 180 S. 181
A.- a) Gegen X. wurde im Kanton Basel-Stadt ein Strafverfahren durchgeführt. Im Laufe dieses Verfahrens befand sich X. vom 3. August 1973 bis zur Verhandlung vor Strafgericht am 15. Oktober 1973 wegen Flucht- und Kollusionsgefahr in Haft. b) Am 27. August 1973 stellte Anwalt S. das Gesuch, es sei X. die Offizialverteidigung zu bewilligen und er - S. - sei zum Offizialverteidiger zu bestellen. Diese Eingabe blieb zunächst unbeantwortet. Am 3. Oktober 1973 erneuerte S. sein Begehren um Ernennung zum Offizialverteidiger. Durch Verfügung vom 4. Oktober 1973 wies der zuständige Strafgerichtspräsident das Gesuch ab. c) Am 15. Oktober 1973 nahm S. als Verteidiger an der
BGE 100 Ia 180 S. 182
Gerichtsverhandlung teil. X. wurde zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt (unter Anrechnung der Haft). Staatsanwalt und Verurteilter verzichteten un mittelbar nach der Eröffnung des Urteils auf die Appellation. Vor Strafgericht erneuerte S. das Begehren um Ernennung zum Offizialverteidiger nicht. Am gleichen Tag reichte er jedoch gegen die das Gesuch abweisende Verfügung des Strafgerichtspräsidenten vom 4. Oktober 1973 beim Appellationsgericht Beschwerde ein. d) Der Ausschuss des Appellationsgerichts hat die Beschwerde am 19. November 1973 abgewiesen. Er begründet seinen Entscheid damit, im konkreten, verhältnismässig einfachen Fall habe der Strafgerichtspräsident unter Berücksichtigung der gesamten Umstände annehmen dürfen, es liege kein besonderer Grund im Sinne von § 10 Abs. 3 StPO vor, die angefochtene Ablehnung des Gesuchs um Ernennung zum Offizialverteidiger sei daher nicht zu beanstanden. Auch aus der Bundesverfassung ergebe sich kein über die Basler Strafprozessordnung hinausgehender Anspruch auf Bestellung eines Offizialverteidigers wegen der Untersuchungshaft des Angeschuldigten.
B.- Gegen den Entscheid des Appellationsgerichts reichte X. staatsrechtliche Beschwerde ein mit dem Antrag, S. sei unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zum Offizialverteidiger zu ernennen, eventualiter sei die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen. In der Beschwerdeschrift wird geltend gemacht, der angefochtene Entscheid enthalte in tatsächlicher Hinsicht Feststellungen und in rechtlicher Hinsicht Schlussfolgerungen, welche willkürlich seien. Überdies bedeute die Verweigerung der Offizialverteidigung im vorliegenden Fall eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie der Grundsätze, die eine Beschränkung der persönlichen Freiheit gestatten.
C.- Das Appellationsgericht hat unter Hinweis auf die Motive des angefochtenen Entscheides Abweisung der Beschwerde beantragt und auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Im angefochtenen Entscheid werden zwei Erwägungen gemacht, die jede für sich zu einem Nichteintretensentscheid
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hätten führen müssen, wenn das Appellationsgericht sie für schlüssig erachtet hätte: Die erste dieser Erwägungen bezieht sich darauf, dass die Untersuchungshaft als möglicher Grund einer Offizialverteidigung entfalle, da ja die Untersuchungshaft jetzt nicht mehr bestehe. Die zweite Erwägung lässt sich dahin zusammenfassen, dass das Gesuch um Ernennung zum Offizialverteidiger auch deswegen gegenstandslos geworden sei, weil Rechtsanwalt S. ohne Vorbehalt und ohne vor Gericht das Begehren um Ernennung zum Offizialverteidiger zu erneuern, in dem nun abgeschlossenen Verfahren als Privatverteidiger mitgewirkt habe.
Da das Appellationsgericht - trotz diesen auf ein Nichteintreten hinweisenden Erwägungen - die materielle Frage beurteilte und die angefochtene Verfügung des Strafgerichtspräsidenten als gesetzes- und verfassungskonform schützte, brauchen die beiläufigen Erwägungen über die möglicherweise inzwischen eingetretene Gegenstandslosigkeit des Begehrens weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht überprüft zu werden. Es erübrigt sich somit, hier auf jene Rügen einzutreten, mit denen der Beschwerdeführer geltend macht, das Appellationsgericht habe das Verhalten im Strafverfahren (Eingaben vom 27. August 1973 und 3. Oktober 1973, kein neues Begehren um Ernennung zum Offizialverteidiger in der Hauptverhandlung, Annahme des Strafurteils) willkürlich gewürdigt. Das Bundesgericht prüft die Frage der Legitimation des Beschwerdeführers insbesondere der Aktualität seines Interesses von Amtes wegen. Im vorliegenden Fall hat die Hauptverhandlung schon stattgefunden. An ihr wirkte S. als Privatverteidiger des Beschwerdeführers mit. Es geht im vorliegenden Verfahren also nicht mehr um die Bestellung eines Offizialverteidigers im Hinblick auf ein zu fällendes Urteil, sondern um die mit ihr verbundenen finanziellen Folgen; insoweit besteht nach wie vor ein aktuelles Interesse.
2. Zu prüfen bleibt, ob die vom Appellationsgericht geschützte Verweigerung der Offizialverteidigung eine Verfassungsnorm verletzt. Der Beschwerdeführer begründet die Verfassungswidrigkeit in zweifacher Hinsicht: a) Es sei willkürlich anzunehmen, § 10 Abs. 3 lit. c der Basler StPO (kurz BSStPO) gebe auch bei länger dauernder
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Untersuchungshaft keinen Anspruch auf Bestellung eines Offizialverteidigers (unten Erw. 3). b) Überdies lasse sich bei der Untersuchungshaft von mehr als 30 Tagen aus Art. 4
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3. Die hier allein in Betracht fallende Vorschrift der kantonalen Strafprozessordnung über die Beigabe eines Offizialverteidigers hat folgenden Wortlaut (§ 10 Abs. 3 lit. c BSStPO): "Ist ein Angeschuldigter unvermögend, so wird ihm auf sein Begehren von Amtes wegen ein Advokat als Verteidiger beigegeben, a) ... b) ...
c) sofern es aus besonderen Gründen, insbesondere wegen verwickelter Sach- oder Rechtslage, wegen grosser Tragweite einer Verurteilung oder wegen des geistigen oder körperlichen Zustandes des Angeschuldigten als angemessen erscheint." Das Vorliegen einer der in lit. c beispielsweise angeführten besonderen Voraussetzungen konnte vom Appellationsgericht ohne Willkür verneint werden: Der Angeschuldigte war geständig und die Rechtslage nicht kompliziert. Auch wenn jeder auf einem Strafurteil beruhende Freiheitsentzug für den Verurteilten relativ schwer wiegt, so vermag dies allein nach der zitierten Gesetzesbestimmung noch keinen Anspruch auf Offizialverteidigung zu begründen. Die gegenteilige Ansicht, wonach bei drohenden Freiheitsstrafen regelmässig ein Recht auf Offizialverteidigung bestünde, würde sich nicht mit dem Wortlaut und dem Sinn von § 10 Abs. 3 lit. c BSStPO vertragen; sie würde insbesondere alle darin aufgezählten Voraussetzungen eines solchen Anspruchs weitgehend bedeutungslos machen. Im Verhältnis zu anderen (Zuchthaus) und längeren Freiheitsstrafen war die dem Angeschuldigten drohende Freiheitsstrafe jedoch nicht schwer: insofern war sie nicht "von grosser Tragweite". Dass der körperliche oder geistige Zustand des Angeschuldigten die Offizialverteidigung erfordere, wurde nie geltend gemacht. Der Beschwerdeführer vertritt jedoch die Auffassung, die Generalklausel der "besonderen Gründe" in lit. c sei dahin zu interpretieren, dass bei einer länger dauernden Untersuchungshaft,
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zumindest nach 30 Tagen, stets ein Offizialverteidiger zu ernennen sei. Im Gegensatz zur Regelung in einzelnen kantonalen Prozessordnungen und in Art. 36
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das Vorliegen eines besondern Bedürfnisses nach rechtlichem Beistand zu verneinen. Die Rüge der willkürlichen Anwendung von § 10 StPO ist somit unbegründet.
4. Nach konstanter Praxis gewährleistet Art. 4
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neben der Möglichkeit eines auf diesen Verfassungsartikel. abgestützten Verteidigungsanspruchs allenfalls noch einen direkt aus dem Grundrecht der persönlichen Freiheit abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anspruch auf Beigabe eines Offizialverteidigers. Der Hinweis auf den Grundsatz der Verhältnismässigkeit ist weder in der zitierten Publikation noch in der Beschwerdeschrift näher begründet. Es ist davon auszugehen, dass auch mit diesem Hinweis keine speziellen Argumente geltend gemacht werden, die nicht ohnehin bei der Bestimmung des verfassungsrechtlich garantierten Mindestmasses an Rechtsschutz im Sinne von Art. 4
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BGE 100 Ia 180 S. 188
erfordern kann, und dementsprechend einzelne neuere Strafprozessordnungen diesem Bedürfnis durch Einräumung eines allgemeinen Anspruchs auf Offizialverteidigung bei Untersuchungshaft von einer gewissen Dauer Rechnung tragen, so besteht kein Grund, eine gesetzliche Regelung, welche auch bei länger dauernder Haft die Beigabe eines Offizialverteidigers vom konkreten Schutzbedürfnis abhängig macht, für verfassungswidrig zu erklären. Das von der Verfassung geforderte Mindestmass an Rechtsschutz lässt sich ohne schematisches Obligatorium bei pflichtgemässer Prüfung des Einzelfalles erreichen. Mit der Verweigerung der Offizialverteidigung wird dieses Mindestmass nicht zwangsläufig unterschritten; jedenfalls drängt sich die Offizialverteidigung in dem gegen X. geführten Strafverfahren nicht auf. Weder aus der Beschwerdeschrift noch aus den Strafakten lassen sich Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Verzicht auf den Beizug eines Verteidigers in casu rechtsstaatlich nicht zu verantworten gewesen wäre, und dass bei Fehlen der Mitwirkung eines Anwaltes die Gefahr einer rechtlichen Benachteiligung des Beschwerdeführers bestanden hätte. Schwierige Fragen stellten sich nicht. Überdies ist der Vormund des Beschwerdeführers Jurist. Soweit der Beschwerdeführer nicht selber in der Lage gewesen wäre, in Bezug auf die offenen Fragen der Strafzumessung und der Schadensdeckung seinen Standpunkt angemessen zu vertreten, hätte ihm sein Vormund allenfalls die erforderliche Hilfe leisten können. Bei der Beurteilung der Notwendigkeit einer Offizialverteidigung darf die Tatsache der gesetzlichen Vertretung durch einen juristisch gebildeten Vormund gebührend mitberücksichtigt werden (vgl. BGE 89 I 3 ff.). Zieht man alle Umstände des konkreten Falles in Erwägung, so erscheint die Verweigerung der Offizialverteidigung nicht als Verstoss gegen elementare Rechtsschutzbedürfnisse; das verfassungsrechtlich gewährleistete Mindestmass an Rechtsschutz wurde durch die angefochtene Entscheidung nicht tangiert.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.