101 Ia 443
72. Urteil vom 19. November 1975 i.S. Schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste und Mitbeteiligte gegen Landrat des Kantons Basel-Landschaft
Regeste (de):
- Beamtenrecht; Änderung der Ausrichtung von Teuerungszulagen
- Schutz der Besoldungsansprüche der Beamten gegenüber Massnahmen des Gesetzgebers (E. 2a und b) (Bestätigung der Rechtsprechung). Bedeutung der Eigentumsgarantie (E. 2c). Begründung wohlerworbener Rechte durch gesetzliche oder individuelle Zusicherungen (E. 3). Schutz durch Grundsätze aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Regeste (fr):
- Statut des fonctionnaires; modification du système d'allocations de renchérissement
- Protection du droit des fonctionnaires au traitement contre les mesures prises par le législateur (consid. 2a et b) (confirmation de la jurisprudence). Portée de la garantie de la propriété (consid. 2c). Constitution de droits acquis en raison d'assurances résultant de la loi ou données à titre individuel (consid. 3). Protection découlant des principes tirés de l'art. 4 Cst. (consid. 4).
Regesto (it):
- Diritto dei funzionari; modifica del sistema d'indennità di rincaro
- Tutela del diritto dei funzionari allo stipendio contro provvedimenti adottati dal legislatore (consid. 2a, b) (conferma della giurisprudenza). Portata della garanzia della proprietà (consid. 2c). Diritti acquisiti, sorti in base ad assicurazioni risultanti dalla legge o fornite a titolo individuale (consid. 3). Tutela fondata sui principi sgorganti dall'art. 4 Cost. (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 444
BGE 101 Ia 443 S. 444
Nach § 26 Abs. 3 des basellandschaftlichen Besoldungsgesetzes vom 14. November 1944/21. Oktober 1957 ist der Landrat gehalten, "die Besoldungen, Zulagen und Renten den Kosten der Lebenshaltung anzupassen". Mit Beschluss vom 16. Dezember 1974, in Kraft getreten am 1. Januar 1975, änderte der Landrat einen entsprechenden Beschluss vom 15. Juni 1972 ab und regelte u.a. die Ausrichtung der Teuerungszulagen neu. Mit der Änderung fällt die bisherige Nachzahlung zur Erreichung des sogenannten vollen Teuerungsausgleiches weg. Vom Januar bis Ende eines Jahres erhält der Staatsangestellte eine Teuerungszulage, die dem Stand des Indexes im Dezember des Vorjahres entspricht. Steigt die Teuerung bis zum 1. Juli an, erhält er für diesen Anstieg keinen Ausgleich. Ab 1. Juli erhält er dann eine Teuerungszulage, die dem Teuerungsstand im Juni entspricht - und zwar wiederum unverändert sechs Monate lang. Nach den Berechnungen des Regierungsrates sollen so für 1975 etwa 1,5 bis 2 Millionen Franken an Ausgaben für Besoldungen eingespart werden. Der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) und zehn seiner Mitglieder fechten den Beschluss vom 16. Dezember 1974 mit staatsrechtlicher Beschwerde gestützt auf Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
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BGE 101 Ia 443 S. 445
des automatischen Teuerungsausgleiches beschlossen werde. Es sei zudem willkürlich, die Teuerungszulage nur alle sechs Monate den Lebenshaltungskosten anzupassen, da dies gegen § 26 Abs. 3 des Besoldungsgesetzes verstosse.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ...(Formelles)
2. Die Beschwerdeführer behaupten, nach anerkannter Lehre und Rechtsprechung seien Besoldungsansprüche der Beamten, die ihnen auf Grund einer einmal getroffenen gesetzlichen Regelung zustehen, während ihrer Amtsdauer unentziehbar. Sie seien wohlerworbene Rechte, die von der verfassungsmässigen Garantie des - Eigentums gedeckt würden und zwar auch gegenüber dem Gesetzgeber. In der Tat vertritt IMBODEN (Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 3. A. Nr. 341 III) die Auffassung, die Besoldungsansprüche des Beamten seien für die Amtszeit, auf die der Bedienstete gewählt sei, unentziehbar; eine Kürzung der Ansprüche sei nur zulässig, wenn dies durch einen schon bei der Anstellung geltenden Rechtssatz oder durch eine in die Anstellungsverfügung aufgenommene Klausel vorbehalten worden sei. In diesem Sinne hat auch das Verwaltungsgericht des Kantons Baselland entschieden (Urteil vom 27. Juni 1974 i.S. Gisin, E. 6 mit Hinweis auf frühere Urteile). Schliesslich hat der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft in seinem Ratschlag an den Landrat selbst durchblicken lassen, sein Antrag könnte wohlerworbene Rechte verletzen.
a) Diese Meinung entspricht jedoch weder allgemein anerkannter Lehre noch der ständigen Rechtsprechung, insbesondere nicht jener des Bundesgerichts. Dieses hat wiederholt festgehalten, dass das Dienstverhältnis durch die jeweilige Gesetzgebung beherrscht wird und somit, auch was seine vermögensrechtliche Seite angeht, die Entwicklung mitmacht, welche die Gesetzgebung erfährt. Dem kantonalen Gesetzgeber steht es frei, durch Gesetzesänderung in die finanziellen Ansprüche des Beamten einzugreifen, weshalb diesen der Charakter von wohlerworbenen Rechten in der Regel nicht zukommt. Das Bundesgericht hat sich dabei nicht veranlasst gesehen, zwischen Besoldungs- und Pensionsansprüchen zu unterscheiden. In beiden Fällen entstehen unentziehbare Rechte des Beamten
BGE 101 Ia 443 S. 446
nur dann, wenn das Gesetz einzelne Beziehungen ein für alle Mal festlegt und von den Einwirkungen der gesetzlichen Entwicklung ausnimmt - etwa die finanziellen Ansprüche ihrem Betrage nach als unabänderlich erklärt - oder wenn bestimmte, mit einem einzelnen Anstellungsverhältnis verbundene Zusicherungen abgegeben werden (BGE 70 I 22 E. 3b; siehe auch BGE 100 Ia 318 E. 5 und 324 E. 2, BGE 93 I 665, BGE 83 I 65 E. 2, BGE 77 I 144 E. 2, BGE 74 I 470 E. 3b, BGE 67 I 187 E. 5 und 6). Die Verletzung dieser wohlerworbenen Rechte wurde früher vorwiegend als Verletzung der Eigentumsgarantie und dann auch der Rechtsgleichheit im allgemeinen behandelt (vgl. BGE 77 I 144 und BGE 70 I 23), während heute vor allem der Schutz von Treu und Glauben der Beamten im Vordergrund steht (GRISEL, Droit administratif suisse, S. 256; SALADIN, Verwaltungsprozessrecht und materielles Verwaltungsrecht, in: Die bundesgerichtlichen Rechtsmittelverfahren, S. 339 f. N. 83; siehe auch E. 2d).
Darüber hinaus werden alle vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten gegenüber Massnahmen des Gesetzgebers durch Art. 4
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BGE 101 Ia 443 S. 447
wäre, sich im öffentlichen Interesse veränderten Verhältnissen anzupassen und etwa die Besoldungsausgaben mit seinen finanziellen Leistungsmöglichkeiten in Einklang zu bringen (vgl. auch SALADIN, a.a.O., S. 339). Inwieweit eine Schranke für Gesetzesänderungen besteht, indem nach geltendem Recht bereits verdiente Ansprüche nicht nachträglich gekürzt werden dürfen, braucht hier nicht entschieden zu werden, da die vom Landrat beschlossene Neuregelung nicht zurückwirkt. c) Gegen die bundesgerichtliche Auffassung vermag auch die Berufung auf die Eigentumsgarantie nicht durchzudringen. § 9 Abs. 1 der basellandschaftlichen Verfassung lautet: "Der Staat schützt wohlerworbene Privatrechte. Wenn das Gemeinwohl die Abtretung von Grundeigentum und anderen dinglichen Rechten erfordert, so soll diese nur gegen vorherige vollständige Entschädigungerfolgen." Wie die Bestimmung zeigt, wurde vor allem an den Schutz des Grundeigentums gegen Entzug durch die öffentliche Gewalt gedacht. Art. 22ter
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 641 - 1 Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen. |
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1 | Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen. |
2 | Er hat das Recht, sie von jedem, der sie ihm vorenthält, herauszuverlangen und jede ungerechtfertigte Einwirkung abzuwehren. |
BGE 101 Ia 443 S. 448
Inhalts der von ihr geschützten Rechte zu verhindern und insbesondere die beamtenrechtlichen Ansprüche zu wohlerworbenen Rechten zu machen. Gesetzesänderungen dürfen einzig das "Eigentum" als fundamentales Rechtsinstitut nicht aufheben oder aushöhlen (BGE 96 I 558 E. 3, mit Hinweisen).
3. Es ist demnach vorerst zu prüfen, ob die Beschwerdeführer aufgrund bestimmter gesetzlicher oder individueller Zusicherungen einen unentziehbaren Anspruch auf Auszahlung der fraglichen Nachteuerungszulagen zumindest während ihrer Amtszeit erworben haben. a) Keiner der Beschwerdeführer behauptet, es seien ihm bei der Anstellung oder Wiederwahl besondere Zusicherungen hinsichtlich seiner Nachteuerungszulage gegeben worden. Nach § 6 des Besoldungsgesetzes werden die Beamten durch Wahl bestellt; dabei handelt es sich nach heute herrschender Auffassung um einen einseitigen behördlichen Akt, dessen Folgen - soweit nicht besondere Klauseln bestehen - durch Gesetz oder Verordnung allgemein bestimmt werden. b) Auch der Landratsbeschluss von 1972 hat den Beamten keine ausdrückliche Garantie für die unveränderte Fortdauer der von ihm geregelten Berechnungsart der Teuerungszulagen gegeben. Der Umstand, dass darüber überhaupt eine Regelung getroffen worden ist, lässt nicht schon auf ein Versprechen der Unabänderbarkeit während der Amtsdauer schliessen. Ein solches Versprechen könnte vielleicht aus § 13 Abs. 2 lit. d des Beschlusses von 1972 herausgelesen werden, wonach die Teuerungszulage herabgesetzt wird, wenn die Veränderung des Indexes zwei volle Punkte ausmacht. Aber auch darin liegt keine eigentliche Zusicherung der Unabänderbarkeit, soweit die genannte Bedingung nicht eintritt; denn der neue Beschluss hat gar keine Herabsetzung der bisher gewährten Teuerungszulagen zur Folge, sondern verlangsamt nur deren weitere Erhöhung Die Beschwerdeführer haben sich denn auch auf diese Bestimmung des Landratsbeschlusses gar nicht berufen. Ein wohlerworbenes Recht auf Fortdauer der Besoldungsordnung von 1972 und damit auf eine weitere Auszahlung der Nachteuerungszulagen besteht demnach nicht.
4. Es bleibt die Frage, ob durch den Landratsbeschluss von 1974 die Ansprüche der Beschwerdeführer in einer Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 101 Ia 443 S. 449
a) Wie in E. 2a ausgeführt, dürfen nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die bisherigen Ansprüche der Beamten vor allem nicht unsachlich und einseitig belastend gekürzt werden. Nun sind aber die Gründe finanzpolitischer Natur, die den Landrat zur Änderung der Teuerungszulagenordnung bewogen haben, keineswegs unsachlicher Natur (vgl. BGE 70 I 23 und SALADIN, a.a.O., S. 339), und die Rechtsgleichheit kann ebensowenig verletzt sein, da die Kürzung alle Beamten und Beamtengruppen in gleicher Weise trifft. b) Nach Auffassung der Beschwerdeführer verstösst die angefochtene Neuregelung gegen Art. 4
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BGE 101 Ia 443 S. 450
habe der Landrat seine Pflicht zur Anpassung der Besoldungen an die Lebenshaltungskosten in willkürlicher Weise verletzt. Stiegen in Zukunft die Lebenshaltungskosten aber derart stark und schnell an, dass die Neuregelung zu ganz erheblichen Einbussen bei der Anpassung der Besoldungen führte, so wäre freilich die Regelung auf ihre Übereinstimmung mit § 26 Abs. 3 des Besoldungsgesetzes neu zu überprüfen. c) Die Beschwerdeführer behaupten schliesslich, die Aufhebung der Nachteuerungszulage verstosse an sich schon gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, weil sie sich in guten Treuen hätten darauf verlassen dürfen, dass die Besoldungsordnung nicht vor Ablauf der Amtsdauer abgeändert werde. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann der Grundsatz von Treu und Glauben gegenüber Gesetzesänderungen jedoch nicht angerufen werden (BGE 101 Ib 197 E. 3d, BGE 100 Ib 298, BGE 99 Ib 102). Die Gesetzesänderungen dürfen lediglich keine wohlerworbenen Rechte verletzen oder willkürlich sein. Diese beiden Bedingungen treffen nach dem Ausgeführten im vorliegenden Fall aber nicht zu.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.