Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas

Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts

Prozess
{T 7}
I 38/04

Urteil vom 30. April 2004
IV. Kammer

Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Jancar

Parteien
W.________, 1948, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Prof. Dr. Jürg Brühwiler, Centralstrasse 4, 2540 Grenchen,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin

Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 4. Dezember 2003)

Sachverhalt:
A.
Der 1948 geborene W.________ ist gelernter Feinmechaniker und war seit 1982 als Werkzeugmacher bei der Firma X.________ SA angestellt. Am 18. Januar 1998 erlitt er bei einem Sturz während des Skifahrens eine Schulterluxation rechts. Gleichentags erfolgte eine Reposition der Schulter. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld). In der Folge entwickelte sich eine Schultersteife rechts. Am 29. April 1998 wurde der Versicherte operiert (Arthroskopie, subacromiales Debridement und Mobilisation der Schulter rechts). Bis 15. Juni 1998 war er voll arbeitsunfähig. Ab 16. Juni 1998 nahm er die angestammte Arbeit wieder auf, wobei die Arbeitsfähigkeit nur 50 % betrug. Am 17. Juni 1999 meldete sich der Versicherte bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Seit Ende März 2000 wird er im Betrieb an einem Schonarbeitsplatz eingesetzt; seine Aufgabe besteht darin, Uhrenteile zu sortieren und zu messen. Zur Abklärung der Verhältnisse zog die IV-Stelle diverse Arztberichte sowie Gutachten des PD Dr. med. E.________, Chefarzt-Stellvertreter, Klinik und Poliklinik für Orthopädische Chirurgie, Spital Y.________, vom 1. November 2001 (erstellt zuhanden der SUVA)
sowie eine Expertise des Psychiaters Dr. med. H.________ vom Juni 2002 bei. Zudem führte sie berufliche Abklärungen durch.
Mit Verfügung vom 14. März 2002, bestätigt durch Einspracheentscheid vom 31. Juli 2002 und Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 4. Dezember 2003, sprach die SUVA dem Versicherten ab 1. April 2002 eine Invalidenrente bei einer Erwerbsunfähigkeit von 37 % zu. Diese Sache ist Gegenstand des beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängigen Verfahrens U 24/04.
Mit Verfügung vom 9. Oktober 2002 lehnte die IV-Stelle den Anspruch des Versicherten auf eine Invalidenrente ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die angestammte Arbeit könne er nicht mehr ausüben. Zumutbar sei ihm ganztags eine angepasste Erwerbstätigkeit, womit er ein Einkommen von Fr. 47'788.- erzielen könne. Verglichen mit dem ohne Behinderung erzielbaren Einkommen von Fr. 75'595.- resultiere ein Invaliditätsgrad von 37 %.
B.
Hiegegen erhob der Versicherte beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern Beschwerde und beantragte die Zusprechung mindestens einer halben Invalidenrente ab 1. April 2002. Weiter verlangte er die Sistierung des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des SUVA-Verfahrens. Am 14. November 2002 wies das kantonale Gericht den Sistierungsantrag ab. Am 6. Dezember 2002 reichte der Versicherte einen Bericht des Orthopäden Dr. med. L.________ vom 13. November 2002 ein. Am 14. November 2003 verlangte der Versicherte die Sistierung des Verfahrens bis Ende Dezember 2003, da er sich einer Arthro-MRI-Untersuchung zur Abklärung der Frage unterziehen werde, ob eine residuelle posttraumatische frozen shoulder vorliege. Am 19. November 2002 wies das kantonale Gericht diesen Antrag und mit Entscheid vom 4. Dezember 2003 die Beschwerde ab.
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei ihm ab 1. April 2002 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sei die Sache zur neuen Beurteilung und Entscheidung an die IV-Stelle zurückzuweisen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Am 17. März 2004 reicht der Versicherte einen Attest der Frau Dr. med. S.________, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 5. März 2004 ein.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und die Grundsätze über den Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 4 Invalidität - 1 Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
1    Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
2    Die Invalidität gilt als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat.48
IVG), die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 28 Grundsatz - 1 Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, die:
1    Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, die:
a  ihre Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder herstellen, erhalten oder verbessern können;
b  während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 Prozent arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG206) gewesen sind; und
c  nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 Prozent invalid (Art. 8 ATSG) sind.
1bis    Eine Rente nach Absatz 1 wird nicht zugesprochen, solange die Möglichkeiten zur Eingliederung im Sinne von Artikel 8 Absätze 1bis und 1ter nicht ausgeschöpft sind.207
2    ...208
und 1bis
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 28 Grundsatz - 1 Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, die:
1    Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, die:
a  ihre Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder herstellen, erhalten oder verbessern können;
b  während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 Prozent arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG206) gewesen sind; und
c  nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 Prozent invalid (Art. 8 ATSG) sind.
1bis    Eine Rente nach Absatz 1 wird nicht zugesprochen, solange die Möglichkeiten zur Eingliederung im Sinne von Artikel 8 Absätze 1bis und 1ter nicht ausgeschöpft sind.207
2    ...208
IVG), die Invaliditätsbemessung bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 28 Grundsatz - 1 Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, die:
1    Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, die:
a  ihre Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder herstellen, erhalten oder verbessern können;
b  während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 Prozent arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG206) gewesen sind; und
c  nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 Prozent invalid (Art. 8 ATSG) sind.
1bis    Eine Rente nach Absatz 1 wird nicht zugesprochen, solange die Möglichkeiten zur Eingliederung im Sinne von Artikel 8 Absätze 1bis und 1ter nicht ausgeschöpft sind.207
2    ...208
IVG; BGE 128 V 30 Erw. 1), die Ermittlung des ohne Invalidität erzielbaren Einkommens (Valideneinkommen; BGE 129 V 224 Erw. 4.3.1), die Bestimmung des trotz Gesundheitsschädigung zumutbarerweise noch erzielbaren Einkommens (Invalideneinkommen) nach Tabellenlöhnen (BGE 126 V 75 ff.; AHI 2002 S. 62 ff.) sowie den Beweiswert eines Arztberichts (BGE 125 V 352 Erw. 3a und 353 Erw. 3b; AHI 2001 S. 113 Erw. 3a und S. 114 Erw. 3b/cc) richtig dargelegt. Beizupflichten ist im Weiteren den Erwägungen der Vorinstanz, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar ist (BGE 129 V 4 Erw. 1.2). Darauf wird verwiesen.
Zu ergänzen ist, dass unter gewissen Umständen auch somatoforme Schmerzstörungen eine Arbeitsunfähigkeit verursachen können. Sie fallen unter die Kategorie der psychischen Leiden (zu deren invalidisierenden Charakter generell BGE 102 V 165; AHI 2001 S. 228 Erw. 2b mit Hinweisen; siehe auch BGE 127 V 298 ff. Erw. 4c und 5), für die grundsätzlich ein psychiatrisches Gutachten erforderlich ist, wenn es darum geht, über das Ausmass der durch sie bewirkten Arbeitsunfähigkeit zu befinden (AHI 2000 S. 159 Erw. 4b mit Hinweisen; Urteile R. vom 2. Dezember 2002 [I 53/02] Erw. 2.2, L. vom 6. Mai 2002 [I 275/01] Erw. 3a/bb und b und Q. vom 8. August 2002 [I 783/01] Erw. 3a). In Anbetracht der sich mit Bezug auf Schmerzen naturgemäss ergebenden Beweisschwierigkeiten genügen mithin die subjektiven Schmerzangaben der versicherten Person für die Begründung einer (teilweisen) Invalidität allein nicht; vielmehr muss im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Leistungsprüfung verlangt werden, dass die Schmerzangaben durch damit korrelierende, fachärztlich schlüssig feststellbare Befunde hinreichend erklärbar sind, andernfalls sich eine rechtsgleiche Beurteilung der Rentenansprüche nicht gewährleisten liesse (zur Publikation in der Amtlichen
Sammlung vorgesehenes Urteil N. vom 12. März 2004 Erw. 2.2.2, I 683/03).
Die am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderungen des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 21. März 2003 und der Verordnung über die Invalidenversicherung vom 21. Mai 2003 sind nicht anwendbar (BGE 129 V 4 Erw. 1.2).
2.
In somatischer Hinsicht stützten sich IV-Stelle und Vorinstanz auf das orthopädische Gutachten des PD Dr. med. E.________ vom 1. November 2001, wonach der Versicherte an einem Schulterschmerzsyndrom rechts bei Status nach Erstluxation im Januar 1998 und Entwicklung einer posttraumatischen Schultersteife leidet. Seine Arbeitsfähigkeit in der aktuellen Tätigkeit des Sortierens und Messens von Uhrenteilen sei zeitlich nicht eingeschränkt. Hiegegen werden in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde keine Einwendungen mehr erhoben, weshalb darauf abgestellt werden kann.
3.
3.1 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden demgegenüber psychische Beschwerden, welche die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigten, geltend gemacht. Diesbezüglich wird ausgeführt, das von der Beschwerdegegnerin in Auftrag gegebene Gutachten des Psychiaters Dr. med. H.________ vom Juni 2002 sei nicht beweiskräftig. Es beruhe nicht auf umfassenden Untersuchungen und berücksichtige nicht die vom Beschwerdeführer geklagten Schmerzen in der Schulter und im Arm. Es gebe über weite Strecken die Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau verharmlosend und unrichtig wieder. Es sei vielmehr auf den Bericht der Psychiaterin Dr. med. S.________ vom 5. März 2004 abzustellen.
3.2 Dr. med. H.________ kam in seiner Expertise zum Schluss, dass ein weitgehend unauffälliger psychischer und psychosomatischer Gesundheitszustand vorliege. Allenfalls lägen leichte depressive Reaktionen (ICD-10: F43.20) vor. Es bestehe keine psychiatrische oder psychosomatisch verursachte verminderte Leistungsfähigkeit. Die Arbeitsfähigkeit in der bisherigen Tätigkeit sei nicht eingeschränkt. Der Versicherte könne auch eine andere, vorzugsweise leichtere Arbeit weitgehend voll ausüben.
Es fällt auf, dass die Einwendungen gegen dieses Gutachten erst im Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht erhoben werden. Sowohl im Verfahren vor der IV-Stelle als auch im Parallelprozess gegen die SUVA hatte der Beschwerdeführer Gelegenheit, zum vorgelegten Gutachten Stellung zu beziehen. Er hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht und sich in beiden Prozessen vor dem kantonalen Gericht primär auf somatische Beschwerden berufen. Soweit nunmehr geltend gemacht wird, die Expertise von Dr. med. H.________ gebe die Äusserungen des Beschwerdeführers unrichtig wieder, kann dem nicht gefolgt werden, ist doch anzunehmen, dass dieser Einwand bereits früher erhoben worden wäre, wenn er zuträfe.
3.3 Das Gutachten erfüllt im Übrigen die rechtsprechungsgemäss an einen ärztlichen Bericht gestellten Anforderungen. Insbesondere setzt es sich mit den vom Beschwerdeführer geklagten psychischen Beschwerden auseinander und nimmt eine umfassende Beurteilung vor (BGE 125 V 352 Erw. 3a).
3.4 Schliesslich steht das Gutachten auch nicht im Widerspruch zum Bericht von Frau Dr. med. S.________ vom 5. März 2004. Hierin wird festgehalten, die Situation habe sich gegenüber derjenigen im Mai 2002, als das Gutachten verfasst worden sei, verschlechtert. Die im Gutachten von Dr. med. H.________ erwähnte Freude des Versicherten an der Vogelhaltung und an seiner Arbeitstätigkeit seien nicht mehr vorhanden. Von Arbeitsfreude wolle er lieber gar nicht reden. Der Versicherte erzähle von einer grossen Traurigkeit, von seiner Hoffnungslosigkeit in Bezug auf sein Restleben. Es habe eine depressive Entwicklung stattgefunden. Die Arbeitsunfähigkeit betrage mindestens 50 %. Zum heutigen Zeitpunkt sei der Explorand mit seinem psychischen Status eindeutig anders zu definieren, als im Gutachten vom Juni 2002.
Mithin wird das Gutachten des Dr. med. H.________ auch durch den Arztbericht von Frau Dr. med. S.________ nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr bestätigt. Ob seit der Begutachtung eine Verschlechterung des psychischen Zustandes stattgefunden hat, ist nicht näher zu prüfen, ist doch auf den Zeitpunkt der streitigen Verfügung (9. Oktober 2002), welcher das Gutachten von Dr. med. H.________ zu Grunde liegt, abzustellen.
3.5 Nach dem Gesagten ist auf Beweisergänzungen in medizinischer Hinsicht zu verzichten, da der rechtserhebliche Sachverhalt hinreichend erstellt ist und von weiteren Abklärungen keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b; SVR 2 IV Nr. 10 S. 28 Erw. 4b).
In masslicher Hinsicht ist der von Verwaltung und Vorinstanz vorgenommene Einkommensvergleich, der zu einem Invaliditätsgrad von 37 % führt, unbestritten und nicht zu beanstanden.
Damit ist die vorinstanzlich bestätigte Verfügung vom 9. Oktober 2002, mit welcher der Anspruch auf eine Invalidenrente abgelehnt wurde, rechtens.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 30. April 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
Decision information   •   DEFRITEN
Document : I_38/04
Date : 30. April 2004
Published : 18. Mai 2004
Source : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Invalidenversicherung
Subject : -


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