Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
4A 296/2015
Urteil vom 27. November 2015
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
Bundesrichterin Klett,
Bundesrichter Kolly,
Bundesrichterin Hohl,
Bundesrichterin Niquille,
Gerichtsschreiber Hurni.
Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Oliver Blum,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Lustenberger,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Richterliche Einberufung einer Generalversammlung,
Beschwerde gegen das Urteil des Handelsgerichts
des Kantons Zürich vom 27. Mai 2015.
Sachverhalt:
A.
Die A.________ AG (Gesuchsgegnerin und Beschwerdeführerin) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in U.________. Ihr Aktienkapital beträgt Fr. 100'000.-- und ist aufgeteilt in 10'000 Namenaktien zu Fr. 10.--. C.________ ist der einzige Verwaltungsrat der Gesellschaft.
B.________ (Gesuchsteller und Beschwerdegegner) hält 50 % der Aktien der A.________ AG. Mit Schreiben seines Rechtsvertreters vom 1. Oktober 2014 und 28. Oktober 2014 sowie - unter Angabe von Traktanden und Beschlussanträgen - mit Schreiben vom 25. November 2014 ersuchte er den Verwaltungsrat der A.________ AG um Einberufung einer ordentlichen Generalversammlung für das Geschäftsjahr 2013. Diesem Ersuchen wurde nicht entsprochen.
B.
Mit Gesuch vom 5. März 2015 stellte B.________ dem Handelsgericht des Kantons Zürich folgende Rechtsbegehren:
"1. Die Klage [recte: Gesuch] sei gutzuheissen und für die Beklagte [recte: Gesuchsgegnerin] eine Generalversammlung einzuberufen mit folgenden Traktanden und Beschlussanträgen:
(1) Genehmigung des Protokolls der ordentlichen Generalversammlung vom 28. Oktober 2013
Antrag: Nichtgenehmigung.
(2) Genehmigung des Jahresberichts der Verwaltung
Antrag: Genehmigung (sofern der Jahresbericht gesetzes- und statutenkonform ist)
(3) Genehmigung der Jahresrechnung 2013 und des Revisionsberichts
Antrag: Genehmigung (sofern die Jahresrechnung gesetzes- und statutenkonform ist)
(4) Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinnes
Antrag: Ausschüttung des gesamten verfügbaren Bilanzgewinnes und aus hierfür gebildeten Reserven als Dividende, wobei der auf B._______ entfallende Anteil der Dividende mit dessen Schulden gegenüber der Gesellschaft verrechnet wird.
(5) Entlastung des Verwaltungsrates
Antrag: Keine Entlastung des Verwaltungsrates
(6) Wahl des Verwaltungsrates
Antrag: Wiederwahl von C.________
(7) Wahl der Revisionsstelle
Antrag: Wiederwahl von D.________ AG
(8) Auskunft gestützt auf Art. 697

Antrag: Der Verwaltungsrat soll Auskunft über die nachfolgenden Punkte erteilen:
a) über die Höhe der im Zusammenhang mit dem laufenden Prozess in Frankfurt gegen B.________ entstandenen Anwalts- und Gerichtskosten;
b) über die Höhe der im Zusammenhang mit dem Massnahmeverfahren betreffend die E-Mails von C.________ vom Mai 2014 vor dem Bezirksgericht Zürich von der Gesellschaft bezahlten Anwalts- und Gerichtskosten;
c) über die Höhe von weiteren im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit B.________ von der Gesellschaft bezahlten und allenfalls noch geschuldeten Anwaltskosten;
d) über die Anstellungsdauer und die finanziellen Anstellungsbedingungen von E.________ bei der Gesellschaft;
e) über die im Geschäftsjahr 2013 bis zum Datum der Generalversammlung von C.________ von der Gesellschaft bezogenen Beträge (inkl. Verwaltungshonorar, Reisekosten und Spesen);
f) über die aktuelle finanzielle Situation der Gesellschaft sowie die laufenden Verbindlichkeiten der Gesellschaft (insbesondere Miete und Personalkosten); g) über die vom Verwaltungsrat der Gesellschaft im Hinblick auf die ab Frühling 2015 fehlenden Voraussetzungen zur Fortführung des Betriebes (going concern) getroffenen und geplanten Massnahmen (wind down plan) bezüglich der Gesellschaft und der A.________ GmbH; insbesondere: Per welchem Datum sollen die A.________ GmbH und die Gesellschaft liquidiert werden? Stand der Bemühungen zur Weitervermietung der Büros und des Verkaufs der Büromöbel der A.________ GmbH in Frankfurt; Stand der Personalplanung, d.h. wann ist wem gekündigt worden bzw. wann wird wem gekündigt?
(9) Diverses
2. Der Notar des Notariatskreises Riesbach-Zürich, Kreuzstrasse 42, Postfach 821, 8034 Zürich sei zu beauftragen innert 5 Tagen ab Urteilsdatum die Generalversammlung der Beklagen inkl. der in Ziff. 1 aufgeführten Traktanden, per eingeschriebenen Brief an die im Aktienbuch verzeichneten Aktionäre C.________, in U.________, und B.________, in V.________, einzuberufen, unter Angabe von Ort und Zeit.
Als Datum für die Generalversammlung sei ein Termin anzusetzen, der frühestens 25 Tage nach dem Versand der Einladung und spätestens 30 Tage nach dem Versand der Einladung stattfindet.
Als Ort für die Generalversammlung sei das Amtslokal des Notariats Riesbach-Zürich, Kreuzstrasse 42, 8008 Zürich zu bezeichnen.
Der Notar des Notariatskreises Riesbach-Zürich sei mit der Durchführung und Protokollierung der Generalversammlung zu beauftragen.
3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beklagten."
Die A.________ AG schloss auf Abweisung des Gesuchs, soweit Eintreten. Sie stellte u.a. die Aktionärsstellung des Gesuchstellers sowie dessen Rechtsschutzinteresse in Abrede.
Mit Urteil vom 27. Mai 2015 hiess das Handelsgericht das Einberufungsgesuch mit den beantragten Traktanden und Beschlussanträgen gut, wobei es den Notar beauftragte, frühestens nach Ablauf von 10 und spätestens innert 13 Tagen ab Urteilsdatum die Generalversammlung der Gesuchsgegnerin einzuberufen.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Gesuchsgegnerin dem Bundesgericht, das Urteil des Handelsgerichts sei aufzuheben und das Einberufungsbegehren des Gesuchstellers sei abzuweisen; eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht beantragte die Gesuchsgegnerin unter anderem, es sei die aufschiebende Wirkung der Beschwerde zu bestätigen.
Der Gesuchsteller beantragte in seiner Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde, soweit Eintreten, sowie die Feststellung, dass die Frist zur Einberufung der Generalversammlung gemäss Dispositiv-Ziff. 2 des Urteils der Vorinstanz ab der Zustellung des bundesgerichtlichen Urteils an das Notariat Riesbach-Zürich zu laufen beginne.
Die Vorinstanz hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Die Parteien haben repliziert und dupliziert.
D.
Mit Präsidialverfügung vom 3. Juni 2015 wurde der Beschwerde superprovisorisch die aufschiebende Wirkung erteilt.
Mit Präsidialverfügung vom 2. Juli 2015 wurde festgestellt, dass der Beschwerde von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukommt.
Beide Verfügungen wurden jeweils auch dem Notariat Riesbach-Zürich schriftlich mitgeteilt.
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist (BGE 139 III 133 E. 1 S. 133 mit Hinweisen). Das angefochtene Urteil betrifft eine Zivilsache (Art. 72







2.
Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe Art. 699 Abs. 3

2.1. Gemäss Art. 699 Abs. 3

2.2. Die Vorinstanz stellte fest, dass der Beschwerdegegner 50 % der Aktien der Beschwerdeführerin halte. Sie erwog sodann, dass nach richtigem Verständnis des Art. 699 Abs. 3

2.3. Nach dem reinen Wortlaut von Art. 699 Abs. 3

Basler Kommentar, 4. Aufl. 2012, N. 23 zu Art. 699




Der herrschenden Lehre ist zu folgen: Es kann nicht dem gesetzgeberischen Willen entsprochen haben, ein Traktandierungsrecht nur in Aktiengesellschaften mit mindestens Fr. 1 Mio. Aktienkapital vorzusehen. Vielmehr müssen diejenigen Aktionäre, die eine Einberufung der Generalversammlung verlangen können, auch zur Traktandierung eines Verhandlungsgegenstands berechtigt sein. Ein Traktandierungsrecht steht mithin jenen Aktionären zu, die über 10 % des Aktienkapitals oder über Aktien im Nennwert von Fr. 1 Mio. verfügen (vgl. auch das Urteil 4A 507/2014 vom 15. April 2015, mit dem das Bundesgericht ein Einberufungs- und Traktandierungsbegehren eines Aktionärs gutgeheissen hat, der über Aktien verfügte, die 85 % eines Aktienkapitals von lediglich Fr. 100'000.-- ausmachten).
2.4. Die Beschwerdeführerin bestreitet vor Bundesgericht nicht, dass der Beschwerdegegner über Aktien verfügt, die mindestens 10 % des Aktienkapitals ausmachen. Die Vorinstanz hat den Einwand, der Beschwerdegegner verfüge über kein Traktandierungsrecht, somit zu Recht verworfen. Ein Verstoss gegen Art. 699 Abs. 3

3.
Die Beschwerdeführerin rügt sodann, die Vorinstanz habe Art. 699 Abs. 3


3.1. Gemäss Art. 699 Abs. 4



Der Einberufungsrichter unterzieht das Einberufungs- und Traktandierungsbegehren keiner materiellen Prüfung. Denn bei der richterlichen Einberufung gestützt auf Art. 699 Abs. 4


Immerhin ist bei der Ausübung des Einberufungs- und Traktandierungsrechts das Rechtsmissbrauchsverbot nach Art. 2 Abs. 2

3.2. Die Rügen der Beschwerdeführerin sind unbegründet: Die Vorinstanz musste lediglich überprüfen, ob der Beschwerdegegner Aktionär ist, über 10 % des Aktienkapitals verfügt und bereits ein Einberufungsbegehren an den Verwaltungsrat gestellt hat, dem innert angemessener Frist nicht entsprochen wurde. Dass die Vorinstanz diese Fragen unrichtig beurteilt hätte, macht die Beschwerdeführerin - bis auf die Frage der angemessenen Frist (dazu unten E. 4) - nicht geltend. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin musste die Vorinstanz indessen gerade nicht prüfen, ob die anbegehrten Traktanden und Beschlussanträge überhaupt zu gültigen Beschlüssen führen würden. Ebensowenig musste die Vorinstanz prüfen, welches Interesse der Beschwerdegegner mit seinen Begehren verfolgt; einzig ein offenbarer Missbrauch des Einberufungs- und Traktandierungsrechts wäre nicht zu schützen gewesen.
Einen Rechtsmissbrauch hat die Beschwerdeführerin nun aber weder behauptet noch ist ein solcher ersichtlich: Inwiefern die Traktandierung der Genehmigung von Jahresrechnung und Jahresbericht und der Verwendung des Bilanzgewinnes missbräuchlich sein soll, vermag von vornherein nicht einzuleuchten, handelt es sich hierbei doch um unübertragbare Befugnisse der Generalversammlung (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 3



3.3. Schliesslich geht die Beschwerdeführerin ebenfalls fehl, soweit sie der Vorinstanz eine Verletzung von Art. 8


4.
Die Beschwerdeführerin rügt sodann, die Vorinstanz habe bei der Beurteilung der angemessenen Frist i.S. von Art. 699 Abs. 4

4.1. Die Beurteilung, ob eine bestimmte Frist i.S. von Art. 699 Abs. 4

4.2. Die Vorinstanz erwog unter Hinweis auf die Lehre, dass für die Vorbereitung einer ordentlichen Generalversammlung - um die es hier geht - ein Zeitraum von vier bis sechs bzw. fünf bis acht Wochen als angemessen erscheine. Aus Art. 699 Abs. 2



Beschwerdeführerin geltend gemachten Nichtvorliegen des Geschäfts- und Revisionsberichts 2013 keine zusätzliche Bedeutung beizumessen. Ohnehin sei im Zeitpunkt der Klageeinleitung am 5. März 2015 die in der Lehre als angemessen genannte Frist von fünf bis acht Wochen bei weitem eingehalten gewesen.
4.3. Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden: Im Zeitpunkt der Klageerhebung am 5. März 2015 hätte der Revisionsbericht für das Jahr 2013 längst vorliegen müssen. Zwischen dem Schreiben vom 25. November 2014 und der Klageerhebung am 5. März 2015 sind zudem mehr als acht Wochen verstrichen. Dies allein reicht aus, um von einer angemessenen Frist auszugehen, binnen derer der Verwaltungsrat der Beschwerdeführerin dem Einberufungsbegehren hätte entsprechen müssen. Die Beschwerdeführerin geht jedenfalls fehl, wenn sie der Vorinstanz vorwirft, diese habe die fehlende Verfügbarkeit dieses Berichts unberücksichtigt gelassen.
5.
Die Beschwerdeführerin macht sodann geltend, die Vorinstanz habe Art. 59 Abs. 2 lit. a

Die Rüge ist unbegründet. Wie oben ausgeführt (E. 3.1), sind die im Rahmen eines Gesuchs nach Art. 699 Abs. 4


6.
Abschliessend wirft die Beschwerdeführerin der Vorinstanz eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. |
Auch diese Rüge geht fehl. Nachdem die anbegehrten Traktanden und Beschlussanträge inhaltlich nicht zu überprüfen waren, brauchte sich die Vorinstanz mit den entsprechenden Einwänden gegen die Gültigkeit der angestrebten Beschlüsse nicht im Einzelnen zu befassen. Denn der Anspruch auf das rechtliche Gehör erheischt nicht, dass sich das Gericht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Es darf sich in seinem Entscheid auf die wesentlichen Gesichtspunkte und Leitlinien beschränken und braucht sich nicht mit jedem sachverhaltsbezogenen oder rechtlichen Einwand auseinanderzusetzen (BGE 135 III 670 E. 3.3.1 S. 677; 126 III 97 E. 2b S. 102; 130 II 530 E. 4.3 S. 540).
7.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen und der angefochtene Entscheid zu bestätigen.
Da es sich beim angefochtenen Entscheid um ein Gestaltungsurteil handelt, kommt der vorliegenden Beschwerde von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zu (Art. 103 Abs. 2 lit. a

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. |
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. |

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 6'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 7'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Handelsgericht des Kantons Zürich und dem Notariat und Grundbuchamt Riesbach-Zürich schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. November 2015
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Kiss
Der Gerichtsschreiber: Hurni