Bundesstrafgericht
Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal
Geschäftsnummer: BG.2010.1
Entscheid vom 26. Februar 2010 I. Beschwerdekammer
Besetzung
Bundesstrafrichter Tito Ponti, Vorsitz, Emanuel Hochstrasser und Joséphine Contu, Gerichtsschreiber Stefan Graf
Parteien
Kanton Luzern, Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern,
Gesuchsteller
gegen
1. Kanton Zürich, Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
2. Kanton Aargau, Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Gesuchsgegner
Gegenstand
Örtliche Zuständigkeit (Art. 279 Abs. 1


Sachverhalt:
A. Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zürich bzw. die Staatsanwaltschaft See/Oberland führen gegen A. sowie gegen weitere, vorliegend nicht interessierende Mitbeschuldigte ein Verfahren im Zusammenhang mit einer Reihe von in den Jahren 2002 bis 2005 begangenen Versicherungs- und Leasingbetrugsdelikten (vgl. hierzu den Schlussbericht der Kantonspolizei Zürich vom 25. Juni 2007). Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Luzern führen demgegenüber gegen A. ein Verfahren hauptsächlich wegen des Verdachts ähnlich gelagerter Leasingbetrugsdelikte, welche dieser in den Jahren 2007 bis 2009 zusammen mit B. begangen haben soll. Dieses Verfahren richtet sich weiter auch gegen C., D. und E., mit welchen A. im Zusammenhang mit der Schwindelgründung einer Aktiengesellschaft delinquiert haben soll (vgl. im Einzelnen den Schlussbericht der Kantonspolizei Luzern vom 2. Oktober 2009 sowie den entsprechenden Nachtragsbericht vom 29. Dezember 2009 mitsamt der dazugehörenden Deliktstabelle).
B. Mit Schreiben vom 21. Januar 2009 gelangte das Amtsstatthalteramt Hochdorf an die Staatsanwaltschaft See/Oberland und ersuchte diese um Prüfung der Zuständigkeit hinsichtlich der den nunmehr inhaftierten A. und B. zur Last gelegten Betrugsdelikte. Eine ausdrückliche Anerkennung von Seiten der angegangenen Behörde erfolgte jedoch nicht, weshalb das Amtsstatthalteramt Hochdorf am 2. November 2009 die Staatsanwaltschaft See/Oberland nochmals darum ersuchte, das gegen den mittlerweile verstorbenen A. sowie gegen B., C., D. und E. geführte Verfahren zu übernehmen. Die Staatsanwaltschaft See/Oberland verneinte am 6. November 2009 ihre Zuständigkeit. Auch der nachfolgende Schriftenwechsel zwischen der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich sowie der ebenfalls zur Abgabe einer Meinungsäusserung eingeladenen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau führte hinsichtlich der Zuständigkeitsfrage zu keiner Einigung.
C. Hierauf gelangte die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern mit Gesuch vom 22. Januar 2010 an die I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und beantragte, die Behörden des Kantons Zürich seien als berechtigt und verpflichtet zu erklären, die zurzeit im Kanton Luzern gegen A., B., C., D. und E. hängigen Strafverfahren zu verfolgen und zu beurteilen (act. 1).
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau schloss in ihrer Gesuchsantwort vom 4. Februar 2010 auf Gutheissung des Gesuchs. Subsidiär sei demgegenüber der Kanton Luzern für zuständig zu erklären (act. 3). Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragte in ihrer Eingabe vom 5. Februar 2010, es sei der Kanton Luzern zur Verfolgung und Beurteilung aller den erwähnten Angeschuldigten vorgeworfenen Delikte für berechtigt und verpflichtet zu erklären (act. 4). Die eingegangenen Gesuchsantworten wurden den Parteien am 9. Februar 2010 wechselseitig zur Kenntnis gebracht (act. 5, 6 und 7).
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die I. Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Die Zuständigkeit der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zum Entscheid über Gerichtsstandsstreitigkeiten ergibt sich aus Art. 345



1.2 Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern ist berechtigt, den Gesuchsteller bei interkantonalen Gerichtsstandskonflikten vor der I. Beschwerdekammer zu vertreten (§ 24 Abs. 3 des Gesetzes über die Strafprozessordnung des Kantons Luzern vom 3. Juni 1957 [StPO/LU; SRL 305]). Bezüglich der beiden Gesuchsgegner steht diese Befugnis der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich bzw. der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau zu (§ 6 lit. m der Verordnung über die Organisation der Oberstaatsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaften des Kantons Zürich vom 27. Oktober 2004 [LS 213.21] bzw. § 33 Abs. 2 des Gesetzes über die Strafrechtspflege des Kantons Aargau vom 11. November 1958 [Strafprozessordnung, StPO/AG; SAR 251.100]). Der Gesuchsteller hat mit den beiden Gesuchsgegnern vor Einreichung des Gesuchs einen Meinungsaustausch durchgeführt. Auch die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben vorliegend zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass, weshalb auf das Gesuch einzutreten ist.
2.
2.1 Vorliegend umstritten ist hauptsächlich, welche Folgen der Tod eines der Beschuldigten auf die Festlegung des Gerichtsstandes zeitigt. Währenddem der Gesuchsteller diesbezüglich immer noch auf die dem mittlerweile Verstorbenen zur Last gelegten Delikte abstellt (act. 1, Ziff. 3.1), fallen diese für den Gesuchsgegner 1 ausser Betracht (act. 4, S. 2 f.).
2.2 Bei der Beurteilung der Gerichtsstandsfrage geht die I. Beschwerdekammer von jenen Vorwürfen aus, die dem Täter zur Zeit des bei ihr hängigen Verfahrens gemacht werden können. Massgebend ist dabei grundsätzlich die Verdachtslage, wie sie sich zur Zeit des Entscheides der I. Beschwerdekammer darstellt (Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 642 mit Hinweis auf BGE 116 IV 83 E. 2; vgl. auch Guidon/Bänziger, a.a.O., [Rz 26] m.w.H.). Die vorliegend vom Gesuchsteller zur Festlegung des Gerichtsstandes befürwortete Anwendung der Art. 343


2.3 Wird während laufendem Verfahren das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung festgestellt, so ist das Verfahren einzustellen. Der Tod der beschuldigten Person stellt ein solches Prozesshindernis dar (Schmid, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, Zürich/St. Gallen 2009, N. 323 und 1254; Hauser/Schweri/Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, S. 178 N. 4). Stirbt der Beschuldigte während des gegen ihn geführten Strafverfahrens, ist dieses deshalb als erledigt bzw. als beendet anzusehen. Vorbehalten bleiben diesbezüglich lediglich gesetzliche Ausnahmebestimmungen wie Art. 382 Abs. 3

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 382 Legitimation der übrigen Parteien - 1 Jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides hat, kann ein Rechtsmittel ergreifen. |
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1 | Jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides hat, kann ein Rechtsmittel ergreifen. |
2 | Die Privatklägerschaft kann einen Entscheid hinsichtlich der ausgesprochenen Sanktion nicht anfechten. |
3 | Nach dem Tode der beschuldigten oder verurteilten Person oder der Privatklägerschaft können die Angehörigen im Sinne von Artikel 110 Absatz 1 StGB264 in der Reihenfolge der Erbberechtigung ein Rechtsmittel ergreifen oder das Rechtsmittelverfahren weiterführen, soweit sie in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen sind. |
3.
3.1 Hinsichtlich der zwischen 2007 und 2009 erfolgten Betrugsdeliktsserie entfällt demnach jeglicher Bezug zum Gesuchsgegner 1. Die dem verstorbenen A. und B. zur Last gelegten Delikte können nicht mehr in Anwendung der Art. 343


3.2 Den eingereichten Akten zufolge stellten die am 28. November 2008 in den Betriebsräumlichkeiten der F. AG sowie in der Wohnung von B. in Z. (Kanton Luzern) und im Hotelzimmer von B. in Y. (Kanton Aargau) durchgeführten Hausdurchsuchungen die ersten Ermittlungshandlungen dar. Anhand der diesbezüglichen sowie der nachfolgenden Ausführungen zu weiteren Hausdurchsuchungen im Kanton Schwyz im Schlussbericht der Kantonspolizei Luzern vom 2. Oktober 2009 (vgl. dort S. 13 f.) ist davon auszugehen, dass diese unter der Federführung der Kantonspolizei Luzern erfolgten. Der Standpunkt des Gesuchsgegners 2, wonach das forum praeventionis diesbezüglich im Kanton Luzern liege (vgl. hierzu bereits das Schreiben der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau vom 13. Januar 2010), blieb denn auch unbestritten. Demnach haben die Strafverfolgungsbehörden des Gesuchstellers zuerst eine Untersuchung hinsichtlich der B. vorgeworfenen Deliktsserie angehoben, womit sie gestützt auf Art. 344 Abs. 1

3.3 Bezüglich der Scheingründung einer Aktiengesellschaft liegt der Ausführungsort demgegenüber im Kanton Aargau (Deliktstabelle vom 29. Dezember 2009, S. 10, Ziff. 2.13). Nach dem Tod des ehemals Mitbeschuldigten A. besteht auch diesbezüglich weder in persönlicher noch in sachlicher Hinsicht irgendeine Verbindung mehr zu den im Kanton Zürich und im Kanton Luzern untersuchten Deliktsserien (vgl. den Schlussbericht der Kantonspolizei Luzern vom 2. Oktober 2009, S. 92 ff.). Der gesetzliche Gerichtsstand zur Verfolgung und Beurteilung der entsprechenden Tatbeiträge von C., D. und E. befindet sich demnach gestützt auf Art. 340 Abs. 1

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 382 Legitimation der übrigen Parteien - 1 Jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides hat, kann ein Rechtsmittel ergreifen. |
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1 | Jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides hat, kann ein Rechtsmittel ergreifen. |
2 | Die Privatklägerschaft kann einen Entscheid hinsichtlich der ausgesprochenen Sanktion nicht anfechten. |
3 | Nach dem Tode der beschuldigten oder verurteilten Person oder der Privatklägerschaft können die Angehörigen im Sinne von Artikel 110 Absatz 1 StGB264 in der Reihenfolge der Erbberechtigung ein Rechtsmittel ergreifen oder das Rechtsmittelverfahren weiterführen, soweit sie in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen sind. |
4. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 245 Abs. 1

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 382 Legitimation der übrigen Parteien - 1 Jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides hat, kann ein Rechtsmittel ergreifen. |
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1 | Jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides hat, kann ein Rechtsmittel ergreifen. |
2 | Die Privatklägerschaft kann einen Entscheid hinsichtlich der ausgesprochenen Sanktion nicht anfechten. |
3 | Nach dem Tode der beschuldigten oder verurteilten Person oder der Privatklägerschaft können die Angehörigen im Sinne von Artikel 110 Absatz 1 StGB264 in der Reihenfolge der Erbberechtigung ein Rechtsmittel ergreifen oder das Rechtsmittelverfahren weiterführen, soweit sie in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen sind. |

SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |
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1 | Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |
2 | Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden. |
3 | Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht. |
4 | Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist. |
5 | Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen. |
Demnach erkennt die I. Beschwerdekammer:
1. Die Strafverfolgungsbehören des Kantons Luzern sind berechtigt und verpflichtet, die B. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.
2. Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Aargau sind berechtigt und verpflichtet, die C., D. und E. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.
3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
Bellinzona, 26. Februar 2010
Im Namen der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Zustellung an
- Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern
- Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich
- Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.