Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BG.2009.19

Entscheid vom 21. September 2009 I. Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Emanuel Hochstrasser, Vorsitz, Tito Ponti und Alex Staub , Gerichtsschreiber Stefan Graf

Parteien

Kanton Basel-Stadt, Staatsanwaltschaft Basel-Stadt,

Gesuchsteller

gegen

Kanton Solothurn, Staatsanwaltschaft,

Gesuchsgegner

Gegenstand

Örtlicher Gerichtsstand (Art. 279 Abs. 1 BStP i.V.m. Art. 345 StGB)

Sachverhalt:

A. Am 16. Mai 2008 erstattete A. bei der Polizei des Kantons Solothurn telefonisch Strafanzeige gegen sich selber, da er angeblich Gelder in der Höhe von ca. einer Million Franken veruntreut habe. In einem darauf folgenden Gespräch mit der Kantonspolizei Solothurn vom 4. Juni 2008 konnte A. demgegenüber kaum konkrete Angaben machen. Am 30. Mai 2008 erstattete B. bei der Kantonspolizei Basel-Stadt Strafanzeige gegen A. wegen des Verdachts der Veruntreuung, evtl. des Betrugs. In der Zeit vom 28. Juli 2008 bis 23. Oktober 2008 erfolgten im Kanton Basel-Stadt gegen A. weitere Strafanzeigen wegen des Verdachts der Veruntreuung, evtl. des Betrugs zum Nachteil von 19 Geschädigten und im Betrag von insgesamt ca. Fr. 970'000.--.

B. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn lehnte am 15. September 2008 das Ersuchen der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt vom 2. September 2008 um Übernahme des Verfahrens ab.

C. Mit Gesuch vom 28. Juli 2009 gelangte die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt an die I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und beantragte, es seien die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Solothurn zur Strafverfolgung des A. für berechtigt und verpflichtet zu erklären (act. 1).

In ihrer Stellungnahme vom 19. August 2009 warf die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn die Frage auf, ob auf das Gesuch überhaupt eingetreten werden könne, und schloss in materieller Hinsicht auf dessen Abweisung (act. 4).

Die Gesuchsantwort wurde der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt am 21. August 2009 zur Kenntnis gebracht (act. 5).

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.

Die I. Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.

1.1 Die Zuständigkeit der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zum Entscheid über Gerichtsstandsstreitigkeiten ergibt sich aus Art. 345 StGB i.V.m. Art. 279 Abs. 1 BStP, Art. 28 Abs. 1 lit. g SGG und Art. 9 Abs. 2 des Reglements vom 20. Juni 2006 für das Bundesstrafgericht (SR 173.710). Voraussetzung für die Anrufung der I. Beschwerdekammer ist allerdings, dass ein Streit über einen interkantonalen Gerichtsstand vorliegt und dass die Kantone über diesen Streit einen Meinungsaustausch durchgeführt haben (Schweri/Bänziger, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, 2. Aufl., Bern 2004, N. 599). Die Behörden, welche berechtigt sind, ihren Kanton im Meinungsaustausch und im Verfahren vor der I. Beschwerdekammer zu vertreten, bestimmen sich nach dem jeweiligen kantonalen Recht (Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 564; Guidon/Bänziger, Die aktuelle Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts zum interkantonalen Gerichtsstand in Strafsachen, in: Jusletter 21. Mai 2007, [Rz 12] in fine).

1.2 Eine Frist für die Anrufung der I. Beschwerdekammer besteht für die Kantone grundsätzlich nicht (Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 623). Im Interesse eines beförderlichen Verfahrensausgangs kann jedoch mit der Einreichung eines Gesuchs nicht beliebig lange zugewartet werden. Liegt zwischen der ersten Bestreitung der Zuständigkeit und der Anrufung der I. Beschwerdekammer mehr als ein Jahr, liegt ein Verstoss gegen das Prinzip des Handelns nach Treu und Glauben vor und das Gesuch ist als offensichtlich verspätet zu qualifizieren (Entscheid des Bundesstrafgerichts BK_G 018/04 vom 26. April 2004, E. 2). Demgegenüber verletzt ein sechs Monate dauerndes Zuwarten nach Scheitern des Schriftenwechsels das Prinzip des Handelns nach Treu und Glauben noch nicht, bewegt sich jedoch zumindest an der Grenze eines entsprechenden Verstosses (Entscheid des Bundesstrafgerichts BK_G 014/04 vom 6. Mai 2004, E. 2.2; vgl. zum Ganzen Guidon/Bänziger, a.a.O., [Rz 15] m.w.H.).

1.3 Bezüglich Form und Substantiierung gilt, dass Eingaben in Gerichtsstandsstreitigkeiten vollständig zu dokumentieren sind, sodass ohne weitere Beweismassnahmen darüber entschieden werden kann (Entscheid des Bundesstrafgerichts BK_G 127/04 vom 21. Oktober 2004, E. 3.1). Gemäss Lehre und der früheren Praxis der Anklagekammer des Bundesgerichts, aber auch der im Vergleich dazu unveränderten Praxis der I. Beschwerdekammer (Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 630 f.; Guidon/Bänziger, a.a.O., [Rz 19]; BGE 116 IV 175 E. 1; 112 IV 142 E. 1; Urteil des Bundesgerichts 8G.73/2003 vom 7. Juli 2003, E. 1) hat die in Gerichtsstandsverfahren ersuchende Behörde das Gesuch so zu verfassen, dass ihm ohne Durchsicht der kantonalen Akten die für die Bestimmung des Gerichtsstandes erforderlichen und wesentlichen Tatsachen entnommen werden können, weshalb es in kurzer, aber vollständiger Übersicht darzulegen hat, welche strafbaren Handlungen dem Beschuldigten vorgeworfen werden, wann und wo diese ausgeführt wurden und wo allenfalls der Erfolg eingetreten ist, wie die aufgrund der Aktenlage in Frage kommenden strafbaren Handlungen rechtlich zu würdigen sind sowie welche konkreten Verfolgungshandlungen von welchen Behörden wann vorgenommen wurden. Entsprechende Versäumnisse ziehen in der Regel ein Nichteintreten nach sich (Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 631; Guidon/Bänziger, a.a.O., [Rz 20]).

1.4 Das vorliegende Gesuch ist in mehrfacher Hinsicht mangelhaft. Der Gesuchsgegner hat seine eigene Zuständigkeit gegenüber dem Gesuchsteller mit Schreiben vom 15. September 2008 bestritten. Das vorliegende Gesuch wurde am 28. Juli 2009 eingereicht. Zwischen der Bestreitung der Zuständigkeit durch den Gesuchsgegner und der Einreichung des Gesuchs vergingen somit über zehn Monate. Das Gesuch ist daher als offensichtlich verspätet zu qualifizieren.

Weiter sind dem Gesuch keinerlei Ausführungen zum Ausführungsort der inkriminierten Handlungen zu entnehmen. Wird jemand wegen mehrerer, an verschiedenen Orten begangener strafbarer Handlungen verfolgt, so sind die Behörden des Ortes, wo die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist, auch für die Verfolgung und die Beurteilung der anderen Taten zuständig. Sind diese strafbaren Handlungen mit der gleichen Strafe bedroht, so sind die Behörden des Ortes zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wird (Art. 344 Abs. 1 StGB). Hinsichtlich mehrerer strafbarer Handlungen kommt es somit vorab entscheidend auf den oder die Ausführungsorte an. Das Argument des Gesuchstellers, wonach der Gesuchsgegner als erster die Untersuchung angehoben habe, greift – wenn überhaupt – erst, wenn der Beschuldigte mehrere, mit gleicher Strafe bedrohte Handlungen an verschiedenen Orten begangen hat. Dem Gesuch sind diesbezüglich überhaupt keine Ausführungen zu entnehmen.

1.5 Nach dem Gesagten ist auf das Gesuch infolge verspäteter Einreichung sowie mangels genügender Substantiierung nicht einzutreten.

2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 245 Abs. 1 BStP i.V.m. Art. 66 Abs. 4
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG).

Demnach erkennt die I. Beschwerdekammer:

1. Auf das Gesuch wird nicht eingetreten.

2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

Bellinzona, 21. September 2009

Im Namen der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

i.V. Alex Staub,

Bundesstrafrichter

Zustellung an

- Staatsanwaltschaft Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4001 Basel (unter Rücksendung der eingereichten Akten)

- Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (unter Rücksendung der eingereichten Akten)

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.

Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : BG.2009.19
Datum : 21. September 2009
Publiziert : 20. Oktober 2009
Quelle : Bundesstrafgericht
Status : Unpubliziert
Sachgebiet : Beschwerdekammer: Strafverfahren
Gegenstand : Örtlicher Gerichtsstand (Art. 279 Abs. 1 BStP i.V.m. Art. 345 StGB).


Gesetzesregister
BGG: 66
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
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