Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal


Abteilung IV

D-273/2017

Urteil vom 26. Januar 2017

Einzelrichterin Daniela Brüschweiler,

Besetzung mit Zustimmung von Richter Markus König;

Gerichtsschreiberin Susanne Burgherr.

A._______, geboren am (...),

Eritrea,
Parteien
handelnd durch seine Mutter B._______,

Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM;

zuvor Bundesamt für Migration, BFM),

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Familienzusammenführung (Einbezug in die Flüchtlingseigenschaft und das Asyl des Kindsvaters C._______);
Gegenstand
Verfügung des SEM vom 13. Dezember 2016 / N (...).

Sachverhalt:

A.
B._______ (die Mutter des Beschwerdeführers) suchte am 16. Mai 2012 in der Schweiz um Asyl nach.

Mit Verfügung vom 6. März 2013 stellte das vormalige BFM fest, dass B._______ die Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle. Es lehnte deren Asylgesuch ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz an, wobei es den Vollzug der Wegweisung als unzumutbar erachtete und zugunsten einer vorläufigen Aufnahme aufschob. Die dagegen von B._______ erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 9. Oktober 2013 ab (Verfahren [...]).

B.
Am (...) wurde der Beschwerdeführer in der Schweiz geboren. Mit Schreiben vom 27. Oktober 2015 teilte das SEM B._______ mit, dass die sie betreffende Verfügung über die Wegweisung und vorläufige Aufnahme in der Schweiz auch für den Beschwerdeführer gelte.

C.
Mit Eingabe vom 27. Oktober 2016 teilte B._______ dem SEM unter Beilage einer Kopie der entsprechenden Kindesanerkennung vom (...) mit, dass der Beschwerdeführer der Sohn von C._______ sei, dem in der Schweiz am 24. Oktober 2014 Asyl gewährt worden sei, und ersuchte um Einbezug des Beschwerdeführers in die Flüchtlingseigenschaft und das Asyl des Kindsvaters.

D.
Mit Schreiben vom 17. November 2016 setzte das SEM B._______ Frist bis zum 9. Dezember 2016 zur Beantwortung offener Fragen zur Beziehung zum Kindsvater, verbunden mit dem Hinweis, dass bei ungenutzter Frist aufgrund der Aktenlage über das Gesuch vom 27. Oktober 2016 entschieden werde.

E.
Mit Eingabe vom 7. Dezember 2016 beantwortete B._______ die ihr unterbreiteten Fragen. Demzufolge lebe der Beschwerdeführer bei ihr und habe zu seinem Vater, der ihn seit der Geburt nur zwei Mal kurz gesehen habe, keine Beziehung. Sie pflege zu C._______ keinen Kontakt und sie hätten keine gemeinsamen Zukunftspläne; es sei ihr vielmehr unangenehm, ihn zu treffen.

F.
Mit Verfügung vom 13. Dezember 2016 - eröffnet am 15. Dezember 2016 - lehnte das SEM das Gesuch um Einbezug des Beschwerdeführers in die Flüchtlingseigenschaft und das Asyl von C._______ ab.

Zur Begründung führte das SEM an, in der Schweiz geborene Kinder von Flüchtlingen würden gemäss Art. 51 Abs. 3 AsylG (SR 142.31) auch als Flüchtlinge anerkannt, sofern keine besonderen Umstände dagegen sprechen würden. Ein besonderer Grund im Sinne des Gesetzes liege unter anderem vor, wenn die Familiengemeinschaft nicht in einem gemeinsamen Haushalt gelebt werde und auch ausserhalb eines gemeinsamen Haushalts keine intakte, tatsächlich gelebte Familienbeziehung bestehe. Aufgrund der Aktenlage, wonach die Eltern des Beschwerdeführers getrennt voneinander leben würden, der Beschwerdeführer bei seiner Mutter wohne und keine Beziehung zu seinem Vater habe, liege kein intaktes, tatsächliches Familienleben zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Vater vor. Unter diesen Umständen sei es nicht gerechtfertigt, den Beschwerdeführer in die Flüchtlingseigenschaft des Vaters einzubeziehen. Das entsprechende Gesuch sei abzulehnen. Die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers bleibe weiterhin bestehen.

G.
Mit an das SEM adressiertem Schreiben vom 10. Januar 2017 (Eingang beim SEM am 12. Januar 2017) erhob B._______ Beschwerde gegen die Verfügung vom 13. Dezember 2016.

Zur Begründung brachte sie im Wesentlichen vor, auch wenn sie zum Kindsvater keinen Kontakt wünsche, möchte sie ihrem Sohn dennoch mittels Einbezugs in die Flüchtlingseigenschaft seines Vaters die Erlangung einer Aufenthaltsbewilligung B und damit ein vor allem in finanzieller Hinsicht besseres Leben in der Schweiz ermöglichen. Sie fürchte sich vor C._______, der sie geschlagen habe und erst nach Durchführung eines DNA-Tests bereit gewesen sei, die Vaterschaft anzuerkennen. Sie sei nicht bereit, den Beschwerdeführer allein bei C._______ zu lassen. Falls Besuche stattzufinden hätten, wären sie durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde zu begleiten. Die Tatsache, dass sie keinen Kontakt zu C._______ wolle, bedeute aber nicht, dass sie auf die durch den Einbezug des Beschwerdeführers in die Flüchtlingseigenschaft seines Vaters bestehende Möglichkeit einer Verbesserung ihrer finanziellen Situation verzichten möchte.

H.
Das SEM leitete die Beschwerdeeingabe - unter Beilage der vorinstanzlichen Akten - zuständigkeitshalber an das Bundesverwaltungsgericht weiter (Eingang beim Gericht am 16. Januar 2017).

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - und auch vorliegend - endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).

1.2 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Der durch seine Mutter B._______ handelnde Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und 108 Abs. 1 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf diese ist einzutreten.

2.
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG, im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).

3.
Über offensichtlich unbegründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e AsylG). Wie nachstehend aufgezeigt, handelt es sich vorliegend um eine solche, weshalb der Beschwerdeentscheid nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG).

Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde vorliegend auf die Durchführung eines Schriftenwechsels verzichtet.

4.

4.1 Gemäss Art. 51 Abs. 1 AsylG werden Ehegatten von Flüchtlingen und ihre minderjährigen Kinder als Flüchtlinge anerkannt und erhalten Asyl, wenn keine besonderen Umstände dagegen sprechen. In der Schweiz geborene Kinder von Flüchtlingen werden gemäss Art. 51 Abs. 3 AsylG auch als Flüchtlinge anerkannt, sofern wiederum keine besonderen Umstände dagegen sprechen. Dem Einbezug in die Flüchtlingseigenschaft und der Asylgewährung entgegenstehende "besondere Umstände" sind beispielsweise anzunehmen, wenn das Familienmitglied Bürger eines anderen Staates als der Flüchtling ist und die Familie in diesem Staat nicht gefährdet ist, wenn der Flüchtling seinen Status derivativ erworben hat, oder wenn das Familienleben während einer längeren Zeit nicht gelebt wurde und erkennbar ist, dass die Familienmitglieder nicht den Willen haben, als Familie zusammenzuleben. Die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft bedingt zudem, dass die anspruchsberechtigte Person ihren Heimat- oder Herkunftsstaat verlassen hat (vgl. zum Ganzen BVGE 2012/32 E. 5.1).

4.2 Grundgedanke des Familienasyls gemäss Art. 51 AsylG ist es, der gesamten Familie eines Flüchtlings einen einheitlichen Rechtsstatus zu gewährleisten (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der [vormaligen] Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2002 Nr. 20 E. 4b, 2000 Nr. 22 E. 7). Dies setzt aber ein Zusammenleben respektive eine effektiv gelebte Familienbeziehung des den Einbezug beantragenden Kindes mit dem Elternteil, dem die Flüchtlingseigenschaft originär zuerkannt wurde, voraus (vgl. hierzu Urteile des BVGer E-846/2014 vom 11. August 2014, D-1219/2012 vom 19. März 2012 und E-6309/2006 vom 3. September 2007). Massgeblicher Zeitpunkt zur Feststellung, ob die Voraussetzungen des Familienasyls erfüllt sind, ist derjenige des Entscheids (vgl. EMARK 2002 Nr. 20 E. 5a).

5.

5.1 C._______ wurde mit Verfügung des BFM vom 24. Oktober 2014 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt und Asyl gewährt. Laut der im vorinstanzlichen Verfahren eingereichten Kindesanerkennung vom (...) ist er der Vater des Beschwerdeführers. Der in der Schweiz geborene Beschwerdeführer erfüllt damit grundsätzlich die Voraussetzungen für die Zuerkennung der derivativen Flüchtlingseigenschaft gemäss Art. 51 Abs. 3 AsylG. Es bleibt zu prüfen, ob ein besonderer Umstand gegeben ist, der gegen den Einbezug des Beschwerdeführers in den seinem Vater zuerkannten Flüchtlingsstatus spricht.

5.2 Gemäss den Ausführungen von B._______ lebt der Beschwerdeführer bei ihr und hat keinen Kontakt zu seinem Vater, der ihn seit der Geburt nur zwei Mal kurz gesehen habe und erst ein Jahr nach der Geburt bereit gewesen sei, die Vaterschaft anzuerkennen. Gemeinsame Zukunftspläne bestünden nicht und ein Kontakt sei nicht gewünscht. Es fehlt damit an der Voraussetzung einer effektiv gelebten Beziehung des Beschwerdeführers mit dem als Flüchtling anerkannten Elternteil. In Anbetracht der von B._______ geschilderten Verhältnisse, wonach sie sich vor dem Kindsvater, der sie geschlagen habe, fürchte, keinen Kontakt zu ihm wünsche und allfälligen Treffen zwischen ihm und dem Kind nur unter der Bedingung einer behördlichen Begleitung zustimmen könnte, ist auch nicht zu erwarten, dass ein familiäres Zusammenleben in absehbarer Zukunft aufgenommen würde. Laut der Beschwerdeschrift vom 10. Januar 2017 wird mit dem Gesuch um Einbezug des Beschwerdeführers in die Flüchtlingseigenschaft des Vaters denn auch nicht das Ziel verfolgt, eine bis anhin nicht gelebte Vater-Sohn-Beziehung herzustellen. Vielmehr wird damit bezweckt, ein vorteilhafteres Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers in der Schweiz und eine Verbesserung der finanziellen Situation zu erwirken. Auch wenn der Wunsch nach einer Verbesserung der finanziellen Lage durchaus verständlich ist, vermag dieser nicht als Begründung für die Zuerkennung des Familienasyls gemäss Art. 51 Abs. 3 AsylG zu dienen. Das Familienasyl hat nicht die finanzielle Besserstellung eines Kindes zum Ziel, sondern bezweckt vielmehr - wie zuvor ausgeführt (vgl. E. 4.2) - die Gewährleistung des Zusammenlebens unter einem einheitlichen Rechtsstatus, was wiederum eine effektiv gelebte, intakte Beziehung zwischen dem in der Schweiz geborenen Kind und dem über den Flüchtlingsstatus verfügenden Elternteil voraussetzt. An einer solchen Vater-Sohn-Beziehung fehlt es vorliegend.

5.3 Aufgrund des Gesagten hat die Vorinstanz zu Recht erkannt, dass besondere Umstände im Sinne von Art. 51 Abs. 3 AsylG gegeben sind, die gegen den Einbezug des Beschwerdeführers in die seinem Vater C._______ zuerkannte Flüchtlingseigenschaft und das Asyl sprechen.

Der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass, nachdem die Voraussetzungen des Familienasyls im Sinn von Art. 51 Abs. 3 AsylG nicht erfüllt sind, die Bestimmungen von Art. 8 EMRK vorliegend nicht ergänzend angewendet werden können (vgl. EMARK 2002 Nr. 6 E. 5).

6.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig sowie vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG) und - soweit diesbezüglich überprüfbar - angemessen ist. Die Beschwerde ist abzuweisen.

7.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG) und auf insgesamt Fr. 600.- festzusetzen (Art. 1 -3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen.

3.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

Die Einzelrichterin: Die Gerichtsschreiberin:

Daniela Brüschweiler Susanne Burgherr

Versand:
Informazioni decisione   •   DEFRITEN
Documento : D-273/2017
Data : 26. gennaio 2017
Pubblicato : 03. febbraio 2017
Sorgente : Tribunale amministrativo federale
Stato : Inedito
Ramo giuridico : Asilo
Oggetto : Familienzusammenführung (Asyl); Verfügung des SEM vom 13. Dezember 2016


Registro di legislazione
CEDU: 8
LAsi: 51  105  106  108  111  111a
LTAF: 31  32  33
LTF: 83
PA: 5  48  49  52  63
TS-TAF: 1  3
Parole chiave
Elenca secondo la frequenza o in ordine alfabetico
padre • tribunale amministrativo federale • autorità inferiore • madre • comunione domestica • termine • vita • famiglia • ammissione provvisoria • incontro • quesito • pittore • fattispecie • allegato • decisione • ufficio federale della migrazione • legge sull'asilo • comunicazione • atto di ricorso • scambio degli allegati
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