Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal


Abteilung IV

D-2652/2017
mel

Urteil vom 22. Mai 2017

Richter Hans Schürch (Vorsitz),

Besetzung Richterin Esther Marti, Richter Gérard Scherrer,

Gerichtsschreiber Christoph Basler.

A._______, geboren am (...), Irak,
Parteien
Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM),

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung

Gegenstand (Dublin-Verfahren);

Verfügung des SEM vom 28. April 2017 / N (...).

Sachverhalt:

A.
Gemäss eigenen Angaben verliess der Beschwerdeführer, ein Kurde mit letztem Wohnsitz in B._______ (Nordirak), seinen Heimatstaat am 1. Oktober 2016 und suchte am 6. April 2017 in der Schweiz um Asyl nach. Die Abklärungen des SEM ergaben, dass er am 15. März 2017 in Bulgarien um Asyl nachgesucht hatte.

Anlässlich der Befragung zur Person (BzP) im Empfangs- und Verfahrenszentrum C._______ vom 13. April 2017 wurde dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör zu einem allfälligen Nichteintretensentscheid und der Möglichkeit einer Überstellung nach Bulgarien gewährt, welches gemäss Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend: Dublin-III-VO), grundsätzlich für die Behandlung seines Asylgesuchs zuständig sei. Die grundsätzliche Zuständigkeit dieses Mitgliedstaates wurde vom Beschwerdeführernicht bestritten. Jedoch machte er geltend, nicht nach Bulgarien zurückkehren zu wollen, da er dort niemanden habe und nur zwei Tage dort gewesen sei; in der Schweiz hielten sich seine Mutter und seine Geschwister auf. Auf Nachfrage sagte der Beschwerdeführer, er sei gesund.

B.
Am 19. April 2017 ersuchte das SEM die bulgarischen Behörden um Rückübernahme des Beschwerdeführers gemäss Art. 18 Abs. 1 Bst b Dublin-III-VO. Diesem Gesuch wurde am 27. April 2017 entsprochen.

C.
Mit Verfügung vom 28. April 2017 (eröffnet am 4. Mai 2017) trat das SEM in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG (SR 142.31) auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht ein und verfügte die Überstellung nach Bulgarien, welches gemäss Dublin-III-VO für die Behandlung seines Asylgesuchs zuständig ist. Gleichzeitig verfügte das SEM den Vollzug der Wegweisung nach Bulgarien und stellte fest, einer allfälligen Beschwerde gegen den Entscheid komme keine aufschiebende Wirkung zu.

D.
Mit Beschwerde vom 8. Mai 2017 an das Bundesverwaltungsgericht beantragte der Beschwerdeführer, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und sein Asylgesuch sei in der Schweiz zu prüfen. In prozessualer Hinsicht beantragte er die Gewährung der aufschiebenden Wirkung sowie der unentgeltlichen Rechtspflege und den Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses.

E.
Der Instruktionsrichter setzte den Vollzug der Wegweisung im Rahmen einer superprovisorischen Massnahme am 11. Mai 2017 aus.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - und so auch vorliegend - endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG). Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

1.2 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und 108 Abs. 2 AsylG; Art. 37 VGG i.V.m. Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

2.1 Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).

2.2 Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das SEM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen (Art. 31a Abs. 1 -3 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2012/4 E. 2.2 m.w.H.).

2.3 Vorliegend wurde gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG auf die Einholung einer Vernehmlassung verzichtet.

3.

3.1 Auf Asylgesuche wird in der Regel nicht eingetreten, wenn Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist (Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG). Zur Bestimmung des staatsvertraglich zuständigen Staates prüft das SEM die Zuständigkeitskriterien gemäss Dublin-III-VO. Führt diese Prüfung zur Feststellung, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist, tritt das SEM, nachdem der betreffende Mitgliedstaat einer Überstellung oder Rücküberstellung zugestimmt hat, auf das Asylgesuch nicht ein.

3.2 Gemäss Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO wird jeder Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Asylantrag gestellt wird (Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-VO).

Im Fall eines sogenannten Aufnahmeverfahrens (engl.: take charge) sind die in Kapitel III (Art. 8-15 Dublin-III-VO) genannten Kriterien in der dort aufgeführten Rangfolge (Prinzip der Hierarchie der Zuständigkeitskriterien; vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin-III-VO) anzuwenden, und es ist von der Situation im Zeitpunkt, in dem der Antragsteller erstmals einen Antrag in einem Mitgliedstaat gestellt hat, auszugehen (Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO; vgl. BVGE 2012/4 E. 3.2; Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Wien 2014, K4 zu Art. 7). Im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens (engl.: take back) findet demgegenüber grundsätzlich keine (erneute) Zuständigkeitsprüfung nach Kapitel III statt (vgl. BVGE 2012/4 E. 3.2.1 m.w.H.).

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in jenem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2012/C 326/02, nachfolgend: EU-Grundrechtecharta) mit sich bringen, ist zu prüfen, ob aufgrund dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann kein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden, wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO).

3.3 Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet, einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Massgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen (Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO).

Diese Verpflichtung erlischt, wenn der Gesuchsteller oder eine andere Person gemäss Art. 18 Abs. 1 Bst. c oder d das Herrschaftsgebiet der Mitgliedstaaten während einer Dauer von mindestens drei Monaten verlassen hat, ausser die Person verfüge über einen durch den zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltstitel (vgl. Art. 19 Abs. 2 Dublin-III-VO).

Jeder Mitgliedstaat kann abweichend von Art. 3 Abs. 1 beschliessen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO; sog. Selbsteintrittsrecht).

4.

4.1 Ein Abgleich der Fingerabdrücke des Beschwerdeführers mit der "Eurodac"-Datenbank ergab, dass dieser am 15. März 2017 in Bulgarien ein Asylgesuch eingereicht hatte. Das SEM ersuchte deshalb die bulgarischen Behörden am 19. April 2017 um Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO. Die bulgarischen Behörden stimmten dem Gesuch um Übernahme am 27. April 2017 zu.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, in Bulgarien ein Asylgesuch eingereicht zu haben, und auch die grundsätzliche Zuständigkeit dieses Mitgliedstaates blieb unbestritten.

Die grundsätzliche Zuständigkeit Bulgariens ist somit gegeben.

4.2 Im Lichte von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO ist zu prüfen, ob es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Bulgaren würden systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen würden.

4.2.1 Bulgarien ist Signatarstaat der EMRK, des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) sowie des Zusatzprotokolls der FK vom 31. Januar 1967 (SR 0.142.301) und kommt seinen diesbezüglichen völkerrechtlichen Verpflichtungen nach. Es darf davon ausgegangen werden, dieser Staat anerkenne und schütze die Rechte, die sich für Schutzsuchende aus den Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (sog. Verfahrensrichtlinie) sowie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (sog. Aufnahmerichtlinie) ergeben.

4.2.2 Diese Vermutung kann umgestossen werden, wenn nachgewiesen wird, dass eine reale Gefahr besteht, die bulgarischen Behörden würden ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht respektieren. Gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts liegen keine wesentlichen Gründe für die Annahme vor, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Bulgarien würden allgemein für Antragstellende systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen würden. Es bestehen- selbst unter Berücksichtigung einer allfällig angespannten Situation in Bulgarien - keine genügend konkreten Hinweise dafür, dass er in diesem Land nicht Zugang zu einem rechtsstaatlichen Verfahren im Sinne des Dublin-Systems hätte. Zwar sieht der UNHCR trotz Verbesserungen weiterhin ernste Mängel im dortigen Aufnahmesystem, weshalb es entsprechend notwendig sein könne, bestimme Gruppen oder Personen, insbesondere jene mit besonderen Bedürfnissen und Vulnerabilität, von einer Rücküberstellung auszunehmen. Der Beschwerdeführer gehört als junger, den Akten gemäss gesunder Mann (vgl. die Ausführungen unter 4.3) jedoch keiner besonders verletzlichen Personengruppe an.

4.2.3 Unter diesen Umständen ist die Anwendung von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO nicht gerechtfertigt.

4.3 In der Beschwerde wird geltend gemacht, die Angehörigen des Beschwerdeführers lebten in der Schweiz und seine Mutter sei durch den Gedanken, er müsse die Schweiz verlassen, sehr gestresst. Sie sei seit Jahren in psychologischer Behandlung und auf ihren Sohn angewiesen. Sie befürchte, er tue sich etwas an, falls er gehen müsse, und möchte ihn ebenfalls in einer psychologischen Behandlung wissen. Er selbst fühle sich krank, sei nervös, depressiv, habe Kopfschmerzen und sei appetitlos. Damit wird implizit die Anwendung der Ermessensklausel von Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO, respektive der - das Selbsteintrittsrecht im Landesrecht konkretisierenden - Bestimmung von Art. 29a Abs. 3 der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 (AsylV 1, SR 142.311) gefordert, gemäss welcher das SEM das Asylgesuch "aus humanitären Gründen" auch dann behandeln kann, wenn dafür gemäss Dublin-III-VO ein anderer Staat zuständig wäre.

4.3.1 Der Beschwerdeführer hat kein konkretes und ernsthaftes Risiko dargetan, die bulgarischen Behörden würden sich weigern, ihn wieder aufzunehmen und seinen Antrag auf internationalen Schutz unter Einhaltung der Regeln der Verfahrensrichtlinie zu prüfen. Den Akten sind denn auch keine Gründe für die Annahme zu entnehmen, Bulgarien werde in seinemFall den Grundsatz des Non-Refoulement missachten und ihn zur Ausreise in ein Land zwingen, in dem sein Leib, sein Leben oder seine Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem er Gefahr laufen würde, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden. Ausserdem hat der Beschwerdeführer nicht dargetan, die ihn bei einer Rückführung erwartenden Bedingungen in Bulgarien seien derart schlecht, dass sie zu einer Verletzung von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta, Art. 3 EMRK oder Art. 3 FoK führen könnten.

Der Beschwerdeführer hat auch keine konkreten Hinweise für die Annahme dargetan, Bulgarien würde ihm dauerhaft die ihm gemäss Aufnahmerichtlinie zustehenden minimalen Lebensbedingungen vorenthalten. Bei einer allfälligen vorübergehenden Einschränkung könnte er sich im Übrigen nötigenfalls an die bulgarischen Behörden wenden und die ihm zustehenden Aufnahmebedingungen auf dem Rechtsweg einfordern (vgl. Art. 26 Aufnahmerichtlinie).

4.3.2 Der Beschwerdeführer beruft sich darauf, sein Gesundheitszustand stehe einer Überstellung entgegen; so wird insbesondere argumentiert, es bestehe die Gefahr eines Suizids. Damit macht der Beschwerdeführer implizit geltend, die Überstellung nach Bulgarien setze ihn einer Gefahr für seine Gesundheit aus und verletze damit Art. 3 EMRK.

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer bei der BzP vom 13. April 2017 angab, er sei gesund (act. A7/12 S. 9). Mangels Vorliegens eines ärztlichen Berichts ist demnach davon auszugehen, bei den vom Beschwerdeführer genannten gesundheitlichen Problemen (Kopfschmerzen, Depressionen, Appetitlosigkeit) handle es sich um Reaktionen auf den von ihm nicht gewünschten Ausgang des vorinstanzlichen Verfahrens. Dass abgewiesene Asylsuchende beziehungsweise Asylsuchende, die in einen Dublin-Vertragsstaat zu überstellen sind, vorübergehend psychischen und/oder psychosomatischen Belastungen ausgesetzt sein können, ist nicht ungewöhnlich, kann aber grundsätzlich ebenso wenig zu einem anderen Verfahrensausgang führen wie Suiziddrohungen oder ernsthafte Suizidabsichten.

Eine zwangsweise Rückweisung von Personen mit gesundheitlichen Problemen kann nur dann einen Verstoss gegen Art. 3 EMRK darstellen, wenn die betroffene Person sich in einem fortgeschrittenen oder terminalen Krankheitsstadium und bereits in Todesnähe befindet (vgl. BVGE 2011/9 E. 7 mit Hinweisen auf die Praxis des EGMR). Dabei handelt es sich um seltene Ausnahmefälle, in denen sich die Person in einem dermassen schlechten Zustand befindet, dass sie nach einer Überstellung mit dem sicheren Tod rechnen müsste, und sie dabei keinerlei soziale Unterstützung erwarten kann.

Eine solche Situation ist vorliegend nicht gegeben. Der Beschwerdeführer konnte nicht nachweisen, dass er nicht reisefähig ist oder eine Überstellung seine Gesundheit ernsthaft gefährden würde. Sein Gesundheitszustand vermag eine Unzulässigkeit im Sinne der restriktiven Rechtsprechung nicht zu rechtfertigen. Die gesundheitlichen Probleme sind auch nicht von einer derartigen Schwere, dass aus humanitären Gründen von einer Überstellung abgesehen werden müsste. Gemäss konstanter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch bei einer Konfrontation mit Suiziddrohungen von einer zu vollziehenden Weg- oder Ausweisung nicht Abstand zu nehmen, solange konkrete Massnahmen zwecks Verhütung der Umsetzung der Suiziddrohung getroffen werden (vgl. statt vieler: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E-5780/2011 vom 1. Mai 2012 E. 6.5.1).

Im Übrigen verfügt Bulgarien über eine ausreichende medizinische Infrastruktur. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, den Antragstellern die erforderliche medizinische Versorgung, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten und schweren psychischen Störungen umfasst, zugänglich zu machen (Art. 19 Abs. 1 Aufnahmerichtlinie); den Antragstellern mit besonderen Bedürfnissen ist die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe (einschliesslich nötigenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung) zu gewähren (Art. 19 Abs. 2 Aufnahmerichtlinie). Es liegen keine Hinweise vor, wonach Bulgarien dem Beschwerdeführer eine adäquate medizinische Behandlung verweigern würde. Die schweizerischen Behörden, die mit dem Vollzug der angefochtenen Verfügung beauftragt sind, werden den medizinischen Umständen bei der Bestimmung der konkreten Modalitäten der Überstellung des Beschwerdeführers Rechnung tragen und die bulgarischen Behörden vorgängig in geeigneter Weise über die spezifischen medizinischen Umstände informieren (vgl. Art. 31 f. Dublin-III-VO).

4.3.3 Gemäss den Einträgen im Zentralen Migrationsinformationssystem (ZEMIS) reisten die Mutter und der Bruder des Beschwerdeführers, D._______ und E._______ (N [...]), im Oktober 2008 in die Schweiz ein; ihre Asylgesuche wurden im Juni 2010 abgelehnt, sie wurden indessen zufolge Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs vorläufig in der Schweiz aufgenommen. Zwei Schwestern des Beschwerdeführers, F._______ (N [...]) und G._______ (N [...]) gelangten im August 2016 in die Schweiz; über ihre Asylgesuche hat das SEM noch nicht befunden.

Der Beschwerdeführer ist volljährig (vgl. Art. 8 Dublin-III-VO), seine in der Schweiz weilende Mutter und seine zum Teil minderjährigen Geschwister sind keine Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 Bst. g Dublin-III-VO (vgl. Art. 9 und10 Dublin-III-VO). Ein Familienverfahren nach Art. 11 Dublin-III-VO scheidet mangels Minderjährigkeit des Beschwerdeführers aus und er verfügt über keinen Aufenthaltstitel (vgl. Art. 12 Dublin-III-VO). Ein Abhängigkeitsverhältnis zu seiner sich in der Schweiz befindlichen Mutter und den Geschwistern ist nicht erstellt, zumal der Beschwerdeführer bereits seit neun Jahren nicht mehr mit seiner Mutter zusammenlebte und nicht auf ihre Betreuung oder Unterstützung angewiesen war. Auch bezüglich der Mutter des Beschwerdeführers kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie objektiv gesehen von ihm abhängig ist, da sie sich seit neun Jahren in der Schweiz aufhält und bislang nicht auf seine Unterstützung angewiesen war.

4.3.4 Soweit der Beschwerdeführer sinngemäss das Vorliegen von "humanitären Gründen" geltend macht, ist Folgendes festzuhalten:

4.3.4.1 Gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts verfügt das SEM bei der Anwendung der Kann-Bestimmung von Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 über einen Ermessensspielraum (vgl. BVGE 2015/9 E. 7 f.). Seit der Kognitionsbeschränkung durch die Asylgesetzrevision vom 1. Februar 2014 (Streichung der Angemessenheitskontrolle des Bundesverwaltungsgerichts gemäss aArt. 106 Abs. 1 Bst. c AsylG) überprüft das Gericht den vor-instanzlichen Verzicht der Anwendung von Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 nicht mehr auf Angemessenheit hin; das Gericht beschränkt seine Beurteilung nunmehr im Wesentlichen darauf, ob das SEM den Sachverhalt diesbezüglich korrekt und vollständig erhoben, allen wesentlichen Umständen Rechnung getragen und seinen Ermessensspielraum korrekt ausgeübt hat (vgl. Art. 106 Abs. 1 Bst. a und b AsylG).

4.3.4.2 Die angefochtene Verfügung ist unter diesem Blickwinkel nicht zu beanstanden; insbesondere sind den Akten keine Hinweise auf einen Ermessensmissbrauch oder ein Über- respektive Unterschreiten des Ermessens zu entnehmen. Das Gericht enthält sich deshalb in diesem Zusammenhang weiterer Äusserungen.

4.3.5 Nach dem Gesagten besteht kein Grund für eine Anwendung der Ermessenklauseln von Art. 17 Dublin-III-VO. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass die Dublin-III-VO den Schutzsuchenden kein Recht einräumt, den ihren Antrag prüfenden Staat selber auszuwählen (vgl. auch BVGE 2010/45 E. 8.3).

4.4 Somit bleibt Bulgarien der für die Behandlung des Asylgesuchs des Beschwerdeführers zuständige Mitgliedstaat gemäss Dublin-III-VO. Bulgarien ist verpflichtet, das Asylverfahren wieder aufzunehmen.

5.
Das SEM ist demnach zu Recht in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht eingetreten. Da der Beschwerdeführer nicht im Besitz einer gültigen Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung ist, wurde die Überstellung nach Bulgarien in Anwendung von Art. 44 AsylG ebenfalls zu Recht angeordnet (Art. 32 Bst. a AsylV 1).

6.
Da das Fehlen von Überstellungshindernissen bereits Voraussetzung des Nichteintretensentscheides gemäss Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG ist, sind allfällige Vollzugshindernisse gemäss Art. 83 Abs. 3 und 4 AuG (SR 142.20) unter diesen Umständen nicht mehr zu prüfen (vgl. BVGE 2015/18 E. 5.2 m.w.H.).

7.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen und die Verfügung des SEM zu bestätigen.

8.
Da das Beschwerdeverfahren mit vorliegendem Urteil abgeschlossen ist, erweisen sich die Anträge auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung und Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses als gegenstandslos.

9.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten grundsätzlich dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Nachdem von seiner Fürsorgeabhängigkeit auszugehen ist und sich die Beschwerde nicht als aussichtslos darstellte, sind in Gutheissung des Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG keine Verfahrenskosten zu erheben.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

3.
Die mit dem Vollzug der Verfügung beauftragten Behörden werden angewiesen, die bulgarischen Behörden vorgängig in geeigneter Weise über die spezifischen medizinischen Umstände zu informieren.

4.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:

Hans Schürch Christoph Basler

Versand:
Informazioni decisione   •   DEFRITEN
Documento : D-2652/2017
Data : 22. maggio 2017
Pubblicato : 31. maggio 2017
Sorgente : Tribunale amministrativo federale
Stato : Inedito
Ramo giuridico : Allontanamento Dublino (Art. 107a LAsi)
Oggetto : Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren); Verfügung des SEM vom 28. April 2017


Registro di legislazione
CEDU: 3
LAsi: 3  6  31a  44  105  106  108  111a
LStr: 83
LTAF: 31  32  33  37
LTF: 83
OAsi 1: 29a  32
PA: 5  48  52  63  65
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C_326/02
Parole chiave
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