Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BG.2014.7

Beschluss vom 21. März 2014 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Stephan Blättler, Vorsitz, Emanuel Hochstrasser und Tito Ponti, Gerichtsschreiber Martin Eckner

Parteien

Kanton Bern, Gesuchsteller

gegen

Kanton Zürich, Gesuchsgegner

Gegenstand

Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 40 Gerichtsstandskonflikte - 1 Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
1    Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
2    Können sich die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Kantone über den Gerichtsstand nicht einigen, so unterbreitet die Staatsanwaltschaft des Kantons, der zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzüglich, in jedem Fall vor der Anklageerhebung, dem Bundesstrafgericht zum Entscheid.
3    Die zum Entscheid über den Gerichtsstand zuständige Behörde kann einen andern als den in den Artikeln 31-37 vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen.
StPO)

Sachverhalt:

A. Der Kanton Bern führte ein Strafverfahren gegen A., unter anderem wegen eines Einbruchdiebstahls am 3. November 2011 in Z. (BE); ein DNA-Hit am Tatort liess B. als Mittäter erscheinen (act. 1 S. 5 Ziff. IV a; act. 1.1 S. 2).

B. wird zur Last gelegt, im Kanton Zürich 18 (Einbruch)-Diebstähle und eine Fahrzeugentwendung begangen zu haben. Weitere Taten werden ihm im Kanton Waadt vorgeworfen; im Kanton Aargau soll er 14 Einbrüche in Schrebergärten begangen haben (act. 1.1 S. 2 f. Antrag auf Verlängerung der Untersuchungshaft vom 4. Januar 2014; act. 1.2 S. 3 Rapport der Kantonspolizei Zürich vom 10. Oktober 2013; act. 1.2 S. 2–4 Ermittlungsbericht der Kantonspolizei Zürich vom 10. Dezember 2013).

B. Der Kanton Zürich ersuchte den Kanton Bern am 13. November 2013 um Übernahme seines Verfahrens gegen B. (act. 1.3). Der Kanton Bern lehnte dies am 20. November 2013 zunächst ab, da die Berner Untersuchung des Einbruchdiebstahls in Z. mangels Verwertbarkeit der Beweismittel einzustellen sei (act. 1.4 Rückweisung).

Nach dem Zürcher Hinweis, dass das Berner Verfahren jedenfalls noch laufe (act. 1.5 Schreiben vom 21. November 2013), anerkannte der Kanton Bern seine Zuständigkeit: Am 5. Dezember 2013 übernahm somit der Kanton Bern vom Kanton Zürich die Strafuntersuchung gegen B. wegen mehrfachen Diebstahls (act. 1.6 Übernahmeverfügung des Kantons Bern, betrifft die ZH-Akten […]).

C. Der Kanton Bern stellte am 12. Dezember 2013 das Verfahren wegen des Einbruchdiebstahls in Z. ein. Gestützt darauf kontaktierte er am 7. Januar 2014 den Kanton Zürich, um den Gerichtsstand nachträglich zu ändern (act. 1.7 S. 2 Ziff. 2). Die beiden Kantone führten einen Meinungsaustausch durch (Berner Schreiben an die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft vom 17. Januar 2014 [act. 1.9], 30. Januar 2014 [act. 1.11]; Zürcher Schreiben vom 15. und 24. Januar 2014 [act. 1.8, 1.10] sowie 25. Februar 2014 [act. 1.13]). Der Kanton Zürich lehnte es ab, die Strafuntersuchung wieder zu übernehmen.

D. Nach Durchführung dieses Meinungsaustausches ersuchte der Kanton Bern am 7. März 2014 die Beschwerdekammer, den Kanton Zürich als zuständig zu bezeichnen. Der Kanton Zürich seinerseits verwies auf seine Ausführungen im Meinungsaustausch und beantragt, die Zuständigkeit des Kantons Bern sei festzustellen (act. 3).

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.

1.1 Das Gesuch um Bestimmung des Gerichtsstands ist der Beschwerdekammer normalerweise innert zehn Tagen nach Abschluss des Meinungsaustausches zwischen den Staatsanwaltschaften einzureichen (TPF 2011 94 E. 2.2; TPF 2011 150 E. 1.4; Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2013.15 vom 27. Juni 2013, E. 1.2).

1.2 Das Gesuch ist rechtzeitig. Die übrigen Eintretensvoraussetzungen (wie Vertretungsberechtigung, vollständiger Meinungsaustausch, Form des Ersuchens; vgl. Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2013.5 vom 8. Mai 2013, E. 1.1) geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf das Gesuch ist einzutreten.

2.

2.1 Der Kanton Bern argumentiert im Wesentlichen (act. 1 S. 5 f. Ziff. IV b; act. 1.7 Ziff. 1 S. 2 und Ziff. 3 S. 3), dass seine Übernahme unter Vorbehalt neuer Erkenntnisse erfolgt sei. Deren Voraussetzungen lägen nach seiner definitiven Verfahrenseinstellung wegen absoluter Unverwertbarkeit von Beweismitteln nicht mehr vor. Der vom Kanton Zürich angerufene BG.2012.9, wonach eine Teilerledigung gegen einen Mittäter an sich noch keinen wichtigen Grund für einen Wechsel darstelle, sei deshalb nicht massgebend, weil es in jenem Verfahren um eine nicht nachvollziehbare Trennung zweier Verfahren gegangen sei.

Im Kanton Bern seien sämtliche Anknüpfungspunkte für einen Gerichtsstand entfallen. Keine der mindestens 27 in der Schweiz untersuchten strafbaren Handlungen sei im Kanton Bern begangen worden. 19 der zur Anzeige gebrachten Handlungen hätten sich im Kanton Zürich zugetragen. Gründe der Prozessökonomie (Fallkenntnisse, amtlicher Verteidiger in Zürich) verlangten nach einem Kompromiss zwischen rigoroser Vorschrift und überwiegenden praktischen Bedürfnissen (act. 1 S. 6 f.; act. 1.7 S. 3). Die Ausführungen zur Zahl und Qualifikation der Verfahren wird vom Kanton Zürich in Frage gestellt (act. 3 S. 2).

2.2 Zum Zeitpunkt der Verfahrensübernahme war ein örtlicher Anknüpfungspunkt im Kanton Bern vorhanden (vgl. obige Erwägungen A und B). Die Staatsanwaltschaften einigten sich auf einen gesetzlichen Gerichtsstand ("Art. 34 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 34 - 1 Hat eine beschuldigte Person mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, so sind für die Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Taten die Behörden des Ortes zuständig, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist. Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind.
1    Hat eine beschuldigte Person mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, so sind für die Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Taten die Behörden des Ortes zuständig, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist. Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind.
2    Ist in einem beteiligten Kanton im Zeitpunkt des Gerichtsstandsverfahrens nach den Artikeln 39-42 wegen einer der Straftaten schon Anklage erhoben worden, so werden die Verfahren getrennt geführt.
3    Ist eine Person von verschiedenen Gerichten zu mehreren gleichartigen Strafen verurteilt worden, so setzt das Gericht, das die schwerste Strafe ausgesprochen hat, auf Gesuch der verurteilten Person eine Gesamtstrafe fest.
Satz 2 i.V.m. Art. 33
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 33 Gerichtsstand im Falle mehrerer Beteiligter - 1 Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Straftat werden von den gleichen Behörden verfolgt und beurteilt wie die Täterin oder der Täter.
1    Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Straftat werden von den gleichen Behörden verfolgt und beurteilt wie die Täterin oder der Täter.
2    Ist eine Straftat von mehreren Mittäterinnen oder Mittätern verübt worden, so sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind.
StPO", act. 1.6). Die getroffene Vereinbarung achtet die normativen Vorgaben (vgl. Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2011.3 vom 8. April 2011, E. 2.3) und weist den Gerichtsstand gültig dem Kanton Bern zu.

2.3 Ein nach den Artikeln 38–41 StPO festgelegter Gerichtsstand kann nur aus neuen wichtigen Gründen und nur vor der Anklageerhebung geändert werden (Art. 42 Abs. 3
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 42 Gemeinsame Bestimmungen - 1 Bis zur verbindlichen Bestimmung des Gerichtsstands trifft die zuerst mit der Sache befasste Behörde die unaufschiebbaren Massnahmen. Wenn nötig bezeichnet die zum Entscheid über den Gerichtsstand zuständige Behörde jene Behörde, die sich vorläufig mit der Sache befassen muss.
1    Bis zur verbindlichen Bestimmung des Gerichtsstands trifft die zuerst mit der Sache befasste Behörde die unaufschiebbaren Massnahmen. Wenn nötig bezeichnet die zum Entscheid über den Gerichtsstand zuständige Behörde jene Behörde, die sich vorläufig mit der Sache befassen muss.
2    Verhaftete Personen werden den Behörden anderer Kantone erst zugeführt, wenn die Zuständigkeit verbindlich bestimmt worden ist.
3    Ein nach den Artikeln 38-41 festgelegter Gerichtsstand kann nur aus neuen wichtigen Gründen und nur vor der Anklageerhebung geändert werden.
StPO; Entscheide des Bundesstrafgerichts BG.2013.14 vom 15. August 2013, E. 2.1; BG.2013.3 vom 29. April 2013, E. 2.3).

Der Kanton Bern brachte seine absehbare Einstellung des Verfahrens bereits vor seiner Übernahmeverfügung vor. Ein revisionswürdiger Irrtum bei der Anerkennung des Gerichtsstands ist nicht dargetan oder gegeben. Es liegt auch keine neu bekannt gewordene und im Sinne der Rechtsprechung grössere Zahl zu untersuchender Straftaten mit klarem Schwerpunkt vor (vgl. TPF 2012 66 E. 3; TPF 2008 183 E. 3.4; Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2009.30 vom 26. Januar 2009, E. 2.3). Vorliegender Fall unterscheidet sich in den ausschlaggebenden Punkten schliesslich nicht wesentlich vom Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2012.9 vom 10. Mai 2012, E. 3.

Somit ist weder ein neuer noch ein wichtiger Grund im Sinne des Art. 42 Abs. 3
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 42 Gemeinsame Bestimmungen - 1 Bis zur verbindlichen Bestimmung des Gerichtsstands trifft die zuerst mit der Sache befasste Behörde die unaufschiebbaren Massnahmen. Wenn nötig bezeichnet die zum Entscheid über den Gerichtsstand zuständige Behörde jene Behörde, die sich vorläufig mit der Sache befassen muss.
1    Bis zur verbindlichen Bestimmung des Gerichtsstands trifft die zuerst mit der Sache befasste Behörde die unaufschiebbaren Massnahmen. Wenn nötig bezeichnet die zum Entscheid über den Gerichtsstand zuständige Behörde jene Behörde, die sich vorläufig mit der Sache befassen muss.
2    Verhaftete Personen werden den Behörden anderer Kantone erst zugeführt, wenn die Zuständigkeit verbindlich bestimmt worden ist.
3    Ein nach den Artikeln 38-41 festgelegter Gerichtsstand kann nur aus neuen wichtigen Gründen und nur vor der Anklageerhebung geändert werden.
StPO ersichtlich, um den Gerichtsstand zu ändern. Damit bleibt es bei der vereinbarten Zuständigkeit des Kantons Bern. Offenbleiben kann, ob sich vorliegend auch Fragen von Treu und Glauben stellen.

Der Kanton Bern verweist schliesslich zutreffend auf die innerhalb des gesetzlichen Spielraums möglichen pragmatischen Lösungen für Gerichtsstandsstreitigkeiten. Solche liegen im gegenseitigen wohlverstandenen längerfristigen kantonalen Interesse. Dazu besteht der grösste Spielraum im Meinungsaustausch, während die Rechtsprechung der Beschwerdekammer auch Rechtssicherheit zu schaffen hat (vgl. Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2013.14 vom 15. August 2013, E. 2.2). Für die Beschwerdekammer legt dies ebenfalls nahe, an der Gerichtsstandsvereinbarung festzuhalten.

3. Damit ist der Kanton Bern berechtigt und verpflichtet, die strafbaren Handlungen, welche Gegenstand der Übernahmeverfügung vom 5. Dezember 2013 sind, zu verfolgen und zu beurteilen.

4. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 423 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 423 Grundsätze - 1 Die Verfahrenskosten werden vom Bund oder dem Kanton getragen, der das Verfahren geführt hat; abweichende Bestimmungen dieses Gesetzes bleiben vorbehalten.
1    Die Verfahrenskosten werden vom Bund oder dem Kanton getragen, der das Verfahren geführt hat; abweichende Bestimmungen dieses Gesetzes bleiben vorbehalten.
2    und 3 ...273
StPO).

Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Strafbehörden des Kantons Bern sind berechtigt und verpflichtet, die B. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.

2. Es werden keine Gerichtsgebühren erhoben.

Bellinzona, 21. März 2014

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Zustellung an

- Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern

- Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.

Decision information   •   DEFRITEN
Document : BG.2014.7
Date : 21. März 2014
Published : 31. März 2014
Source : Bundesstrafgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Beschwerdekammer: Strafverfahren
Subject : Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO).


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